Götterdämmerung

Christian Thielemann
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Date/Location
11 November 2011
Staatsoper Wien
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Stephen Gould
Brünnhilde Linda Watson
Gunther Markus Eiche
Gutrune Caroline Wenborne
Alberich Tomasz Konieczny
Hagen Eric Halfvarson [act 1/2]
Attila Jun [act 3]
Waltraute Janina Baechle
Woglinde Ileana Tonca
Wellgunde Ulrike Helzel
Floßhilde Zoryana Kushpler
1. Norn Zoryana Kushpler
2. Norn Ulrike Helzel
3. Norn Ildikó Raimondi
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Reviews
Die Presse

Thielemann: Götterdämmerung, Dirigentensieg

Christian Thielemann und die Philharmoniker ernteten zum Finale des “Rings des Nibelungen” Ovationen. Ein singuläres Ereignis – im Repertoirebetrieb. An ein „Remake“ wird hoffentlich gedacht.


Der 52-jährige Berliner war ganz offenkundig Anlass für Pilgerreisen. Wagner-Enthusiasten aus ganz Europa sind gekommen, um den „Ring“ unter seiner Leitung hören zu können. Wer die Spielpläne studiert und Thielemanns restriktive Kalenderpolitik kennt, der weiß, dass der meistgesuchte Wagner-Interpret unserer Zeit frühestens in einem halben Jahrzehnt wieder einmal „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ dirigieren wird.

Zuletzt hörte man ihn mit der Tetralogie bei den Bayreuther Festspielen. Die sind so notorisch überbucht wie die Staatsoper es in den vergangenen eineinhalb Wochen war. Selbst bei Novembertemperaturen verfolgten daher auch viele die Liveübertragung auf dem Karajan-Platz. Sie konnten freilich nicht genießen, was den glücklichen Kartenbesitzern Gänsehautwonnen bescherte: Ein exzellentes Orchester in prächtigster Klangentfaltung zu hören.

Das ist wohl der wichtigste Unterschied zum ohnehin viel gelobten Bayreuther „Thielemann-Ring“: In Wien ist der Orchestergraben nicht verdeckt, die Musik kann sich ungedämpft entfalten.

Des Hörers Wonne kann Sängers Leid bedeuten. Zwar ist Christian Thielemann das Urbild des deutschen Kapellmeisters und nimmt in vielen Fällen Rücksicht auf die Bühne. Doch schwelgt auch er in hedonistischem Klangrausch, wenn die Philharmoniker einmal richtig loslegen. Dann gehen selbst Riesenstimmen wie jene der wackeren Brünnhilde von Linda Watson oder Stephen Goulds Siegfried im großen Ganzen der akustischen Wagner-Euphorie auf.

Ungebremste Lust am Schönklang

Das Publikum wartet freilich darauf, dass sich endlich einmal die Klangmassen zur vollkommenen Vulkaneruption konzentrieren, wenn im zweiten Akt der „Götterdämmerung“ die Emotionen hochgehen. Die Schwurszene, brodelnder Höhepunkt des tragischen Verwirr- und Betrugsspiels, wird auch zum Höhepunkt der 15-stündigen Hörerlebnisreise. Selbst hier ist, dem Gewitter der Fortissimo-Akzente zum Trotz, nichts von Brutalität spürbar, denn die einzelnen, massiv verdichteten Elemente des orchestralen Spektakels sind, jedes für sich, aus der Lust am Schönklang geboren. Diese pflegen Musiker und Dirigent mit spürbarer Leidenschaft sogar dort, wo der äußerste Gegenpol der dramatischen Ereignisse erreicht ist, in den Augenblicken des Innehaltens und der Kontemplation. Es regiert Sinnlichkeit: Auch Pianissimi am Rand der Unhörbarkeit können groß und satt tönen.

Hut ab vor Solisten wie Markus Eiches Gunther, Caroline Wenbornes Gutrune oder der Waltraute von Janina Baechle, die es schaffen, den Orchesterstürmen zumindest einige Vokal-Akzente entgegenzusetzen, die das Drama zeitweilig auf die Szene zurückholen. Die Erkältungsfalle schlug im Übrigen zu und zwang Eric Halfvarson, der einen mächtigen Hagen gab, sich im dritten Aufzug doch von Attila Jun (erstklassig) vokal doubeln zu lassen. Das bedeutet wohl das „Aus“ für alle Hoffnungen, der Livemitschnitt des Ereignisses könnte irgendwann tatsächlich auf CD gepresst werden.

