Parsifal

Shao-Chia Li
GöteborgsOperans Kör
GöteborgsOperans Orkester
Date/Location
6 April 2007
GöteborgsOperan
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Amfortas Mats Persson
Titurel Peter Loguin
Gurnemanz Mats Almgren
Parsifal Jan Kyhle
Klingsor Krister St. Hill
Kundry Annalena Persson
Gralsritter Markus Schwartz
Iwar Bergkwist
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Reviews
Der Neue Merker

Nach mehreren Jahrzehnten intensiver Planung wurde 1994 das neue Göteborger Opernhaus am Packhus-Kaj am Lilla Bommen eingeweiht, auf dem Boden ehemaliger Stadtbefestigungen an den Ufern der Göta. Es ist ein modernistisch konzipiertes Haus, aber in traditionellen Farben und mit traditionellen Materialien gebaut. Es fügt sich in seiner leichten, beschwingten Ästhetik mit schiffsbugähnlichen Konturen und weiteren Assoziationen aus der Schiffswelt, wie Brücken, Kräne, Öltonnen (der Zuschauerraum von außen) hervorragend in die umgebende Jachthafenszenerie ein, in der auch das alte schwedische Segelschulschiff Viking vor Anker liegt. Diese äußere Leichtigkeit setzt sich im Innern mit ähnlicher Optik fort. Der Zuschauerraum in der klassischen Hoftheaterform hat 1.301 Plätze, und der Orchestergraben vor einem ungewöhnlich breiten Bühnenportal bietet Platz für rund 100 Musiker. Bestmögliche Akustik war der Ausgangspunkt für die Konzeption des Zuschauerraumes, und man hat in der Tat ein Weltklasseergebnis erzielt. Hier wurde auch schon Wagner gespielt, eine Walküre war es vor einigen Jahren.

Am „allerheiligsten Karfreitag” (6.4.) brachte die GÖTEBORGSOPERAN nun einen neuen Parsifal heraus, in der Regie von YANNIS HOUVARDAS unter der musikalischen Leitung von SHAO-CHIA LÜ. Es gelang sowohl musikalisch wie auch inszenatorisch ein großer Wurf mit einer Reihe von szenischen Einfällen, von denen viele sehr sinnfällig waren. So beginnt das Stück schon vor Einsetzen des Vorspiels mit mehreren erfolglosen Versuchen von Gurnemanz, den kleinen Parsifal zu einem Kuss der unter einer Decke verborgenen Kundry zu bewegen. Mag das etwas weit hergeholt erscheinen, so ist das einsame Kreisen des Schwans, verkörpert durch einen jungen Skater in Weiß, auf der spiegelblanken Fläche des heiligen Sees während des Vorspiels in der Tiefe der Bühne vor den angedeuteten Gralsmauern und bei subtiler Beleuchtung (TORKEL BLOMKVIST) von großer mystischer Wirkung. Dabei sehen sowohl der kleine wie der herangewachsene Parsifal zu, womit diese Aktion unmittelbar in das Stück hinein führt. Dieser personifizierte Schwan stürzt nämlich wenig später unter großem Aufruhr verblutend in den Gralsbezirk – und der völlig unkonventionell in Schwarz mit Baskenmütze gestylte Parsifal hinterher (im allgemeinen geschmackssichere Kostüme: KARIN ERSKINE). Der Tod des Schwans wird für ihn zum intensivsten Schulderlebnis. Die Bühnenbilder von LARS-AKE THESSMAN eröffnen fantasievolle und immer wieder die Dimensionen der Riesen-Bühne auslotende Räume mit reichhaltigem Assoziationspotenzial. Bei den Verwandlungen gelingen tiefgründige Momente in des Wortes wahrster Bedeutung, da ihm tatsächlich das stets so schwierige Unterfangen des „…zum Raum wird hier die Zeit“ gelingt, ohne dass der Regisseur in das alberne – selbst noch in jüngeren Parsifal-Inszenierungen wie jener in Wien zu findende – „Schunkeln“ der Akteure zu verfallen. Houvardas zeigt eine völlig morbide Gralsritterschaft im End-Stadium mit einem unsäglich leidenden, noch jungen Gralskönig Amfortas. Auch der alternde Titurel ist ad personam zu erleben. Von spastischen Zuckungen gepeinigt, gelingt Amfortas die Gralserscheinung erst, als er eine kurze Ruhephase erreicht. Diese wird aber von einem umso stärkeren Blutsturz abgelöst und lässt ihn als unrettbar Verlorenen vor Parsifals und Gurnemanz´ Augen zusammenbrechen. Der Regisseur zeigt mit größter Intensität, dass der status quo der Gralsritterschaft so nicht mehr haltbar ist und etwas passieren m u s s. Mit dieser Vorgabe inszeniert er Parsifals Reifewerdung zwingend in einer ungewohnt intensiven Auseinandersetzung mit Kundry. Klingsor produziert sich hier als veritabler Zauberer am heiligen See hinter den Gralsmauern im tiefen Raum der Bühne mit grandiosen Lichteffekten und lässt seine Blumenmädchen mit schockierender Wirkung – erst in Kardinalsroben und dann in Nachtclub-Rot – sowie mit bestechender Choreografie ausschwärmen. Nachdem durch einen unglaublichen Trick der Speer in Parsifals Hand gelangt ist, ersticht dieser damit den Zauberer. Dies sind alles sehr unkonventionelle Ideen, die aber im Rahmen einer Produktion Sinn machen, die mit größtem Nachdruck und dramaturgischer Intensität auf die menschlichem Dimensionen des Bühnenweihfestspiels und sein zentrales Mitleids-Thema abstellt, welches nur durch größtes persönliches Leiden Erlösungskraft entfalten kann. So ist es auch nur konsequent, dass Amfortas am Ende mit einem Lächeln auf dem Gesicht entseelt zu Boden sinkt und die Gralsritterschaft, ähnlich wie bei Christine Mielitz in Wien, keinen Fortbestand mehr hat. In einem rätselhaften Finale, das aber den Zuschauer umso mehr zum Nachdenken über die Botschaft des Werkes anregt, ziehen sich die Ritter und Gurnemanz zurück und lassen Parsifal ratlos allein.

