Götterdämmerung

Alexander Joel
Chor und Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Date/Location
5 June 2017
Staatstheater Wiesbaden
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Andreas Schager
Brünnhilde Evelyn Herlitzius
Gunther Samuel Youn
Gutrune Sabina Cvilak
Alberich Thomas de Vries
Hagen Shavleg Armasi
Waltraute Bernadett Fodor
Woglinde Gloria Rehm
Wellgunde Marta Wryk
Floßhilde Silvia Hauer
1. Norn Bernadett Fodor
2. Norn Silvia Hauer
3. Norn Sabina Cvilak
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Reviews
Frankfurter Rundschau

Liebe, Freundschaft, Mord

In der „Götterdämmerung“ kommt der Wiesbadener Ring ins Erzählen.

Die zusammengestückelte Linzer-Wiesbadener „Ring“-Tetralogie zeigt auch in der „Götterdämmerung“ kein Bedürfnis, sich noch zu runden oder ein Konzept nachzuliefern. Tatsächlich aber – vergisst man einmal alles, was bisher geschah (Richard Wagner macht es einem schwer damit) und schaut nur auf das aktuelle Geschehen – bietet der Schlussabend die stärksten Szenen. Dass es auch die schlichtesten sind, macht nachdenklich. Dass etwa das Auftauchen eines Trojanischen Pferdes, bei dem es sich um Grane handeln soll, sofort wieder Sinn und Konsistenz zugunsten des hohen dekorativen Anteils infrage stellt: Es scheint das Inszenierungsteam um den Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg nicht zu stören.

Schlichte, starke Szenen also. Gunther und Gutrune stehen sich näher, als es unter Geschwistern üblich ist, eine dezente, reizvolle Wälsungenblut-Spiegelung. Als die potenziellen Ehepartner in den Fokus rücken, markiert Gunther die neuen Grenzen. Noch ein Spiegel: Die Blutsbrüderschaft mit Siegfried wird an einem langen Tisch auch auf Papier besiegelt. Die Gibichungen spielen herum, aber sie gehen nicht aufs Ganze, und wenn es zum Schwur kommt, darf gerne auch ein Vertrag aufgesetzt werden.

Ein über die Bühne verteiltes Dreieck

Hagen lauert wach und grimmig, absurd anzunehmen, dass er nicht mitbekommt, was zwischen den Geschwistern vor sich geht. Seine Träume flackern über eine Leinwand, Alberich schleicht sich regelrecht ein. Der Mordkomplott-Dreier, wirklich ein über die Bühne verteiltes Dreieck, zeigt wunderbar die unterschiedlichen Ausgangssituationen: Gunter heillos überfordert, ein Tropf wie du und ich, der sich zwischen Schande und Untat entscheiden muss, Hagen und Brünnhilde hingegen von anderem Kaliber. Der Tod gehört(e) zu ihrem täglichen Geschäft, auch Brünnhilde weiß noch, wie es geht. Ein Blick und sie sind sich einig.

Auch hier, aber keineswegs nur hier zeigt sich, was für eine großartige Brünnhilde-Darstellerin Catherine Forster inzwischen ist. Ihr Mittelweg zwischen einer „Inspector Barnaby“-Rächerin und einer Wagner-Heroine geht auch auf, wenn sie am Gibichungenhof ihren Siegfried erkennt, den Ring entdeckt, lange noch etwas mehr überrascht als hellauf empört ist. Man schaut ihr beim Denken zu. Man schaut Laufenberg beim Erzählen zu. Die krasse Unlogik von Brünnhildes Überwältigung durch den als Gunther getarnten Siegfried klärt er deutlich: Zum Fallen des Vorhangs bereitet der Held die Vergewaltigung vor – hier mit aufwendiger Maskierung, die den wieder umwerfenden Andreas Schager nur so weit am Singen hindert, wie es der Situation geziemt.

Dass Siegfried ein argloser Tor bleibt, ist angesichts der Möglichkeiten, die Schager zur Verfügung stehen etwas bedauerlich. Die Musik bietet mehr Gebrochenheit und Verunsicherung an (eines immerhin die Liebe seines Lebens verratenden und seinerseits übelst aufs Kreuz gelegten jungen Mannes), als dieser weiterhin fröhliche, gelegentlich hüpfende und vor Lebensfreude in die Hände klatschende Einfallspinsel bietet. Fast hätte er noch sein Schwert liegenlassen, als er Brünnhilde verlässt, händeringend und kopfschüttelnd eilt er zurück, peinliche Putzigkeiten.

