Tannhäuser
Hermann | Young Doo Park |
Tannhäuser | Lance Ryan |
Wolfram von Eschenbach | Benjamin Russell |
Walther von der Vogelweide | Aaron Cawley |
Biterolf | Thomas de Vries |
Heinrich der Schreiber | Joel Scott |
Reinmar von Zweter | Alexander Knight |
Elisabeth | Sabina Cvilak |
Venus | Jordanka Milkova |
Ein junger Hirt | Stella An |
Liebe und Lust unter dem Hirschgeweih
Wagner ist Chefsache: Intendant Uwe Eric Laufenberg inszeniert „Tannhäuser“ in Wiesbaden. Erstmals dirigiert der neue Generalmusikdirektor Patrick Lange.
Er sei, ließ Richard Wagner die Welt wissen, derselben noch den „Tannhäuser“ schuldig. Dabei hat er keines seiner Bühnenwerke so oft bearbeitet wie die 1845 in Dresden uraufgeführte Oper um den Konflikt zwischen der reinen Liebe, wie sie in der Minne der Wartburggesellschaft besungen wird, und der puren Lust im Venusberg. Für die Pariser Erstaufführung im Jahr 1861 komponierte Wagner ein Bacchanal im Anschluss an die Ouvertüre nach, um der dortigen Ballettkonvention halbwegs entgegenkommen zu können, bei Aufführungen in München und Wien folgten Retuschen.
In seiner Wiesbadener Neuinszenierung stützt Staatstheaterintendant Uwe Eric Laufenberg sich auf eine Mischfassung, wobei niemand, der Laufenbergs Regiearbeiten verfolgt, ernsthafte Zweifel daran gehabt haben dürfte, dass er sich ein prall ausgespieltes Bacchanal entgehen lassen würde.
Reiches Assoziationsgewusel
Und so schälen sich während einer eigens für das Vorspiel auf der Bühne arrangierten Kinovorführung aus einem Haufen müder Pilger ziemlich gut gebaute, splitternackte „Nymphen“ heraus, die sich Wagner tatsächlich, nur vielleicht nicht direkt so, für die Sphäre der Venus vorgestellt hatte. Der stumme Film selbst, von Gérard Naziri und Falko Sternberg zusammengestellt, bringt ein reiches Assoziationsgewusel mit bewegten Rom-Bildern alter und neuer Päpste, tierischer Liebe, Tsunamiwellen und elftem September, Hippiehimmel und Drogenhölle. Weit nüchterner präsentiert sich Rolf Glittenbergs Bühne, auf der die Romantik in Versatzstücke geronnen ist, mit Wandgeweihen an der Seite, einem Greifvogel und einer Waldprojektion hinten. Das optische Vokabular wirkt ein wenig wie die Verlängerung von Laufenbergs aus Linz nach Wiesbaden importierter Sicht auf den „Ring“.
Durchaus erhellend geht es zur Sache, wenn der Regisseur im zweiten Akt den Skandal, den Tannhäuser durch seine Sicht der Liebe auslöst, mit dem plötzlich in die konservativen Wartburggesellschaft eindringenden Quintett der nackten Nymphen bekräftigt. Vor nicht allzu langer Zeit hätte das in Wiesbaden wahrscheinlich einen satten Opernpremierenstörfall ausgelöst, den das am Ende ungebrochen Musik und Szene bejubelnde Publikum hier verweigert. Die Idee ist ja auch gut, was offenbar Laufenberg selbst so sieht, denn er lässt die zwei Tänzerinnen und drei Tänzer zu Tannhäusers läuterungsdienlichem Aufbruch nach Rom gleich noch einmal (und nun ein wenig redundant) grüßen. Der ruhig um ein liegendes Kreuz auserzählte letzte Akt bietet einen kräftigen und treffend nach innen gewandten Kontrast.
Musikalische Leitung ist Chefsache
Nicht nur die Regie des neuen Wiesbadener „Tannhäuser“ war Chefsache, auch die musikalische Leitung ist es: Patrick Lange, der 36 Jahre alte, bis 2012 an der Komischen Oper Berlin verantwortlich tätige neue Wiesbadener Generalmusikdirektor, betreute am Staatstheater seine erste Operneinstudierung. Trotz schön aufblühender Horn-Passagen konnte er im ersten, am konventionellsten genommenen Aufzug manche Schnitzer im Orchestergraben nicht verhindern, ein wenig zu locker ließ er die Zügel punktuell beim von Chor und Extrachor stattlich gesungenen Einzug der Gäste auf der Wartburg. Wachsendes Format zeigte der rücksichtsvoll und anschmiegsam begleitete Sängerwettstreit.
