Parsifal

Donald Runnicles
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Date/Location
11 April 2004
Staatsoper Wien
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Amfortas Thomas Quasthoff
Titurel Walter Fink
Gurnemanz Robert Holl
Parsifal Johan Botha
Klingsor Wolfgang Bankl
Kundry Angela Denoke
Gralsritter Cosmin Ifrim
Johannes Wiedecke
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Reviews
operinwien.at

„Psychotisch…“

Dass diese Neuproduktion des Wagner’schen „Parsifal“ einige Fragen aufwerfen wird, war zu erwarten gewesen. Aber dass sich Regisseurin Christine Mielitz durch den abgeschmacktesten Inszenierungs-Notausgang retten würde, den man inzwischen für die Opernbühne wählen kann, überraschte doch: Mielitz‘ens „Parsifal“ spielt ganz offensichtlich auf der Psychiatrie.

[1] In der Staatsopern-Publikumszeitschrift „Prolog“ vom März 2004 hat Chefdramaturg Peter Blaha die Leser in sorgsam gewählten Worten darauf hingewiesen, dass zu jeder Geschichte auch „ihre verborgenen Schichten bzw. Subtexte“, gehören, die eine „gute Inszenierung sichtbar machen wird, ohne dabei die eigentliche Handlung ad absurdum zu führten“. Das lässt jetzt natürlich einigen Definitionsspielraum zu. Wo fängt das „Ad absurdum“ an?

[2] So wie ich die Geschichte verstehe, die Mielitz dem werten Publikum hier aufgetischt hat, gibt es weder Gralsburg noch Aue. Das ganze spielt in einer Irrenanstalt. Kundry (oder gar Herzeleide?) macht eine psychische Krankheit durch, womöglich nach Verlust ihres Kindes. Am Schluss „entschreitet“ sie anscheinend geheilt der Bühne, und Parsifal schüttelt den Gralsrittern die Hände. Der Rest ist Illusion, eine blutige Mischung aus pervertierter Männerbündelei, sinnentleertem Erlösungswahn, von religiösen Zwangsphantasien geknechteter Menschen. So wie in dieser Aufführung Titurel im dritten Aufzug völlig unmotiviert aus seinem Holzsarg gekippt wird, kippt Mielitz den religiösen Background des „Parsifal“ auf die Müllhalde ihres skeptischen Aufklärertums. Diese Analogie kommt nicht von ungefähr: Denn auch auf der Bühne erweist sich am Schluss der Gral als ein Haufen Tonscherben, den man aus einer großen goldenen Blechdose auf den Boden schüttet – und derart konsequent wird jede Auseinandersetzung mit einem möglichen spirituellen Gehalt dieses Werkes vermieden. Die Vorgänge auf der Bühne werden buchstäblich „sinnlos“, und der dazugesungene Text wird zum hilflos gestammelten Sublimat einer schweren Bewusstseinsstörung.

