Tannhäuser

Philippe Auguin
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Date/Location
15 February 2004
Deutsche Oper Berlin
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Stephen Milling
Tannhäuser Robert Gambill
Wolfram von Eschenbach Detlef Roth
Walther von der Vogelweide Clemens Bieber
Biterolf Harold Wilson
Heinrich der Schreiber Jörg Schörner
Reinmar von Zweter Rolf Tomaszewski
Elisabeth Angela Denoke
Venus Petra Lang
Ein junger Hirt Robin Johannsen
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Wagner-Interpretation vom Feinsten

Der Deutschen Oper Berlin ist es zu danken, dass sie im Unterschied zu vielen Häusern auch größerer Städte ein solides Kontingent an Produktionen älterer Jahrgänge im Spielplan lebendig erhält. So hatten wir nun das Glück, dem Jubiläum der 50.Aufführung des Tannhäuser in der Inszenierung von Götz Friedrich von 1992 beizuwohnen. Es war ein wirklich großes Glück !

Wie weiland Wotan in der Essener Walküre (1996) mit Kreide seinen Wahlspruch: “Eines nur will ich noch: das Ende – ” auf die Tafeln hinter sich in großen Lettern schrieb, tat vor ihm schon Friedrichs Tannhäuser etwas Ähnliches, hier allerdings verteilt auf mehrere Aufzüge; und wie Wagner noch in seinen letzten Tagen meinte, “der Welt noch den Tannhäuser schuldig” zu sein, wollte Götz Friedrich offenbar diese Bürde nicht weiter tragen. Nun löst man weder Welt- noch Kunsträtsel an einem Abend, aber man kann der Lösung schon verdammt nahe kommen, Götz Friedrich sei Dank!

Bereits Vorspiel und Bacchanal verdienten eine eigene Rezension, erzeugen sie doch mit ihren mehr als professionellen Tanzdarbietungen eine Aura überzeugender Erotik ohne jeden Hang zur Peinlichkeit. Meisterlich, wie jede Geste sitzt, wie alles sich zum Ganzen fügt und in perfekter Entsprechung zu Wagners Dichtung und Partitur jedes Detail so eingesetzt ist, dass es Träger von Sinn und Bedeutung im Rahmen einer größeren Konzeption wird, derweil gleichzeitig alles unterbleibt, was als überflüssiges Zierrat nur ablenken würde.

Das perfekte Gleichgewicht zwischen notwendigem Bezugsrahmen einerseits und distinkter Materialisationsverweigerung andererseits fand seinen passenden Ausdruck in der Andeutung der Burganlage als bloß technische Bauplanzeichnung von Architektenhand, die – auf mobiler Wand befestigt – zugleich einen Lettner zwischen Sängerhalle und Vorraum schafft.

Die Verbindung von Eros und Thanatos, die im Tannhäuser anders als im Tristan freilich weniger deren Erfüllung verspricht, sondern vielmehr als Weg verstanden werden will, deren dauernde Nichterfüllbarkeit hinzunehmen, veranschaulichen Symbolen wie Gondeln und Skelette, und “das Grab im Herzen”, von dem Tannhäuser in der hier zurecht verwendeten Pariser Fassung singen darf, findet seinen Niederschlag in einer morbiden Aura, die sich zum guten Teil auch dem polarkalten Licht verdankt, das nicht nur die Winterlandschaft des 3.Aufzuges definiert, sondern braungetönt auch die Wartburggesellschaft vor ähnlich vernebeltem Gebirgspanorama wie außerhalb der Restwelt situiert und dadurch die Unentrinnbarkeit der darin waltenden Machtstrukturen unterstreicht.

Damit ist auch die Arbeitsteilung zwischen Ausführung und Andeutung klar geregelt und dem singenden Personal ein Rahmen gestellt, der es hier der Venus gestattet, in geradezu züchtiger Spannung zu agieren, derweil im 2.Aufzug Tannhäusers Wiederbegegnung mit Elisabeth explosive Hochspannung ohne jeden Körperkontakt zeitigt.

Verweisen seine zerrissenen Manuskripte noch auf die Problematik des Künstlers und die Bedingungen seiner Schöpferkraft – ein Bild, dem in den Folgejahren immer mal wieder zu begegnen war – so stellen die Glaswände mit Spiegelbildpantomime den Innenbezug seiner Phantasien her, wobei gewiss mancher Zuschauer darauf gebrannt haben dürfte, mit Robert Gambill zu tauschen.

Der nicht ganz fassliche Sinneswandel des Titelhelden angesichts der gleichermaßen wenig fasslichen Erschütterung Elisabeths – hat er doch nicht viel Anderes verkündet als was all die Zeit ihr gemeinsames Credo in Liebesdingen war – ist einer der typischen Schwachstellen der Dramaturgie aus Wagners eigener Schuld und sicherlich eine der Hauptursachen seiner bleibenden Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschöpf. Götz Friedrich setzt nun weniger darauf, die Falschheit einer bigotten Moral vorzuführen, wozu aktualisierende Bezüge auf den amtierenden US-Präsidenten und dessen allenernstes und sogar öffentlich vorgetragene Ansichten zur Verwerflichkeit von Sex vor der Ehe ein gefundenes Fressen abgegeben haben könnten, wenn es sich um eine Neuproduktion gehandelt hätte. Er bemüht stattdessen Tannhäusers Trance, der ungeachtet der parallel über ihn verhängten Bannsprüche die Sängerstühle und also wie unter Hypnose dazu kommt, dem Druck zur Pilgerfahrt nachzugeben – welch grandiose Lösung dieser Frage!