Im dritten Aufzug schließlich bot Lange den beiden eindrucksvollsten Premierensängern eine perfekt mitatmende und klanglich berückende Partnerschaft: Benjamin Russell versinnlichte mit seinem jungen und eleganten Bariton geschmackvoll Wolfram von Eschenbachs „Lied an den Abendstern“, Sabina Cvilak brachte außer ihrem mehr als mädchenhaften, dabei völlig klar und gerade geführten Sopran auch noch eine faszinierende Bühnenpräsenz für ihr großartiges Porträt der reinen Elisabeth ein. Dass sie im ersten Akt, stumm von einer Statistin gedoubelt, schon in einem Schneewittchensarg auf der Bühne präsent war, gehörte wie Tannhäusers finaler Abgang in nebliges Licht zu den eher abgeschmackten Regiezutaten. Auch vokal glückte nicht alles: Jordanka Milkovas absolut unverständliche Artikulation in der Rolle der Venus, Young Doo Park als einseitig derber Landgraf Hermann sowie Aaron Cawleys unstet intonierter Walther von der Vogelweide ließen Wünsche offen.
Einen ambivalenten Eindruck hinterließ der Tenor Lance Ryan. Sein Tannhäuser bot stabil plazierte Höhen, aber auch eine flache Mittellage, die im Sängerwettstreit bedenklich aus dem Fokus geriet. Seine Rom-Erzählung im dritten Akt dagegen brachte eine ergreifende und sehr wissend deklamierte Seelenschau. Dabei ließ Ryan, der von Kostümbildnerin Marianne Glittenberg zum lederschwarzen Outlaw ausgestattet worden war, sich nie auf jene pauschalen Gesten ein, die der Regisseur offenbar nicht allen Solisten abgewöhnen konnte – Armschwung zur Seite, Blicke nach oben. Trotzdem: Mit seinem „Tannhäuser“ hat Laufenberg eine seiner überzeugendsten Wiesbadener Regiearbeiten in einer Produktion vorgelegt, die sich orchestral zudem zunehmend gut und vokal zum Teil sehr gut hören lassen kann.
Axel Zibulski | 21.11.2017
Wiesbadens neuer Generalmusikdirektor Patrick Lange überzeugt mit „Tannhäuser“
Bei Romeo Castellucci in München wabert ein beängstigender Fleischberg, Jan Fabre holte in Brüssel einen nackten Geburtsvorbereitungskursus auf die Bühne, Sasha Waltz entblößte ihre Tänzer in Berlin: Wenn es um den Venusberg in Wagners „Tannhäuser“ geht, dann ist der unverstellte Blick auf Venushügel Standard.
In Wiesbaden, wo Intendant Uwe Eric Laufenberg das Werk nun inszeniert hat, ist die gepflegte Freikörperkultur von Tänzern und Statisten, die sich regelmäßig mit der züngelnden Venusberg-Motivik aus dem Orchestergraben einstellt, eher ein ästhetisch ansprechender Schulmädchen- bzw. Pilger-Report als produktiv verstörend. Und in der Bilderflut der Ouvertüre auch ein bisschen ablenkend vom Wesentlichen: einem Wunder aus Klarheit, Klangsinnlichkeit und delikater Differenzierung, das Patrick Lange hier aus dem Staatsorchestergraben hervorzaubert.
Das ist die wichtigste Nachricht aus diesem Premierenabend: Der neue Generalmusikdirektor erfüllt in seiner ersten gemeinsamen Opernproduktion mit dem Intendanten die Erwartungen in höchstem Maß. Dafür wird er mit seinem Klangkörper, neben Albert Hornes kraftvollen Chören und vorzüglichen Solisten, vom Publikum begeistert gefeiert.