Auch ein paar Orchesterschnitzer sprächen gegen eine dauerhafte Aufbewahrung der Aufnahme. Doch das Live-Erlebnis wird sich in der Erinnerung der Musikfreunde, die dabei sein durften, einprägen. Thielemann, der „Ring“, und ein „offenes“ Orchester, das gab es zuletzt in Berlin vor mehr als einem Jahrzehnt. Spannend für Musikfreunde, die damals schon zu diesem Dirigenten pilgerten: Die Tempi – bei allen Ruhepunkten, die er sich gönnt – wählt Thielemann heute zügiger, achtet mehr aufs große Ganze (und die Bayreuther Uraufführungszeiten). Ein Aperçu, gewiss, doch vielsagend. – An ein „Remake“ wird hoffentlich gedacht…

WILHELM SINKOVICZ | 15.11.2011

Wiener Zeitung

Im Tsunami von Wagners Orchesterwogen

Das hat es in der Geschichte der Wiener Staatsoper wohl noch nie gegeben: Als Christian Thielemann inmitten seiner Musiker auf der Bühne erschien, erhob sich das gesamte, vor Begeisterung tobende Publikum spontan zu Standing Ovations. So endete mit der “Götterdämmerung” ein “Ring”-Zyklus, der zweifellos in die Annalen das Hauses eingehen wird.

Wie nähert man sich dem Phänomen namens Christian Thielemann? Vielleicht liegt das Exzeptionelle seines Musizierens darin, dass er dem Sinn jedes noch so kleinen Details radikal auf den Grund geht. Da ist jede Phrase, ja jeder Ton mit Deutung bis zum Bersten aufgeladen; die weitgespannten Tempomodifikationen entfalten sich von verhaltenster, zuweilen fast ungewohnter Ruhe bis zu den leidenschaftlich aufgepeitschten Höhepunkten, die Thielemann mit rückhaltlosem körperlichen Einsatz ansteuert.

Speziell bei dieser “Götterdämmerung” spiegelte sich die unausweichliche Tragik des Geschehens in einer gleichsam überlebensgroßen Wucht der musikalischen Erscheinung wider. Und die Glanzleistung des Orchesters ließ auf eine intensive Probenarbeit schließen. Da meinte man, speziell in den Bläsern nie gehörte Farben zu entdecken; sonore Fülle verströmten die Holzbläser, blendende Helle das Blech, die seidige Kantabilität der Streicher nicht zu vergessen.

Die entfesselte Gewalt von Thielemanns Dirigat forderte auch den Sängern das Äußerste ab, ohne sie doch im eigentlichen Sinn zuzudecken. Einzige Ausnahme: dass im Tsunami der aufgepeitschten Orchesterwogen der Mannenchor zuweilen unterging. Aber da begeisterte vor allem die Brünnhilde von Linda Watson, kurzfristig eingesprungen für die erkrankte Katarina Dalayman: Sieghaft strahlende Spitzentöne verbanden sich mit substanzreichen Piani, ausdrucksstarke Gestaltung mit ermüdungsfreier Ausdauer bis hin zum berührenden Schlussgesang.

Großartige Sänger in karger Ausstattung

Enorme Kraftreserven mit sicheren Höhen demonstrierte auch Stephen Gould als Siegfried. Tomasz Konieczny sang wieder seinen skurril-bedrohlichen Alberich, Markus Eiche einen prägnanten Gunther, Janina Baechle eine ausgezeichnete Waltraute, Caroline Wenborne eine verlässliche Gutrune. Charaktervoll agierten die Nornen, glockenhell die Rheintöchter. Einen Sonderfall bildete die Partie des Hagen: Trotz Indisposition bestritt Eric Halfvarson mit wuchtig-kantigem Bass die beiden ersten Akte, ehe er im Finale von der Seitenbühne durch Attila Jun perfekt synchronisiert wurde.

Und die Inszenierung? Abermals gefiel die fantasievolle Personenführung von Sven-Eric Bechtolf. Doch auch diesmal wieder irritierte die allzu karge Ausstattung von Rolf und Marianne Glittenberg, die erst ganz zum Schluss den lang vermissten Bühnenzauber mobilisierte. Aber angesichts der musikalischen Größe dieses Abends spielte das keine Rolle mehr.

Gerhard Kramer | 14.11.2011

operinwien.at

„Hagen-Doppel“

Mit der „Götterdämmerung“ gingen die Thielemann’schen „Ring“-Festspiele an der Wiener Staatsoper zu Ende. Der Besucherandrang war mindestens so stark wie bei der „Walküre“ am Sonntag zuvor – wenn nicht stärker.

Der Abend begann mit der überraschenden Ansage, dass der erkältete Eric Halvarson nun doch den Hagen singen werde – mit Attila Jun als Backup für den Fall der Fälle. Wie man einer Beilage im Programmzettel entnehmen konnte, war ursprünglich geplant gewesen, Halvarson die Partie nur mimen zu lassen, während Jun sie singen sollte. Durch die neue Konstellation musste niemand mehr diese Doppelgleisigkeit hinterfragen, die dann im dritten Aufzug allerdings doch noch zum Tragen kam.

Halvarson schlug sich gut, im ersten Aufzug noch etwas „verschnupft“ klingend. Im dritten Aufzug verlegte er sich auf die „Pantomime“ und Attila Jun sprang ein. Dieser ließ einen schönen Bass hören, aber nicht so richtig markig. Ob es für den Gesamteindruck des Abends besser gewesen wäre, Jun gleich von Anfang an singen zu lassen, wird man naturgemäß nie erfahren.

