Tannhäuser

Paolo Carignani
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Museumsorchester
Date/Location
28 January 2007
Opernhaus Frankfurt
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Magnús Baldvinsson
Tannhäuser Ian Storey
Wolfram von Eschenbach Christian Gerhaher
Walther von der Vogelweide Peter Marsh
Biterolf Gregory Frank
Heinrich der Schreiber Michael McCown
Reinmar von Zweter Jacques Does
Elisabeth Danielle Halbwachs
Venus Elena Zhidkova
Ein junger Hirt Silvin Bumiller
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Reviews
Tagesspiegel

Heiliger Klimbim

In Frankfurt wird schon vor und während der Ouvertüre gepilgert, und wenn die Venusmusik erklingt, denken alle an Sex und tun so als ob, und das Ganze erscheint wie ein aus den Fugen geratener Jakobsweg. Unwillig verabschiedet sich Tannhäuser von einer lolita-artigen Venus (mit expressivem Mezzo: Elena Zhidkova). Die Sänger-Kollegen demonstrieren, dass man Musical-Terrain betritt. Putzfrauen und Blumenkübel gehören zum Open Air (Bühne Johannes Leiacker), Kamera läuft, Staatsakt. Die inhaltliche Stringenz des Sängerkrieges aber, Tannhäusers dämonischer Zwang, das Preislied auf die Liebesgöttin zu singen, teilt sich kaum mit. Rührend dagegen ein Konwitschny-Zitat aus dessen Dresdner „Tannhäuser“: Beim Lied an den Abendstern stirbt Elisabeth in Wolframs Armen.

Knapperen Applaus nach einer Wagner-Oper als diesen in Frankfurt hat es wohl nie gegeben: Die Leute streben nach Hause, weil der Streit um Nemirovas Regie nicht lohnt. Denn die großen Partien der Elisabeth (Danielle Halbwachs), des Landgrafen (Magnus Baldvinsson) und des Titelhelden (Ian Storey) sind unzulänglich besetzt, die Interpretation des Dirigenten Paolo Carignani bleibt eigenschaftslos. Man stelle sich vor, dass in einem „Tannhäuser“-Ensemble der Wolfram (Christian Gerhaher) und der junge Hirt (Silvin Bumiller, ein wahrhaft göttlich singender Solist von den Aureliusknaben) den intensivsten Beifall ernten. Mit vollem Recht.

SYBILL MAHLKE | 03.02.2007

Neue Zürcher Zeitung

Heutige Pilger

Auch in Frankfurt steht bei der «Tannhäuser»- Neuinszenierung der Generalmusikdirektor am Pult, Paolo Carignani, und auch er pflegt einen schlanken, unpathetischen Ton, wobei das Museumsorchester klangliche Nuancen weit besser zu realisieren vermag und die motivischen Strukturen klarer nachzeichnet als das Niedersächsische Staatsorchester in Hannover. Defizite bestehen hier im musikalischen Teil vor allem bei der Sängerbesetzung. Der Sopran von Danielle Halbwachs (Elisabeth) klingt flackrig und wird zu wenig gestützt, Elena Zhidkova ist eine elegante, doch im Timbre kühle Venus, und Ian Storey (Tannhäuser) verfügt zwar über mehr (auch zarte) Zwischentöne und grössere Stabilität als sein Kollege in Hannover, doch wird sein Tenor durch ein starkes Vibrato beeinträchtigt. Die herausragende Erscheinung im Frankfurter Solistenensemble ist Christian Gerhaher, der dem Wolfram mit der Gestaltungskraft des Liedersängers vokale Kontur verleiht.

