Siegfried

Simon Rattle
Berliner Philharmoniker
Date/Location
4 April 2009
Großes Festspielhaus Salzburg
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Lance Ryan
Mime Burkhard Ulrich
Wotan Willard White
Alberich Hartmut Welker
Fafner Stephen Milling
Erda Anna Larsson
Brünnhilde Katarina Dalayman
Waldvogel Mojca Erdmann
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Reviews
Die Presse

Vollkraft und heiße Luft für “Siegfried”

Simon Rattles „Siegfried“ in Stéphane Braunschweigs Regie: als begleitete virtuose Strawinsky-Ballettmusik ein Kleinkunst-Programm.

Was für ein Orchester! Der erste Eindruck, den der Hörer, noch ehe der Vorhang im Großen Salzburger Festspielhaus sich hebt, mitnimmt, ist die Klarheit und Sauberkeit der Töne, die da auch in extremen Lagen aus dem Orchestergraben tönen. Ein Kontrabaßtuba-Solo dieses Zuschnitts hört man nicht alle Tage. Extreme Lagen und Spielweisen fordert Richard Wagner gerade in seinem „Siegfried“ en masse. Mit einigem Recht verweist Sir Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und Leiter des Osterfestivals, auf die Vorbildwirkung, der dritten „Ring“-Partitur für spätere Generationen. Tatsächlich klingt manches an diesem Abend wie eine kühne Vorwegnahme rauschender, rasselnder oder klirrender Strawinsky-Ballettmusiken, fein säuberlich realisiert wie ein perfektes Klangmosaik.

Der Musikfreund entnimmt dazu dem exzellenten Programmheft-Beitrag von Harald Haslmayr die schöne sprachliche Assoziation des „siedendsten Hexenkessels, den die europäische Operngeschichte bis dato erlebt hatte“. Freilich: Zum Sieden bringt Rattles analytische Orchesterarbeit nichts. Es funkelt, leuchtet und knistert bei jener Stelle, die Haslmayr meint, aber die Angst Mimes, die Wagner hier mit radikalen Klangmitteln malt, wird bei dieser Wiedergabe nicht fühlbar.

Die philharmonische Glanzleistung mit all ihren exquisiten Soli – von der erwähnten Tuba über aggressiv-karikierende, dann wieder federleicht balancierende Holzbläser-Vignetten bis zum beinah makellosen Hornruf, die sechzehnfachen, doch eines Sinnes absolvierten Atemzüge der Violinen im Eingang zum Schlussbild nicht zu vergessen – diese Glanzleistung läuft mit all diesen Herrlichkeiten mehr neben der Szene her als dass sie sich mit dieser zum Gesamtkunstwerk verschwisterte.

Was können Sänger ohne Orchester?

Nun kommt es sehr darauf an, welchen Grad der Textbeherrschung und psychologischen Anverwandlung ihrer Partien sich die Sänger angeeignet haben. Burkhard Ulrich ist diesbezüglich ein Glücksfall: ein wenig groß gewachsen für den Zwerg Mime, doch gottlob auch von entsprechendem Format in vokalem wie sprachlichem Artikulationsvermögen. Bei ihm sitzt jedes Wort am rechten Platz, er kann beißend scharf und schmeichelweich agieren, je nachdem, ob die Machtgelüste mit der armen, ewig unterdrückten Kreatur durchgehen oder taktisch im Zaum gehalten werden.

Der Dialog mit Siegfried wird zum amüsant-hintergründigen Exempel dafür, was ein exzellenter Darsteller mit einem immerhin willigen Kollegen auf der Opernbühne leisten kann, wenn seine Künste von einer virtuos in allen Farben schillernden Begleitmusik untermalt, wenn schon nicht konsequent anstachelnd und belebend getragen und vorangetrieben werden.

