Parsifal

Daniele Gatti
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
28 July 2011
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Amfortas Detlef Roth
Titurel Diógenes Randes
Gurnemanz Kwangchul Youn
Parsifal Simon O’Neill
Klingsor Thomas Jesatko
Kundry Susan Maclean
Gralsritter Arnold Bezuyen
Friedemann Röhlig
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Erlösung für ein ganzes Volk

Stefan Herheims Parsifal-Inszenierung gehört sicherlich auch im vierten Jahr zu den Produktionen am Grünen Hügel, bei denen die Anzahl der Kartenbestellungen am größten ist. Auch wenn nämlich die Kartennachfrage bei den Festspielen das Angebot um ein Vielfaches übersteigt, gibt es dennoch Unterschiede bezüglich der dargebotenen Inszenierungen. So mag zum einen ausschlaggebend sein, dass Parsifal für viele die originärste Oper für das Festspielhaus ist, da Wagner selbst ja verfügt hatte, dass dieses Werk außerhalb Bayreuths gar nicht zur Aufführung kommen solle. Zum anderen gibt es in diesem Jahr keine Ring-Inszenierung, bei der die Kartennachfrage noch größer sein könnte, und so mag sich ein Großteil des Publikums gesagt haben, dass, wenn man schon nicht das Risiko einer Tannhäuser-Neudeutung eingehen wollte, man wenigstens Karten für die Inszenierung bestellt, für die die Opernwelt Herheim nicht nur zum Regisseur des Jahres gekürt, sondern auch noch Heike Scheele und Gesine Völlm als Bühnenbildnerin beziehungsweise Kostümbildnerin des Jahres ausgezeichnet hat. Und auch in diesem Jahr wurden die Erwartungen nicht enttäuscht, da Herheim einen Zugang gefunden hat, der die Geschichte einerseits zwar nicht gegen den Strich bürstet, andererseits aber auch zahlreiche Projektionen auf die ganze deutsche Nation zulässt.

Dabei mag Herheims Bilderflut zumindest im ersten Aufzug den einen oder anderen Zuschauer etwas überfordern. So beginnt seine Inszenierung schon während der Ouvertüre. Eine Frau mit langen rotblonden Haaren liegt in einem Bett, das in den ersten beiden Aufzügen einen, wenn nicht sogar den zentralen Bestandteil des Bühnenbildes darstellt. Ein kleiner Junge im Matrosenanzug wird gegen seinen Willen immer wieder von dem Kindermädchen an das Bett gedrängt, weiß sich aber schließlich zu befreien, wobei er die Frau im Bett mit einem Pfeil verletzt, so dass diese getroffen zusammensinkt. Sollen das Parsifal und seine Mutter Herzeleide sein, da er ja, so berichtet Kundry, durch seinen Weggang den Tod der Mutter verursacht habe? Oder ist es Kundry selbst, die als Mutterfigur zunächst Amfortas betört und später Parsifal zu verführen versucht? In einem weiteren Bild scheint der Junge nämlich Amfortas zu sein, der sich von der Frau im Bett verführen lässt, dabei nicht nur seinen Speer verliert, sondern auch noch die nicht heilende Wunde erhält. Umrahmt wird diese Szene von der Projektion einer riesigen blutroten Rosenblüte (Momme Hinrichs und Torge Møller), die die erotische Liebe sehr symbolstark ausdrückt. Unklar bleibt auch, wieso die Frau vor der ersten Enthüllung des Grals ein Kind entbindet? Ist es doch Herzeleide und das Kind Parsifal, der für die Gralsritter die Ordnung wieder herstellen wird? Diese Fragen verwirren während des ersten Aufzuges und lenken vom eigentlichen Geschehen ein wenig ab.