[3] Wird das Wagner gerecht? Nun, diese Frage stellen sich heute nur Toren, die in Anbetracht moderner Opernregie sich so naiv geben, wie Parsifal auf die Fragen des Gurnemanz im ersten Aufzug. Und weil sich niemand gerne als Trottel hinstellen lässt, und das waren an diesem Abend sehr viele, wurde am Schluss lautstark gegen diesen Mielitz’schen „Subtext“ protestiert. Mielitz weigert sich, wie man im Programmheft nachlesen kann, die Botschaft des „Parsifal“ als „weihevolle Entsühnung misszuverstehen“ – und sitzt dabei selbst einem „Missverständnis“ auf, das jetzt bedauerlicherweise zwanzig oder dreißig Jahre die Staatsopernbühne „zieren“ wird. Wagner hat sich im „Parsifal“ eben genau mit diesen von Mielitz zur krankhaften Perversion erklärten religiösen Gefühlen der Menschen auseinandergesetzt – und er hat sie als vorhandene, sinnstiftende Dimension ernst genommen. Mielitz tut das nicht. Wagners Zweifel sind die Zweifel des Menschen im Angesicht dieser unaussprechbaren Transzendenz, aber zugleich spielt das Vorhandensein dieser Transzendenz eine große Rolle. Weil hier die Worte versagen, bedient sich Wagner starker religiöser Bilder, bedient sich auf musikalischer Ebene einer für seine Verhältnisse ganz neuen musikalischen Sprache. Wagner beschwört im Parsifal nicht nur 2000 Jahre Christentum, als in unsere abendländische Welt eingewurzelten Ausdruck religiösen Selbstverständnisses, er schlägt auch Querbezüge zu anderen Weltreligionen. Wenn diese Inszenierung den Zuschauern suggerieren möchte, dass Wagner im „Parsifal“ zur Dechiffrierung des Begriffes Religion selbst angesetzt habe, dann ist das eine mutwillige Verdrehung der Tatsachen, ein erfundener Subtext und kein bei Wagner gelesener. Mielitz – und das sollte man nicht vergessen – erklärt damit auch alle für pathologisch, die – diesem Sinne nach – torenhaft aus dieser als krankhaftes Dünkel empfundenen Religion Sinn, Ziel und Kraft ihres Lebens schöpfen. Sie werden zu Bewohnern einer desolaten Irrenanstalt, bringen anscheinend Kinder als Menschenopfer dar (ein im ersten Aufzug gesetztes blindes Motiv dieser Aufführung) und der Karfreitagszauber wird zum kitschigen Morgenrot einer alpenländischen Bildpostkarte. Helfen kann denen wohl nur mehr eine Spritze – wie sie Kundry zu Beginn des zweiten Aufzugs von zwei Ärztinnen appliziert wird, damit sie Klingsor zur Verfügung stehe. Mielitz‘ens „Parsifal“ erscheint als ein „Parsifal“ der Entlarvung, ein Bühnenspiel ohne „Weihe“ und „Fest“.

[4] Leider hat sich Donald Runnicles am Pult zum musikalischen Assistenzeinsatz für diese Inszenierung gerüstet. Er hat die würdevolle Partitur Wagners entschlackt, versachlicht und blankgeputzt. Er hat daraus eine kunstfertige, fragile Transparenz gedrechselt und jedes mystifizierende Stäubchen weggepustet. Da herrschte über weite Strecken die kammermusikalische Skepsis einer selbstverzweifelnden Moderne, die mit Wagners künstlerischem Selbstverständnis und üppig-verzehrendem Melos kaum mehr etwas gemeinsam hatte. Mir persönlich lag diese musikalische Abmagerungskur Wagner’scher Klangträume und -räume schwer im Magen, aber man kann nicht bestreiten, dass sie von Runnicles sehr subtil und in Symbiose mit der Bühne durchgeführt worden ist.

[5] Die bisherigen Einwände haben sich im wesentlichen auf die Interpretation des „Parsifal“ bezogen, nicht auf die künstlerisch-handwerkliche Umsetzung. Denn bis auf die scheußlichen und teilweise hilflos arrangiert wirkenden Bühnenbilder und Kostüme (im zweiten Aufzug gezählte neun rote Ledersofas, oftmalige Hebung und Senkung von Bühnenteilen etc.) wird man an Personenregie und Massenchoreographie wenig auszusetzen haben. Mielitz scheint es gelungen zu sein, alle Beteiligten auf ihre Sicht der Dinge einzuschwören. Sie hat sogar Johan Botha aus seiner schauspielerischen Reserve locken können. Mielitz hat die fünf Opernstunden geprägt und geformt. Ihre diesbezüglichen Fähigkeiten sind im Vergleich zu vielen anderen RegisseurInnen enorm.

[6] Teilweise ist die Inszenierung stark auf die emotionale Wirkung Thomas Quasthoffs (Amfortas) ausgelegt. Hier könnte man sich die Frage stellen, wo die künstlerische Freiheit beginnt und wo die Ausbeutung anfängt. Diese Frage ist heikel. Abgesehen davon schaffte er es kongenial in die Rolle des Amfortas zu schlüpfen. Hier stellten sich Augenblicke jener transparent gewordenen überhöhenden Transzendenz von Leiden und Mitleiden ein, wie es Wagner als Symbiose von Ausführenden und Publikum vorgeschwebt sein mag. Da kommt über die Hintertüre das herein, was Mielitz mit ihrer Inszenierung als krankhaft markiert.