Im Lokal „Zum Rheingold“

Auch die Bühnenbilder von Gisbert Jäkel leuchten ein, wenn man nicht versucht, irgendwelche, in einem Ring allerdings denkbare und wünschenswerte Zusammenhänge herzustellen: Architektonischer Schick im Haushalt Brünnhilde/Siegfried (hier sogar mit schmucken Rückgriffen auf „Die Walküre“), einfache Gigantomanie bei den Gibichungen. Die Rheintöchter haben inzwischen das triste, zwielichte Etablissement „Zum Rheingold“ aufgemacht. Die Laserstrahlenhände der Nornen: Man ist dabei.

Harmlos dann wieder der große Weltenbrand, mit den schon überstrapazierten Feuerassoziationen auf der Leinwand. Gutrune überlebt und schaut mit einem Fernrohr in den kosmischen Abendhimmel. Ausgerechnet Gutrune. Na so was aber auch. Damit sie nicht ganz die einzige bleibt, geht das Saallicht zu den Schlussklängen an.

Neben dem prächtigen Paar Forster und Schager überzeugen auch die anderen Sänger. Matias Tosis Gunther mag ein metrosexueller Weichling sein, aber sein Gesang hat Kraft und Fundament. Shavleg Armasis Hagen, ein knallharter Typ, ist ihm stimmlich ein nur etwas matterer Bruder. Gutrune wurde mit Sabina Cvilak nicht beiläufig besetzt. Die oft längliche Waltraute-Szene bekommt durch Bernadett Fodor Glanz, Furor und Tragik. Der Maschinenpistolen und Fähnchen schwenkende Chor ist nicht derber als es männerbündischen Kameraden ansteht. Ein ungemütlicher Ort, der Gibichungenhof.

Das Dirigat von Alexander Joel wächst auch am letzten Abend nicht über sich hinaus, zum teils soliden, teils nach allen Regeln der Kunst lärmigen Wagner-Anteil gesellt sich selten Zauber.

Judith von Sternburg | 24.04.2017

Allgemeine Zeitung

Andreas Schager und Catherine Foster in Wiesbadener „Götterdämmerung“ gefeiert

Diese „Götterdämmerung“ ist immerhin unterhaltsam. Was ja nicht wenig ist in diesem mit Pausen fast sechs Stunden währenden Opus, in dem schon die einleitende Nornenszene zur Geduldsprobe werden kann. Im Staatstheater Wiesbaden, wo sich mit der Premiere Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ geschlossen hat, gibt es schon hier viel zum Gucken: Die drei Nornen sind nicht mit klassischem Schicksalsgewebe, sondern mit Laserpointern unterwegs. Dabei wird auch das Dach eines Bauhaus-Bungalows bestiegen. Marcel Breuer lässt darin mit Stuhl „Wassily“ grüßen. Der Anarcho-Siegfried hat sich offenbar ans gute Leben gewöhnt. Er rasiert sich, seit „Siegfried“ deutlich gereift, in guter Rheinblick-Wohnlage am offenen Fenster und neigt bereits hier zur Vergesslichkeit: Beinahe hätte er seine Dienstreise ohne Schwert angetreten.

Ein veritables Wagner-Traumpaar

Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung zeigt gerne, wie nah sich Erhabenes und Lächerliches sein können. Und wenn die musikalische Seite dem Werk seinen Ernst wiedergibt, wird aus dem Ideen-Sammelsurium phasenweise doch wieder ein spannendes Stück Musiktheater, dem am Ende herzlicher Applaus gewiss ist. Die Begeisterung gilt vor allem Andreas Schager und Catherine Foster als einem veritablen Wagner-Traumpaar. Aber auch Shavleg Armasi (Hagen), Matias Tosi (Gunther), Sabina Cvilak (Gutrune und eine wunderbare 3. Norn), Bernadett Fodor (Waltraute) und Thomas de Vries (Alberich) leisten unter der Stabführung von Alexander Joel Bemerkenswertes. Der Gastdirigent und „Ring“-Novize hat sich im Verlauf des Vierteilers mächtig gesteigert und führt das Staatsorchester – von düsterer Blechgewalt bis zu brillanten Violinen – zur vielleicht überzeugendsten Leistung in der Tetralogie. Andreas Schagers und Catherine Fosters Stimmgewalten als Siegfried und Brünnhilde sind dabei fast eine Nummer zu groß für eine bieder geratene Produktion, in der sich die Rheintöchter als abgegriffene Männerfantasie in Netzstrümpfen rekeln (ihr Wald-Puff nennt sich beziehungsreich „Zum Rheingold“) und viel ausgestopftes Wildschwein auf die Bühne gewuchtet wird, um den Jagderfolg der Mannen (Chor: Albert Horne) zu illustrieren.