Heike Scheele hat ein sehr wandelbares Bühnenbild geschaffen, das im Hintergrund einmal den Blick auf die Villa Wahnfried ermöglicht und dann wieder den Blick aus selbiger zeigt. Auf der linken Seite sieht man einen hohen Kamin, über dem ein großes Portrait des mutmaßlichen Retters des Grals prangt. In dem abgebildeten Kostüm tritt Parsifal nämlich im dritten Aufzug auf. Großartig ist auch, wie dieses Gemälde heruntergelassen wird und, eingehüllt in feuerrotem Nebel, Klingsor mit dem geraubten Speer zeigt. Auf der rechten Seite befindet sich eine große Tür, die von hohen Säulen eingerahmt ist. Diese Säulen sind leicht verschiebbar und geben bei der Enthüllung des Grals eine Gralsburg preis, die schon fast an historische Inszenierungen erinnert. In der Mitte befindet sich ein rundes in mehreren Ringen höhenverstellbares Podest, das zu einem Wasserbecken geflutet oder eine sprudelnde Quelle darstellen kann oder als Altar für den rot leuchtenden Gral dient. Die Kostüme von Gesine Völlm verlegen den Zeitraum der Handlung des ersten Aufzuges in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Aber warum tragen mit Ausnahme von Amfortas, der in seinem weißen Gewand und einer Dornenkrone über dem langen rotblonden Haar an den Erlöser erinnert, und Parsifal, der den Matrosenanzug des Jungen aus dem Anfangsbild trägt, alle Figuren schwarze Flügel? Sind es die Flügel eines Adlers, der als Sinnbild für die deutsche Nation steht, so wie die Inszenierung ja auch einen Ritt durch die deutsche Geschichte bis zur Gründung der Bundesrepublik darstellt? Oder sind es die schwarzen Flügel gefallener Engel, da die Gralsritter mit dem Verlust des Speeres ihr Seelenheil verloren haben und nun auf Erlösung warten? Jedenfalls bemerkt Gurnemanz, wenn die Stimme aus der Höhe ihm zu verstehen gibt, dass Parsifal wahrscheinlich doch der ersehnte Erlöser sein wird, dass er seine Flügel verloren hat.

Sehr librettonah erfolgt dagegen der Abschuss des weißen Schwans, der in diesem Fall als Emblem über der Gralsburg hängt. Aber wieso trägt Gurnemanz den kleinen Jungen im Matrosenanzug als toten Schwan über die Bühne? Hat sich Parsifal mit diesem Schwan selbst getroffen und damit sein Schicksal als kommender Erlöser bestimmt? Die Inszenierung gibt auch hier keine eindeutige Antwort. Vielleicht sollen diese Regieeinfälle den Zuschauer genauso verwirren wie Parsifal, der zumindest im ersten Aufzug, die Vorgänge nicht ganz nachvollziehen kann. Der Applaus vor der ersten Pause ist jedenfalls verhalten, was aber wahrscheinlich eher daran liegt, dass es sich, wie Stefan Mickisch nicht müde wird, in seinen Einführungsvorträgen zu erläutern, immer noch nicht herumgesprochen hat, dass Wagner selbst entgegen jahrelanger Tradition durchaus Applaus nach dem ersten Aufzug gewünscht habe. Da scheint der Respekt vor alten Bräuchen noch so groß zu sein, dass man etwas schüchtern dem Geschehen auf der Bühne Beifall zollt, zumal der Applaus danach von Aufzug zu Aufzug frenetischer wird.

Dabei wird die Erzählstruktur ab dem zweiten Aufzug aber auch wesentlich klarer. Sah man vor der Pause auf dem Bühnenhintergrund in einer Videoprojektion Soldaten in den ersten Weltkrieg ziehen, ist dieser nun vorbei, und verwundete Soldaten werden von den Blumenmädchen als Krankenschwestern in Lazarettbetten verarztet. Schräg aufgestellte große Spiegel im Bühnenhintergrund sorgen dafür, dass das Lazarett noch an Tiefe gewinnt. Klingsor tritt in schwarzen Strapsen auf und trägt eine Perücke im Stil von Marlene Dietrich. Wenn er Kundry aufweckt, erinnert sie zunächst an die Frau vom Anfang, nur dass ihr Kleid rot ist, was wahrscheinlich ihre Schuld symbolisiert. Dass während dieser Erweckungsszene die siechen Soldaten heftig mit ihren Krankenschwestern in den Feldbetten kopulieren, mag als unnötige Provokation betrachtet werden. Berücksichtigt man jedoch die eigentliche Funktion der Blumenmädchen, ist diese Deutung durchaus nachvollziehbar. Vielleicht sind auch aus diesem Grund den Krankenschwestern weitere Blumenmädchen an die Seite gestellt, die wie Nummerngirls in einer Show-Revue, wahlweise auch im Wasser, Parsifal und die anderen Männer verzaubern sollen. Der Zauberwald wird größtenteils mit Lichteffekten (Ulrich Niepel) und Videoprojektionen erzeugt.