[7] Auch Angela Denoke muss als tragende Persönlichkeit dieser Inszenierung gelten. Natürlich ist dieser Kundry alles „Heroische“ fremd, sie hat im zweiten Aufzug eine fitgespritzte psychisch kranke Hure zu mimen. Jedenfalls sang sie im geforderten Tonfall dieser auch vom Orchester gepflegten Transparenz, mit heller, klarer und leidensbereiter Stimme und zwang einen zum Zuhören und zur Anteilnahme. Dass es in dieser Szene um ein metaphysisches Ringen geht, blieb selbstverständlich ausgespart. Johan Bothas Parsifal wird in den Folgeaufführungen im Detail sicher noch gewinnen, bot aber insgesamt eine überzeugende Leistung. Sehr guten Eindruck machte Wolfgang Bankl als Klingsor. Er musste einmal Bauch zeigen, wahrscheinlich damit man sein aufgemaltes Kreuz sieht. (Botha darf mit blutbeschmierten Armen und Beinen herumlaufen, ausziehen muss er sich nicht. Der Blutverlust, den er im dritten Aufzug – von Mielitz „zur Ader gelassen“ – produziert, ist eminent.) Robert Holl blieb, trotz guter gesanglicher Leistung, nicht sehr ausdrucksstark. Walter Fink steuerte einen profunden Titurel bei.

[8] Viel Jubel nachher für die Ausführenden, viele Buhs für Mielitz.

Dominik Troger | Wiener Staatsoper Premiere 8.4.2004

Neue Zürcher Zeitung

Männerbund in Auflösung

Der Entschluss war mutig: Gleich für zwei Wagner-Inszenierungen in Folge hat Ioan Holender die deutsche Regisseurin Christine Mielitz an sein Haus verpflichtet. Anfang Dezember hatte der «Fliegende Holländer» Premiere, jetzt, traditionsgemäss zum Karfreitag, folgte «Parsifal». Es gibt zwischen der romantischen Oper und dem Bühnenweihfestspiel durchaus Parallelen. Der Holländer und Amfortas sehnen sich nach dem Tod und können nicht sterben, beide sind aus einem verbindlichen System ausgebrochen und dabei schuldig geworden, der Seefahrer, indem er Gott herausforderte, Amfortas, weil er sich im Kampf gegen Klingsor von Kundry verführen liess. Doch was resultiert daraus für die Interpretation der beiden Werke? Bei Christine Mielitz und ihrem Ausstatter Stefan Mayer nichts als eine identische Bild- und Körpersprache.

Wie den «Fliegenden Holländer» lassen sie «Parsifal» in einem geschlossenen, düsteren Raum spielen, der mehr und mehr auseinander bricht und mit seinen Vertiefungen und Erhöhungen zerklüftet wirkt. Die kahle Mondlandschaft zu Beginn des dritten Aufzugs ist ebenso Kulisse wie der liebliche Hügelzug der Frühlingsaue und die Ruinenszenerie auf dem Zwischenvorhang. Der Zaubergarten Klingsors (Wolfgang Bankl) wird zu einem Nachtklub mit roten Ledersofas und einer Bühne für Videoprojektionen.

Wie im «Holländer» arbeitet Mayer mit gewaltigen Mengen an Material, das durch die Bühnenmaschinerie ständig bewegt wird – welcher Kontrast zu Roland Aeschlimanns lichtvoll transzendentem Genfer «Parsifal» (NZZ vom 30. 3. 04). Dazu verschreibt Mielitz dem gross besetzten Chor ihre spezifische, choreografisch übersteigerte Körpersprache (insofern wirken die Fechtanzüge der Gralsritter passend). So muss sich denn auch die Rezensentin wiederholen: Es trieft vor theatralischem Pathos. Auch dann, wenn die Regie das Scheinwerferlicht ostentativ auf die «Gesellschaft» im Zuschauerraum richtet. Dass ein profan sozialkritischer Ansatz für Wagners Bühnenweihfestspiel durchaus fruchtbar sein kann, hat zuletzt David Alden in seiner Grazer Inszenierung bewiesen, die die Gralsburg in ein zum Knabeninternat umgewandeltes Neuschwanstein verlegte. Mielitz’ Ansatz bleibt im Vergleich damit diffus und spannungslos.

