Tannhäuser

Franz Welser-Möst
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Date/Location
16 June 2010
Staatsoper Wien
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Hermann Ain Anger
Tannhäuser Johan Botha
Wolfram von Eschenbach Christian Gerhaher
Walther von der Vogelweide Gergely Németi
Biterolf Alexandru Moisiuc
Heinrich der Schreiber Peter Jelosits
Reinmar von Zweter Marcus Pelz
Elisabeth Anja Kampe
Venus Michaela Schuster
Ein junger Hirt Alois Mühlbacher
Gallery
Reviews
operinwien.at

Sublimierte Impotenz

„Tannhäuser“-Premiere an der Staatsoper: eine üppig gepflegte, vier Stunden lang zelebrierte Langeweile.

Regisseur Claus Guth ist für seine introvertierte, psychologisch determinierte Handschrift inklusive manischer Verdoppelung von Bühnenfiguren bekannt. Die Figur des „Tannhäuser“ wandelte sich unter seinem Zugriff zum offenbar geisteskranken Opfer bürgerlicher Doppelmoral. Außerdem verpasste er der Handlung – ergänzend zu seiner konsequent durchgehaltenen Deutung – den Rahmen eines Schnitzler’schen Wiens um 1900. Möglicherweise versuchte er sogar, die weiten Länder literarisierter Schnitzler’scher Gefühlswelten zu visualisieren – aber wer vermöchte solche konstruierten Querbezüge noch als sinnvoll zu empfinden?

Das auf der Staatsopernbühne begutachtbare Resultat wirkte jedenfalls verkrampft, korrelierte mit Wagners Musik ebensowenig wie mit dem Libretto – und zwar dermaßen sinnentleerend, dass das Ergebnis nur mehr ermüdete. Guth tendierte zu langatmig arrangierten Tableaus, zu bedeutungsschweren, getragenen Bewegungsabläufen, dem Wagner’schen Elan jegliche Energie abziehend. Der Handlungsfortgang schien oft wie mit einer Zeitmaschine angehalten, erstarrend, zähflüssig stockend – wie die alles in Grautöne verschleiernde Verzweiflung eines impotenten Mannes, dem seine erotischen Wünsche in einer sublimierenden Geisteskrankheit verdämmern.

Der erste Aufzug hatte den Charakter einer sehr einfältig bebilderten konzertanten Aufführung. Guth setzte für den Venusberg auf „Bühne in der Bühne“, mit einem theaterroten Vorhang im Hintergrund. Das andere Ich Tannhäusers durfte mit einer sehr züchtigen Venus flirten, deren erotischste Geste darin bestand, einen Strauß Rosen auf den Boden fallen zu lassen und Zigaretten mit einem langen Spitz zu rauchen. Tannhäuser unterhielt sich gestisch getragen mit seinem Spiegelbild – mal den Arm ausstrecken, mal mit ihm parallel über die Bühne schreiten. Zum Wonnemonat Mai hin öffnete sich dieser trennende Vorhang: und die Fassade des „Hotel Orient“ wurde als Bühnenelement nach vorne geschoben, ein Bordell, dessen unzüchtigen Lebenswandel man aber nur erahnen konnte. Immerhin handelte es sich um das Revier der landgräflichen Jagdgesellschaft, ein unglaublich origineller Einfall. Leider wirkten die Mannen so gelangweilt und züchtig, dass schwer zu begreifen war, warum sie sich gerade dort herumtrieben.

Der zweite Aufzug spielte im Schwind-Foyer der Staatsoper – ein optisch passender Rahmen, der dazu genützt wurde, alles was nach „Sängerfest“ aussehen könnte, zu torpedieren. Es gab keinen festlichen Einzug der Protagonisten, Chor und Sänger zeigten sich in schwarze Kutten gehüllt und trugen schwarze Augenmasken. Sehr lange turtelte Tannhäuser noch mit Elisabeth alleine auf der Bühne (Er küsste sie sogar!), da sollte laut Musik das Fest längst begonnen haben. Später legten die Sänger und der Landgraf die Kutten ab. Der Sängerkrieg entwickelte sich schaumgebremst, und es blieb gänzlich unbegreiflich, warum sich alle plötzlich über Tannhäuser beschweren und warum selbiger nach Rom reisen soll. Der Pilgerchor war schon im ersten Aufzug in Form einer gut bügerlich gekleideten Herrengruppe aufgetreten, deren Mitglieder sich mit einem kurzen weißen Seil zeremoniell auf den Rücken schlugen – langsam, wohlgeordnet und angezogen wie aus einem Modekatalog um 1900 über die Bühne wandelnd …