Kundry tritt in der Verführungsszene wie die junge Marlene Dietrich auf. Als sie merkt, dass sie mit diesem Outfit Parsifal, immer noch im Matrosenanzug, nicht betören kann, versucht sie es als seine Mutter. Doch auch ihr leistet Parsifal Widerstand, fügt ihr letztendlich die gleiche Wunde zu, die auch Amfortas quält. Erst jetzt greift Klingsor ein und mit ihm der Nationalsozialismus. Große rote Fahnen mit Hakenkreuzen werden aus dem Schnürboden herabgelassen, schwarz gekleidete Soldaten marschieren auf, und an der Decke prangt ein riesiger schwarzer Reichsadler. Der kleine Junge erscheint nun wie ein Kind aus der Hitlerjugend mit dem leuchtenden Speer auf dem kreisrunden Podest in der Mitte und schleudert den Speer auf Parsifal. Doch dieser fängt den Speer und bleibt unverletzt. Diese Szene hat man tricktechnisch schon besser auf deutschen Bühnen gesehen. Wie aber Parsifal mit dem Speer die Zauberburg und damit auch das dritte Reich zum Einsturz bringt, der große Reichsadler von der Decke fällt und in zahlreiche Stücke zerbricht, lässt das Publikum den Atem anhalten und am Ende des Aufzuges in frenetischen Applaus verfallen.

Im dritten Aufzug ist man nun im Festspielhaus selbst angekommen, zieren doch die Pfeiler des Hauses selbst die Bühne. Dahinter offenbart sich zunächst ein Bild der Zerstörung, wie es wohl auch nach Ende des Krieges in Deutschland ausgesehen hat. Jetzt ist auch von dem Bett, das in den ersten beiden Aufzügen das Zentrum der Bühne beherrschte, nur noch als zerstörtes Gestell im allgemeinen Schutt erkennbar. Und auch wenn Herheim auf den Vorhang ein Zitat der beiden Wagner-Brüder Wieland und Wolfgang aus dem Jahr 1951 projiziert, nach dem die Festspiele nur der Kunst dienen würden und an diesem Ort nicht politisiert werden solle, macht die Inszenierung das genaue Gegenteil, indem der Bonner Bundestag nach Gründung der BRD auf die Bühne gestellt wird. Ein kreisrunder Spiegel ist leicht angeschrägt an der Bühnendecke angebracht, der den Bundesadler inmitten des runden Podestes widerspiegelt. Wie Parsifal, jetzt ebenfalls mit langen rotblonden Haaren und weißem Gewand, mit dem Speer Amfortas’ Wunde schließt und das Blut der Wunde in die Brust des Bundesadlers übergeht, ist ein weiterer Höhepunkt der hervorragenden Lichtregie des Abends. Dabei tritt Amfortas nun nicht mehr im weißen Erlösergewand und langen Haaren auf, da die Gralsritter nun in Parsifal ihren Erlöser gefunden haben. Das Schlussbild wirkt sogar ein wenig kitschig, wenn Gurnemanz und Kundry mit dem kleinen Parsifal wie Vater, Mutter und Kind an der Bühnenrampe stehen und zu den letzten Klängen aus dem Orchestergraben eine weiße Taube in gleißendem Licht über ihnen leuchtet, hinterlässt im Zuschauer aber auch ein wohliges Gefühl und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Als musikalische Neuerung gibt es Simon O’Neill in der Titelrolle. Mit vollem Körpereinsatz und sehr kräftigem Tenor gibt er den Titelhelden, wobei seine etwas metallen klingende Stimme nicht bei allen Zuschauern auf Zustimmung stößt. Dennoch meistert er die Partie mit enormen stimmlichen Reserven ohne Ermüdungserscheinungen, was ihm zu Recht am Ende zahlreiche Bravorufe einbringt. Susan Maclean gibt die Kundry im zweiten Jahr mit sehr sattem Mezzo, wobei sie in den lyrischen Passagen noch stärker überzeugt als in ihren dramatischen Ausbrüchen. Martin Snell sprang kurzfristig für den stimmlich indisponierten Thomas Jesatko ein und sang den Klingsor von der Seite ein, während Thomas Jesatko die Darstellung übernahm. Vielleicht war es dieser kurzfristigen Umbesetzung geschuldet, dass das Orchester der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Daniele Gatti zu Beginn des zweiten Aufzuges etwas zurückhaltend wirkte und die erwünschte Vehemenz von Klingsors Zaubergarten vermissen ließ. Wie in den Jahren zuvor überzeugt Kwangchul Youn als Gurnemanz mit markantem Bass und sehr großer Textverständlichkeit. Auch Detlef Roth als Amfortas und der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor reihen sich in das hohe Niveau ein. Die Zaubermädchen hat man schon einmal homogener gehört. Dennoch erreicht die Aufführung alles in allem auch musikalisch Festspielniveau und wird vom Publikum mit großem Applaus goutiert.

FAZIT

Eine bildgewaltige Inszenierung, die im ersten Aufzug dem Zuschauer sehr viel zumutet, von Aufzug zu Aufzug aber an klarer Struktur gewinnt.

Thomas Molke | rezensierte Aufführung: 09.08.2011

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Media Type/Label
PO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 613 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Stefan Herheim (2008)