Aber auch für die musikalische Einstudierung von «Parsifal» gilt Ähnliches wie für den «Fliegenden Holländer». Donald Runnicles hält zwar den Orchesterapparat besser unter Kontrolle als Seiji Ozawa. Doch für seine langsamen Tempi ist sein Dirigat zu wenig strukturiert, in der Mischung der Klangfarben nicht subtil genug. Den schneidenden Reibungen, die das Leiden des Amfortas in Töne fassen, steht am Schluss keine gleichwertige Sublimierung gegenüber. Allerdings versteht auch die Regie «Erlösung» eher prosaisch: als das Verschwinden der Einzelnen – Parsifal, Amfortas, Gurnemanz – in der Menge, was laut Mielitz das Ende der «utopischen und theoretischen Systeme» bedeuten würde. Und Kundry? Was mit ihr geschieht, bleibt offen. Sie, die in dieser Aufführung so oft misshandelt und sexuell missbraucht wird, scheidet aus der Männergemeinschaft aus. Sie hat nicht nur die Rolle der Hure, sondern auch die der Büsserin abgelegt. Als androgynes Wesen schreitet sie über den Steg im Hintergrund der Bühne. Als Sängerin wie als Darstellerin macht Angela Denoke das Doppelwesen zu einer Figur eigener Ordnung: in Körpersprache und Mimik expressiv wie keine andere, stimmlich von heller, warmer Leuchtkraft. Neben ihr erscheint Johan Bothas Parsifal, der ganz auf kompakte tenorale Fülle setzt, noch schwerfälliger. Auch Robert Holls Farb- und Ausdruckspalette bleibt für die Dimensionen der Gurnemanz-Partie allzu beschränkt. Ohnehin ist für Mielitz die zentrale Figur Amfortas, ein «Gezeichneter» wie der endlos über die Meere irrende Holländer (gleich diesem trägt er ein Brandmal im Gesicht). Thomas Quasthoff, der hier – nach dem Minister in Beethovens «Fidelio» bei den letztjährigen Salzburger Osterfestspielen – seine zweite Bühnenrolle übernommen hat, mag für das grosse Haus nicht immer über genügend Stimmvolumen verfügen, doch wie der grosse Liedersänger die Rolle des Leidenden, körperlich Versehrten ausformt und sprachlich und ausdrucksmässig durchdringt, das sucht im Wiener «Parsifal»-Ensemble seinesgleichen.

Marianne Zelger-Vogt | 10.4.2004

Der Standard

Ein Koitus der Erkenntnis

“Parsifal” an der Staatsoper: Die Inszenierung von Christine Mielitz zeigt eine kaputte Männerrunde in gediegenem Handwerk

Premiere von Wagners “Parsifal” an der Staatsoper: Regisseurin Christine Mielitz zeichnet das Bild einer kaputten Männerrunde, die an der Enge und Gewalttätigkeit ihrer Welt zu scheitern droht. Applaus für die Sänger, geteilte Meinungen bezüglich der Regie.

Irgendwie ist die Wiener Staatsoper auch eine Art Amfortas, und Richard Wagner ist gleichsam auch eine seiner klaffenden Wunden. Nicht alle hat Direktor Ioan Holender zugefügt. Die nun seit einigen Jahren existierende Ring-Wunde zweifelsohne; im Rahmen seiner (nach Opernmaßstäben) in alle Ewigkeit verlängerten Direktionszeit will er sie mit einem Regie-Parsifal bis 2010 heilen.

Holenders eher langsame Erneuerung der unaufhaltsam alternden, von ihm übernommenen Inszenierungen fügt dem Haus jedoch zumindest einige schmerzhafte Beulen zu, zu denen auch August Everdings Parsifal gehörte, der nun ausgelitten hat.

Holender gibt in der Öffentlichkeit gerne eine Art Hans Sachs, der versucht, die Balance zwischen Tradition und Moderne zu wahren. Im Zweifelsfall jedoch kippt er hinein ins risikolose “Alles bleibe gleich”, weicht mitunter ins Raritätenfach aus. Oder er sucht – während in Bayreuth mit Schlingensief (Parsifal) oder Lars von Trier (Ring) volles Risiko genommen wird – Erneuerung mit den Mitteln des gediegenen Handwerks. Wie es bei Christine Mielitz zweifellos zu finden ist.