Ein Siegfried ohne Furcht und Tadel

Lance Ryan, während der letzten Probenwoche für Ben Heppner eingesprungen, ist der Titelheld. Er singt nicht so wortdeutlich wie sein lästig-tückischer Ziehvater. Doch bietet er ihm in Sachen Stimmkraft mühelos Paroli. Und nicht nur ihm. Ein Jung-Siegfried dieses sicheren, unerschrockenen Zuschnitts darf durchaus als Ereignis apostrophiert werden. Selten noch hat in den vergangenen Jahrzehnten ein Siegfried bis zum letzten, kräfteraubenden Duett mit Brünnhilde so mühelos durchgehalten wie dieser.

Gewiss, Ryans Stimme ist nicht von Gold, vielleicht nicht einmal von Bronze. Doch weiß er sie in vielen Momenten gut zu zügeln. Wenn der heranreifende Knabe von seiner Mutter träumt, dann tut er’s in kindlich-naivem Piano. Den entsprechenden Passagen im ersten Akt, aber auch dem Waldweben und den ratlos-aufgeregten Passagen vor Brünnhildes Erwachen schenkt Ryan den rechten Parlando-Ton, um bei Schmelz- und Schmiedeliedern und im Finale mit nie versiegender Kraft auch in höchste Höhen sicher vorzudringen.

Katarina Dalayman hält mit. Selbst das Hohe C zum guten Schluss stemmt sie bombensicher. In Mittellage und Tiefe singt diese Brünnhilde sogar in weich und gefühlvoll zusammenhängenden Phrasen. Womit die sonst oft mühselige letzte Dreiviertelstunde dank souveräner Sänger ohne vokale Blessuren über die Bühne ging. Ein Rarissimum.

Müder, alter Wandersmann

Die an dieser Stelle sonst vielfach verströmte heiß-heisere Luft blieb an diesem Abend dem Wanderer Wotan vorbehalten: Willard White erscheint nicht nur wie ein übermüdeter Pilger. Er klingt auch so. Die Wortdeutlichkeit sinkt in seinen Szenen auf den Nullpunkt – wo damit beinahe auch die Koordination mit dem ohnehin nicht gerade idiomatisch aufspielenden Orchester anlangt. Da schweben die Klangebenen nebeneinander her. Der Alberich von Hartmut Welker, kein Belcantist, doch ein prägnant artikulierender Schauspieler von Rang, weiß die losen Teile für kurze Frist wieder zu bündeln. Bleiben die schönen Stimmen von Anna Larsson (Erda), Mojca Erdmann (Waldvöglein) und Stephen Milling (Fafner) zu erwähnen, die der orchestralen Palette im extremen Hoch- und Tiefklangbau exquisite Zusatzfarben verschaffen.

Es herrscht „Götterrückstand“

Und die Inszenierung? Stéphane Braunschweig lässt auch „Siegfried“ in seinen schäbigen Zimmerwänden abwickeln, einige Naturahnungen durchs Fenster hereinlugen und die schlafende Brünnhilde gleich zu Beginn als Zitat des „Walküren“-Schlusses auf ihren Stilsesseln schlafen.

Mit der Personenführung im ersten Akt tut er sich, wie alle Regisseure, leicht. Er lässt die Darsteller alle komödiantischen Effekte, die hier zuhauf sich bieten, auskosten. Im übrigen bleibt, nicht wie im „Faust“ ein „Erdenrest“, sondern ein „Götterrückstand“, zu tragen peinlich: Die mythische Kraft, die in Wagners Bildern liegt, bleibt vollständig ausgeblendet, unbewältigt, gleich ob bei vordergründigen Bildern wie dem Drachenkampf oder tief wurzelnder Metaphorik wie Fafners gerade so aktuellem „Ich lieg und besitz’, lasst mich schlafen“.

Aus Welttheater wird hier Kleinkunst. Für die ist das Format von Karajans Salzburger Breitwandbühne freilich zu gigantisch.