Auf mich wirkte nach einer recht flüssig musizierten Nornenszene und einem mitreißend gesungenen und gespielten Abschied Siegfrieds von Brünnhilde samt breitströmender Rheinfahrt, die Gibichung’sche Familienaufstellung zu Beginn des ersten Aufzugs etwas „flau“. Erst mit dem Auftritt Siegfrieds aus der Versenkung, der von Hagen in der „Sven-Eric Bechtolf’schen Fassung“ des „Rings“ irgendwie „mental“ herbeigerufen wird, nahm die Handlung wieder an Fahrt auf. Apropos Gibichungen: Markus Eiche ließ seinen schönen Bariton strömen, der aber für den Gunther in den entscheidenden Momenten zu wenig heldisch „besetzt“ war. Caroline Wenborne hat sich als Gutrune inzwischen gut profiliert.

Stephen Gould hatte seine bestechende Form aus dem Jung-Siegfried ins „Alter“ mitgenommen und hielt sie bis zum bitteren Verscheiden durch. Einmal verunglückte ihm ein Ton, aber das wars auch schon an Beckmessereien. Sein Siegfried zeigte ein unbekümmertes, unverdorbenes Naturell, und sein leicht hell getönter, breit genug ausgelegter Tenor spiegelte das durch einen immer authentisch wirkenden gesanglichen Ausdruck wider. Damit formte er Siegfried als sympathischen Naturburschen, der naiv und gutgläubig dem Hagen’schen Ränkespiel zum Opfer fällt.

Für Linda Watson hat sich das Einspringen als Brünnhilde gelohnt: Sie wirkte sehr konzentriert, hatte die Partie auch bei den Spitzentönen im Griff. Was man bemängeln könnte, dass es ihr in manchen Passagen ein wenig an zündender „Attacke“ fehlte. An das Flackern ihres Soprans gewöhnte man sich rasch. Vom Spiel wirkte sie ein bisschen statuarisch, aber durchaus mit Ausstrahlung und dem gebotenen Heroismus. Das Publikum bereitete ihr zum Solovorhang eine richtige Ovation.

Bei Tomasz Koniecznys Alberich sollte man neben seiner bekannt stimmlichen Charakterschärfe unbedingt die starke spielerische Seite erwähnen. Zwar scheint nicht immer sinnvoll, was ihm Regisseur Sven-Eric Bechtolf an körperlichem Einsatz abverlangt, aber schon sein „Trockenschwimmen“ in der ersten „Rheingold“-Szene war sehenswert. Sein langsamer Abgang nach der Ermahnung Hagens am Beginn des zweiten Aufzugs, mit zitternder rechter Hand, war ausgesprochen „stimmig“. Janina Baechles Waltraute gewann im Laufe der langen Erzählung deutlich an Format (aber man sollte ihr das Kostüm besser anpassen) – und die neckischen Rheintöchter ließen keine Wünsche offen.

Das Orchester spielte großartig auf, wenn auch die Bläser nicht immer ganz sicher agierten. Vor allem der dritte Aufzug fokussierte die Vorzüge dieser ganz besonderen „Ring“-Aufführungen noch einmal auf beeindruckende Art und Weise. Diese langsam gesteigerte, ungeheure Aufwallung des Trauermarsches wird man als Zuhörer nie wieder vergessen: ein Grabmahl aus Tönen, monumental und monolithisch, doch von Siegfrieds Seele erwärmt und ganz ohne knallige Kühle. Im Finale öffnete sich dieser Klangraum noch einmal zu stattlicher Größe, getragen von den Blechbläsern mit sattem dunkelrotgoldenem Strahlen, ehe nach kurzer Verhaltung aus den Streichern das finale Motiv zu sehnsuchtsvollem, liebesschwangerem Abschied tröstend aufstieg. Thielemann ließ das Orchester aufrauschen mit romantisch-üppiger Woge – bevor die Musik leise verklang.

Dann einige Sekunden Stille – ein paar unsensible Klatscher fallen ein, verstummen wieder – aber das innere Nachhallen der Musik ist schon zerstört – das Klatschen beginnt erneut. Linda Watson erscheint als erste zum Applaus, ein Solovorhang, großer Jubel braust auf. Dann kurzes Warten vor verhüllter Bühne. Der Vorhang öffnet sich wieder. Dirigent und (!!!) Orchester haben Aufstellung genommen. Tosender Beifall bricht los. Der Schlussapplaus dauerte insgesamt knapp über 25 Minuten. Es handelte sich um die 13. Aufführung in dieser Inszenierung.

Fazit: In Summe war es ein „Ring“ fulminanter „Höhepunkte“. Hohe dynamische Elastizität und eine üppig Klangentfaltung sorgten für prächtige Momente. Aber nicht immer hielt die Grundspannung in den weiten, von langen Erzählungen durchflochtenen Szenenfolgen. „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ hinterließen bei mir – auch wegen herausragenderer Sängerinnen- und Sängerleistungen – einen durchwegs stärkeren Eindruck als die „Walküre“ und das „Rheingold“.

Dominik Troger | Wiener Staatsoper 13.11.2011

Rating
(7/10)
User Rating
(4/5)
Media Type/Label
(DG)
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 604 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (Ö1)
A production by Sven-Eric Bechtolf (2008)
This recording is part of a complete Ring.