Lohengrin

Daniel Barenboim
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
Staatskapelle Berlin
Date/Location
1 November 2009
Staatsoper Unter den Linden Berlin
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Heinrich der Vogler Kwangchul Youn
Lohengrin Burkhard Fritz
Elsa von Brabant Anna Samuil
Friedrich von Telramund Gerd Grochowski
Ortrud Deborah Polaski
Der Heerrufer des Königs Arttu Kataja
Vier brabantische Edle ?
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An der „Deutschen Staatsoper“ in Berlin hatte im Frühjahr dieses Jahres Richard Wagners Oper „Lohengrin“ Premiere, es dirigierte Daniel Barenboim, die Inszenierung stammte von Stefan Herheim. Diese Produktion wurde nun mit einer teilweise veränderten Sänger/innenbesetzung wiederaufgenommen.

Schon während der Ouvertüre deutete sich an, dass die Staatskapelle Berlin und ihr musikalischer Leiter Daniel Barenboim zu einem Problem der Aufführung werden könnten. Während die zarten Streicherklänge noch sehr stimmungsvoll gestaltet wurden, blieb beim Kulminationspunkt der Ouvertüre nur lautes, hohles Pathos übrig.

Der erste Akt hing dann immer wieder durch, vor allem gegen Ende dieses ersten Aktes verlor die Musik jegliche Spannung, Barenboim zerfiel die Musik geradezu unter den Händen. Akt 2 und 3 wirkten in dieser Hinsicht besser, wobei der dann doch sehr rasch genommene Beginn des 3. Aktes ein wenig wie ein Fremdkörper in dieser Wagner-Interpretation aus längst überwunden geglaubten Zeiten wirkte, dafür nahmen die Koordinationsprobleme und die Fehler im Orchester im Mittel- und Schlussakt deutlich zu.

Interpretatorisch hat Barenboim zum „Lohengrin“ nichts mitzuteilen, das wird besonders deutlich, wenn man die Szene hinzu nimmt und feststellt, dass irgendeine Kommunikation zwischen Bild und Musik faktisch nicht stattfindet – im Gegenteil: diese quasi reaktionäre Wagnerauffassung des Dirigenten konterkariert die Szene.

Gesungen wurde für ein Haus dieser Grösse auf bescheidenem Niveau. Einzig Kwangchul Youn als König Heinrich konnte mit seinem runden, ausgeglichenem, stimmstarken und weitgehend sicheren Bass, bei guter Diktion wirklich überzeugen.

Burkhard Fritz, der Lohengrin, verfügt über wenig tenoralen Schmelz, sein Gesangsstil bleibt oberflächlich, über manches singt Fritz reichlich ungefähr hinweg, dazu kommt die nicht sehr grosse Stimme, die sich nicht immer gegen das Orchester durchzusetzen versteht.

Als Telramund bemüht sich Gerd Grochowski mit einigem Erfolg um eine gute Rolleninterpretation, auch stimmlich zeigt Grochowski Einsatz, hadert aber immer wieder mit den Tempi des Dirigenten.

Unauffällig der Heerrufer von Arttu Kataja.

Die beiden Sopranistinnen sind der absolute Schwachpunkt dieser Aufführung. Anna Samuil, die Elsa, verfügt über eine mächtig unruhige, harte Stimme, die bestenfalls bei den etwas sicherer gebildeten Ausbrüchen im dritten Akt so etwas wie eine annehmbare Leistung zeigt, alle lyrischen Passagen werden zur Qual, zumal die Sängerin mit der deutschen Sprache hadert und die Töne teilweise nachjustiert werden müssen.

Deborah Polaski, die Ortrud, verfügt in der Mittellage noch immer über einen klangvollen Sopran, der auch noch zu einigen Differenzierungen fähig ist, aber ihre Ausbrüche jenseits der Schreigrenze sind nicht mehr zumutbar. Als Darstellerin ist Polaski allerdings tatsächlich erstklassig, ihre Bühnenpräsenz ist beeindruckend.

Der Chor erledigt seine vielfältigen Aufgaben drastellerisch versiert und steuert auch oft klang- und phonstarken Chorgesang bei.

Die Inszenierung von Stefan Herheim ist über weite Strecken unterhaltsam, bleibt aber eine wirklich überzeugende Interpretation schuldig. Es ist mehr ein an- und ineinander fügen verschiedener Ideen, die nicht alle zu Ende gedacht werden.

Herheim, der selbst einmal eine Marionettenbühne geleitet hat, lässt im Programmheft Heinrich von Kleist mit seinem Text „Über das Marionettentheater“ zu Wort kommen und sein „Lohengrin“ kommt über weite Strecken als Puppenspiel (mit und ohne Fäden) daher.