Im dritten Aufzug hat Guth das dem Publikum abgeforderte Abstraktionsvermögen etwas reduziert. Die Handlung wurde ins Krankenzimmer einer Psychiatrischen Anstalt (angeblich Wien Steinhof) verlegt. Die Pilger waren inzwischen zu zwangsjackengezähmten Irren verkommen, die das Krankenzimmer belagerten und dann von Personal weggescheucht wurden. Elisabeth, die am Lager des starr im Bette ruhenden Tannhäusers wachte, schied durch einen mittels Tabletten aufwendig zelebrierten Verzweiflungselbstmord aus der Welt. Nach einer sanften Drehbühnenverrückung zeigte sich ein Vorzimmer, in dem Wolfram seinen Revolver als Abendstern besang und sich leider keine Kugel in den Kopf schoss, weil er noch szenisch gebraucht wurde. Dafür legte er sich final in ein freies Bett. Vorher erhob sich aber noch Tannhäuser von seinem Krankenlager und berichtete Wolfram von der Romreise. Wolfram wurde dadurch nicht gerade aufgeheitert. Schlussendlich tauchte die Jagdgesellschaft wieder auf und beglückte die tote Elisabeth mit weißen Rosen. Tannhäuser holte seinen Reisekoffer unter dem Bett hervor, in dem er vor einer Stunde noch wahnstarrend von Elisabeth beweint worden war. Tannhäuser und der Vorhang – FALLEN.

Leider schlug die musikalische Umsetzung in dieselbe Kerbe. Es fehlte an: LEIDENSCHAFT, LEIDENSCHAFT und nochmals LEIDENSCHAFT!!! Das Orchester unter Franz Welser-Möst spielte sehr schön, instrumental wunderbar modelliert, in den Bläsern allerdings ein wenig hohl und kaum erstrahlend. Spannung kam aber keine auf – das floss oft zäh dahin, ballte sich dann wieder zu lautstarken Ausbrüchen, gewann aber kaum emotionale Aussagekraft. Ungefährlich züngelte schon in der Ouvertüre der Venusberg, ein blankgeputztes hübsch modelliertes „Feuerchen“, von den Bläsern des Pilgerchores dumpf ausgepustet. Diese Pilger, die durch Staub und Dreck nach Rom wallend Erlösung erwarten, welche Hoffnungen hegen sie, wie plagt sie die gefühlte Schuld? Welcher Fanatismus müsste im zweiten Aufzug aufkeimen, welche Bedrohung von Tannhäusers Leben? Welche unglaubliche Energien stecken nicht in Wagners Musik, welche gefährlichen Überwältigungen? Die emotionale Tiefe und fast expressionistisch anmutende Haltung, die Wagner von den Künstlern einfordert (so wünscht er von Tannhäuser im dritten Aufzug zum Beispiel „unheimliche Lüsternheit“), wurde insgesamt mit einer hübsch designten, auf Dauer sehr monoton wirkenden „Depression“ zugespachtelt.

Zugegeben, die Sänger hätten es damit auch schwer gehabt. Johan Botha stieß beim Tannhäuser ein wenig an die Grenzen seiner helltimbrierten Tenorstimme, die ohne baritonales Fundament, den Tannhäuser zu (?) kantabel realisierte. Für mich ist Botha beim Stolzing oder Lohengrin viel besser aufgehoben. So beeindruckend sein Durchhaltevermögen und seine stimmlichen Reserven in der Romerzählung auch sein mögen, das klang alles zu asketisch und zu nüchtern, das forderte einen als Zuhörer emotional kaum heraus. Im ersten Aufzug hatte ich zudem den bei Botha äußerst seltenen Eindruck einer angespannt klingenden Stimme – und eine leichte Mattigkeit im Timbre hielt sich eigentlich den ganzen Abend lang. Premierenanspannung? Schauspielerisch wurde Botha von Guth überhaupt nicht gefordert – dass er sich mehrmals niederknien musste (und das beschwerliche Aufstehen), zweimaliges zu Boden fallen, erweckte mehr diskriminierende Heiterkeit als gebotenen Ernst.

Die Venus der Michaela Schuster wirkte alles andere als taufrisch, mit ihrem starkem Vibrato, etwas schriller Tongebung in der Höhe und auch eher hellem, kaum verführungsgeeignetem Timbre. Das war keine Premierenbesetzung. Hausdebütantin Anja Kampe hatte ebenfalls viel Vibrato zu bieten und ermangelte jener stimmlichen Jugendlichkeit, die gerade in der Hallenarie „bezaubern“ soll: das klang alles zu robust und mit zu viele Kraft gesungen, entwickelte keinen Liebreiz.

