Lohengrin

Peter Schneider
Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper München
Date/Location
19 January 1999
Nationaltheater München
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Kurt Rydl
Lohengrin Peter Seiffert
Elsa von Brabant Adrianne Pieczonka
Friedrich von Telramund Hans-Joachim Ketelsen
Ortrud Waltraud Meier
Der Heerrufer des Königs Jürgen Freier
Vier brabantische Edle James Anderson
Peter Lurié
Hans Wilbrink
Rüdiger Trebes
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Reviews
Berliner Zeitung

Dann kommt der Zweifel

Am Beginn des letzten Jahrbuchs der Deutschen Oper Berlin hat deren Generalintendant ein großes Wort für seine Arbeit gebraucht, Götz Friedrich spricht vom “musikalischen Menschentheater als Modell der Utopie, auch wenn sie aus der Nostalgie gewonnen wird”. Das sagt etwas über die Lage der Kunst, aber noch mehr macht es die traurige Entfernung der Opern-Wirklichkeit zum Ideal des Musiktheaters deutlich, und zu den gloriosen Zeiten, als Friedrichs “Menschentheater” tatsächlich als Vorbild seiner Gattung und sinnliche Erscheinung einer Utopie erfahren wurde. Friedrich hat nun, weit von der quälenden Stagnation seines Hauses entfernt, an der Bayerischen Staatsoper Richard Wagners “Lohengrin” inszeniert. Das Werk führt vor, wie das Ideal in der Welt kein Glück hat, aber es tut dies doch als Musikalisch-Schönes, Kinowelt und Autowerbung fallen einem ein: als Rausch von Sinn und Sinnlichkeit. Letzteres hat Friedrich wohl als Chance ergriffen, denn anders als in Berlin hat man in München den Eindruck, Utopie und Welt seien überhaupt eher theoretische Oppositionen, dazwischen spiele das wirkliche Leben in wirklicher Behaglichkeit. So scheint, vor allem Theater, auch in Friedrichs Inszenierung jenes Geld zu stehen, das keine Rolle spielt, und so ist, vor aller Kunst, an der Bayerischen Staatsoper ein großer Abend gelungen, dem Gedanken an das Utopische auf eigenwillige Weise nicht fern: ein Fest. An Glanz nicht gespart Bei den Kostümen wurde an Glanz und Vielfalt nicht gespart. Wenn auch meist nur zwei oder drei Protagonisten auf der Bühne handeln, so säumen doch Scharen von Edelleuten, Kriegern, Brautjungfern oder Klerikern das Spielfeld. Sie sorgen, durchaus im Einklang mit der Partitur, für einen Fond kostbarer Gesellschaftlichkeit, während das Publikum sich mit den Helden identifiziert, im zweiten Akt weht Weihrauch durchs Haus. Mit Waltraud Meier, Adrianne Pieczonka, Kurt Rydl, Peter Seiffert wurden Sänger verpflichtet eingekauft, sagt die Branche ehrlicherweise , die ebenfalls teuer und kostbar wirkten, sie sangen auch schön, Meier dämonisch mit allerdings überraschend resonanzlosem Klang in der Höhe, Seiffert strahlend, mit der bekannten Überlegenheit, Rydl trotz Indisposition mit dramatischer Fülle. Pieczonka sang die Rolle der Elsa zum ersten Mal, eher korrekt als expressiv phrasierend, mädchenhaft in weiten Partien, später vor allem in der kraftvoll flutenden Höhe selbstbewußt hervortretend; von einem “Stimm-Fest” sprach die “Süddeutsche Zeitung” gleich am Sonnabend, dem Tag nach der Premiere. Seinen Personen gab Friedrich etwas Statuarisches, heldenartige Starrheit eher als menschliche Bewegung Topos einer ehemals avancierten Wagner-Interpretation, die, vor allem Spiel, darauf setzt, daß zwischen den Personen etwas sich zeigt. Auch die Bühne zielte aufs Hohe und Große, Friedrich und sein Bühnenbildner akzentuierten mit expressionistisch gekippten Beton-Profilen und einem wie waffenstarrenden Nadel-Baum die Vertikale, das Orchester unter Peter Schneider spielte Effekte und Höhepunkte glanzvoll und griffsicher heraus, eher straff als hingegeben, mit reichem, nie aber ins Phantastische sich verlierenden