Tannhäuser

Christian Thielemann
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2004
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Kwangchul Youn
Tannhäuser Stephen Gould
Wolfram von Eschenbach Roman Trekel
Walther von der Vogelweide Clemens Bieber
Biterolf John Wegner
Heinrich der Schreiber Arnold Bezuyen
Reinmar von Zweter Alejandro Marco-Buhrmester
Elisabeth Ricarda Merbeth
Venus Judit Németh
Ein junger Hirt Robin Johannsen
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Online Musik Magazin

In bunten Bildern toben Leidenschaften

Größer kann der Kontrast kaum sein. Nach Schlingensiefs gnadenlos überbebildertem und trotzdem fadem Assoziationsragout zum Thema „Parsifal“ wirken die ästhetisch-bunten, eher einfachen und eindeutigen Bühnenbilder zum Tannhäuser angenehm unaufdringlich, und trotzdem nicht beliebig. Während man Schlingensiefs Gedankenbildern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, bietet Philippe Arlaud weniger spektakulär spannende Ansatzpunkte greifbarer Interpretationsmöglichkeiten – und mehr Chancen zu verstehen. Gleichzeitig zeigt sich hier, welche Früchte die für Bayreuth typische Weiterarbeit an einer Produktion hervorbringen kann. Mausert sich dieser Tannhäuser doch von der bunt bebilderten Langeweile des Premierenjahres in seinem dritten Jahr zu einem sehens- und hörenswerten Glanzpunkt der Bayreuther Festspiele.

Das eckige und sperrige Bühnenbild des ersten Bildes lässt Tannhäusers Unbehagen gut nachempfinden. Der eingeengte Künstler ist, fast faustisch, von Selbstzweifeln geplagt. Den Spaß am Sex im Venusberg hat er verloren, oder hat der Venusberg den Sex verloren? Kein mehr oder weniger anzügliches Ballett, nur drei Grazien, die sich öde-züchtig fließend bewegen. Ein männlicher Torso aus Gips deutet an, dass es hier früher wohl mal um etwas anderes ging. Früher. Denn auch Frau Liebesgöttin Venus ist so unerotisch wie es nur geht. Mann traut ihr eher Verführungskünste mit Pralinés und Pfannkuchen zu. Oder hat sie etwas ganz anderes im Sinn? Will sie seine Seele oder sein Bestes? Letzteres hält er in der überdimensionalen Schamschutzkapsel seines lederartigen Outfits unter Verschluss. Nein, dieser Venusberg bietet keine sexuellen Freuden, ist absolut jugendfrei. Das muss Absicht sein.

Vielleicht handelt es sich bei Frau Venus um Tannhäusers Muse. (So wie Wagner sich gern von einer neuen Liebschaft zum Komponieren inspirieren ließ). Doch Frau Venus’ Küsse zünden nicht mehr (weder als Muse noch als Frau). Papiere mit verworfenen Entwürfen bedecken den Boden. Das treibt den Künstler aus dem inspirationsverarmten Gefängnis. Der Sänger singt sich frei, die Venus schreit und entschwebt nach oben hinten in den Bühnenhimmel. Das macht Effekt.

Der Interpretationsansatz ist sicher spannend. Doch der Kontrast zu Elisabeths „reiner“ Liebe wird blass und Tannhäusers Überdruss an geilen Lüsten wird eliminiert – sie sind ja gar nicht mehr da. Auch wird der Handlung ein gutes Stück des gesellschaftlichen Konfliktes zwischen Tannhäuser und der Wartburggesellschaft geraubt. Sie verurteilen ihn wegen der sexuellen Schweinereien im Venusberg, nicht weil eine hochgeschlossene, knallrote Matrone ihn gelangweilt hat.