Aber die Neuproduktion auf der Basis einer eigens erstellten (und im Programmheft leider trotzdem nicht reflektierten) Mischfassung von Wagners Werk-Varianten für Dresden, Paris und Wien hat auch szenisch sehr starke Momente. Vor allem im 3. Aufzug, wenn die Todesahnung, von der Wolfram singt, in Rolf Glittenbergs Bühnenbild den passenden Rahmen findet: ein schwarzer Kasten, in dem ein riesiges weißes Kreuz liegt, auf dem der unerlöste Rom-Rückkehrer Tannhäuser zum Schmerzensmann wird. Am Kreuz erzählt Laufenberg auch die Tragödie der Elisabeth, der Sabina Cvilak ihren berührenden Sopran leiht, fesselnd zu Ende. Das Hemdchen, in dem die Liebende schutzlos im Schnee steht, wird sie abwerfen und barfuß in den kalten Tod gehen. Man darf ihre Nacktheit vielleicht auch als Flucht der Figur vor ihrer Idealisierung sehen, in Richtung einer zwischen reinem Lustprinzip und keuscher Muttergottes vermittelnden Sinnlichkeit, die in Elisabeth ja durchaus angelegt ist. In einer vielsagenden Regieanweisung Wagners spendet sie im zweiten Aufzug Tannhäusers Verlangen Beifall, zensiert ihre Gestik freilich schnell angesichts normierter Sittlichkeit der Wartburg-Gesellschaft. Diese wird von Young Doo Parks mächtigem Landgrafen Hermann im hochdekorierten Offiziers-Anzug angeführt und von Thomas de Vries als Biterolf in der Lodenjacke kernig vertreten.
Mit der Triebabfuhr hat es die schöne Liebesgöttin Venus, von Marianne Glittenberg hoheitsvoll-edel eingekleidet und von Jordanka Milkova mit verführerisch abgedunkeltem Timbre ausgestattet, deutlich leichter als Elisabeth. Ihren Tannhäuser vernascht sie auf multifunktionalen, profanen wie sakralen Zwecken dienenden (Kirchen-) Bänken. Wenn Wagners Grazien bei Umbauarbeiten als Möbelpackerinnen gefragt sind, evoziert das schon mit Nestroy zur Parodie tendierende Opus allerdings auch in Wiesbaden eine gewisse Heiterkeit. Ganz, ganz ernst nehmen muss man freilich einen Wolfram von den lyrisch-baritonalen Qualitäten Benjamin Russells, neben Patrick Lange der umjubelte Star des Abends. Für Elisabeth, in die er ja höchst unglücklich verliebt ist, wäre dieser Wolfram auch stimmlich die bessere Wahl gewesen. Aber sublimierende Kuschelbären sind nicht so sexy wie coole Einzelgänger.
Zwischen Venusberg und Wartburg-Welt
Lance Ryan, als Peter Grimes in Wiesbaden ein großartiger Sängerdarsteller, kämpft mit den Erosionserscheinungen seines Tenors und laviert sich teils im Sprechgesang durch die schwere Partie. Schön ist das nicht, hat aber packende Momente, in denen der Stimmzustand mit dem gelebten bzw. verlebten Leben kongruiert, mit dem Leid eines zwischen Wartburg-Welt und Venusberg Aufgeriebenen. Als solchermaßen Zerrissener wird Tannhäuser bereits in der Ouvertüre szenisch eingeführt: Angesichts eines aktuellen Videos von Papst Franziskus inhaliert der Pilger, dem die allgemeine Heiligkeit über den Kopf wächst, mit einer Narkosemaske seine erotische Gegenwelt, entfesselt im Drogenrausch eine Phantasmagorie lustvollen Pilger-Treibens auf den Kirchenbänken. Dass er am Ende dann ins Licht und wohl in Richtung Erlösung geht und nicht etwa in der Wiederkehr des Immergleichen gefangen bleibt, überrascht ein wenig, sieht aber gut aus.
Volker Milch | 24.11.2017
Wiesbaden: Staatstheater inszeniert „Tannhäuser“
An Richard Wagner war in den vergangenen Jahren kein Mangel im Leben von Uwe Eric Laufenberg. Der regieführende Intendant des Staatstheaters Wiesbaden hat Wagners „Ring des Nibelungen“ in den Jahren 2013-2015 in Linz inszeniert und diese Produktion von Oberösterreich nach Hessen verfrachtet. In Bayreuth durfte er 2016 den „Parsifal“ inszenieren. Und jetzt hat er noch einen Wagner draufgelegt und zur Einführung des neuen Generalmusikdirektors Patrick Lange den „Tannhäuser“ angesetzt.