Klang. Die Aufführung wirkte lang und wärmte nicht. Nun ist eine gewisse Kälte dem Repräsentativen immer eigen, aber im nachhinein gab der kühle Festglanz zu denken. Friedrich hatte die Welt auf der Bühne in zwei Hälften geteilt, die linke steht, grob gesagt, für Kultur und Zivilisation, die rechte für Natur und Gewalt. Lohengrin, der Held aus dem Gral tritt aus dem Hintergrund in diese Welt, wohl auch aus einem Reich der Imagination. Elsa hat zunächst überhaupt keinen Platz, sie kauert fast außerhalb der Bühne, vor der Welt, dem Publikum zunächst. Kultur und Natur überspringt sie mit ihrer Imagination, so erscheinen Elsa und Lohengrin füreinander bestimmt. Eine Welt, die, sich selbst genügend, das Reine und das Göttliche ausschließt, kann man aufgeräumt nennen, aber wirkliche Tragik gibt es in ihr nicht. So wirken in München das Prächtige der Ausstattung, das Stereotype der Personenführung, das Selbstgewisse des Orchesterspiels, das Vorherbestimmte der Handlung bisweilen, als seien sie nur die Oberfläche des Dramas. Oberflächlichkeit aber provoziert das Bedürfnis, Kontingenz herzustellen, das Bedürfnis nach Auflösung von Sinn-Grenzen, nach Rätsel und Geheimnis: Friedrich, der die Details seiner Inszenierung meisterhaft beherrscht, leistet sich einen Bruch seiner Bühnen-Sprache. Tierkadaver und ein Kreuz hängen vom Schnürboden herab. Alles versprochen Warum endet die ideale Liebe zwischen Elsa und Lohengrin in der Katastrophe? Lohengrin hat, wie man weiß, die Rettung Elsas mit der Forderung verknüpft, sie dürfe niemals wissen “woher ich kam, noch wie mein Nam und Art” das berühmte Frageverbot. Elsa hat Lohengrin “Leib und Seele”, versprochen, “alles, was ich bin”. Dann kommt der Zweifel. Götz Friedrich legt nahe, Elsa müsse fragen, weil sie auch andere lieben könnte, die erotisch-identifikatorischen Beziehungen zu Ortrud und Telramund sind auffallend betont. So steht die wirkliche, metaphysische Liebe gegen eine weltlich kontaminierte Ortrud verbindet sie mit der Frage nach der Macht , sie gerät in die unglückliche Alternative zwischen Kultur und Natur. Es ist daher nur auf den ersten Blick befremdlich, daß im dritten Akt die Szene der Brautnacht der einzige Moment, in dem Elsa und Lohengrin allein sind, ohne die Scharen von Edelleuten, Kriegern, Brautjungfern oder Klerikern kein Schlafzimmer vorstellt, sondern die Welt, wie sie ist, ohne die Staffage ihrer Bewohner, also wieder das Bühnenbild des ersten Akts. Statt eines Bettes liegt da eine Art Grabstein; wie auf einem südlichen Friedhof wirft eine Wand ihren Schatten, vielleicht von Kerzen erhellt. An diesem Ort, wo alle weltliche Hoffnung endet, soll sich, nach Friedrich, das Paar, wie die Alten sagen, erkennen. Elsa fragt. Und hier zeigt sich die Katastrophe dieser Liebe: Sie existiert nur als Idee. Das hat es mit dem Festglanz auf sich: Er wirkt wie der Vorschein der Utopie, doch das schlimme Ende ist vorherbestimmt. Man hätte auf Meisterschaft, Einfall, Handwerk, Kunstverstand auch verzichten können. In diesem äußersten Pessimismus ist der alte Friedrich groß.

Klaus Georg Koch | 18. 1. 1999

Süddeutsche Zeitung

Unwillkürliches Leben in der Situation

Glanz und Elend einer Premiere: Götz Friedrichs „Lohengrin“ im Münchner Nationaltheater

Was für ein Opern-Glück! Bei der „Lohengrin“-Premiere standen endlich einmal wieder Stimmkunst und Darstellungstalent vorzüglicher Sängerinnen und Sänger im Mittelpunkt. Wir erlebten Richard Wagners pessimistische Märchenoper als Drei-Personen-Tragödie. Peter Seiffert (Lohengrin), Adrianne Pieczonka (Elsa) und Waltraud Meier (Ortrud) – vom Regisseur Götz Friedrich spannungsvoll aufeinander bezogen – boten bewunderungswürdige Wagner-Vergegenwärtigung.