WILHELM SINKOVICZ | 06.04.2009

klassikinfo.de

Wagner als ideologiefreie Zone

Simon Rattle dirigiert „Siegfried“ bei Salzburger Osterfestspielen und der junge Kanadier Lance Ryan empfiehlt sich als Titelheld mit Zukunftspotential

Szenisch reduziert, kammermusikalisch im Orchesterklang und liedhaft gesungen soll er sein, dieser „Siegfried“, hat Simon Rattle vorab erklärt. Der Chef der Berliner Philharmoniker setzt Wagner auf Diät. Der Ansatz verdient Sympathie. Die szenische Gestaltung von Regisseur Stéphane Braunschweig jedoch ist ziemlich dünn. Ein metallischer Kasten rahmt die weitgehend leergeräumte Bühne. Während des zweiten, im Wald spielenden Aktes ist sie mit ein paar zahnstocherdürren Bäumen dekoriert. Was sich hier abspielt, ist garantiert ideologiefrei und von entwaffnender Arglosigkeit. Es ist, als hätte sich die zentnerschwere Bedeutungsfracht, mit der Wagner seine Musikdramen beladen hat, plötzlich in Luft aufgelöst. Revolution und Kapitalismuskritik werden für diesmal freundlich, aber bestimmt ignoriert. Der metaphysische Überbau kippt weg, das Wagnersche Pathos von Schöpfung und Weltuntergang ist gestrichen, und die psychologischen Labyrinthe, die der Titelheld auf dem Weg zu sich selbst durchirren muss, interessieren hier nur am Rande. Götter, Zwerge, Drachen – das gesamte Ringpersonal schrumpft auf menschliches Normalmaß. Was dieser großen Entschlackungskur im Weg steht, wird umstandslos beiseite geräumt. Der Kampf mit dem Drachen etwa findet hinter der Bühne statt. Erst wenn Fafner bereits tödlich getroffen ist, taumelt er, zurückverwandelt in einen Mann mit Schlips und Anzug, auf die Bühne. Nach diesem in jeder Hinsicht preisgünstigen Muster funktioniert die gesamte Inszenierung. Der Goldschatz ist ein Lichteffekt, die Kostüme lassen jeden Zeitbezug im Unklaren, dafür sind die Requisiten hübsch akkurat, und den Rest besorgen die bewährten Flammen-Projektionen.

Die Chance einer solchen Reduktion des szenischen Aufwands läge in der Konzentration auf die Personenregie. Einige Szenen gelingen Stéphane Braunschweig durchaus lebendig – etwa wenn Siegfried, pubertär schwankend zwischen Aufbegehren und Anlehnungsbedürfnis, seinen Kopf in Mimes Schoß legt, als der ihm vom Tod seiner Mutter erzählt. Doch es gibt auch viel Leerlauf und Herumsteherei. Allein Burkhard Ullrich als Mime gewinnt markantes Profil: Er zeichnet diesen verschlagenen Zwerg einmal nicht als dämonische Karikatur, sondern als einen verzweifelt zerstreuten Professor, der sich hoffnungslos in seinen Plänen verzettelt. Wirklich großartig wird dieses Rollenporträt, weil Ullrich auch musikalisch auf alles Chargieren verzichtet: Endlich wird der Mime einmal wirklich gesungen, scharf und bedrohlich, wenn nötig, aber ohne das sonst übliche Kreischen und Winseln. Die übrigen Sänger haben zwar durchaus Festspielniveau, keiner aber vermag nachhaltig in Bann zu ziehen. Katarina Dalayman als Brünnhilde hat ein interessantes, farbiges Timbre, in der Höhe allerdings mit gewissen Schärfen. Für Willard White scheint die Rolle des Wanderers zu spät zu kommen, sein Baß-Bariton klingt rauh und wenig fokussiert. Besondere Neugier richtete sich auf Lance Ryan. Der junge kanadische Tenor war kurzfristig für den erkrankten Ben Heppner eingesprungen – und erwies sich als vielversprechende Begabung. Sein ausgesprochen metallischer, etwas eng klingender Tenor hat Durchschlagskraft und die nötigen Reserven, nimmt aber auch in den lyrischen Passagen mit gut gestütztem Piano für sich ein. Ziemlich störend jedoch ist Ryans mäßiges Deutsch. Die fehlenden Konsonanten seien für diesmal verziehen, aber die Vokale sind beim Singen nun mal das a und o (und bitte nicht immer nur ä und ö). Daran zu arbeiten, wäre eine lohnende Investition. Sir Simon hielt sein Versprechen: Sein Wagner klingt schlank und durchsichtig. Und so können die fantastischen Bläsersolisten der Berliner Philharmoniker ihr atemberaubendes Können wunderbar zur Geltung bringen. Was Rattle liegt, sind die eher flächigen Passagen der Partitur: Wagner als Klangflächenkomponist, der – etwa im Waldweben – Debussy und Ligeti vorwegnimmt. Aber auch der Rhythmiker Wagner scheint Rattle zu faszinieren: Die zahlreichen repetitiven Figuren haben mitreißenden Drive. Und immer wieder entdeckt man dank Rattles präziser Klangregie musikalische Details, die sonst meist im pauschalen Schönklang ertrinken. Und doch wird man nie restlos glücklich an diesem Abend. Immer wieder fehlt es am großen dramatisch-symphonischen Bogen: Jenes innere Gefälle, das Musik und dramatisches Geschehen vorantreibt und den Hörer unentrinnbar in einen Sog zieht, will sich nicht einstellen.