Gang durch die Menschheitsgeschichte

Laufenbergs Konzept eines Gangs durch die Menschheitsgeschichte, der im vorzeitlichen „Rheingold“ szenisch wie musikalisch eher mittelprächtig begonnen hatte, aber in einer mitreißenden „Walküre“ und in einem witzigen „Siegfried“ mit starker Besetzung immer wieder begeistern konnte, verläuft sich in der „Götterdämmerung“ im Irgendwann und Nirgendwo. Neben ein bisschen Zukunft und Gegenwart darf mit der monumentalen Gibichungen-Architektur in der Vielfalt ästhetischer Bezüge auch etwas Reichsparteitag anklingen. Grane, das Ross, kommt darin als riesiges Pferd von trojanischen Dimensionen zurück. Die Leerstellen des Konzepts lassen sich mit Bühnen-Gags und wieder allerlei Illustrativem füllen: Wotan-Wanderer ist nicht nur als buchstäblicher Schatten seiner selbst präsent, sondern wird auch noch als stummer Götter-Opa auf die Bühne gesetzt. Zum Überflüssigsten des Abends gehört ein Video, das offenbar Siegfrieds verlöschendes EKG zeigt. Dabei gehört sein Schwanengesang in der berückenden, entrückenden Interpretation Andreas Schagers neben dem Jubel amouröser Verzückung an Brünnhildens Seite zum Allerschönsten, was dieser „Ring“ zu bieten hat. Das im Bühnenbild von Gisbert Jäkel ohnehin mit reichlich Video (Falko Sternberg) angereicherte „Ring“-Finale endet in einem ziemlich vorhersehbaren Szenarium: Ein Atomkrieg flimmert, offenbar von Brünnhilde mit Siegfrieds transparentem Tablet ausgelöst, über die Projektionsfläche im Bühnenhintergrund.

Irgendwie beruhigend, dass man diese Apokalypse doch auch auf High Heels überstehen kann, wie die figurbetont schicke Gutrune (Kostüme: Antje Sternberg) beweist. Sie guckt am Ende mit dem Fernrohr in die Zukunft der Menschheitsgeschichte. Darin entdeckt sie wahrscheinlich, oh Wunder, ganz viele Wiesbadener Inszenierungen von Uwe Eric Laufenberg. Jedenfalls bis 2024, dem Ende seiner Amtszeit als Staatstheater-Intendant. Mögen sie überzeugender gelingen als diese „Götterdämmerung“!

Volker Milch | 25.04.2017

deropernfreund.de (I)