Man kennt die dramaturgische Schwierigkeit des Werkes: Gegenüber einem silbernen Halbgott, als welcher sich der Schwanenritter präsentiert, könnte Elsa gewiß distanziert (und darum, wie befohlen, fraglos) bleiben. Aber schwerlich gegenüber einem zärtlichen Mann. Peter Seiffert, glänzend in Form, löste nun dieses Problem auch stimmlich! Er verband nämlich innigen, verliebten Schmelz mit großer heldischer Kraft. Zärtlicher glaubte man, das „Wenn ich im Kampfe für dich siege, willst du, daß ich dein Gatte sei?“ noch nie gehört zu haben. Lohengrin: rein und naiv verliebt – freilich immer besorgter, mitleidsvoller, verdüsterter, weil er erkennen muß, wie heillos unaufhaltsam Elsa sich in eine Zweiflerin verwandelt. Angeo Neumann, von Wagner hochgeschätzter, jüdischer Theaterunternehmer und „Ring“-Regisseur, hat festgehalten, wie Wagner seiner Truppe die Lohengrin-Partie vorführte: „Unvergeßlich ist mir der Ausdruck immer tieferer Trauer, der Wagners Gesicht überzog, als Lohengrin merkt, daß Elsa immer näher dran sei, ihren Schwur zu brechen. Und etwas Überirdisches lag in seinen Zügen, wenn Wagner mit unnachahmlicher Anmuth und verklärtem Ausdruck Elsa zum Fenster führte, es mit dem linken Arm aufstieß und der an seinem rechten Arm hängenden Elsa das ,Atmest du nicht mit mir die süßen Düfte‘ sang. Sein scharfgeschnittenes, geistvolles und charakteristisches Antlitz wurde geradezu ideal schön in diesem Augenblicke. Und als wir darnach hingerissen ihm zujauchzten, ihn umdrängten und umarmten, da wußte er gar nicht, was uns bewegte. So sehr war all sein Spiel das Ergebnis eines unwillkürlichen Lebens in der Situation.“ Peter Seifferts Mischung aus Innigkeit, Eros und Bravour eiferte unverkennbar solchem Vorbild nach.

Große Sängerinnen haben die Ortrud – Lohengrins heidnische Gegenspielerin – gern als fabelhafte Furie mit Donner-Fortissimo gegeben. Waltraud Meier gelang Differenzierteres. Nämlich: die Spannung aus bewußt archaisierender, hochchromatischer Modernität einerseits (Wagners Negativ-Figuren sind musikalisch oft konventioneller, progressiver charakterisiert als die Guten, die Positiven) und bestrickendem Belcanto andererseits. Der Drang, Rache nehmen zu wollen, hat bei Wagners Damen – man denke an die leuchtenden Cantilenen der Isolde im ersten Akt – eben oft höchst melodische Folgen. Waltraud Meier führte vor, wie gesanglich, wie verdihaft Wagner zu klingen vermag, wenn Sänger wirklich singen können. Ortruds grandioser Ausbruch am Ende des 3. Aktes hingegen kam nicht so überzeugend. Wohl, weil Waltraud Meier etwas zu rasch erscheinen, zu weit hinten agieren mußte.

Dritter Glücksfall: die Elsa. Adrianne Pieczonka rührte nicht nur den Lohengrin mit mädchenhaft innigem, ausdrucksvollem Sopran. Sie ließ anfangs Schmerzlich-Entrücktes, Passiv-Verstörtes derart magisch zum Klang werden, daß man die hysterische Freuden-Raserei ahnte, in die solcher Schmerz förmlich umschlagen mußte. Die Ekstasen des 1. Finales klangen weniger hochdramatisch als lyrisch und hell.