Nicht ganz zu Unrecht hat Wagner beansprucht, mit seinem Musikdrama das Erbe Beethovens anzutreten. Der „Ring“ bietet durchaus Musik aus symphonischem Geist – Musik, die zuerst und zuletzt auf innere Dynamik zielt. Geht man sie mit dem rechten dramatischen Impetus an, dann entsteht ein Gefühl der inneren Folgerichtigkeit. Dieser Aspekt bleibt bei Rattle unterbelichtet: Sein Zugang hat etwas Additives. Allzu oft reihen sich musikalische Hauptsätze aneinander. Zwar nimmt er viele Passagen ziemlich flott, stets aber bleibt eine gewisse Kühle spürbar. Und obwohl Rattle stellenweise durchaus dreinfährt und herzhaft zupackt, wirkt sein Wagner, pointiert gesagt, zu triebschwach. Zumal er, wohl aus dem sympathischen Bemühen heraus, den weitverbreiteten soßigen Schönklang zu vermeiden, darauf verzichtet, die expressiven Qualitäten dieser Musik voll auszureizen. „Wonnig aus Weh web‘ ich mein Lied: nur Sehnende kennen den Sinn!“ singt der Waldvogel. Von diesem Wagnerschen Sehnen und Sehren, von dieser erotischen Dynamik investiert Rattle denn doch zu wenig. Die Berliner klingen toll, der Abend ist präzise durchgearbeitet und bietet immer wieder packende Viertelstunden – aber er geht nie so sehr unter die Haut, dass man Raum und Zeit vergäße.

Bernhard Neuhoff | Salzburg, 4. April 2009

Abendzeitung

Trompeten-Strahlen

Osterfestspiele in Salzburg: Einspringer Lance Ryan triumphiert in Simon Rattles „Siegfried“, er wurde am Ende frenetisch gefeiert.

In der Opernwelt geht’s manchmal seltsam zu. Vor zwei Wochen warf der Stuttgarter Generalmusikdirektor Manfred Honeck den kanadischen Tenor Lance Ryan als Lohengrin hinaus. Dann erkältete sich Ben Heppner und Simon Rattle suchte einen neuen Siegfried für die Salzburger Osterfestspiele. Der bereits in Karlsruhe und Straßburg erprobte Ryan hatte Zeit. Er wurde am Ende frenetisch gefeiert wie der Chef der Berliner Philharmoniker.

Das war mehr als der Bonus für einen Einspringer. Bei den Schmiedeliedern und im Schlussduett, wenn die meisten Sänger untergehen, strahlte er wie eine Trompete. Ohne Spuren von Ermüdung stand er die mörderische Rolle durch. Beim Waldweben floss sein Schmelz jedoch dickflüssig. Zwar hat er nicht besonders viele Farben auf seiner Palette, und gegen Ende krähte er gelegentlich unschön. Aber er spielt den Proleten im karierten Hemd gut. Und mehr als ein Unentschieden gegen die Partitur ist bei dieser Rolle ohnehin nicht zu holen. Mit diesem Auftritt ist Lance Ryan in die Champions League der Wagnersänger aufgestiegen.