Ordentliche Gesamtleistung mit herausragender Brünnhilde

Angeblich ist Intendant Laufenbergs für Wiesbaden aufpolierte Linzer Ring-Inszenierung ein Gang durch die Jahrtausende. Tatsächlich fing es im Nomadenzelt im Rheingold an, sprang dann direkt zum Ersten Weltkrieg in der Walküre und dann im Siegfried in die Gegenwart. Eigentlich wäre nun in der Götterdämmerung die Zukunft dran, und man befürchtete schon, Pseudo-Science-Fiction-Ausstattung präsentiert zu bekommen. Damit verschont uns aber das Produktionsteam. Szenisch bleibt man einfach in der Moderne. Damit kommt die Inszenierung insgesamt zur Ruhe und zeigt eine deutlich größere Konzentration auf das Wesentliche, als dies im „Siegfried“ der Fall war. Zumindest in den ersten beiden Aufzügen dominiert nicht mehr ein Sammelsurium einzelner, allenfalls lose verbundener Einfälle mit einem visuellen Overkill von Videoprojektionen. Es werden zudem optische Querbezüge zu den vorangegangenen Ring-Teilen hergestellt. So beginnt das Vorspiel mit der Reithalle, in welcher in der „Walküre“ Brünnhilde in einer Germania-Statue verschlossen wurde und die im „Siegfried“ folgerichtig zum Walkürenfelsen wurde. Siegfried und Brünnhilde haben sich dort als Paar inzwischen häuslich eingerichtet und wohnen in einem schicken, vollverglasten Bungalow, den sie inmitten der Halle erbaut haben. Er ist sparsam mit Designermöbeln eingerichtet. Das Feuer des Walkürenfelsens ist zur stilvoll-dekorativen Schale mit Flamme gezähmt, ein Trümmer der Germania-Statue ziert zum Kunstobjekt stilisiert den Raum. Davor treten nun zunächst die Nornen auf. Der Schicksalsfaden, den sie spinnen, besteht aus grünen Laserstrahlen, die aussehen wie eine Reminiszenz an Harry Kupfers Bayreuther Ring in den 1980er Jahren, ohne daß sich daraus besondere Erkenntnisse oder Folgen für den weiteren Verlauf ergäben. Als die Erzählung der Nornen von Wotan spricht, erscheint dessen Schatten mit Hut und Mantel auf der Rückwand. Siegfried selbst tritt nun auf. Sein im vorigen Teil des Rings wild verzotteltes Rastalocken-Haar ist gestutzt und geglättet, Hausfrau Brünnhilde hilft ihm in die dezente Lederjacke, bindet ihm die Schuhe und verabschiedet den Gatten zur Arbeit. Bei der Rheinfahrt gibt es dann zum ersten Mal wieder eine Videoprojektion, die sich aber in ihrer Dezenz wohltuend von dem nervösen Geflimmer des vorangegangenen Teils abhebt. Man sieht eben tatsächlich eine Rheinfahrt aus der Vogelperspektive. Die Gibichungenhalle als Ziel von Siegrieds Fahrt ist ein schmuckloser, holzvertäfelter Saal. König Gunther, der in anderen Inszenierungen gerne als Schwächling dargestellt wird, erscheint hier als selbstverliebter Machtmensch. Seine Schwester Gutrune, sonst gerne als döfliche Blondine gezeichnet, ist eine moderne Frau mit gefährlich erotischer Ausstrahlung.

Regisseur Laufenberg zeigt die beiden origineller Weise als inzestuöses Paar, das sich aus reinem Machtkalkül jeweils einen anderen Partner sucht, tatsächlich aber zunächst einander verbunden bleibt. Diese Sicht ist überraschend neu, wird aber darstellerisch überzeugend mit Blicken und Gesten umgesetzt und verleiht dem Geschehen zunächst eine interessante Perspektive. Leider folgt daraus im weiteren Verlauf nichts. Gutrune wird recht schnell wieder als die ihrem Siegfried treu ergebene, stolze Braut gezeigt.

Zur Waltrautenszene zurück im Bungalow erscheint passend zur Erzählung von Waltraute der Wanderer Wotan, zunächst wieder als Schatten, dann als stummer Zuschauer, der traurig und gebrochen abgeht, sobald er erkennt, daß die durch Liebe zu Siegfried verblendete Brünnhilde nicht vom Ring ablassen und dessen Fluch abwenden will. Siegfried tritt sodann tatsächlich in Gunthers Gestalt auf: Er trägt eine Gummigesichtsmaske wie in „Mission impossible“, und sie wirkt aus der Entfernung des Zuschauerraums tatsächlich so echt, daß man zunächst vermutet, Matias Tosi, der Darsteller des Gunther, sei gerade leibhaftig selbst erschienen.

