Parsifal

Hartmut Haenchen
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
27 July 2017
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Amfortas Ryan McKinny
Titurel Günter Groissböck
Gurnemanz Georg Zeppenfeld
Parsifal Andreas Schager
Klingsor Derek Welton
Kundry Elena Pankratowa
Gralsritter Tansel Akzeybek
Timo Riihonen
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Planschen mit der Bauchtanzgruppe

Bedauerlich: die “Werkstatt Bayreuth” war für das Regieteam um Uwe Eric Laufenberg offensichtlich keine Option, um an seiner Inszenierung des Parsifal zu feilen. Deren Ungereimtheiten und Ungeschicklichkeiten, die anlässlich der Premiere dieser Produktion im vergangenen Jahr schon zu deutlicher Kritik und Ablehnung bei Publikum und Presse geführt hatten (siehe auch unsere Rezension), dürfen auch in diesem Jahr wieder uneingeschränkt bewundert werden.

Dabei ist der Ansatz, das Weihfestspiel von Wagners privater Kunstreligion als Überwindung konfessioneller Religionsschranken zu zeigen, gar nicht abwegig und könnte sogar spannend sein. In einer gegenwärtigen Konfliktzone der Religionen ist die Handlung angesiedelt, in Mossul, der zwischenzeitlich vom “IS” besetzten und terrorisierten multireligiösen Stadt im Irak; und hier ganz konkret im 1. Akt unter der Kuppel einer vor dem Krieg einmal real existenten christlichen Kirche, die sich im 2. Akt in ein orientalisches Badehaus verwandelt und von der im 3. Akt nur eine von der Natur überwucherte Ruine übrig geblieben ist.

Doch die Inszenierung bleibt zu sehr an den Äußerlichkeiten der Religionen insbesondere von Christentum und Islam kleben, darüber kann auch die intellektuelle Aufrüstung im Programmheft nicht hinwegtäuschen. Wo Wagner in der Gestalt des Gralskönigs Amfortas einen ob sexueller Ausschweifungen sündig Gewordenen zeigt, wird in Laufenbergs Regie diese Figur gleichsam zu einem Wiedergänger Christi, einem mit den Kreuzeswunden stigmatisierten Schmerzensmann im Lendenschurz, an dessen Leiden sich die Gralsritter durch ein abgeschmacktes Blutopfer weiden und gesund trinken.

Der Islam muss im 2. Akt als das ketzerisch lockende Reich Klingsors herhalten. Zuerst vom Tschador verhüllt entpuppen sich später die Zaubermädchen als kecke Bauchtanzgruppe, die den verdutzten Parsifal kurzerhand ins Bassin ziehen. Und wer ist Klingsor? Ein muslimischer Geistlicher oder einfach nur ein Kreuzesfetischist? Denn hinter einem Vorhang hat er zahllose Kruzifixe gesammelt, die später nach Parsifals Sieg über sein Reich scheppernd zu Boden fallen. Als Zepter seiner Macht ist das christliche Erlösungssymbol blasphemisch zum Phallus geformt. Derart szenisches Setting reicht allerdings über den reinen Oberflächenreiz einer Provokation kaum hinaus. Dass zudem Klingsor seinen Widersacher Amfortas als eine Art Geisel den Verführungsversuch Kundrys an Parsifal miterleben lässt, kann noch als besonders abgefeimte Peinigung verstanden werden, dass aber dann an Stelle von Parsifal dieser (an entscheidender Stelle!) Verwundete schnell einen Quickie mit Kundry hinlegt, bleibt auch wieder nur bloße Effekthascherei.

Vollends zum Kitsch gerät der 3. Akt, wenn auf der Karfreitagsaue sich unter nieselndem Bühnenregen nackige Mädchen wohlig räkeln: Erlösung als FFK. Und dann das Finale: In einer Art religiösen Entsorgungsaktion werden die rituellen Symbole der Religionen (schnell waren zuvor auch noch ein paar betende Juden vor irgendeine Mauer gestellt worden) in Titurels leeren Sarg geworfen: Weg mit dem Krempel! Dann geht im Zuschauerraum langsam das Licht an – aha, wir sind alle gemeint.