Nach der Verwandlung liegt Tannhäuser endlich wieder in der Natur. Diese Wiese! Und so viel! Da tobt sich der Regisseur in seinem eigenen Bühnenbild so richtig aus. Die Schatten der ankommenden Jagdgesellschaft wirken bedrohlich, ja fast schon erschlagend. Ihr gehören auch Damen an. Da nutzt man die Gunst der Stunde schon mal zu einem Schäferstündchen am toten Schwan. Oder an einer toten Gans? Das war trotz Befragung eines Waidmanns in der Pause nicht eindeutig festzustellen. Nur Hasen sind es hier nicht. Klar wird aber, dass die Moral der Wartburggesellschaft es ihr eigentlich nicht erlaubt, Tannhäuser zu verurteilen. Besonders beeindruckend in diesem Bild: Die elegant-einfachen Kostüme aus edlen Stöffchen.

Die schwarz-weiß-roten Kostüme der Sängerfestbesucher muten dagegen futuristisch an. Innerhalb des variantenreich vielfarbig beleuchteten Szenenbildes erinnern sie ein bisschen an einen Song-Contest einer „Star-Trek“-Folge. (Unter dem vielen Plastik müssen die Choristen bei der Hitze mächtig geschwitzt haben). Pathetisch-unnatürliche Gesten erinnern an eine verkrampft vornehme Gesellschaft. Die Minnesänger werden von ihren weiblichen Fans bejubelt und angehimmelt. Dass Tannhäuser nach seinem Venusbergbesuchs-Outing wie sein eigener Cheerleader mit zwei weißen Blumensträußen um sich wuschelt, wirkt dann aber doch etwas albern.

Nach dem Sängerfest des zweiten Aktes erlebt man im dritten Akt ein Beleuchtungsfest. Die gleichmäßig rotblumig bewachsene grüne Wiese aus dem zweiten Bild des ersten Aktes erscheint zunächst in herbstlichen Brauntönen. Auffällig ist, das Wolfram Tannhäuser mit der gleichen Geste an der gleichen Stelle begrüßt wie im ersten Akt. Nachtragend ist er nicht und er verurteilt seinen Konkurrenten auch nicht. Beim Erscheinen der Venus mischen sich Lila (die Farbe der Buße) und das Rot der Erotik beißend zu einem magentafarbenen Licht. Den Kampf gewinnt dann aber doch das Wiesengrün in dem der oratorische Schlußchor die Erlösung des Sünders durch das Zeichen der Natur verkündet. Eine Farbenlehre, in der die Bilder manchmal die Grenze zum Kitsch ausloten, aber doch immer ästhetisch bleiben.

Musikalisch wurde der „Tannhäuser“ durch die Umbesetzung zweier Hauptpartien immens aufgewertet. Stephen Gould ist der neue Tannhäuser. Und was für ein Tannhäuser! Er teilt seine Kräfte klug ein. Manchmal klingt dadurch die Höhe etwas eng oder rauchig. Doch mit glanzvoll-klaren Tönen lässt er seinen Tenor hell strahlen, wo er strahlen muss, und nimmt ihn nur dort ein wenig zurück, wo er es sich erlauben kann. So bewältigt er die mörderischste aller Wagnertenorpartien bravourös. Diese „Erbarm dich mein“-Rufe muss man ihm erst einmal nachsingen. Mit der Romerzählung setzt er einen weiteren Akzent. Stimmlich wäre das nichts Besonders. Auch Sänger, die schon im zweiten Akt baden gehen, haben die Romerzählung trotzdem noch drauf. Das Besondere an Stephen Goulds Darstellung ist die Intensität, mit der er nahezu jedes Wort ausdeutet. Da gehen dem Zuhörer die Seelentrümmer des unentsündigten Sünders durch und durch. Welchen Ekel er mit „Nicht such ich dich noch deiner Sippschaft EINEN“ ausdrückt. Und welchen Selbstekel, wenn er bei „Die Stätte, wo ich raste, ist verflucht“, mit dem Pilgerstab einen virtuellen Kreis um sich zieht. Einen solchen Tannhäuser erlebt man selten.

Als zweite Umbesetzung konnte Judith Nemeth der Venus deutliches Profil verleihen. Nun ist die Figur in der Charakterisierung dieser Inszenierung nicht die lustverströmende Verführerin, die man als Liebesgöttin erwarten könnte. Entsprechend wenig erotisch klingt sie auch. Aber Judith Nemeth’ Stimme hat reiche Substanz und kann blühen und strahlen.