Während der Ouvertüre liegt ein Mensch an Fäden auf einem Eichenstumpf. Es ist Richard Wagner selbst, der dort als Marionette (dargestellt von Vitor Garcia) zum leben erwacht. Vom Schnürboden senkt sich eine Feder herab, Wagner beginnt damit die Musik zu dirigieren, bevor er in den Bühnehimmel gezogen wird.

Das ist ein wunderbarer Einstieg, poetisch, und gut mit der Musik harmonierend.

Das bestimmende Bühnenbildmoment ist ein weisser Vorhang, der als Rund in der Bühnenmitte befestigt ist und der, zusammengerafft z. B. einen Baum darstellen kann, auf dessen Fläche Projektionen möglich sind, der aber auch ein Theater im Stile der Vaganten- oder Puppenbühnen begrenzen kann.

Elsa sitzt zu Beginn der Aufführung kurz unter diesem Baum, den Apfel der Erkenntnis in der Hand, Äpfel werden immer wieder in dieser Inszenierung beziehungsreich zum Einsatz gelangen.

Wir befinden und nicht am Ufer der Schelde, sondern mitten in der bundesdeutschen Hauptstadt – und zwar im Theater: Schrifttafeln verkünden, dass es sich um die „Komische Deutsche Staatsoper handelt“, in zahlreicher Umstellung dieser Schrifttafeln wird dann schon mal erklärt, dass Oper komisch sei, oder dass das Deutsch in der Oper komisch wäre.

Passend tritt der Heerrufer als Berliner Bär auf, die Herren des Chores links haben Wagner-Marionetten in den Händen, diejenigen rechts eine Art Wikinger-Figur mir behörnten Helmen.

Elsa steht ganz rechts mit dem Klavierauszug in der Hand da, vermutlich ist sie die Regie-Assistentin des Unternehmens, ihr gegenüber in der Loge im ersten Rang sitzt Ortrud, die das Geschehen beobachtet.

Telramund kommt mit neuen Marionetten herein und stellt die von ihm erzählte Geschichte während dieser Theaterprobe szenisch dar.

Lohengrin erscheint als Zitat längst vergangener Zeiten, üppiges Haupthaar, ebenfalls üppiger Bart, Silberrüstung und Schwanenhelm, in der Hand eine riesige Schwanenfeder, eigentlich eine Karikatur und gewiss nicht der Retter der Berliner Opernmisere oder anderer Hauptstadtprobleme.

Unter ihren Kostümen, die sich alle im Laufe des Abends ausziehen werden, erkennt man, dass die Menschen urwüchsig geblieben sind: Auf hellen Trikots erkennt man Holzmaserungen und statt des Feigenblattes tragen die Menschen an jener Stelle, wo das Feigenblatt sitzen müsste, ein Eichenblatt.

Besonders eindrucksvoll, wenn die Zauberin Ortrud im zweiten Akt in eben diesem Trikot auf der Bühne steht und auf der Projektionsfläche im Hintergrund aus der Sängerin heraus ein Baum zu wachsen beginnt.

Der zweite spielt eben auf einer Art Wanderbühne, die Häuser sind erkennbar gemalt, oben gibt es einen Umlauf für die Puppenspieler.

Telramund verkleidet sich nun auch am Ende seiner Szene mit Ortrud in einen Theaterbösewicht, wie er im Libretto stehen könnte, Elsa im unschuldigen weiss lässt ihre Marionette für sich sprechen und die Herren des Chores im anschliessenden Bild sehen alle wie Richard Wagner aus. Ihre Bewegungen zeigen: sie sind Puppen.

Am Ende des Aktes, das Brautpaar steht bereit, um in das Münster zu gehen, erscheint ganz hinten auf der Bühne auf einer Leinwand Richard Wagner und streut wohl Reis über die Menge.

Der gerät völlig konventionell, die Brautgemachszene läuft fast ein wenig langweilig ab und auch das Schlussbild gerät nicht wirklich stark. Lohengrin hat unter seiner Kleidung erkennen lassen, dass auch „verhölzert“ – er nähert sich also den Menschen an, zu denen er da gekommen ist. Nach Elsas verbotener Frage ist Lohengrin wieder der voll-silberne Ritter des ersten Aktes.

Er hängt jetzt an Fäden und wird in den Bühnenboden hinauf gezogen. Wie Ikarus, der der Sonne zu nah gekommen ist, zerschellt Lohengrin herabstürzend auf der Bühne.

Die Beleuchtungstechnik begräbt die Menschen unter sich, ein Schild lässt ein letztes Mal den Dichter-Komponisten Wager zu Wort kommen: „Kinder, schafft Neues“ steht auf dem Schild.

Grosser Beifall für diese Aufführung, durchsetzt mit kleineren Buhs für Daniel Barenboim.

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Premiere 4333
Technical Specifications
Remarks
A production by Stefan Herheim