Eine sinnvolle und suggestive Verwendung von Videoprojektionen erlebt man dann bei Hagens Wacht zu Beginn des zweiten Aufzugs: Er schläft ja, und so sieht man zunächst wirre Fetzen von unscharfenTraumsequenzen, bis dann deutlich und klar Alberich in dem Bildernebel erscheint, der seinen Sohn im Unterbewusstsein steuert. Das ist sehr einleuchtend gestaltet. Der restliche zweite Aufzug kommt dann erfreulicher Weise wieder völlig ohne Projektionen und Ausstattungsplunder aus. Alles wird mit Blicken, Gesten und sprachlichen Mitteln gestaltet: Brünnhildes fassungsloses Begreifen von Siegfrieds vermeintlichem Verrat, Gunthers Scham, das Rache-Terzett am Ende: gutes, plausibles, klassisches Theater. Regisseur Laufenberg spielt in der Götterdämmerung damit über weite Strecken seine Stärke aus, nämlich eine zwingende, ganz auf den Text bezogene Personenregie. Gefühle, Regungen und Motivationen teilen sich unmittelbar aus der darstellerischen Kunst der Protagonisten mit. Spannung entsteht durch kammerspielartig durchgestaltete Interaktion.

Nur der Schluß verfällt wieder in alte Unarten. Man sieht zum Weltuntergang ein erwartbares, nichtssagendes Video mit überfluteten Hochhausschluchten und explodierenden Großstädten. Dann Wasser, Sternenkitsch und Bilder von Galaxien – fehlte noch das Erscheinen von Raumschiff Enterprise. Schließlich taucht das überdimensionale Auge aus dem Rheingold wieder auf. Das könnte man als Klammer der vier Teile durchgehen lassen, wenn nicht ganz am Schluß noch Gutrune (wieso Gutrune?) mit einem Fernrohr erschiene, erst auf das Videoauge schaute, um dann das Publikum ins Visier zu nehmen. Dazu geht andeutungsweise das Saallicht an. Ja, wir sind gemeint. Wissen wir. Hatten wir zuletzt auch im Frankfurter Ring. Dieser Schluß ruiniert den Eindruck szenischer Gediegenheit, der in den vier Stunden davor entstanden war.

Der Orchesterklang wirkt dieses Mal über weite Strecken grob und ungeschliffen. Das Blech ist recht unzuverlässig im Hinblick auf präzise Einsätze, erlaubt sich erstaunlich viele Kieksern und zeigt mehrfach Probleme mit dem Ansatz. Immer wieder ist angemerkt worden, die Götterdämmerung sei „überinstrumentiert“. Nach dem Klangeindruck dieser Premiere ist man geneigt, dem zuzustimmen. Immer wieder trägt Alexander Joel am Pult viel zu dick auf. Nur selten findet sich die Klarheit und Transparenz des Klanges, die man etwa in der „Walküre“ bewundern konnte.

Immerhin hat man in Wiesbaden mit Catherine Foster als Brünnhilde und Andreas Schager als Siegfried zwei der derzeit führenden Rollenvertreter engagiert, die keinerlei Mühe haben, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Im Hinblick auf musikalische Rollengestaltung deklassiert die Foster aber ihren Bühnenpartner deutlich. Man merkt bei ihr die große Erfahrung mit der Partie. Sie kann mit ihren Kräften haushalten und verfügt im richtigen Moment immer noch über Reserven, um dynamisch zulegen zu können. Die Stimme ist dabei trotz jahrelanger Beanspruchung im hochdramatischen Fach mit unzähligen Brünnhilden und Elektras noch völlig intakt, zeigt eine gute Registerverblendung, ein jederzeit kontrolliertes Vibrato, leuchtende Spitzentöne und vor allem: ein tragendes Piano. Was die Foster an genau abgestuften Zwischentönen zeigen kann, macht ihr derzeit kaum eine andere Sängerin in diesem Fach nach. Damit legt sie auch die Schwäche von Andreas Schager bloß: Er kann nicht leise. Sobald der Mund aufgeht, tönt es mit voller Wucht. Nicht einmal bei der Imitation des Waldvögleins wird es feiner. Zum ungehobelten Kraftmeier des vorangegangenen Teils hat das gut gepaßt. Nun vermißt man stärkere Ausdifferenzierungen. Auch irritieren vereinzelt steife und zu hoch angesetzte Spitzentöne. Zudem geht Schager recht frei mit dem Text um. Dieser Siegfried muß noch nachreifen.