Christian Gerhaher verwechselte die Opernbühne mit einem Konzertsaal, sein schmalspuriger Wolfram war schlank wie ein Schubertlied. Seiner Stimme mangelte es an der gebotenen Fülle, die beispielsweise den Abendstern mit romantischem Leuchten erfüllen könnte. Zeigte dieser Wolfram überhaupt Gefühle oder sollte er nur einen Intellektuellen mimen, der sich dann aus Frust über irgend etwas erschießen möchte?

Der Landgraf war bei Ain Anger nobel aufgehoben, aber nicht wirklich „väterlich“, ein bisserl zu jugendlich womöglich, zu wenig autoritär und vor allem viel zu unbedrohlich im zweiten Aufzug. Von den Sängern war Gergely Németi als Walther überaus positiv zu vermerken, Alexandru Moisiuc als Bitterolf hätte sich bei einem echten Wettsingen wohl schwerlich durchgesetzt.

Das Publikum feierte Gerhaher, der Jubel für Botha klang schon nicht mehr ganz so überzeugend, bei den Damen brach der Applaus stark ein und brachte Venus und sogar Elisabeth ein paar Buhrufe ein, möglicherweise gab es sogar eines für Botha. Franz Welser-Möst wurde weitestgehend bejubelt, aber auch hier waren ein paar Buhrufe zu hören. Das Regieteam wurde nahezu einhellig ausgebuht, die Bravorufer traten zur Minderheitenfeststellung an.

Eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn gab es noch Karten fürs Stehparterre, der Stehplatz war insgesamt bei weitem nicht so gut besucht wie erwartet. Wahrscheinlich hat Claus Guth schon im Vorfeld der Premiere in den Medien zuviel über sein „geniales“ Inszenierungskonzept erzählt.

Fazit: Ein in Summe schwer enttäuschender Wagner-Abend und ein weiteres Beispiel für eine missglückte Wagner-Inszenierung unter der Direktion Holender.

Dominik Troger | 16.6.2010

Financial Times

The instant the final applause began, the television cameras rolled in. The passion of rival cheering and booing factions in Vienna’s State Opera last week outdid the dramas of sex and death that had just played out on the stage. Did the Viennese boo director Claus Guth and his team because their Tannhäuser was not conservative, or because it was not innovative enough? Either way, the message was clear: this is a public that cares.

Wagner matters in Vienna. Guth and designer Christan Schmidt have reversed the formula, and served up a Tannhäuser set in 1900 Vienna, at a time when collective interest in psychiatric illness and dreams was growing. Tannhäuser is a borderliner in a decadent society, caught up in the hallucinatory world of his imagination and ultimately doomed to madness. It is opera, not sex, that drives him over the edge.

Schmidt’s sets and costumes recall Viennese high society at the turn of the last century. Venusberg is an opera stage, the Wartburg hall is the Vienna State Opera’s opulent Schwind foyer. The Landgrave and his fellow noblemen dabble in erotic games straight from Arthur Schnitzler’s Eyes Wide Shut, and also frequent Vienna’s Orient Hotel, where rooms can be rented by the hour. This is all too much for Tannhäuser, who ends his days in the Otto Wagner psychiatric hospital in Steinhof.

Guth’s production looks ravishing, but the logic does not quite add up. In focusing entirely on Tannhäuser’s fevered mind, the pressure of a moralistic society as a motivating force falls by the wayside, and we are left without a convincing reason for the action. An all-star cast, most of them singing their roles for the first time, made this a high-carat event that did not quite meet expectation. In the title role, Johan Botha was marginally less superhumanly lyrical than usual in the first act, though he made up for it as the evening progressed. When the role settles, he will be extraordinary. Christian Gerhaher’s phenomenally precise and articulate Wolfram left the audience in hysterics of approval, while Michaela Schuster’s highly dramatic Venus and Anja Kampe’s assured yet fragile Elisabeth received a tepid reception.

Franz Welser-Möst took a solidly conventional approach to the score, often loud, seldom transparent, but always shimmering, warm and luminous.