Der Chor ist in Frankfurt nicht nur weit grösser als in Hannover, er erhält in der Inszenierung von Vera Nemirova zentrale Bedeutung (ohne seiner Funktion allerdings sängerisch immer ganz gewachsen zu sein). Ausgangspunkt für ihre Regie waren die Bilder, die nach dem Tod des letzten Papstes und beim Kölner Weltjugendtag durch die Medien gegangen sind: Massen von Menschen mit Rucksäcken und Decken, die sich in buntem Gemisch zusammenfanden: So sehen heutige Pilger aus. Aus diesen Bildern hat Nemirova zur Ouverture ein szenisches Vorspiel entwickelt, das auf verblüffende Art dem musikalischen Geschehen entspricht. Wie sich in der Ouverture Pilger- und Venusberg-Motive verschränken, so wird auf Johannes Leiackers Bühne aus dem innigen Gebet der um das Kreuz versammelten Gläubigen eine kollektive Umarmung. Nahtlos geht dieses Vorspiel in den ersten Akt über, wobei die bewegte Massenszene und die Auseinandersetzung zwischen Tannhäuser und Venus auf der leer gewordenen Bühne wirkungsvoll kontrastieren.

Auch die folgenden Szenen und Akte hat die junge bulgarische Regisseurin in heutige Bilder umgesetzt, stets gruppiert um jenen hässlichen Kandelaber, der die optische Konstante dieser Aufführung bildet. Die Natur, zu der sich Tannhäuser zurücksehnt, verkörpert ein Kind (ein Sängerknabe, der den Hirten mit phänomenalem Knabensopran singt), das mit Kreide Felder auf den Boden zeichnet und darauf «Himmel und Hölle» spielt. Die Jagdgesellschaft des Landgrafen (Magnus Baldvinsson) betritt den Schauplatz wegen einer Autopanne und erweist sich als Sängergruppe im Stil der Comedian Harmonists, die in Tannhäuser ihren abtrünnig gewordenen Inspirator wiederfindet – für die Rückkehr wird er mit einem Rüschenhemd eingekleidet und mit einem Ständchen beehrt.

Professionell ist danach der Sängerwettstreit organisiert: mit geschmückter Zuschauertribüne, Blumen, Kamerateam, Leinwand (auch die Bierwerbung fehlt nicht). Doch das Illustrative wird bei Nemirova nie dominant, dazu ist ihre Personenregie zu stark. So auch, wenn sie beim Sängerwettstreit nicht nur Elisabeth, sondern sämtliche Frauen Partei ergreifen lässt für Tannhäuser, der die körperliche Liebe besingt. Doch nachdem er die Provokation zu weit getrieben und den Aufenthalt im Venusberg bekannt hat, wendet sich das Blatt, legen die Männer Elisabeth den Mantel einer Heiligen um und fallen vor ihr auf die Knie. So, als demütige Wohltäterin, spendet sie dann im dritten Akt den erschöpft zurückgekehrten Rom- Pilgern Wasser, bevor sie sterbend niedersinkt, zärtlich umfangen von Wolfram. Bis auf die hektisch vorbeihuschenden Venus-Dienerinnen ist der Schluss bei Nemirova sehr ruhig, dunkel und offen, nur die wolkige Himmelsszenerie und der nochmals erscheinende Knabe lassen die vielschichtige, manchmal auch überdeutliche und plakative, doch stets spannende Aufführung mit einem Hoffnungsschimmer ausklingen. Während sich Himmelmann in Hannover mit einer vordergründigen Aktualisierung begnügt hat, ist Nemirova in Frankfurt eine echte Vergegenwärtigung von Wagners «Tannhäuser» gelungen.

SMarianne Zelger-Vogt | 03.02.2007

Opernnetz.de

Tannhäuser dreht auf

Tannhäuser ist ein paradigmatischer Mensch, ein Künstler vielleicht, der auf seiner Suche nach Ekstase im Konflikt zwischen innerlich-religiösem Erlösungswunsch und äußerlich-sinnlichen und sexuellen Wünschen zerrieben wird. Um diesen Konflikt darzustellen – man mag dies aus heutiger Perspektive belächeln – hat Wagner zwei antagonistische Frauengestalten auf die Bühne gestellt. Elisabeth, die Reine und Holde, die sich am Ende für den Helden opfert (ein immer wiederkehrendes Element in Wagners Oeuvre und anscheinend auch fester Bestandteil seiner Phantasie), auf der anderen Seite die verführerische Venus, die den armen Kerl durch ihre weiblichen Lockungen ins Verderben führt – und dabei auch noch auf ihren eigenen Vorteil aus ist. Böse ist das.