Ebenso aufregend wie die szenische Darbietung dieser Premiere war aber auch das Dirigat des GÖTEBORGSOPERANS ORKESTER durch SHAO-CHIA LÜ. Er erzielte ein wunderbares plastisches Klangbild von großer Transparenz. Hier kam offenbar die exzellente Akustik des Opernhauses zum Tragen. Das Orchester verfügt über ein harmonisch und kompakt klingendes Streicherensemble mit klarer Linienführung; die Celli taten sich immer wieder mit ihrem satten und homogenen Klang hervor. Die Holzbläser zeichneten sich durch warme Klangfarben aus, gegen die sich die Blechbläser prägnant, aber niemals zu laut absetzen konnten. Bei den Verwandlungen und im 2. Akt gelangen großartige Steigerungen mit expressiver Dramatik. Die Absenkung des Orchesters um über einen Meter unter das Parkett dürfte sicher zum homogenen Klangbild beitragen, dass in diesem bemerkenswerten Hause zu erzielen ist. Auch die Qualität Chöre ist bemerkenswert. Sie waren nicht nur stimmstark und homogen, sondern hatten durch ihre teilweise Platzierung – v.a. der Damenchöre – hoch über dem Bühnenportal und in unsichtbaren Seitenausschnitten der Ränge eine selten zu hörende Tiefenwirkung und Fülle. Es klang wirklich „…aus höchsten Höhen“. Assoziationen mit dem typischen Bayreuther Klangbild stellten sich unmittelbar ein.

Sängerisch war hingegen nicht alles so eindrucksvoll. Die Besetzung war fast ausschließlich skandinavisch mit vor allem schwedischen Solisten, von denen viele, wie einige Wochen zuvor in Karlstad beim dortigen Parsifal in der Domkirche (Merker 3/2007) auch, an der königlichen Opernhochschule Stockholm studiert hatten. MATS ALMGREN als Gurnemanz hat gutes Bassmaterial, klingt aber wegen seiner Kopfstimme etwas verquollen. Mit besserer Technik ließe sich hier noch einiges herausholen. JAN KYHLE als Parsifal kann weitgehend mit tenoraler Strahlkraft auf baritonalem Fundament überzeugen, gerät aber bei den großen Herausforderungen im 2. Akt an seine Grenzen. Sein Legato, u.a. bei „ – sieh! es lacht die Aue“ ist allerdings sehr schön. Darstellerisch interpretiert er die in dieser Inszsnierung sehr komplex angelegte Rolle eindrucksvoll. Die Kundry vonANNALENA PERSSON wartete mit einer prägnanten kräftigen Stimme auf, die aber bei unklarer Diktion bisweilen etwas flackerte. Die Höhen am Ende meisterte sie bravourös. Auch sie ist eine sehr gute Darstellerin und hatte wesentlichen Anteil an der dramatischen Spannung des 2. Aktes.MATS PERSSON war ein junger Gralskönig Amfortas mit hellem, aber ausdrucksstarkem Bariton. Auch er hatte darstellerisch einen schweren Part zu bewältigen – kaum ist wohl ein Amfortas mehr zusammen gebrochen als hier in Göteborg, manchmal zu oft… KRISTER ST. HILL sang einen guten, aber nicht gefährlichen Klingsor, der umso mehr durch seine gekonnten Zauberstückchen Eindruck machte. PETER LOGUIN war ein glaubhaft leidender Titurel. Bei den Sopranen der Blumenmädchen gab es einige Fehltöne, im Ensemble klangen sie aber durchaus betörend und durften das hier auch ausspielen.

Insgesamt war der Göteborger Parsifal die lange Reise wert und lässt auf weiteren Wagner im hohen Norden hoffen.

Klaus Billand

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO
Technical Specifications
192 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 335 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (P2)
A production by Yannis Houvardas (premiere)