Shirley Apthorp | June 23, 2010

Online Musik Magazin

Oper mit Abschieds-Schlagobers

An der Wiener Staatsoper war der aktuelle Tannhäuser die letzte Premiere in der 19jährigen Ära von Staatsoperndirektor Ioan Holender. Sie gehörte in einen ganzen Reigen von Abschiedsveranstaltungen. Diese Neuproduktion hatte im Vorfeld schon für Aufregung bei der Wiener Presse gesorgt, weil bekannt geworden war, dass ein bekanntes Wiener Stundenhotel das Vorbild für einen der Schauplätze der Handlung sein würde. Und über einen Tannhäuser im Stundenhotel kann man sich in Wien immer noch so richtig aufregen. Um die Stimmung nicht zusätzlich anzuheizen, hatte Holender diesmal sogar die Generalprobe fürs Publikum sperren lassen. Den (in Wien) vorhersehbaren Buhsturm kassierten Regisseur Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt denn auch tatsächlich.

Dabei hatte ihre ganz spezielle Wiener Variante von Wagners romantischer Oper durchaus etwas kulinarisch Opulentes. Für Guth ist Tannhäuser nicht so sehr die romantische Vorlage für einen Diskurs über Frauenbilder, religiöse und bürgerliche Doppelmoral oder die zerrissene Künstlerseele. Schmidt verlegt das Ganze in ein wiedererkennbar konkretes Wien der vorletzten Jahrhundertwende mit seiner ganzen Scheinheiligkeit einer sogenannten „besseren” Gesellschaft. Inszeniert wird dann eine Reise ins Innere Tannhäusers. Der Venusberg ist hier nur eine Projektion Heinrichs. Er sieht sich selbst (als verselbständigtes Alter Ego) wie er eine mondäne Künstlerin anhimmelt, die mit einem Strauß roter Rosen und einer extravaganten Zigarettenspitze vor einem Vorhang die Huldigungen ihres Publikums entgegen nimmt.

Mit diesem in der Liebesgöttin Venus personifizierten Frauenbild kollidiert das andere, in Gestalt jener blonden Unschuld in Weiß mit weißen Rosen, das den Namen Elisabeth trägt. Ist das noch eine vergleichsweise konventionelle Exposition, so begegnet Tannhäuser auf seiner Reise ins eigene Ich (immer mit Koffer, versteht sich) der bürgerlichen Wartburggesellschaft just im Foyer jenes Stundenhotels „Orient“, dessen Verwendung im Vorfeld für Aufregung gesorgt hatte. Wie so oft liegt aber das Skandalöse allein im Auge des Betrachters. Denn was man wirklich zu sehen bekam, war die holzvertäfelte Biederkeit pur. Die teure Halle dann ist ein selbstreferenzieller Coup von Christian Schmidt, denn Elisabeth betritt hier das Schwindfoyer der Staatsoper, von dem aus man auf den Balkon treten kann. Umringt ist sie von einem stilvoll kostümierten Publikum von anno dazumal. Doch sie nimmt ihre Umwelt, in ihrer freudigen Erwartung, gar nicht richtig wahr. Immer wieder frieren nämlich die Bewegungen dieser Opernbesucher ein und konzentrieren so alle Aufmerksamkeit auf sie. Es ist nur konsequent, wenn dieser prachtvolle Raum wie in einer Explosion auseinanderfliegt und sich der eigentliche Sängerwettstreit als Alptraum Heinrichs, wie in einer schwarzen Messe abspielt. Guth zitiert hier Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“, eine Verfilmung von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“, und umgeht so die Klippe noch jeder Tannhäuserinszenierung. Die die muss den plötzlichen Sinneswandel Tannhäusers – vom temperamentvollen Bekenntnis zur sinnlichen Liebe hin zur büßenden Pilgerfahrt nach Rom – glaubhaft vermitteln. Nach dieser alptraumhaften Selbsterfahrung bricht dieser Tannhäuser folgerichtig zusammen.

Hier resultieren aus unbewältigten, inneren Konflikten keine Pilgerfahrten nach Rom, sondern klinische Fälle für die Psychiatrie. Und auch die zitiert eine berühmte Wiener Lokalität, nämlich das Otto-Wagner-Spital. Dort werden die Pilger als Patienten in Zwangsjacken ruhig gestellt. Da liegt Tannhäuser im Koma, wird von Wolfram besucht und von Elisabeth betreut. Doch die Lage scheint so aussichtslos, dass Elisabeth letztlich Pillen schluckt und auch Wolfram dauernd die Pistole auf sich selbst richtet.

Dass dieser Tannhäuser-Zugang auch als Wiener Geschichte nichts regional Begrenztes hat, liegt an der Stringenz der Inszenierung. Und an der Bedeutung, die Wien als Hort der Kultur und als Zentrum der Moderne hatte und immer noch hat. Dass dies immer auch Ablehnung provozierte, daran erinnerte das reflexartige Buhkonzert zumindest eines Teils des Wiener Publikums zuverlässig.

