Tannhäuser

Sebastian Weigle
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
Staatskapelle Berlin
Date/Location
11 May 2003
Staatsoper Unter den Linden Berlin
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Carsten Wittmoser
Tannhäuser Reiner Goldberg
Wolfram von Eschenbach Roman Trekel
Walther von der Vogelweide Stephan Rügamer
Biterolf Bernd Zettisch
Heinrich der Schreiber Andreas Schmidt
Reinmar von Zweter Gerd Wolf
Elisabeth Evelyn Herlitzius
Venus Evelyn Herlitzius
Ein junger Hirt Nadine Lehner
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Reviews
Opernnetz.de

Bis in die Stimme zerrissen

Über drei Jahre ist sie nun alt, diese Staatsoperninszenierung von Harry Kupfer in Hans Schavernochs Bühnenbild, zwar mittlerweile unter Führung Sebastian Weigles, aber das nimmt der Kraft dieser immerhin 18. Aufführung durchaus nichts… auch wenn es besonders beim ersten Vorspiel im Orchestergraben doch ein wenig zuviel an routinierter Sicherheit war. Eine von Syberberg hintertragene Anekdote will wissen, weshalb Carlos Kleiber so schwierig sei: Nämlich habe er verlangt, dass dieselben Musiker die Aufführung bestritten, mit denen sie geprobt worden sei… ein wirklich überzogenes, also unsensibel jede Bühnengewerkschaftswirklichkeit überziehendes Ansinnen.

Etwas davon war anfangs auch hier zu spüren, doch bekam Weigle das ziemlich schnell in den Griff. Er hatte wohl auch mit einer prinzipiellen Inbalance der Staatsopernakustik zu kämpfen, die gerne Streicherhöhen etwas schluckt. Das ist besonders da schade, wo die schnellen Geigenfiguren das Pilgerthema zugleich vorantreiben wie schweben lassen. Dennoch und nicht ganz im Wagnersinn: Ouvertüren-Applaus. Der führte dann auch zu meist sehr schönem, kräftigem Spiel (nur die Hörner blieben zickig).

Schon der Vorhang: Dahinter ein Raum, der zugleich an die Kathedrale von Chartres wie Piranesis Carceri erinnert, darin fahren – man weiß nicht, ob lebende Figuren oder Schaufensterpuppen – antikisierte, zwar nackte, doch statuatisch de-erotisierte Figuren durchs Bild, vor dem der Tannhäuser, sie träumend, liegt. Er erwacht, stellt fest, dass ihm die rein-imaginäre Welt nicht genügt, und nimmt den bekannten Abschied von Venus. Es ist in dieser Inszenierung sehr schlüssig, wenn Venus und Elisabeth von derselben Frau dargestellt werden, auch wenn die Stimme Evelyn Herlitzius’ für die Filigranität Elisabeths vielleicht doch ein wenig zu brünnhildisch-stählern ist. Andererseits wird der Figur dadurch Blut gegeben, so dass man verstehen kann, weshalb Tannhäuser sie der saftigen Venus vorzieht. Bis dato ist mir das immer schleierhaft gewesen.

Schavernoch hat den mystischen Raum ganz ebenso gespalten wie Tannhäusers Seele gespalten ist: Rechts eine hohe, durch- und durchgequaderte Glasfront, hinter der vermittels Diaprojektionen Gegenwart hereingeholt wird – selbst wenn sie nur “Wald” ist und zur Jäger-Ironisierung verführt. Sicher kann man sich auch darüber streiten, ob es sinnvoll ist, die Pilger von einem düsterkargen Bahnhof abreisen zu lassen, da doch Schienen – derart symbolisch herprojeziert – in Deutschland immer an Deportationen gemahnen.

Wunderbarerweise gibt es keine Neonröhren, auch nicht im Saal der Wartburg, dafür kommen die Ritter und Grafen in bourgeoiser Militärkleidung hereinspaziert: Sinnbild eines Establishments, das, meine ich, nicht mehr in dieser Uniformierung gezeichnet werden kann; Jungs wie Bill Gates tragen längst Jeans… die Typisierung durch die Kostüme Buki Shiffs ist insofern ein wenig verlogen, zumindest ausgesprochen naiv.

Der wundervolle Wolfram Roman Trekels macht das allerdings ziemlich wett… und noch etwas… nein, das Eigentliche: Vor Aufzug II tritt ein gut gekleideter Herr vor den Vorhang und lässt den Kammersänger Reiner Goldberg sich entschuldigen… er, Goldberg, kämpfe seit drei Monaten mit einer grippalen Indisposition. Ich kann mich nicht enthalten, leise zu flüstern: “Seit drei Jahren…”, worauf die Dame in dem exquisiten Abendkleid vor mir “seit z e h n Jahren” haucht, gemeinsames Lachen über unsre Gemeinheit (schade, dass in der Pause ihr Freund kam)… und schon kämpft Goldberg weiter. Aber genau das – nämlich die Intensität, mit der er sich durch diese Partie quält – ist es, was der Charakter des Tannhäusers braucht, ja was ihn tatsächlich glaubwürdig macht. Mit etwas erweiterter Bosheit ließe sich annehmen, der pfiffige Kupfer habe die Rolle extra mit jemandem besetzt, der ihr nicht (mehr) gewachsen ist und – zusammenbrechen muss. Tannhäusers Schwäche wird im Laufe des Abends immer deutlicher, immer zwingender (anders als der auch gestisch überforderte Biterolf Bernd Zettischs), zumal sich Venus/Elisabeth bewundernswerterweise immer stählerner – ich möchte sagen: matriarchaler – aussingt.

Dieser Aspekt von frouwe macht klar, weshalb der Riss nicht nur zwischen Tannhäuser und den Männerbündlern der Wartburgsänger, sondern auch zwischen denen und Elisabeth/Venus verläuft. Wenn eine Inszenierung so etwas noch drei Jahre nach ihrer Premiere zu bewirken vermag, kann man eigentlich nur empfehlen, sich eine Aufführung anzusehen, und zwar auch oder sogar gerade dann, wenn man – wie ich – mit der Interpretation des Opernschlusses durchaus nicht einverstanden ist. Ja, wenn man sie – wie ebenfalls ich – für verfehlt hält, weil es zum Beispiel ziemlich deus-ex-machinal ist, die bourgeoise Gesellschaft ganz plötzlich den Pilgerchor übernehmen und sie und höchstselbst den Papst vom entseelten Tannhäuser oder (s)einem donnernden und blitzenden Geist von der Bühne pusten zu lassen.

Aufführung vom 18. Mai 2003

Rating
(4/10)
User Rating
(2.5/5)
Media Type/Label
HO, PO
Technical Specifications
561 kbit/s VBR, 44.1 kHz, 732 MByte (flac)
Remarks
In-house recording
A production by Harry Kupfer