Die Walküre
Stefan Soltesz | ||||||
Essener Philharmoniker | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegmund | Jeffrey Dowd |
Hunding | Marcel Rosca |
Wotan | Egils Siliņš |
Sieglinde | Danielle Halbwachs |
Brünnhilde | Catherine Foster |
Fricka | Ildiko Szönyi |
Helmwige | Sabine Brunke |
Gerhilde | Francisca Devos |
Ortlinde | Sandrina Ost |
Waltraute | Marie-Helen Joel |
Siegrune | Yaroslava Kozina |
Grimgerde | Marion Thiemel |
Schwertleite | Franziska Hösli |
Roßweiße | Ieva Prudnikovaitė |
Familienrat im Nebel
Die Personen der Handlung: Der Hausherr und seine Gattin, ein Sohn und zehn Töchter, allesamt außerehelich gezeugt, sowie ein Schwiegersohn. Ein Familienstück also (gibt es eigentlich noch eine Oper, bei der alle, wirklich alle singenden Personen derart eng miteinander verbandelt sind?) Und da sitzen sie (fast) alle beieinander im elterlichen Schloss und halten Familienrat, weil ausgerechnet die einzige verheiratete Tochter sich hat schwängern lassen, nur dummerweise nicht vom eigenen Gatten, sondern vom eigenen Zwillingsbruder. Dumm gelaufen, kann man da nur sagen. Vater zeigt Verständnis, Stiefmutter nicht.
Die Verwandschaftsverhältnisse in Wagners Ring sind seit je Gegenstand von Spott und Parodie gewesen; dabei erklärt sich einiges, wenn man bedenkt, dass die Motive des Stoffes der germanischen, aber auch der griechischen Mythologie entnommen sind – und da war man in der Regel irgendwie miteinander verwandt. Wenn Dietrich Hilsdorf das Familiendrama in das Zentrum seiner Inszenierung stellt, dann unterstreicht das außerdem noch den Vater-Tochter-Konflikt, der das Publikum ohnehin meist mehr anrührt als das große Welttheater drumherum. Das trägt weite Teile des zweiten Aktes, spielt aber im ersten und dritten kaum noch eine Rolle. Da hat man eher den Eindruck, ein hübsches Fantasy-Märchen zu erleben – mit echtem Schwert. So richtig viel ist dem Regisseur, der sich lange Zeit standhaft geweigert hat, Wagner zu inszenieren (und vor einigen Wochen mit Tristan und Isolde sein Wagner-Debüt gab – unsere Rezension), darüber hinaus nicht eingefallen. Sieht man vom zweiten Akt mit dem Streit zwischen Fricka und Wotan über die moralische Bewertung von Ehebruch und Inzest ab (die hier in aller familiären Öffentlichkeit ausgetragen wird), so enthält sich Hilsdorf weitgehend einer eigenen Interpretation und erzählt das Drama ohne große Überraschungseffekte nach.
Man möchte beinahe kalauern: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, nehm’ ich ganz viel Trockeneis – denn Bühnennebel wallt in rauen Mengen durch den allerdings sehr eindrucksvoll von Dieter Richter gestalteten Saal. Der bleibt durch alle drei Akte hindurch nahezu unverändert: Eine von antikisierenden Säulen getragene Halle mit deutlichen Spuren des Verfalls. Man kann darin einen griechischen Tempel sehen, aber auch einen großbürgerlichen Salon im Stile der Krupp’schen Villa Hügel, das Führerhauptquartier oder den Führerbunker. In dieser Assoziationsvielfalt liegt sicher eine Stärke der Inszenierung. In diesem Raum bewegen sich Wotan mit Soldatenmantel im Stil eines Generals, die Walküren in roten Abendkleidern, und die gefallenen Helden waren offenbar zu Lebzeiten Kavalleristen (Kostüme: Renate Schmitzer). Die Personenregie bleibt dabei in ziemlich konventionellem Rahmen, da ist man von Hilsdorf eigentlich weit Intensiveres gewohnt.