Interessant-Macherei

Soviel zum Glanz der Drei-Personen-Tragödie. Über den Rest muß in sehr viel gedämpfterem Tone berichtet werden. Leider hatte Ekkehard Wlaschiha, den man im Nationaltheater oft beeindruckend erlebte, als Telramund entweder einen schlichten Stimmkrisentag – oder seine Physis erlaubt ihm diese wichtige Partie nicht mehr. Noch bedenklicher war, daß Jürgen Freier als Heeresrufer glanzlos und unterbesetzt wirkte. Derartige Pleiten sollten sich in München verbieten. Dafür hatte der als „indisponiert“ entschuldigte König Heinrich des Kurt Rydl zumindest keine Fortissimo-Schwierigkeiten.

So interessant Götz Friedrich zwischenmenschliche Beziehungen inszenierte, manchmal bot er auch nur Interessant-Macherei. Etwa mit kindischer Hell-Dunkel-Abwechslung, falls Besonderes sich ballte. Zudem mußten wir auch miterleben, daß Elsa bereits vor ihrem Auftritt Bedeutsames, Verheißungsvolles durchmacht. Wir beobachten Elsa, wie sie wach herumschleicht, sich verbirgt. Gewiß aufregend. Nur wird davon ihr eigentlicher, gleichsam mystisch stigmatisierter Auftritt, beschädigt, ja entzaubert. Statt eines realistischen oder symbolisch verfremdeten Schwanes erfanden Götz Friedrich und sein unglückseliger Bühnenbildner Andreas Reinhard eine plötzlich absurd aus dem Bühnenhintergrund sich senkende Tür. Deren Bespannung zerreißend, tritt Lohengrin auf. Trägt dabei, märchenhaft genug, Ritterrüstung und Schwert. Doch ein Märchenschwan darf nicht sein. Das Problem progressiver Opernkünstler: Für Häßliches lassen sich immer Argumente finden. Schönes, Märchenhaftes aber gerät sogleich in Kitschverdacht.

So wird auch die wunderbare Nachtstückouvertüre des 2. Aktes bebildert, verinszeniert. Ein blutiger Stier fordert Enträtselung. Symbolisiert er die Friesenheimat der Ortrud? Kreta oder die alten Griechen? Man hat die Wahl.

Am bizarrsten: das Brautgemach im 3. Akt. Als da Lohengrin – er hatte sich womöglich auf ein Ehebett gefreut, im Gral dürfte es karg genug zugehen – einen riesigen, höchst unbequemen weißen Gipsstein doch irgendwie verdutzt musterte, lachte das Nationaltheater-Publikum herzlich die visuelle Pleite aus.

Nun stören solche Verrenkungen nicht allzu sehr, genauso wenig wie die – warum nur? – im Uniform-Stil des 20. Jahrhunderts geschneiderten Kostüme der Brabanter (Johanna Bronner). Götz Friedrich hatte zudem auch in den großen Finali die Machtverhältnisse zwischen den Protagonisten spannungsvoll erläutert, Wagners Macht und dramaturgische Demagogie konnten unaufgehalten zum Zuge kommen. Der Dirigent Peter Schneider schien sich so temperament- wie liebevoll mit der Partitur zu identifizieren. Das A-Dur-Vorspiel gelang anrührend, Schwungvolles wie Zartes wurden kompetent geboten, wenn auch manches zu derb geriet und die Chöre im 1. Akt wackelten, später um so majestätischer imponierten.

Lohengrin heute? Nicht der Zusammenprall von Märchen und konkreter Historie, von Schwan und Ungarn-Krieg scheint mir in dieser genial instrumentierten Melodien-Oper fragwürdig, sondern manches unmotivierte Auftrumpfen von Musik-Nummern. Etwa der Renommier-Ton des prahlerisch schwungvollen Vorspiels zum 3. Akt – den der Handlungsverlauf nicht mehr rechtfertigt und der darum zu begründen wäre. Oder auch die Albernheit mancher – möglicherweise die Brabanter Simplizität meinenden – Chorpartie . . .Warum nicht das dämliche „In Früh’n versammelt uns der Ruf“ (wo laut Karajan die Orchestermusiker mit Hausschlüsseln klirrten) auch mal streichen . . . Wagner scheint gespürt zu haben, daß er im „Lohengrin“ an eine Grenze gekommen war. Denn danach machte er fünf Jahre Kompositionspause. Und entwarf seine großartig strenge Opernreform.

JOACHIM KAISER | 18. 1. 1999

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO 13721
Technical Specifications
192 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 264 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (BR 4)
A production by Götz Friedrich