Über Laufenberg sagt man, seine Arbeiten seien handwerklich gut gemacht. Und da das Handwerk bekanntlich goldenen Boden hat, ist der Regisseur gut im Geschäft, inszeniert nicht nur in Wiesbaden, sondern auch an der Wiener Staatsoper und eben in Bayreuth. Das Lob ist aber ein zweischneidiges. Es kann heißen: Die Produktion ist durchdacht, sauber gearbeitet, die Sänger sind gut geführt, die Geschichte ist plausibel erzählt. Es kann aber auch meinen: Mehr als Handwerk ist da nicht. Wenig Aufregendes, Irritierendes, keine neuen Perspektiven, kein doppelter Boden.
Laufenberg ist selbst ausgebildeter Schauspieler, er hat auch auf vielen Bühnen gespielt, und doch irritiert seine bisweilen unbekümmerte Art, die Darsteller einfach machen zu lassen. Im neuen „Tannhäuser“ kommt Spannung nur dann auf, wenn die Sänger miteinander agieren. Stehen sie allein auf der Bühne, wird es schnell langweilig, denn dann verfallen sie in die üblichen Operngesten, strecken die Hände in den Himmel oder zur Erde oder sind einfach da. Wirkliches Interesse scheint Laufenberg einzig am Protagonisten zu haben, und da er mit Lance Ryan einen großartigen Sängerdarsteller hat, muss der die komplette Inszenierung tragen.
Rolf Glittenberg hat eine riesige Halle auf die Bühne gestellt, die unterschiedlich ausgeleuchtet, Venusberg, schönes Tal und Sängerhalle sein kann. Verschiebbare Ledersofas, auf denen sich nacktes Venusgefolge schamlos räkelt, zieren sowohl die Lasterhöhle als auch die Wartburg, nur sitzt man dort eben gesittet in Reih und Glied. Projektionen auf den Bühnenhintergrund zeigen, ob wir uns im Freien oder im Inneren befinden. Stark sind die Bilder im letzten Akt, wenn ein riesiges Kreuz auf der Bühne liegt, auf dem Tannhäuser sich bei seiner Romerzählung windet, sein Leid dort aber folgerichtig nicht beendet, weil ja Elisabeth diejenige ist, deren Tod erst Erlösung bedeutet.
Marianne Glittenbergs stilisierte Mittelaltergewänder verweisen irgendwie auf das 13., die Uniformen der Wartburgoberen und die Tracht der Pilger auf das 20. Jahrhundert. Und auch die Bilder, die während der Ouvertüre und des Venusberg-Bacchanals auf eine Videowand eingespielt werden, spannen einen Bogen vom Mittelalter bis in die Moderne. Sie zeigen als Blick in das Innenleben Tannhäusers, dass sich in der Figur Konflikte abspielen, die seit hunderten von Jahren das Leben bestimmen. Wie Naturgewalten, die mühsam durch das Deckmäntelchen der Religion und Zivilisation eingezwängt werden, brechen die Leidenschaften hervor. Doch voll ausgekostet, bringen auch sie keine Befriedigung.
Viel ansehnliches nacktes Fleisch bringt Laufenberg auf die Bühne, selbst die Darstellerin der Elisabeth bekommt einen Nacktabgang, doch knistert es eigentlich kaum, gerade weil es zu viel Durchhänger gibt.
Das liegt auch am Musikalischen. Sauber und korrekt, transparent und penibel arbeitet sich Patrick Lange durch die Partitur, kann sich auch meist auf das Hessische Staatsorchester verlassen, doch fehlt ihm ein individueller Zugriff auf das Stück, verliert er sich in Detailarbeit. Dem Chor hätte mehr Probenarbeit gut getan.
Laufenbergs Vorliebe, Rollen mit leichten Stimmen zu besetzen, geht in Wiesbaden nur bedingt auf. Wunderbar singt Benjamin Russell den Wolfram mit schön geführtem hellen Bariton jederzeit wortverständlich. Problematisch ist Sabina Cvilaks Elisabeth, die eher wie Mimi klingt, schöne Höhen hat, aber ansonsten kaum durchkommt. Kein Wort ist bei Jordanka Milkovas arg gutturaler Venus zu verstehen. Young Doo Parks mächtiger, wohl geformter Bass kann mit der Rolle des Landgrafen sängerisch nichts anfangen. Lance Ryan dagegen traut sich was. Er portraitiert einen arg Zerrissenen, Leidenschaftlichen, mit sich Hadernden. Ryan hat Mut zu leisen, fahlen Tönen und zu starken Ausbrüchen. Ihm gelingt sängerisch vielleicht nicht immer alles, aber überaus eindrücklich ist das allemal.