Beim Schlußapplaus wird eine dritte Sängerin völlig zu recht mit besonders großem Zuspruch bedacht: Bernadett Fodor zeigt als Waltraute, daß ihr Alt in Wahrheit ein Mezzosopran ist, in dem das Potential für die hochdramatischen Partien des Wagner-Fachs steckt. Hatte nicht Martha Mödl, die legendäre Brünnhilde der 1950er Jahre, ebenfalls als Alt begonnen? Als „Erste Norn“ im Vorspiel kann sie ihr Potential noch nicht entfalten. Umso überraschender ist dann ihr vollmundiger Auftritt als Walkürenschwester. Noch eine weitere Norn erfährt eine Zweitverwendung: Sabina Cvilak erscheint einen halben Akt nach ihrem mit einiger Schärfe in den Höhen nicht völlig zufriedenstellenden Einsatz nun als „Gutrune“. Auch in dieser Rolle, die sie optisch grandios ausfüllt, kann sie vokal nicht restlos überzeugen. Anders als ihre herausragende „Sieglinde“ im zweiten Teil der Tetralogie kann die höher liegende Partie weniger von ihrer guten Mittellage profitieren. Auch lassen sich einige mitunter schneidende Spitzentöne nicht mehr so treffend als dramatisches Ausdrucksmittel einsetzen. Daß sie in der kommenden Spielzeit als „Arabella“ besetzt ist, erfüllt mit Skepsis. Matias Tosi ist dazu ebenfalls keine typische Besetzung für den Gunther. Der noch junge Sänger hat mit seinem an sich kernigen Bariton mehr als ein Mal unter dem zu lauten Orchester zu leiden. Womöglich vermag er es deswegen nicht, seiner Figur mehr als nur eine Klangfarbe angedeihen zu lassen. Wie man mit der Stimme eines Kavalierbaritons gegen ein Wagnerorchester bestehen und dazu den Text mit musikalischen Mitteln faszinierend ausdeuten kann, demonstriert erneut Thomas de Vries, der mit seinem Alberich zu den herausragenden Konstanten der gesamten Tetralogie gerechnet werden muß. Als seinem Sohn Hagen fehlt es Shavleg Armasi womöglich an der Schwärze manches Rollenvorgängers. Gleichwohl liefert auch er ein vokal überzeugendes Porträt seiner Figur ab. Schließlich ist an den Rheintöchtern (Katharina Konradi, Marta Wryk und Silvia Hauer, letztere auch als Norn) nichts auszusetzen, und auch der Männerchor, den Albert Horne vorbereitet hat, zeigt sich gediegen-wuchtig, so daß die vokale Bilanz eindeutig positiv ausfällt.

In den freundlichen Schlußapplaus des nach fünfeinhalb Stunden spürbar ermatteten Publikums mischt sich noch nicht einmal ein kleines Buh für die Regie. Für ein Haus mittlerer Größe hat das Staatstheater Wiesbaden mit diesem Ringzyklus in einer einzigen Saison eine insgesamt bewundernswerte Leistung erbracht. Die Inszenierung wird nicht Aufführungsgeschichte schreiben, erweist sich aber trotz allem Videogeflimmer als praxistauglich. Am Ende sind es jedoch die Sänger, nicht nur in der Gala-Besetzung zu den Maifestspielen, die einen Besuch lohnenswert machen.

Michael Demel | 29. April 2017

deropernfreund.de (II)

Götterdämmerung oder Flimmerdämmerung?

In einem außerordentlich hohen Kraftakt schloss sich nun der „Ring“-Zyklus mit der „Götterdämmerung“, inszeniert von Uwe Eric Laufenberg. Sein Konzept einer „Zeitreise“ durch verschiedene Epochen wurde mit der „Götterdämmerung“ nicht erkennbar weiter verfolgt. Somit befinden wir uns nach dem „Siegfried“ immer noch in einer gegenwärtigen Welt mit Büromaterial und bekommen hier wieder so manches bildliche Zitat anderer Inszenierungen zu sehen. Siegfried betritt laut gähnend, „bewaffnet“ mit einem Elektrorasierer und einem Kaffee sein Glashaus. Laufenberg ist erkennbar verliebt in seine Ideen, die kein sinnvolles Ganzes entstehen lassen. Natürlich gibts wieder (zu) viele Videos zu sehen und zwischen den handelnden Personen passiert erstaunlich viel……, nämlich nichts! So ist z.B. Hagen von staunenswerter Harmlosigkeit, ein netter Schreibtischtäter. Keine Bedrohlichkeit, Dämonie oder Dominanz.