Eine weitere Entdeckung war Burkhard Ulrich als Mime. Der schlaksige Tenor verwandelt sich mit der Färbung seiner Stimme in einen scharf deklamierenden Giftzwerg. Der Wanderer kam der bassig-seriösen Stimme von Willard White entgegen: In jedem Ton der Wissenswette war er ein Gott. Das letzte Aufbäumen seines Machtwillens im dritten Aufzug hatte tragische Größe. Und zuletzt verfiel die hochdramatisch auftrumpfende Katarina Dalayman im lyrischen „Ewig war ich“ nicht ins Flattern. Ihr kurzer Auftritt war mehr als ein Versprechen für die „Götterdämmerung“, mit der sich nächstes Jahr der Salzburger Oster-Ring rundet.

Simon Rattle liegt der vielschichtige „Siegfried“ offenbar mehr als die heroische „Walküre“ des Vorjahrs, in der die Berliner Philharmoniker selbstzweckhaft brillierten. Schon im kurzen Vorspiel schillerte die Düsternis in tausend Nuancen. Der Riesenwurm in der Basstuba röhrte nicht mit brachialer Opernhaus-Alltäglichkeit. Und beim Hornruf oder dem Fluch-Motiv gab es zarte Schattierungen in der Lautstärke, die nur diese Perfektionisten so hinbekommen, weil sie nicht mit den Noten kämpfen müssen.

Stéphane Braunschweigs Inszenierung blieb läppisch und dekorativ. Die Feuer- und Schlangen-Videos von Thibault Vancraenenbroeck verdoppeln, was sowieso jeder hört und weiß. Aber was soll’s: Die musikalische Seite stimmt. Und Ostern ist nun einmal das Festival der Berliner Philharmoniker. Buhs vom Rang für den Regisseur, kurzer und heftiger Jubel für alle anderen.

Robert Braunmüller | 05.04.2009

Neue Zürcher Zeitung

Drama, in den Orchestergraben verlegt

Ein riesenhaftes Unternehmen, dieser «Ring des Nibelungen», der über Jahre hinweg die Kräfte band und sie noch bis 2010 bindet, der jeweils im Sommer beim Opernfestival von Aix-en-Provence geschmiedet und dann ein Dreivierteljahr später an die Osterfestspiele Salzburg weitergereicht wird, der jetzt beim «Siegfried» angekommen ist – und der im grossen Ganzen so enttäuschend wenig bringt. Wenn man bedenkt, mit welch visionärem Zugriff Richard Wagner seine Tetralogie in Text und Musik erdacht und zu Papier gebracht hat, in welchem Mass er die Parameter des musikalischen Theaters neu definiert, ja bisweilen als solche überhaupt erst erfunden hat, dann erscheint das, was jetzt im Grossen Festspielhaus Salzburg wieder dazu gesagt worden ist, als einigermassen schmalbrüstig.

Zwerg als Intellektueller

Zuallererst liegt das an der handwerklich korrekten, nirgends störenden Bebilderung, die Stéphane Braunschweig, Regisseur und Ausstatter in einer Person, als Inszenierung ausgibt. Recht bequem nimmt sich aus, was sich auf der Salzburger Breitwandbühne abspielt, jedenfalls unberührt von irgendeinem Gedanken oder gar einer deutenden Aussage. Das mag Wagnerianern recht sein, die sich in ihrem musikalischen Genuss durch nichts, schon gar nicht durch die Bühne stören lassen möchten – war aber selbst dem Publikum der Salzburger Osterfestspiele zu wenig: Als Braunschweig am Ende vor den Vorhang trat, musste er mit einer geballten Ladung an Unmutsäusserungen vorliebnehmen. Vor allem aber bleibt es weit hinter der Vorlage zurück und verkümmert es vor der enormen Rezeptionsgeschichte von Wagners «Ring» zur Fussnote.