Soweit so schlecht. Es kann sicher nicht schaden, wenn sich eine Regisseurin mal Gedanken über dieses Phantasma macht. Dennoch ist es meines Erachtens kaum möglich, den paradigmatisch anhand zweier Frauenfiguren dargestellten Widerspruch zwischen sinnlichen Verlangen und Erlösung außer acht zu lassen oder auch nur abzuschwächen. Ob es uns passt oder nicht, aber darum dreht sich im Tannhäuser alles und der Titelheld scheitert letztlich an der völligen Unvereinbarkeit beider „Welten“.

In ihrer ersten Regiearbeit an der Oper Frankfurt hat die Konwitschny- und Berghaus-Schülerin sich bewusst von diesem Konflikt wegbewegt. Für sie sind Venus und Elisabeth gar nicht so polar, sondern Elisabeth ist auch eine Liebende und die Venus nicht nur schlecht. Diese Annahme ist ziemlich banal und trägt meines Erachtens kaum als Konzept für eine Regiearbeit. Zumal beide Frauencharaktere erstaunlich passiv agieren und wenig Profil entwickeln. Venus (Elena Zhidkova) ist eine Art postmodernes Hippie-Mädchen oder Bad Girl, das sich seine eigene treue Peer Group hält – junge Menschen, die aussehen als wären sie beim katholischen Weltjugendtag an den falschen Info-Stand in die Fänge einer Lust-Heiligen geraten – mitsamt ihren Iso-Matten.

Bereits in der ersten Szene, während des Tannhäuser-Vorspiels, dürfen diese befreiten Christen nach inbrünstigem Gebet endlich (Ekstase!) ihre Kleider vom Leib reißen, hopsen, jauchzen und auch ein wenig tatschen. Sobald ein Kreuz in Sicht kommt sind diese jungen Menschen jedoch wieder ganz bei der Sache. Hier lernt der geneigte Betrachter, dass sich religiöse und sinnlich-erotische Ekstase in ihrer Struktur ähneln.

Tannhäuser ist offenbar der momentane Lebensabschnittsgefährte der zickigen Venus. Dennoch will er unbedingt weg – wie wir alle wissen, zieht es ihn zu den Menschen hin, soviel göttliche Nähe erträgt er nicht mehr. Doch als wir dann seiner Kumpane von früher ansichtig werden, den Wolfram, den Walther, Heinrich, Biterolf und Reinmar, fragt man sich dann doch, weshalb er unbedingt dahin zurück wollte. Offenkundig war Tannhäuser vor seinem Ausflug zu den christlichen Hippies als Gitarrist bei einer eher zweitklassigen Combo tätig, jedenfalls wirken die Jungs in ihren schwarzen Jacketts und tief-violett glänzenden Hemden wie ein schlechtes Blues-Brother-Cover aus der Vorstadt.

Im zweiten Akt kommt Elisabeth (Danielle Halbwachs) ins Spiel. War sie einmal die Lead-Sängerin der Combo? Irgendwie gehört sie jedenfalls dazu. Die Sängerhalle ist ein festlich geschmücktes Fernsehstudio. Offenbar naht die Live-Übertragung eines großen Sängerfestes. Der Chor marschiert ein, die Combo nimmt Platz, der erste Vortrag beginnt. Davor hat netterweise der sponsorende Bierkonzern noch eines seiner Erzeugnisse kredenzt. Im Hintergrund die Werbeeinblendung. Schließlich kommt es zwischen Wolfram und Tannhäuser zu Eskalation. Tannhäuser beharrt auf seinen im Venusberg neu erworbenen Erkenntnissen über die Liebe und demonstriert sie zugleich vor laufenden Kameras an der weiterhin passiven Elisabeth. Das ist nun zuviel des Guten, weshalb er sich dann auf den Weg nach Rom macht, um zu büßen – was bei dieser Inszenierung allerdings als völliges Rätsel erscheint, weil ihm niemand abnimmt, dass er sich als Sünder empfindet. Und wo liegt überhaupt die Sünde? Und wo der Konflikt?