Immerhin gibt es (warum erst jetzt ?) den ein oder anderen szenischen Querverweis auf die anderen „Ring“-Opern. So taucht die Ellipse aus der 1. Szene des „Rheingoldes“ hier nun in der Rheintöchter-Szene des 3. Aufzuges auf, ergänzt durch einen Tresen. Nun eine Bar….willkommen „Zum Rheingold“. Diese bildlichen Banalisierungen ergeben weder Sinn, noch offenbaren Sie einen anderen Blickwinkel. Verschenkt.

Bei Waltrautes Erzählung ist für längere Zeit plötzlich der Wanderer auf der Bühne und hört zu. Brünnhilde registriert ihn und….? Das wars. Keine Interaktion. Nichts.

Gut gelöst war hingegen die Verwandlung Siegfrieds in die Person von Gunter. Die Illusion, hier Gunter zu sehen, habe ich bisher noch nicht so überzeugend gesehen. Ungewöhnlich die Idee, bei Siegfrieds Tod, wesentliche Requisiten der anderen Ring-Opern als Stätte der Erinnerung zu zeigen. So sehen wir das Monument der Walküre, den Tarnhelm, den Amboss oder auch Sieglindes Kleid.

Dennoch: selten war in einer „Ring“-Inszenierung derart viel szenischer Leerlauf zwischen den handelnden Personen zu bestaunen.

Auch in der Führung des Chores gab es keine markanten Ideen. Eine Armada aus Schwarzhelmen, die lediglich als Pulk aufmarschiert und szenisch recht blass wirkt, da half dann auch das eher unmotivierte Gerenne des Chores nichts. Und das ständige Fähnchen schwingen, wann immer es etwas zu jubeln gab, nervte.

Unfassbar einfallslos der fast konzertante Schluss, in welchem Brünnhilde an der Rampe ihren Gesang absolviert und wie ein Verkehrspolizist mal hierhin und dorthin deutet, schließlich abgeht und der Rest ist dann……Videofilm! Sonst nix!

Doch halt: dann kommt Gutrune zum Erlösungsmotiv auf die Bühne und schaut mit dem Fernrohr ins Publikum! Das war doch? Richtig, vor gut 30 Jahren bereits in Frankfurt bei Ruth Berghaus Inszenierung zu sehen!

Warum nun also dieser „Ring? Denn als Leistungsschau kam das Hessische Staatstheater doch erkennbar an Grenzen, was nicht verwunderlich ist. Die Inszenierung eröffnet keine neuen Blickwinkel, spart Natur und Mythos aus. Die Personenführung ist oftmals beziehungslos, starke Charakterisierungen entstehen kaum. Starke Bildeindrücke gibt es nicht. Und ist in der Regie kein Einfall drin, dann hilft nur noch der Videofilm. Viel zu oft! Ein szenisch vergesslicher „Ring“ also…….Und die Musik?

Musikalisch erschien auch der vierte Abend der Tetralogie z. T. ambivalent. Mit Catherine Foster hat Laufenberg eine sehr gute Wahl für die Brünnhilde getroffen. Foster ist erkennbar in der Rolle angekommen und bietet sängerisch nahezu alles, was sich ein Zuhörer wünscht: mühelosen, ausdauernden und wissenden Gesang. Sie nutzt vielfältig und sehr differenziert die dynamische Skala. Die Textverständlichkeit ist sehr gut und glücklicherweise ist sie auch in der Lage, den Text intensiv zu gestalten. Einige deutlich zu tief gesungene Höhen seien nicht verschwiegen. Im Schlussgesang war aber dann alles im Lot. Andreas Schager als Siegfried war auch hier wieder sein unbekümmertes Selbst. Er sang frisch drauf los, als gäbe es keinen nächsten Morgen. Alles sehr laut, nicht selten zu hoch, vor allem dann, wenn er forcierte. Hierzu besteht keinerlei Anlass, denn er ist sehr gut in der Lage, diesmal auch die beiden geforderten hohen C’s, diese fordernde Partie gut zu singen.