Über die musikalische Qualität dieser Produktion war man sich allerdings einig. Franz Welser-Möst und das Wiener Staatsopernorchester wurden für ihren leidenschaftlich durchglühten Beitrag ebenso bejubelt wie die Protagonisten. Welser-Möst lieferte einen emotional aufgeladenen, transparenten und auf den großen Bogen zielenden Tannhäuser der Spitzenklasse.

Der in jeder Hinsicht schwergewichtige und eher spielresistente Johan Botha vermochte dabei nicht nur einen durchgängig stimmgewaltigen Tannhäuser mühelos zu singen, sondern er vermochte ihn im dritten Aufzug überraschenderweise sogar glaubwürdig zu gestalten. Der keineswegs heimliche, sondern mit stürmischen Ovationen bedachte Sieger des Sängerkrieges freilich war Christian Gerhaher. Er ist als Wolfram von Eschenbach mit seiner Artikulation und stimmlichen Gestaltungskraft eine Sensation und gegenwärtig konkurrenzlos. Dagegen hatten es vor allem die beiden Frauen (Michaela Schuster als mitunter etwas reife Venus und auch Anja Kampe als noch entwicklungsfähige Elisabeth) schwer. Die Wartburggesellschaft wurde von Ain Angers sonorem Landgrafen sicher angeführt, der erst nach Beginn der Probenarbeiten noch mit der Rolle des Hirtenknaben betraute Sängerknabe Alois Mühlbacher lieferte eine bemerkenswerte Talentprobe.

FAZIT

Claus Guth hat für seine (nach Basel zweite) Tannhäuser-Inszenierung einen überzeugenden Neuansatz gefunden, der stringent auf den Ort der Aufführung und dessen kulturhistorische Bedeutung bezogen ist. Musikalisch zeigten sich Sängerensemble und Wiener Staatsopernorchester in Hochform, wobei Christian Gerhahers Wolfram sogar Referenzqualtiät erreichte.

Roberto Becker | Premiere an der Staatsoper Wien am 16. Juni 2010

Wiener Zeitung

Eine geniale Idee verspielt

Scheitern ist nicht gleich Scheitern. Die Palette des Nicht-Gelingens reicht von banal über idiotisch bis genial. Für Claus Guths Scheitern am “Tannhäuser” gilt Letzteres. Der Regisseur hatte für Wagners durchaus schwierig zu inszenierende Oper eine geniale Idee. Er hat ihr nicht restlos vertraut. Und sie absolut verspielt.

Das Unverständnis zweier Welten für einander steht im Mittelpunkt von Wagners Oper – die gesellschaftlich akzeptierte, anmutige, tief religiös empfundene Auffassung von Liebe und der rauschhafte Wahn der hemmungslosen Sinnlichkeit. Selten war der scheinheilige Schleier, den die Konvention über diese Kluft legte, so brüchig und zugleich so drängend wie um die Jahrhundertwende, beim Aufbruch des Menschen ins eigene Unbewusste. Claus Guth wählt das Wien um 1900 als Schauplatz für den “Tannhäuser”. Auch die Orte wählt Guth klug. Das Hotel Orient, in dem Spießer ihre Scheinmoral hätscheln, das Schwind-Foyer der Staatsoper als Schauplatz des Sängerkrieges und einen Pavillon in Steinhof als Synonym für Tannhäusers Wahn.

Wahnvorstellungen statt Sinnlichkeit im Venusberg

Für einen Ort hat der Regisseur jedoch kein adäquates Bild gefunden – den Venusberg, an dem Tannhäuser sich an Sinnlichen (über)sättigt, bevor er reuig nach Rom pilgert. Statt auch hier eine mutige – abstrakte oder konkrete – Bebilderung zu finden, zeigt Guth ein schales Traumbild mit Doppelgängern, rotem Vorhang und undurchsichtiger Kleidersymbolik. Alles nur eine Wahnvorstellung Tannhäusers, will Guth damit sagen. Doch die Mittel, mit denen er diese Idee umsetzt, sind kleinlich bis grotesk. Ohne Sinnlichkeit verliert der Konflikt mit ihr jeden Sinn. Womit Guth seinen Zusehern nicht nur mehr Rätsel aufgibt als eine Geschichte zu erzählen, sondern auch die Oper selbst ad absurdum führt. Zu unentschlossen also für die eigene Courage. Umso entschlossener zeigte sich das Publikum, das den Regisseur mir einem Buh-Orkan verabschiedete.