Auch da allerdings bereitete er präventiv vor, indem er verkündete, es würde dies alles keine glatte Angelegenheit werden. Als hätte es gegolten, auf eine kühne Inszenierungsoperation vorzubereiten. Nun, Mielitz hat all das glitzernd-romantische Excalibur-Getue einstampfen lassen. Aber ein in allen Fasern überzeugender Werkentwurf ist ihr, abgesehen von Details, leider nicht geglückt.

Ihre Männerrunde ist ein Haufen brutaler, geiler Lumpenritter, die sich gleich zu Beginn im kollektiven Waschraum grapschend auf Kundry stürzen. Die hehre Utopie, der sie sich verschrieben haben, droht an ihrer blutigen Umsetzung und der hermetischen Abriegelung einer geschlossenen Herrenrunde zu ersticken. Das Ritual: Die Gralsenthüllung ist zunächst gleichsam eine Verhüllung. Die Ritterschaft (unter ihnen ein solider Robert Holl als Gurnemanz) wird in die Höhe gehoben – unter ihr wird man einer von Weltleid kündenden Kinderschar ansichtig. Titurel (sonor Walter Fink) ist dabei eine singende Leiche im Sarg.

Die unmittelbare Bedrohung dieser biedermeierlich tapezierten Welt geht von einer Mischung aus Demagogie und Zuhälterei aus: Klingsor, in goldig glitzerndem Anzug (profund Wolfgang Bankl), steht hinter einem Rednerpult und agitiert, während hinter ihm martialische Filme kommentierend auf die Folgen seiner Pläne hinweisen.

Kundry macht er in seinem Ledersofapuff mit Spritzen, Alkohol und Gewalt gefügig. Mielitz inszeniert dies – ein schon bei Peter Sellars gesehener Effekt – als Reality-TV-Show. Immerhin: Es ergibt die filmische Nahaufnahme des Kundry-Leids im 2. Akt eine psychologische Verdichtung. Bevor sie Parsifal bezirzt – ihm wird ein Koitus der Erkenntnis zuteil -, dürfen die Blumenmädchen von schwarz gekleideten Witwen zu tanzenden Lesben mutieren.

Hebt nicht ab

Da sind zwar Ideen – aber nicht immer die besten. Und sie heben nicht ab zu szenischer Besonderheit. Wenn irgendwo doch, dann kommt die Inszenierung im Figurenleid produktiv zum Tragen. Zum einen bei Kundry. Angela Denoke kann als große Darstellerin zwischen Androgynität und Nacktheit trotz Zartheit als dramatisch durchhörbare, intensive Sängerin in Erscheinung treten.

Und Thomas Quasthoff ist als Amfortas eine Art singende Wunde. Zwischen den Rittern von der siechenden Gestalt ist er der Inbegriff der Todessehnsucht, der sich im Sarg des Vaters verkriecht. Parsifal, den noch Ahnungslosen, blickt er flehend-streng in die Augen. Ein starker Moment, ein starker Sänger. Quasthoff verleugnet nicht den Liedsänger. Allerdings führt er sein delikates Timbre gerne in die Sphäre des Dramatischen, wenngleich er damit nicht immer hörbar ist. Außer er singt frontal zum Publikum.

Johan Botha (als Parsifal) ist der bewährt strahlende Tenor. Sein metallisches Timbre ist kultiviert und tragfähig, besondere Zwischentöne allerdings fehlen; wie auch seine Darstellungskunst trotz Fortschritten noch zweifellos ausbaufähig wäre . . . Der Speer, den er ergreift (mäßig gelungene Szene), leuchtet wie das Schwert eines Jedi-Ritters in Star Wars und ist am Ende keine Waffe mehr.

Mielitz lässt Parsifal Friedfertigkeit propagieren. Des Mordens müde, hat sich der blutüberströmte Held gar die Gewalthaut abgezogen. Die Moral: Gewalt ist kein Weg, die Ritterschaft soll sich öffnen. Am Ende stehen alle an der Rampe. Die Haupthelden sieht man nicht. Glück ist in der Gemeinschaft – Verantwortung soll nicht einer allein tragen. Das sind diskussionswürdige Gedanken, aber deren szenische Umsetzung ist allzu oft nur bieder.