Im dritten Akt, der in einem recht leeren Raum abläuft, wird dann nur noch recht lieblos der Rest der Handlung erzählt. Irgendwann ist Elisabeth dann tot. Weshalb, erschließt sich aus der Szene nicht. Irgendwann ist Tannhäuser wieder da und erzählt Wolfram die Ablehnung seines Gesuchs durch den Papst. Auch das wirkt reichlich unsinnig in diesem Kontext. Weshalb sollte dieser Mensch wegen so einer Lapalie (zwei etwas unterschiedliche Frauen die ihn lieben und er kann sich halt schlecht entscheiden, ob er lieber etwas bürgerlicher oder etwas flippiger leben möchte) zum Papst pilgern?

Gesanglich wurde der Inszenierung Ebenbürtiges geboten. Herausragend war einzig Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach. Ein Sänger der seine Partie gestalten konnte. Alle anderen verfügten zwar durchaus über die Stimme, aber von einer Interpretation des Textes war wenig bis nichts zu spüren. Das mag daran liegen, dass fast alle Sänger ihr Rollendebüt gaben. Ian Storey als Tannhäuser, Elena Zhidkova als Venus, die an sich wunderbare Danielle Halbwachs als Elisabeth, Gregory Frank als Bierolf und Magnus Baldvinsson hinterließen deshalb leider nur einen recht blassen Eindruck – und das bei diesen Partien. Wirklich unangenehm klang der Solist der Aureliuser Sängerknaben als Hirt. Auch wenn das nur eine klitzekleine Partie ist, wäre man gut beraten, hier eine Sängerin aus dem Ensemble in die Pflicht zu nehmen, denn für die Knaben ist das trotz allem ein bis zwei Nummern zu groß. Ich erwähne dies nur deshalb, weil mir bereits bei der letzten Tosca der betreffende Sängerknabe unangenehm aufgefallen ist.

Die Publikumsreaktion auf diese Produktion war dennoch einigermaßen positiv, was an mehreren Dingen liegen mag. Erstens ist das Frankfurter Publikum sowieso recht gutherzig, zweitens sah man hier lange keinen Tannhäuser und drittens sitzen wohl eher wenige Hardcore-Wagnerianer im Publikum, die über einen Erfahrungsschatz von zwanzig verschiedenen Produktionen in fünf verschiedenen Ländern verfügen. Und das ist auch gut so. Dennoch war der Applaus für die Sänger zwar freundlich, aber auch nicht mehr. Nur Gerhaher konnte sich im Jubel sonnen. Carignanis Dirigat war wieder einmal ordentlich, akkurat, aber ohne erkennbare „große Linie“. Dies mag wie Erbsenzählerei erscheinen und ist es vielleicht auch, aber wer in Berlin oder auch (nur) in Hamburg Wagner-Dirigate gehört hat, ahnt, was mit Linie gemeint ist.

Fazit: Eine Produktion, die teilweise unterhaltsam, größtenteils jedoch beliebig und belanglos ist und Etliches der Handlung einfach nicht nachvollziehbar macht. Dennoch könnte dieser Tannhäuser etwas für Operneinsteiger sein, die mit Wagner bislang nichts anfangen können und die man mit seinen starken Thesen erst gar nicht einschüchtern möchte.

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO, PO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 394 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Vera Nemirova (premiere)