Nur einem gelang es bei der letzten Premiere der Ära Holender am Mittwoch, all die Widersprüchlichkeiten der Oper zu versöhnen und sogar zu vereinen: Franz Welser-Möst am Pult des transparenten und intensiven Staatsopernorchesters. Der designierte Musikchef des Hauses fand in seiner subtilen Lesart die unglaubliche Balance von Analyse und Hingabe, von Struktur und Fluss. Er verband damit in seinem manchmal etwas kühlen Wagner-Klang die enorme Schwere der irdischen Gesetze mit der Sogkraft irrationaler Sehnsuchtsträumen. Und schuf damit eine sinnlich-strenge Klang-Paradoxie. Das Orchester füllt diese homogen widersprüchlichen Klang-Räume mit plastischen Bögen. Jede Stimme erklang aus dem Graben gleichwertig und zu keiner Sekunde auf Kosten einer anderen.

Fels in der Brandung und tief berührende Traurigkeit

Johan Botha durchpflügte die Titelpartie mit der unglaublichen Strahlkraft seines Tenors mühelos. Leider hat er sowohl stimmlich als auch darstellerisch nur eine einzige Nuance zur Verfügung. An Nuancenreichtum dafür kaum zu überbieten war hingegen Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach. Sein lyrischer Bariton verbindet die Intimität und den Farbenreichtum des Liedgesangs mit der Dramatik und Intensität der Opernbühne. Sein “Abendstern” erwies sich als eine der traurigsten und berührendesten Gesänge über die Liebe überhaupt. Er ist neben dem Orchester der wahre Glanzpunkt dieser Produktion. Den ausgelassenen Jubel dafür nahm er nur sehr scheu entgegen. Enttäuschend die Damen: Anja Kampe ist als Elisabeth kraftvoll, aber weder besonders differenziert noch lyrisch. Die Venus der Michaela Schuster ist mehr schrill als verführerisch. Fazit: So schnell kann ein fantastisches Traumbild zum wirren Albtraum werden.

Judith Schmitzberger | rez. Aufführung 16. 6. 2010

Neue Zürcher Zeitung

Geschliffene Spiegelungen

Wagners «Tannhäuser» an der Wiener Staatsoper als letzte Premiere der Direktion Ioan Holender
Künstlerisch solide, kaufmännisch erfolgreich – so leitete Ioan Holender die Wiener Staatsoper. Den Abschluss seiner Intendanz bestritten Claus Guth und Franz Welser-Möst mit dem «Tannhäuser».

Das war sie also nun, die letzte Neuproduktion der fast zwei Jahrzehnte langen Direktion Ioan Holender an der Wiener Staatsoper. In gewisser Weise erschien sie als symptomatisch für diese künstlerisch solide, kaufmännisch beispiellos erfolgreiche Ära, als deren Erbe Dominique Meyer, der neue Leiter der Staatsoper, rund 12 Millionen Euro an Rücklagen vorfindet. Musikalisch sind die Weichen insofern längst gestellt, als der künftige Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst, der jetzt auch die Premiere von Wagners «Tannhäuser» in der frühen Dresdner Fassung leitete, bereits eng an das Haus gebunden ist.

Vorsichtige Modernisierung

Bezeichnend für Holenders Handschrift waren aber auch seine Bemühungen um eine szenische Modernisierung, die freilich immer von grosser Vorsicht und einer Tendenz zu Kompromissen begleitet wurden. Ob es allgemein Respekt vor dem Haus sei, Rücksicht auf seine räumlichen Dimensionen oder doch auch sanfter Einfluss des scheidenden Hausherrn, sei dahingestellt: Auch die am Mittwoch erstmals gezeigte «Tannhäuser»-Inszenierung von Claus Guth wollte offenbar nicht allzu sehr anecken. Dass die Publikumsreaktionen dennoch zum Teil derb ausfielen, steht auf einem anderen Blatt.

Die Schauplätze, die sich Guth von seinem Ausstatter Christian Schmidt erschaffen lassen wollte, wären zwar dazu angetan gewesen, für Irritationen zu sorgen. Allerdings sind weder das Hotel Orient, ein Stundenhotel in der inneren Stadt im ersten Akt, noch Steinhof, das psychiatrische Krankenhaus am Rand des Wienerwaldes im dritten, ohne weiteres zu erkennen. Das Schwind-Foyer der Staatsoper, in dem der zweite Akt angesiedelt ist, genügt freilich, um dem Auditorium einen Spiegel vorzuhalten und damit Reibeflächen zu bieten.