Ricarda Merbeth ist als Elisabeth auch im dritten Jahr noch gewöhnungsbedürftig. Ihr Sopran verfügt nicht über die klare Reinheit, die man mit der Partie assoziiert. Ihre zuweilen eigenwillige Artikulation und Färbung der Vokale beeinträchtigen das Klangbild. Im Gebet lässt sie die Emotionen strömen anstatt exakt zu singen. Das klingt ein bisschen instabil. Eindrucksvoll bleibt es aber, wenn sie sich stimmlich kraftvoll schützend vor Tannhäuser gegen die Wartburggesellschaft stellt.

Wolfram ist ein Dichter und Denker – aber denkbar blutleer. Er ist hilfsbereit immer zur Stelle. Doch was nützt das, wenn sie ihn doch nun mal nicht will. Ob ihn das emotional wirklich belastet, bleibt zu bezweifeln. Einen leidenschaftsloseren Wolfram kann man sich kaum vorstellen. Roman Trekel setzt die regieliche Vorgabe eins zu ein um. Gesanglich ist das bedauerlich. Die Stimme klingt überwiegend blaß und matt. Sein erster Gesang im Sängerstreit zerfällt in introvertiertem Sprechgesang. Der „Abendstern“ hat schon wieder mehr Kontur.

Das üppige Material seines profunden, runden Basses kultiviert Kwangchul Youn als Landgraf auf recht individuelle Weise. Zuweilen wirken seine Ausdrucksvarianten etwas archaisch. Gern würden man den einen oder anderen großen Bogen hören, den er mit seiner große Stimme formen könnte. Aber die herrliche Sattheit seiner Töne begeistert auch so.

Den Haudrauf Biterolf charakterisiert John Wegner adäquat, wenngleich seine Stimme – vielleicht durch den Klingsor ermüdet – etwas weniger präsent klingt als gewohnt. Als Walther von der Vogelweide verströmt Clemens Bieber leichten, tenoralen Schönklang. Das gleiche gilt für Arnold Bezuyen als Heinrich der Schreiber. Alexander Marco-Buhrmester fügt sich als Reinmar von Zweter mit angenehm warmem Bariton in die Riege der Minnesänger ein. Die Sopranistin Robin Johannsen singt einen knabenhaften Hirten. Als Edelknaben sind Nicole Rösch, Susanna Martin, Camilla Singh und Constance Heller zu hören. In gewohnter, höchster Qualität rundet der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor mit sattem, aber dennoch transparentem und ausgewogenem Klang die vokale Seite der Aufführung luxuriös ab.

Auch wenn es zu einzelnen Stimmen das eine oder andere anzumerken gibt, ergibt sich dennoch eine Ensembleleistung, die deutlich macht, was das Besondere einer Bayreuther Aufführung sein kann. Dass aus dem Besonderen dann noch das Wunderbare wurde ist dem Mann am Pult zu danken. Christian Thielemann lässt die Leidenschaften toben. Die Chromatik des Venusberges flirrt und sirrt, und Thielemann zeigt, dass die oft geschmähte Dresdner Fassung ihre besonderen Reize hat. Er arbeitet Nebenstimmen heraus, ohne den großen Bogen zu vergessen, ohne den Sog der Musik zu vernachlässigen. Er nutzt die ganze Breite des dynamischen Spektrums, die die wunderbare Akustik des Festspielhauses bietet. Er vereint die scheinbar gegensätzlichen Ansprüche eines intellektuellen Seziermesserdirigats und eines emotionalen Schwelgens in Musik. Das Festspielorchester geht in gewohnter Luxusqualität bedingungslos mit.

FAZIT

Große Begeisterung und großer Jubel für eine eindrucksvolle Gesamtleistung, besonders aber für Gould und Thielemann. In Bayreuth fühlte sich das Publikum nach dieser Aufführung wieder wie in Bayreuth.

Bernd Stopka | Rezensierte Aufführung: 4. August 2004

Rating
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User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Premiere 1555
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 433 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Philippe Arlaud (2002)