Ebenso fällt im Finale die Erlösung weitgehend aus, wofern die heilsverkündenden Chöre nichts als innere Stimmen sind, die im Schlusschor aus gleißend blauem Nebel in individueller Unkenntlichkeit Schattenbrecher des von hinten nachdrückenden Blendlichtes sind und einzig die beschrifteten Holztafeln “Tannhäuser” und “schuldig” als unmissverständliche Aussage einer tödlichen Künstlerneurose übrig lassen.

Hier hat es einer vermocht, den Unterschied von Oper und Musikdrama am lebendigen Beispiel zu belegen!

Auch dem singenden Personal darf herzlich gedankt werden. Robert Gambill agiert als echter Dramatiker und zeigt sich engagiert an der Sache, wobei eine noch weitere Verbreiterung des Gestenspektrums denkbar bleibt. Die ganze Unentschlossenheit der Figur bringt er erkennbar zur Entfaltung und folgt gleichermaßen unüberzeugt zunächst den alten Sangesbrüdern an den Hof wie hinterher den Pilgern auf ihre quasi-therapeutische Reise, um im Finale den letzen festen Vorsatz seines Lebens – Rückkehr zu Venus – auch noch umzuwerfen. Er weiß seine Kräfte schonend einzuteilen und braucht sie nie reservefrei auf, was in manchen ff-Passagen dazu führt, dass man vielleicht ein Quäntchen mehr Glanz erhofft haben mag.

Detlef Roth als Wolfram spart nicht an Wärme und gewinnt als einziger aus der Schar der Dagebliebenen individuelle Kontur, womit für Biterolf und Walther keinerlei Raum zur Profilgewinnung bleibt – angesichts nur je eines Gesanges ohnehin etwas schwierig. Der riesige Bühnenleerraum nach Abzug der älteren Pilger macht dem Durchdringen seiner Stimme zwar spürbar zu schaffen, ermöglicht aber zugleich so wundervolle Effekte wie den, dass Wolfram als derjenige, der soeben seinen finalen Korb von ihr kassiert hat, nun ihren abgefallenen Mantel als Fetisch seiner unerfüllten Liebe aufgreifen und wie zur symbolischen Beerdigung hinten ablegen kann.

Petra Lang gab ihrer Venus jene faszinierende Timbrierung, die bereits eine Kundry hindurchhören lässt, und die Elisabeth der Angela Denoke, Opernwelt-Sängerin des Jahres 1999, zeigte mit ihrer perfekten Synthese von Spiel und Gesang, wofür sie diese Auszeichnung erhalten hatte. Auch bei ihr dominierte eine leicht dunkle Stimmfärbung, was für ihre Partei gewiss eher ungewöhnlich ist. Durch ihre überzeugende Gesamtdarstellung vermochte sie so, ihrer Gestalt Aspekte abzugewinnen, für deren Parallel man schon recht weit in der Aufführungsgeschichte zurücksuchen müsste.

Auch Landgraf Hermann wurde von Stefan Milling weniger als grundgütiger Großvater interpretiert, sondern erhielt eine markante Schärfe, wenn er in der großen Festansprache vor Eröffnung des Sängerkrieges das gut erkennbare Militär offen brüskiert, indem er den Beitrag von Kunst und Künstlern zu Ruhm und Schutz des Reiches für ebenbürtig erklärt.

Das Orchester der DOB musizierte wieder in bekannt-optimaler Verfassung und spielte die Stärken seines exzellenten Blechapparates voll aus. Nur wie um manche übereilte Tempovorgabe Philippe Auguins musikantisch rügen zu wollen, gerieten die Violinen genau in solchen Passagen manchmal in Unsicherheit und eierten etwas hinterher.

Besondere Auszeichnung verdient auch der Chor des Hauses, dessen Frauenstimmen im Sirenenchor genau jene misterioso-Stimmung hervorrufen konnten, die man andernorts oft vergeblich erhofft, und auch die Herren, die vergleichsweise häufig aus dem off zu singen hatten, erreichten dabei dennoch eine höhere Klangpräsenz und Textverständlichkeit als so mancher Opernchor mitten auf der Bühne.

Ein dickes Lob auch dem Hause, dessen Strukturen offenkundig dafür Sorge tragen, dass noch in der 50.Nachaufführung Premierenspannung waltet und die gestaltende Durchdringung des Materials bis in die Details durchgehaltenen Gestaltungswillen dokumentiert.

Anstelle eines Einzelheftes wurde der Programmsammelband der Richard-Wagner-Tage 2003 verkauft, der im üblichen Festspielformat gehalten ist und neben umfangreichem Bildmaterial zu den damals aufgeführten 9 Werken allesamt in Inszenierungen von Götz Friedrich auch eine Chronologie der Charlottenburger Oper und ihrer intensiven Wagnerpflege bietet und damit eine kostbare Zusammenfügung von sonst nur verstreut zu findenden Quellen darstellt.

FAZIT

Eine nahezu perfekte Personenregie mit Liebe für’s Detail – deren es bei Wagner stets bekanntlich viele gibt – und gleichzeitig dem nötigen Sinn für den großen Wurf, dies wiederum in nahezu perfekter Synthese macht die Inszenierungen des Götz Friedrich zum bleibenden Quell optimaler Inspiration und zum Kronjuwel der Wagnerinterpretation überhaupt. Möge die DOB den Mut behalten, diese herrlichen Produktionen noch für lange Zeiten lebendig zu erhalten!

Ralf Jochen Ehresmann | Deutsche Oper Berlin 15.02.2004

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 450 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Götz Friedrich (1992)