Dass das Ganze verdammt lang wirkt, ist auch der Arbeit im Orchestergraben anzukreiden. Donald Runnicles nimmt sich viel Tempozeit, erschafft aber bestenfalls einen soliden Klang, der erst zum Schluss hin – auch partiturbedingt – an Intensität gewinnt. Ein bisschen spät. Zuvor staunte man nicht nur einmal über die schläfrigen Einsätze und Kickser der Blechbläser.

Wenn dies jenes philharmonische Qualitätsmaximum bei Premieren war, dann hat das demokratische Kollektiv ein grundsätzliches Problem.

Ljubisa Tosic | 9. April 2004

New York Times

Enigmatic opera in Vienna

It is unfair to the other cast members of the Vienna State Opera’s new production of Wagner’s “Parsifal” to single out Thomas Quasthoff’s performance as Amfortas for special attention, and perhaps it is even unfair to Quasthoff himself. Quasthoff, one of the world’s premier concert singers, was a “thalidomide baby” — he has stunted arms and is only 4 feet, or 1.2 meters, tall, which has meant that his operatic work has been practically nil. His only previous appearance was in Salzburg as the minister of state in Beethoven’s “Fidelio,” a role that affords little opportunity for acting.

Quasthoff’s Vienna appearance was thus bound to be an event, even though Amfortas, the king of the Grail with a chronic wound that will not heal, is usually not much of an acting part; in many productions he is confined to a stretcher. But the director, Christine Mielitz, ensured that Quasthoff’s physique was an element in reinforcing Amfortas’s expressions of anguish. His was an unusually physical Amfortas, who interacted with his fellow knights and paced the stage as a lonely figure during the third act’s transformation interlude. Quasthoff’s portrayal could be unbearably poignant, especially when asking for death in the tones of delicacy and resignation he brings to his lieder singing, while the Grail knights let loose with choral outbursts around him.

Robert Holl was in resonant voice as the Grail knight Gurnemanz, and Wolfgang Bankl was cunning as the sorcerer Klingsor. It was to the considerable credit of Angela Denoke, as the enigmatic Kundry, who is indirectly responsible for Amfortas’s wound, and Johan Botha, as the “pure fool” Parsifal who heals it, that all thoughts of Quasthoff vanished during the second act (in which Amfortas does not appear). With a voice of heft yet uncommon luster, Botha may well be today’s finest heldentenor, and was the perfect foil for the sexual temptations of Denoke’s Kundry, who, in an exchange with Klingsor, bared a breast and writhed on the stage with her skirt up to her waist. Singing with a firm, focused sound, Denoke showed as much cool confidence in spinning Kundry’s seductive web as she did rage when Parsifal eluded her.

Donald Runnicles, conducting, contributed handily to the excitement of their encounter, and overall he moved the opera along at a sensible pace, although Act I seemed longer than its 100 minutes. If this was not a “Parsifal” notable for savoring instrumental detail, the Vienna Philharmonic nonetheless gave much cause for pleasure.

Mielitz’s production, with updated sets by Stefan Mayer, was something of an enigma, but its strengths made the chorus of boos that rained down on her at final curtain seem unjustified. In a program note, she spoke of how Wagner wanted to get away from male-dominated institutions, so the knights were hardly portrayed sympathetically; their louvered abode in Act I (not the forest Wagner specified) looked like a mental institution. And she also opined that Amfortas’s wound was the product of a sick world, which may account for the desolate, lunar-type landscape in which the final act played out.

But in addition to her riveting staging of Act II, set in a salon full of maroon leather sofas enhanced by scarlet-clad flower maidens, the close was especially moving. Parsifal, now hailed as the knights’ redeemer, ignored the Grail but rejuvenated the knights though his own powers. Then they proceeded to the front of the stage, eclipsing the transfixed Amfortas and staring into the audience, looking bedraggled but hopeful.

GEORGE LOOMIS | APRIL 14, 2004

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Media Type/Label
Premiere
Technical Specifications
510 kbit/s VBR, 32.0 kHz, 896 MByte (flac)
Remarks
Broadcast
A production by Christine Mielitz (2004)