Zugleich rückt das Geschehen durch Kostüme aus dem späten 19. Jahrhundert ebenso in Distanz wie durch unwirkliche Vorgänge. In der Venusberg-Szene, voll mit Traumbildern, blickt Tannhäuser (Johan Botha) in einen Zerrspiegel, wo Venus und Elisabeth mit roten und weissen Rosen auftauchen, wo er selbst sein Gegenbild sieht und wo ein Opernvorhang bizarre Formen annimmt.

Auch das Setting im Pausenraum der Oper, wo während Elisabeths Hallenarie (Anja Kampe) die anderen Personen zu Standbildern einfrieren, wird für den Sängerkrieg aufgebrochen: Wände und Decke des Saales weichen, machen Platz für irreale Nebelschwaden und einen maskierten Chor, welcher der Orgienszene von Stanley Kubricks «Eyes Wide Shut» entsprungen zu sein scheint. Dieser Kontext ist stimmig: Die «Traumnovelle» von Arthur Schnitzler, Ausgangspunkt dieses Filmes, war auch für Guth ein wesentlicher Bezugspunkt.

Tiefenpsychologische Kohärenz

Tiefenpsychologische Kontexte sind subtil angedeutet. So bringt Wolfram Tannhäuser eine Blume vom Venusberg zum Schauplatz des Sängerfestes, welche dieser brüsk zurückweist. Mit solchen Details vermag Guth zu zeigen, dass es hier zwei Dreieckskonflikte gibt: zum einen den um Tannhäuser, der zwischen Venus und Elisabeth zerrissen ist, zum anderen den um Elisabeth, die sowohl von Tannhäuser als auch von Wolfram begehrt wird.

Nur einmal spitzt sich die oftmals etwas statische Szene in einer Form zu, dass sich die Geister scheiden müssen: Dass der Pilgerchor im dritten Akt von den zuckenden oder in Zwangsjacken gesteckten Insassen der Krankenanstalt gesungen wird, mag den einen als blasphemisch gelten, den anderen als Ausdruck von Humanität. Nicht nur hier finden Musik und Szene zu zwingender Kohärenz; auch beim Duett von Elisabeth und Tannhäuser illustrieren pochende Akzente und Synkopen die aussichtslose Perspektive des Paares, die Welser-Möst jäh hervortreten lässt.

Im Übrigen hält er sich akribisch an Wagners Tempovorgaben, sorgt für klare Kontraste und gestische Transparenz. In Fluss kommt sein Dirigat dabei nur selten. Doch sorgt es für eine ideale Unterstützung der Sänger, aus denen Christian Gerhaher als Wolfram mit allen Tugenden des Liedsängers, Ausdruckskraft und geschliffener Artikulation herausragt.

Daniel Ender | 18. 6. 2010

Die Presse

Tannhäuser und seine armen Narren

Die angekündigte Wagner-Premiere fand nicht wirklich statt. Stattdessen sah man ein szenisches Rätselspiel und hörte mit. Über eine Neuinszenierung von Wagners „Tannhäuser“ kann an dieser Stelle nicht berichtet werden. Sie hat nicht stattgefunden. Anstelle der avisierten Wagner-Premiere präsentierte die Staatsoper ein verhältnismäßig sinnfreies Rätselspiel, das nicht einmal mit viel Fantasie mit der Handlung der auf dem Programmzettel genannten Oper in Verbindung gebracht werden konnte. Ein paar Momente in der Chorführung des Mittelaktes ausgenommen, die aussehen wie jene gefährliche Zusammenrottung der Zuhörerschaft, die nach dem „Sängerkrieg auf der Wartburg“ den missliebigen Frevler bedrohlich umstellt, der soeben die Wonnen der geschlechtliche Liebe besungen hat.

Ratlose Darsteller

Der Rest des Bühnenspiels ist ein merkwürdiges Konglomerat von ratlos herumstehenden, oft von Doppelgängern umzingelten Darstellern, die offenkundig nicht ahnen, was sie darzustellen hätten. Zwischendurch erstarrt die Scharade immer wieder. Zusätzlich verwirrend die Spielorte: Nachdem Tannhäuser, den Koffer in der Hand, sich hinter einen Vorhang verirrt, hinter dem eine Dame im Cocktailkleid (dargestellt von der Sängerin, die als Venus engagiert ist) Zigarette raucht, kennt er sich nicht mehr aus und will gleich wieder gehen. Das ist verständlich, hat aber mit dem, was gesungen wird, nichts zu tun, geht es doch darum, dass jemand schon zu lang an einem wonnigen Ort verweilt und wieder heim möchte.