Die Bühne gibt sich minimalistisch. Riesig und leer die Räume, die Braunschweig gebaut hat und die er mit etwas gar einfachen Videoprojektionen zu beleben sucht. Und sparsam der Einsatz von Requisiten. Das Schwert, immerhin, es wird geschmiedet, der Sud wird gebraut, und das Waldvögelein darf sich flatternd auf den Händen Siegfrieds niederlassen. Fafner dagegen ist erst ein Spielzeugdrache, später dann giftig gelbes Licht und Gebrüll aus dem Lautsprecher – nun, das ist nicht einfach zu lösen, denn der Alternativen sind ja nicht so viele. Interessant immerhin, dass die leere Bühne den Sängern zusätzlichen Hallraum schafft, so dass sie sich gegenüber dem mit Kraft keineswegs sparenden Orchester problemlos durchzusetzen vermögen.

Ansätze szenischen Profils sind allenfalls in der Ausgestaltung der einzelnen Figuren zu erkennen, aber auch hier herrscht wenig Konsequenz. Vollkommen flach der grosse Moment im dritten Aufzug, da Siegfried auf die schlafende Brünnhilde stösst und die beiden in einem langwierigen Prozess Mann und Frau werden. Und das, obwohl mit Katarina Dalayman eine hell und frisch wirkende Brünnhilde im Dienst stand. Und obwohl mit Lance Ryan, der anstelle des erkrankten Ben Heppner den Siegfried übernommen hatte, eine Entdeckung zu machen war. Sein Deutsch bedarf noch der Verbesserung, vor allem in den Vokalen, die zum Teil absurde Färbungen annehmen. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der er diese gewaltige Partie durchstand, die Schönheit seiner in keinem Augenblick gepressten Stimme und sein blendendes Aussehen lassen da unschwer eine Zukunft erahnen.

Etwas spannender geriet der erste Aufzug, und das vorab dank Burkhard Ulrich, einem ungewöhnlichen Mimen. Das war nicht der gellende Zwerg, sondern ein unter seinem Wert gehandelter Intellektueller mit Brille – und was der Sänger an Wortverständlichkeit erzielte, war ebenso eindrücklich wie der Reichtum seiner Gestaltungsmittel. Nicht weniger überzeugend Willard White als Wanderer; seine Stimme droht etwas an Klang zu verlieren, aber keiner weiss so würdig zu schreiten wie er. Das Rätselspiel zwischen Wanderer und Mime wurde zu einem der besten Momente des Abends. Mit Stephen Milling (Fafner), Anna Larsson (Erda) und Mojca Erdmann (Waldvogel) war die Besetzung erstklassig ergänzt, während Hartmut Welker in Ehren den ebenfalls erkrankten Dale Duesing ersetzte.

Oper als Sinfonie

Die Schwerpunkte im «Ring» aus Aix und Salzburg liegen im Musikalischen, ja eigentlich im Orchestralen. Mit Simon Rattle am Pult entfalteten die Berliner Philharmoniker auch im «Siegfried» eine Klangpracht sondergleichen. Äusserst kernig wurden die orchestralen Sätze formuliert, mit herrlicher Kraft im Tutti und virtuosen Formen der Zurücknahme ins Allerleiseste. Begleitet wird hier nicht, schon eher vorgegeben, doch steht dieser Ansatz den Ideen Wagners in ganz eigener Weise nahe. Die Berliner prägen die Osterfestspiele auch sonst, nicht zuletzt etwa in den Kontrapunkten, die heuer das Thema «Schumann und . . .» verfolgen. Wie würzig hier angerichtet wird, mag jenes Programm zeigen, das Musiker aus dem Orchester 2007 unter dem Titel «Kontra Wagner» vorgestellt haben und das jetzt bei «col legno» auf CD erschienen ist (60018). Da findet sich das «Siegfried-Idyll» ebenso wie ein Csárdás von Vittorio Monti über Themen Wagners, und das in einem Arrangement für Violine und vier Fagotte. Es darf geschmunzelt werden.

Peter Hagmann | 6.4.2009

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User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 560 MByte (MP3)
Remarks
From the Salzburger Osterfestspiele
Lance Ryan replaces Ben Heppner as Siegfried
A production by Stéphane Braunschweig (2008)