Fortsetzung der Gegensätze
Der Vorabend ist vorbei, der verhängnisvolle Lauf der Ereignisse nimmt an Fahrt auf. Nicht unwesentlich dafür verantwortlich ist die den Beginn der Walküre markierende Begegnung zwischen dem auf der Flucht befindlichen Siegmund und der bis dato freudlos vor sich hin lebenden Sieglinde in Hundings Hütte. In deren Dach ist aus unerfindlichen Gründen ein abgeknickter Strommast eingebrochen – ein Anblick, den man in Relation zu den ansonsten dominierenden Regieelementen als neuerlichen, missglückten und fremdkörperartigen Versuch empfindet, der Inszenierung einen gekünstelten Hauch von Zeitgeist zu implantieren. Wie dem auch sei – der schon im Rheingold vorherrschende Mangel an dramaturgischer Aktion setzt sich hier nahtlos fort. Bedauerlicherweise hat die Festspielleitung – diversen entgegengesetzten Appellen zum Trotz – dabei auch an Endrik Wottrich in der Rolle des Siegmund festgehalten. Dieser gibt nämlich alles andere als den planmäßigen strahlenden Helden ab und lässt dessen eigentlich vorgesehenes, seliges Liebeswerben um Sieglinde leider ziemlich unselig wirken. Weit mehr als mit seinen Gefühlen kämpft er merklich angestrengt mit den Höhen, quält sich mehr schlecht als recht durch seine Partie und lässt kraftvolle, voluminöse Ausdrucksstärke gänzlich vermissen. Augenfällig ist dementsprechend, dass er sich – wohl in Anbetracht einschlägiger schlechter Erfahrungen aus den Vorjahren – am Ende des ersten Akts wohlweislich nicht alleine vor dem Vorhang erscheint. Umso beklagenswerter ist seine schwache Leistung überdies insofern, als ihm mit Eva-Maria Westbroek eine Sieglinde zur Seite gestellt ist, die quasi das diametrale Gegenteil ihres Eroberers verkörpert: strahlende, sichere Höhen, scharf konturierte Artikulation sowie ein stets schlankes, natürliches Timbre machen ihren Part definitiv zu einem der „Highlights“ des gesamten zweiten Tages. Zu diesen gehört ohne Frage gleichfalls erneut Kwangchul Youn, der seinen bereits im Rheingold bravourösen Auftritt als Fasolt auch als Hunding zu bestätigen weiß und die Wahl seiner Person als echten musikalischen Festspiel-Glücksgriff untermauert. Auffallend sind in diesem Handlungskomplex dabei einmal mehr die Ähnlichkeiten zur Chéreau-Produktion in puncto Gruppierung und Gestus der handelnden Personen.
Thomas Gehrig | Festspielhaus, 09.08.2008