Laufenbergs Wiesbadener „Tannhäuser“ reiht sich in seine Wagner-Interpretationen ein. Die Handlung bleibt erkennbar, gute Momente blitzen auf, doch eine Explosion bleibt aus. In Wiesbaden wird das geschätzt, einhelliger Jubel für alle Beteiligten.
Bernd Zegowitz | 21 November 2017
TANNHÄUSER- Premierenjubel für alle
Der „Tannhäuser“ beehrte das Hessische Staatstheater immer wieder in den letzten Jahrzehnten, dabei in sehr unterschiedlichen Deutungen. Anfang der 1980ziger Jahre inszenierte Intendant Christoph Groszer im Stile Wolfgang Wagners recht brav mit gigantischer „Liebesmuschel“, gefolgt von Dominik Neuner, der sich 2001 für eine sehr stilisierte Deutung in geometrischer Optik entschied. Wiesbadens aktueller Intendant Uwe Eric Laufenberg ging nun mit einer weiteren Eigeninszenierung an den Start, diesmal sekundiert von Rolf Glittenberg (Bühne) und dessen Frau Marianne (Kostüme). Hier ist vor allem die vorzügliche Akustik der Raumgestaltung zu loben. Sie ermöglicht, dass die Sänger in jeder Position bestens zu hören sind.
Nach seiner schwachen Ring-Inszenierung zeigte Laufenberg in seiner Inszenierung mehr Phantasie. Der Zuschauer kann sich an schönen Bühnenraumgestaltungen erfreuen, in welche diesmal (im Vergleich zur Ring-Inszenierung) der Hintergrund für Videoeinblendungen (Videos: Gérard Naziri), u.a. Naturstimmungen, gelungen genutzt wird. Lediglich in den ersten 20 Minuten nervt die Dauer-Videoberieselung, zumal diese die schwache Venusberggestaltung nicht überdecken kann. Tannhäuser ist bei Laufenberg der schwarz gekleidete Künstler, der zwischen den beiden Welten Wartburg/Hörselberg hin- und hergerissen ist. Im ersten Aufzug gibt es viel nackte Haut der viel beschäftigten Statisterie zu erleben.
Der Vorhang öffnet sich zum Pilgermotiv der Ouvertüre. Wir sehen die Pilger, die sich eine Videoübertragung mit Papst Franziskus ansehen. Unter ihnen Tannhäuser, dem das derart zusetzt. dass er eine Sauerstoffmaske benötigt. Doch was ist das? Einige Männer entkleiden sich, tanzen und springen um die Pilger herum. Küsse werden ausgetauscht…Die Pilger ergreifen die Flucht. Wir sind im Venusberg. Geraune im konservativen Wiesbadener Publikum. Sie sind völlig nackt! Männer und Frauen tanzen auf und um vielerlei Sofamöbel herum, welche sie immer wieder neu positionieren. Allerdings kaschiert das ständige Verrücken der Möbel nicht den szenischen Leerlauf, der hier überdeckt werden soll. Dazwischen Venus Champagner schlürfend. Das soll also die große andere Welt der Verführung sein? Nackerte und ein wenig Champagner? Schnell langweilt das Szenische, da Nacktheit allein eine kaum aussagestarke Personenführung zwischen Venus und Tannhäuser kaschieren kann. Da können noch so viele Videofilme den Zuschauer überfrachten. Es findet keine wirkliche Interaktion statt. Beim Szenenwechsel zeigt sich eine Waldlandschaft am Horizont, die linke Bühnenseite ist überreich mit Geweihen behängt. Ja, ja, die Jäger kommen! Doch halt, zu erst sind die Pilger an der Reihe, die, sauber und modern eingekleidet, an einem Glaskasten Halt machen. Darin ein blondes Schneewittchen…., doch nein, es ist Jungfrau Maria. Vor ihrem Glasgrab legen die Pilger Blumengebinde ab. Als am Ende des ersten Aufzuges Tannhäuser „zu ihr zu ihr“ singt, wacht die vermeintlich Leblose auf und wir erkennen, es ist Elisabeth! Von den Toten auferstanden…..Vorhang!