Was ihm fehlt, ist die Freude an der dynamischen Differenzierung. Auch eine sinngebende Textgestaltung ist bei ihm eher zufälliger Natur. Auffallend bei ihm wieder der hohe Anteil an Textfehlern. Davon abgesehen, dürfte es derzeit weltweit keinen Siegfried-Sänger geben, der derart mühelos, konditionsstark und stimmschön diese Partie singt! Shavleg Armasi ist eine ungewöhnliche Besetzung als Hagen. Kein baumlanger Kerl (Anm.d. Red.: Warum auch? Er ist ein Albensohn), sondern eher von gedrungener Gestalt mit vergleichsweise heller Stimme. Eher ein Bass-Bariton, d.h. keinerlei Bassesschwärze, dafür aber fulminant ausgesungene Höhen bei gutem Textverständnis. Gut erfasste er die Vielschichtigkeit seines Charakters, wenngleich er szenisch viel zu blass wirkte, was aber allein der Regie anzulasten ist.

Sabina Cvilak und Mathias Tosi als Gibichungen Paar Gutrune und Gunter wirkten an seiner Seite sehr blass. Cvilak irritierte mit mancher Vokalverfärbung und arg flackernden Höhen. Und Tosi wirkte als hagerer großer, kahlköpfiger Gunter eher optisch wie ein Hagen und erfreute wenig mit seinem kehlig fest klingenden Bariton. Warum auch Laufenberg Gutrune als Pseudo-Monroe-Verschnitt präsentieren musste, erklärt sich nicht und ist auch wiederum eine (zu oft) zitierte Interpretation anderer Ring-Inszenierungen.

Bernadett Fodor gestaltete ihre lange Erzählung als Waltraute eher eintönig und zeigte starke Registerbrüche, so dass die Tiefe oft nur im Sprechgesang bewältigt wurde.

Thomas de Vries als Alberich hingegen, zeigte auch hier in der eher kurzen Szene mit Hagen, wie spannend guter und vor allem textbezogener Gesang wirkt. Mit ausgeprägtem Legato und gezielten Wortakzenten stellte dieser außergewöhnliche Sänger seine Rolle in den Mittelpunkt. Das nächtliche Zwiegespräch zwischen Alberich und Hagen gerät wenigstens an dieser Stelle szenisch etwas eindrücklich. Hagen thront in der Bühnenmitte, während über ihm Alberichs Kopf als Video präsentiert wird. Sehr erfreulich, wie bereits im „Rheingold“, erklangen die „Rheintöchter“ (Katharina Konradi, Marta Wryk und Silvia Hauer). Das Zusammenspiel und die unterschiedlichen Timbres ergaben eine berückend homogene Gesamtwirkung. Als Nornen mit grünen Laserprojektionen gefielen stimmlich Bernadett Fodor (1.Norn), Silvia Hauer (2. Norn), wo hingegen leider hier bereits Sabina Cvilak (3. Norn) durch flackernde Höhen deutlich abfiel. Szenisch wirkte auch diese Szene durch unmotiviert wirkende Gänge reichlich zufällig.

Der Chor und Extrachor des Staatstheaters in der Einstudierung von Albert Horne erklang kräftig, präzise und in der Mannenszene hinreichend durchschlagskräftig.

Dirigent Alexander Joel zeigte in der „Götterdämmerung“ seine bisher überzeugendste Arbeit. Sein Dirigat zielte wieder auf Transparenz und Durchhörbarkeit. Sehr gut glückte die Balance zwischen Bühne und Graben. Die Sänger mussten nicht forcieren. Erfreulich große Bögen erklangen in den Zwischenspielen, vor allem in der Morgendämmerung. Dem Trauermarsch fehlte hingegen die Wucht.

Immerhin musizierte das Staatsorchester weitgehend klangschön. Vor allem die Holzbläser erfreuten durch klar ausmusizierte Soli. Die Streicher intonierten sauber und sonor. Kleinere Malheurs im Blech fielen nicht zu stark ins Gewicht. Erfreulich besser die Schlagzeuger, die diesmal nur zwei Schmisse in Siegfrieds Rheinfahrt hinlegten, sonst aber deutlich präziser am Werk waren.

Eher erschöpfter, aber einhelliger Applaus. Ovationen für Foster und Schager.

Dirk Schauss | 26. April 2017

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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 589 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Uwe Eric Laufenberg (2017, Linz 2015)
This recording is part of a complete Ring.