Das ist alles nicht schlecht gemacht, erfüllt aber kaum Wagners gerne zitierte Forderung „Kinder, schafft Neues“. Nun darf man mit Recht anzweifeln, ob jede Inszenierung an ihrem Innovationsgehalt gemessen werden muss; der Wagnersche Ring allerdings fordert wie kaum ein anderes Werk des Musiktheaters zur Neudeutung heraus. Und das Essener Konzept, dem leuchtenden Stuttgarter Vorbild zu folgen und die vier Abende an vier verschiedene Regisseure zu vergeben, klang eigentlich nach dem Versuch, Wege jenseits der vertrauten Pfade zu gehen. Tilman Knabe ist das mit seinem fulminanten Rheingold (unser Bericht) ja auch durchaus gelungen. Hilsdorfs Walküre wirkt dagegen ziemlich matt, wie geschaffen für’s Repertoire, wo es nicht weiter stört: Eine ansehnliche Inszenierung, aber sicher keine, von der irgendwelche Impulse ausgehen.
Während in Knabes Rheingold die Inszenierung klar gegenüber der Musik dominierte, ist es hier anders herum. Das (sehr gute) Orchester unter der Leitung von Chefdirigent und Intendant Stefan Soltesz wird zum Hauptakteur. Soltesz wählt flüssige Tempi und einen schlanken, sehr transparenten Orchesterklang, der immer durchhörbar ist und trotz Riesenbesetzung nie die Sänger zudeckt. Trotzdem ist jederzeit klar, dass das Orchester die Führung beansprucht. Soltesz lässt weder den Solisten im Orchester noch den Sängern irgendwelche Freiheiten, die Tempi sind zwar flexibel der musikalischen Linie angepasst, aber die gibt der Dirigent vor – manchmal wünschte man sich, die Sänger hätten mehr Ruhe, eine Phrase in Ruhe auszusingen. Die Musik ist aber oft von vibrierender Spannung, wobei Soltesz jeden Anflug von Pathos vermeidet.
Vergrößerung in neuem FensterWotans Abschied von Brünnhilde (Wotan: Egils Silins, Brünnhilde: Catherine Foster)
Dem gegenüber steht ein sehr überzeugendes Sängerensemble, allen voran der jugendlich schlanke, dabei jederzeit durchsetzungsfähige Egils Silins als Wotan. Das ist keine Riesenstimme, aber intelligent phrasiert und sehr präsent. Überhaupt setzt Soltesz auf relativ leichte und bewegliche Stimmen, und sehr positiv fällt auf, dass hier einmal eine Wagner-Aufführung fast ganz ohne das so oft übliche Gebrüll zu hören ist. Vielmehr sind die Stimmen gut mit dem Orchesterklang abgestimmt. So auch die Brünnhilde von Catherine Foster, auch sie stimmlich schlank, aber mit hoher Intensität singend. Danielle Halbwachs hat schon als Elisabeth im Tannhäuser auf sich aufmerksam gemacht; ihre Sieglinde schließt sich da bestens an – sie setzt ihren leuchtenden Sopran sehr nuanciert ein, hat dabei durchaus noch Reserven. Nicht ganz auf diesem Niveau singt Jeffrey Dowd den Siegmund. Zwar ist die Partie klug disponiert, und in den lyrischen (tiefen) Passagen hat Dowd schöne Momente; die hohe Lage klingt dagegen oft eng und auch „wacklig“. Auch hat die Stimme nicht allzu viel Substanz, wodurch der gestalterische Spielraum klein bleibt. Aber Dowd steht die Partie souverän durch, was nicht wenig ist (oft genug hört man überforderte Tenöre daran scheitern, auch in Bayreuth), und er passt gut in das helle Klangspektrum.
Sehr prägnant ist der pointiert gesungene Hunding von Marcel Rosca, mit rauer, aber immer noch Raum füllender Stimme und sehr intensiver, ja überdeutlicher Deklamation. Letzteres kann man von Ildiko Szönyi als Fricka nun nicht sagen, die ihren Text oft verschluckt. Die volle, interessant eingedunkelt timbrierte Stimme verleiht der Figur Gewicht, dafür muss man allerdings manche Ungenauigkeit in Artikulation und mitunter auch Intonation in Kauf nehmen. Gut besetzt ist das Ensemble der Walküren, auch hier präsente, junge Stimmen. Das alles sorgt dafür, dass die Musik an diesem Abend klarer Sieger gegenüber der Regie bleibt.
FAZIT
Solide, letztendlich recht konventionelle Regie in tollem Bühnenbild – trotzdem hätte man von Dietrich Hilsdorf eigentlich ein bisschen mehr erwartet. So liefert’s nicht mehr und nicht weniger als die passende Kulisse für eine starke musikalische Leistung.
Stefan Schmöe | Aalto-Theater Essen am 24. Mai 2009