Im zweiten Aufzug bei ähnlich geschlossenem Bühnenraum mit überlangen Sofas nun also der sog. „Sängerkrieg“. Hier gelingen Laufenberg spannungsreiche Szenen. Elisabeth wirkt zunächst vergrämt in ihrem schwarzen Trauerornat. Wie schnell blüht sie auf, als Tannhäuser wieder da ist. Das ist bewegend und schlüssig in den Szenen entwickelt. Die Chorszenen und der Sängerkrieg sind gut choreographiert, so dass die Inszenierung hier erkennbar an Fahrt gewinnt. Allein den einzelnen Beiträgen der Sänger-Wettstreiter fehlt der szenische Biss, das wirkte dann doch wieder recht brav. Und dann sind sie wieder da! Die Nackten! Beim Sängerwettstreit! Skandal und Elisabeth kann bei so viel nacktem Fleisch nun nur noch eines tun: Beten!
Der dritte Aufzug schließlich zeigt eine Schneelandschaft mit kleinem Campingzelt und übergroßem liegendem Kreuz auf der Bühne. Hier gelingen Laufenberg anrührende und z.T. poetisch anmutende Bildwirkungen. Elisabeth verharrt reglos in der Schneelandschaft, während Wolfram im kleinen Zelt die Nachtwache hält. Die Pilger kehren heim, immer noch neu eingekleidet wirkend. Na ja, offenkundig war die Pilgerreise nach Rom nicht erkennbar anstrengend. Nach ihrem Gebet entledigt sich Elisabeth aller irdischer Zier, sie legt alle Kleider ab und schreitet völlig nackt durch den Schnee in die Nacht. Der gebrochen wirkende Tannhäuser lebt seine Romerzählung, z.T. rücklings liegend auf dem Kreuz aus. Venus betritt letztmalig mit ihrem nun bekleideten und ermüdetem Gefolge die Bühne. Dieser letzte Auftritt wirkt hier lediglich wie eine Pflichtübung. Keine wirkliche Gefahr für Tannhäuser! Am Ende schreitet auch er von der Bühne, während sich am Bühnenhorizont eine angedeutete Lichtpyramide eröffnet. Ein starkes Bild.
Spannend war diesmal die musikalische Seite. Sabine Cvilak als Elisabeth, vielbeschäftigte Sopranistin in Wiesbaden (sie wird noch Arabella und Katja Kabanowa singen), war eine sängerisch und darstellerisch überzeugende Gestalterin. Stimmlich war sie gegenüber ihr sehr grenzwertigen Sieglinde kaum wiederzuerkennen. Die Mittellage erklang warm und wohltönend. Die Höhe blieb diesmal im Körper verankert, spreizte sich nicht und war auch hier angenehm zu vernehmen. Ihre totale Identifikation mit der Rolle war jederzeit spürbar. Jordanka Milkova als Venus konnte weder szenisch noch stimmlich die notwendige Sinnlichkeit transportieren. Die junge, attraktive Sängerin verfügt über eine schöne Stimme, die jedoch recht eindimensional eingesetzt wurde. Gestalterisch war sie nicht in der Lage, zu differenzieren. Zu vieles klang pauschal und gedanklich nicht durchdrungen. Hinzu kamen Intonationstrübungen in der hohen Lage. Hier musste Milkova vor den hohen Tönen nach-atmen, um die notwendige Kraft bereitzustellen. Ab der Mittellage aufwärts war die Textverständlichkeit unzureichend. Eine nur tonale Bewältigung einer Partie formt keinen Charakter….
Ein schön gesungener Wolfram holt sich zumeist den größten Erfolg beim Publikum. So auch geschehen auch in Wiesbaden. Als Wolfram gab Benjamin Russell einen heftig bejubelten Partner an der Seite von Tannhäuser. Sängerisch betonte er mit seinem sehr hellen Bariton das Lyrische seiner Rolle, konnte aber auch den dramatischeren Anforderungen im dritten Aufzug genügen. Vorzüglich die Textverständlichkeit und die Linienführung seiner Phrasierung. Mit einer ähnlich hellen Baritonstimme war vor vielen Jahren Robert Dean Smith in Wiesbaden engagiert und wechselte dann später zum Tenor. Vielleicht geht Russell in der Zukunft einen ähnlichen Weg.