Tod im Irrenhaus

Geflüchtet, findet der Kofferträger (dargestellt von jenem Tenor, der den Tannnhäuser singt) in einer Hotelhalle eine Gruppe von Herren (gespielt von den Herren, die den Landgrafen und seine Entourage singen). Nach der Pause finden wir uns im Schwindfoyer der Staatsoper wieder, was als Kulisse für einen „Sängerkrieg“ noch zu verkraften wäre. Der dritte Akt jedoch spielt dort, wohin man früher einen Regisseur verfrachtet hätte, wenn er derartige Bilder (von Christian Schmidt) als „Tannhäuser“-Dekoration angeboten hätte.

Der Tod im Irrenhaus beraubt allerdings Wagners Erlösungsdrama jeglichen Tiefgangs. Die Pilger – der Herrenchor singt diesmal kraftvoll und ausdrucksstark! – hatten den ersten Akt noch als Flagellanten in Frack und Zylinder durchschritten (wahrscheinlich Sinnbild für Opernfreunde, die sich eine solche Premiere anschauen müssen). Nun sind sie ein Häuflein armer Narren in Anstaltskleidung und schauen in Tannhäusers Zimmer, wo sich Elisabeth gerade mit einer Überdosis Schlafpulver ums Leben gebracht hat. Die wahren Abenteuer spielen, heißt es, im Kopf. Manchmal aber sollten sie sich aber doch auf der Opernbühne ereignen. Das könnte man Regisseur Claus Guth ins Stammbuch schreiben.

Zu alledem wurde freilich Wagner musiziert und gesungen, dass es eine Freude war. Wäre der Vorhang herunten geblieben, man hätte Lust und Leid des Minnesängers vollinhaltlich erlebt. Da sang ja immerhin ein Tenor die Titelpartie, der selbst die gefürchteten „Erbarm dich mein“-Rufe im Mittelakt bis zur letzten Konsequenz mit unglaublicher Strahlkraft aussingt: Johan Bothas’ Stimme ist ein Phänomen. So sicher und angstfrei hat den Tannhäuser jedenfalls seit Menschengedenken niemand bewältigt.

Christian Gerhahers Wolfram galt gleich starker Jubel des Publikums: Ein Bariton, der fein differenziert und mit expressiver Modulationsgabe jedes Wort zu artikulieren versteht, dabei aber die große Gesangslinie, die Wagner auch braucht, nie vergisst. Dergleichen hört man auch nicht alle Tage.

Die Damen waren mit Anja Kampe (Elisabeth) und Michaela Schuster (Venus) heroinenhaft besetzt: Stimmen, beinahe von Brünnhilden-Format, im Falle Kampes doch zu sehr verhaltenem Gesang befähigt: Das Gebet im Schlussakt tönt bewegend zurückgenommen, nachdem sich der Sopran nach sieghaft attackierendem Auftritt auch den tenoralen Herausforderungen mit kräftigen Akzenten gewachsen gezeigt hatte.

Welser-Mösts philharmonische Kür

Schusters Venus schien ein wenig unter der Kurzatmigkeit der gewählten Dresdner Urfassung (ohne orgiastische Ballettmusik und mit einem unerklärlichen Strich im Finale II) zu leiden: Kaum schwingt die Stimme richtig, bricht die Linie schon wieder ab.

Im Übrigen schlägt sich das Wiener Ensemble wacker, angeführt vom mächtigen Landgrafen Ain Angers, ergänzt um einen sensationell klarstimmigen, perfekt artikulierenden St. Florianer Sängerknaben (Alois Mühlbacher in der Rolle des Hirten).

Und das Orchester tut unter Franz Welser-Mösts Leitung, als ginge es tatsächlich um „Tannhäuser“, spielt mit Leuchtkraft und Energie, steigert die dramatische Entwicklung des „Sängerkriegs“ und die wuterfüllten Passagen der „Romerzählung“ zuletzt zur Siedehitze, um zwischendurch, vor allem die Stimme Wolframs mit weit gespannten, weich modellierten Melodiebögen zu tragen. Musiktheater vom Feinsten – ohne Theater halt, damit muss wohl heutzutage auch Wiens designierter Opernchef Dominique Meyer leben, der die Vorstellung im letzten Akt sogar Seite an Seite mit Ioan Holender verfolgte. Er kann ja nicht jede Inszenierung seines Vorgängers gleich wieder austauschen – wie im Falle des „Lohengrin“ bereits angekündigt . . .

WILHELM SINKOVICZ | 17.06.2010

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Premiere, PO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 471 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (Ö1)
A production by Claus Guth