Die Personenregie dagegen ist über viele Strecken defizitär. Im Chor geschehen interessante Dinge lediglich im 1. Akt, sogar schon im Vorspiel, wenn die “Kirche” des Gralsordens zum Asyl von Geflüchteten wird, die von den Mannen versorgt werden. Eine Charakterisierung der Protagonisten wird hauptsächlich durch die Sängerdarsteller geleistet, wenn sie aktiv agieren, ansonsten bleiben sie im Wesentlichen lebendes Inventar. So herrscht während der langen Orchesterpassage im 3. Akt, wenn Gurnemanz den zurückgekehrten Parsifal erkennt, nur szenische Leere, in der Parsifal verlegen unbedeutend über die Bühne irrt. Überhaupt vermag die Regie der Titelfigur nur wenig Profil zu verleihen. Mehr Aufmerksamkeit dagegen erhält im 3. Akt die von Parkinson geplagte Kundry, die geschäftig dienend über die Bühne schlürft.

Damit aber zu den Sängern und der musikalischen Seite, die überwiegend für die szenische Dürftigkeit entschädigt. Zwei Umbesetzungen gab es seit dem letzten Jahr. Anstelle des plötzlich verstorbenen Gerd Grochowski singt nun der australische Bariton Derek Welton die Rolle des Klingsor, und ihm gelingt eine packende vokale Rollengestaltung aus Hass und Dämonie. Als Parsifal steht in diesem Jahr Andreas Schager auf der Festspielhausbühne. Sein Spiel hinterlässt (eben wohl mangels Regie) wenig Eindruck. Stimmlich flexibel und in lyrischen Passagen durchaus mit schönem Timbre, neigt er an lauten Stellen dazu, diese mit Druck zu bewältigen – ein Missverständnis vieler “Heldentenöre”, die aufpassen müssen, ihre Stimme nicht zu ruinieren.

Belcantistischen Gesang dagegen lässt – ganz im Sinne Wagners – Ryan McKinny als Amfortas hören, ausdrucksstark und mit vokaler Fülle. Karl-Heinz Lehner ist mit autoritativem Bass ein beeindruckender Titurel. Als Kundry zeigt erneut Elena Pankratova stimmlich wandlungsfähig eine Kundry zwischen Gehetztheit, Protest und Verführung. Großartig in Spiel und Gesang gestaltet Georg Zeppenfeld Gurnemanz als episches Zentrum der ganzen Handlung. Sonor und geschmeidig singt er mit größter Textdeutigkeit, empathisch und prägnant agiert er präsent seine Rolle aus; eine Rollengestaltung, die Referenzcharakter beanspruchen kann.

Drei Ring-Zyklen zu dirigieren und dann noch mal eben kurzfristig den Parsifal zu übernehmen – da würde vielleicht mancher Dirigent schwächeln. Nicht so Marek Janowski, der anstelle des erkrankten Hartmut Haenchen diesen Parsifal-Abend dirigierte. Es wurden Sternstunden orchestralen Schönklangs, klanglicher Klarheit und dymanischer Spannung. Janowski wählte zügige Tempi (1. Akt in 1:35), dennoch verströmten sich gerade die Vor- und Zwischenspiele zu ruhigen Phantasiegemälden großen Klangs. Strukturell klar legte der Dirigent das Motivgeflecht offen und dennoch mischte sich der Klang aus dem mysthischen Abgrund des Bayreuther Grabens zu einer wunderbar runden Einheit. Subtil gestaltete Janowski die dynamischen Feinheiten der Musik und wo sie dramatisch wird – vor allem im 2. Akt – bot er deren packender Kraft eindrucksvoll Raum. Das war reine Lust im Hören, so dass man bei der per Video eingeblendeten Reise durchs All während der Verwandlungsmusik zum Gralsritual im 1. Akt gut und gern die Augen schließen konnte.

FAZIT

Der Regieansatz verengt die Handlung eindimensional, die szenischen Mittel grenzen stellenweise ans Banale. Einzig die Musik verheißt Rettung: Sängerleistungen höchsten Niveaus, ein Dirigat von größter Sensibilität und das Orchester mit überwältigend schönem Klang.

Christoph Wurzel | Festspielhaus Bayreuth am 05.08.2017

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 580 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Uwe Eric Laufenberg (2016)