Young Doo Park war ein stimmlich vorzüglicher Landgraf, dessen herrlich timbrierter Bass in dieser Partie bestens zur Geltung kam. Unter den Minnesängern ragte der großartige Thomas de Vries als Biterolf heraus. Auch hier zeigte er, wie überzeugend charakteristisch er gestalten kann. Aron Crawleywar ein heldisch auftrumpfender Walter, der jedoch zu nachlässig artikulierte. Verlässlich in den Ensembles sangen Joel Scott als Heinrich und Alexander Knight als Reinmar. Stella An war ein stimmfrischer Hirt.
Und Tannhäuser? Seine Leistung war für mich die große positive Überraschung des Abends! Mit Lance Ryan war ein sehr erfahrener Wagner-Tenor zu hören, der mit den fordernden stimmlichen Anforderungen keinerlei hörbare Probleme hatte. Natürlich sind seiner Stimme die vielen Wagner-Abende anzuhören. Sein Vibrato ist mitunter unstet oder kaum vorhanden. Viele Haltetöne geraten steif und manche Vokalverfärbung trübt den Höreindruck, Auch brach die Stimme im Piano. Aber der Tannhäuser benötigt gerade auch solche Farben! Sein von jeher polarisierendes Timbre kann Ryan überzeugen nutzen, um hier jedoch den Außenseiter erlebbar machen. So erinnerten manche kopfigen Pianofärbungen an seinen hiesigen sehr überzeugenden Peter Grimes. In seinem Ausdrucksspektrum zeigte er sehr viele Facetten, die bei seinen Wagner-Heroen so bisher nicht zu hören waren. Verblüffend großzügig geriet seine Phrasierung. So war Ryan in der Lage große Bögen mit endlos erscheinendem Atem zu singen. Gerade der Tannhäuser benötigt eine dramatische Deklamation, eine wissende Textgestaltung. Viele Nuancen sind notwendig, um die unendlichen Farbanforderungen von Flehen über Ironie bis zum Sarkasmus abzubilden. Davon brachte Ryan sehr viel in seine Interpretation ein. So konnten sich die Zuhörer natürlich dann auch über seine packende Romerzählung freuen. Einzig sein „Da ekelte mich der holde Sang“ wirkte zu angenehm im Klang, hier braucht es viel mehr Expressivität!
Albert Horne hat seine Chöre für die sehr schwierigen Anforderungen bestens vorbereitet. Sowohl in Ausdruck, als auch in der darstellerischen Beweglichkeit, waren Chor und Extra-Chor des Staatstheaters einmal mehr ausgezeichnet. Gelegentliche Intonationstrübungen bei den Pilgergesängen störten nicht maßgeblich.
Als neuer GMD stellte sich Patrick Lange vor. Erkennbar gut war das Hessische Staatsorchester präpariert. Lange bevorzugte sehr flotte Tempi und wahrte den gesamten Abend ausgezeichnet die Balance in den einzelnen Instrumentalgruppen. Manches geriet dann aber auch zu schnell wie etwa das Vorspiel zum 3. Aufzug oder Elisabeths Gebet „Allmächtge Jungfrau“. Hier wäre mehr Mut für kontemplative Momente wünschenswert. Sein Orchester musizierte transparent und farbenfroh. Wunderschön erklangen die Holzbläser gerade im 3. Aufzug und das viel geforderte Blech musizierte schlank und kultiviert. Interpretatorisch vermeidet Lange alles Lärmende. Wenn gefordert, so konnte er aber auch wunderbar üppig ausmusizieren. So geriet das Bacchanale in seiner Orgiastik mitreißend und der Chor der Gäste mit den außerordentlich schneidig aufspielenden Fanfaren erklang geradezu überrumpelnd in seiner Klangpracht. Im Bacchanale hatte dann auch das Schlagzeug in der Proszeniumloge seine besonderen Momente mit spielfreudiger Verve und Genauigkeit.
Großer Premierenjubel für alle. Kein Widerspruch.
Dirk Schauß | Wiesbaden: TANNHÄUSER. Premiere am 19.11.2017