Die Walküre

Kent Nagano
Orchester der Bayerischen Staatsoper München
Date/Location
11 March 2012
Nationaltheater München
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegmundKlaus Florian Vogt
HundingAin Anger
WotanThomas J. Mayer
SieglindeAnja Kampe
BrünnhildeKatarina Dalayman
FrickaSophie Koch
HelmwigeErika Wueschner
GerhildeDanielle Halbwachs
OrtlindeGolda Schultz
WaltrauteHeike Grötzinger
SiegruneRoswitha Christina Müller
GrimgerdeOkka von der Damerau
SchwertleiteAnaïk Morel
RoßweißeAlexandra Petersamer
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Reviews
Online Musik Magazin

Lichter, Leichen, Langeweile

Richard Wagners Nibelungen-Ring ist eines von den seltenen Schmuckstücken, die nicht schon dann funktionierten, wenn sie „nur“ rund und glatt sind und sich ohne Verletzungsgefahr überstreifen und wieder ablegen lassen. Sein Edelstein der Erkenntnis fängt erst dann an zu strahlen und seine geheimnisvollen Wunderkräfte zu entfalten, wenn man auch die richtigen Fragen an ihn stellt. Da sorgen die einen – im Graben und mit ihren konditionsstarken Kehlen auf der Bühne – für den musikalischen Glanz, der da von weither aus dem vorvorigen Jahrhundert zu uns herüber leuchtet. Und die anderen, die das Monstrum zum viel beschworenen Gesamtkunstwerk vollenden, die suchen vor allem nach den Verbindungsstücken zwischen Wagners in extravagantem Deutsch verfassten, sich überall wo es ihm passte bedienenden, aber doch immer auch auf das Krachen im Gebälk seines Jahrhunderts lauschenden Mythos mit unserer Welt von heute. Die ja ganz anders aussieht, aber daraus entstanden ist und immer noch nach dem Bauplan von einst funktioniert. Oder eben auch nicht. Frank Castorf hat bislang vor allem darüber gesprochen, als er kürzlich zu seinem Ring-Konzept für die Bayreuther Festspiele im Wagnerjahr 2013 befragt wurde.

Nach dem vielversprechenden Einfallsreichtum und der szenischen Frische, mit der Regisseur Andreas Kriegenburg in München den für diese Spielzeit komplett vorgesehenen Ring im Rheingold beginnen ließ, fragt man sich nach der Walküre, allerdings nicht nur, worauf Kriegenburgs Konzept hinausläuft, sondern ob er überhaupt eins hat. Es muss ja nicht gleich die große Welterklärung sein, sollte aber doch etwas mit ihr zu tun haben. Immerhin gibt es jetzt jede Menge Leichen. Der Krieg also ist allgegenwärtig. Schon im Vorspiel sieht man Siegmund kämpfen. Immer wieder muss er sich dem Ansturm seiner Feinde erwehren. Immer wieder wird er umzingelt und bedrängt, immer wieder gelingt es ihm aber, sich zu befreien. Dann verschwindet der Kampfplatz samt des Hintergrundes aus verkohlten Bäumen in der Versenkung. Was stattdessen auftaucht, ist die riesige Esche in Hundings Hütte, die hier mehr eine bühnenfüllende Halle ist. Im Stamm dieser Esche steckt nicht nur (wie immer) das Schwert, das Wotan als subversiv hinterlistiges Hochzeitsgeschenk für seine Zwillinge deponiert hat. Diesmal hängen in ihrer Krone auch lauter Leichen. Was gut zum Hausherrn Hunding passt, der ein Brutalo wie aus dem Macho-Bilderbuch ist. Er hält es für normal, rabiat mit seiner Frau umzugehen. Unmittelbar vor Siegmunds Ankunft zerteilt er eine Melone in zwei Hälften und zerquetscht wie als Ankündigung deren Fruchtfleisch, um sich dann die Hände an Sieglindes Kleid abzuwischen. Im Hintergrund werden vom offenbar reichlich vorhandenen Personal Hundings unterdessen immer wieder Leichen herbeigeschafft und gewaschen. Gerade so, als gehörte Hunding zum irdischen Bodenpersonal von Walhall.

Leichen hängen dann auch im dritten Aufzug zum Walkürenritt über Stangen. Doch gerade hier (aber nicht nur hier) verselbstständigen sich die szenische Fantasie und die Lust am originellen Detail allzu sehr. Noch vor den Walküren haben nämlich ihre Rösser einen stampfenden Auftritt. Das sieht dann so aus, das im Land der Schuhplattler der weibliche Teil des Bewegungschores, hörbar schwer atmet, rhythmisch mit den Füßen stampft und jede der Damit mit ihrer langen blonden Mähne wedelt. Einige hielten das im Publikum nur fünf Minuten aus und brüllten dann dazwischen. Das war es dann aber auch mit den laut artikulierten Protesten gegen die Regie.

Die wieder großformatig gedachten und gebauten Räume von Harald B. Thors Bühne bergen aber auch noch andere Gefahren. So ist etwa die riesige Hunding-Halle von zahlreichen dienstbaren Geistern bevölkert. Zwischen den Zwillingen springen nämlich nicht im metaphorischen Sinne die Funken über, sondern zwischen den beiden wird das Glas Wasser für den Helden und viele Lichter hin und her getragen.

Der schmale, fast intime Raum, in dem sich Wotan und Brünnhilde im zweiten Akt begegnen, weitet sich wie in einem Zoom zur bühnenfüllenden imperialen Halle, in der die große Auseinandersetzung zwischen Wotan und Fricka um den weiteren Lauf der Welt stattfindet. Mit einem Schreibtisch unterm Wald-Ölschinken und einer Unzahl von Saaldienern, die entweder allesamt einen Drink reichen oder sich zu Sitzen für die Götter formen. Hier findet die Szene tatsächlich den Rahmen, der den privaten Ehestreit in eine andere Dimension hebt. Um ihn dann freilich gleich wieder durch das Überstrapazieren dieser Idee selbst zu demontieren.

Für die große Schlussszene, bei der Wotan Brünnhilde sein Schlaflied der besonderen Art singt, ist Kriegenburg fast nichts eingefallen. Außer: Händeringen bei der gefallenen Tochter, verzweifelte Gänge beim wider Willen strafenden Vater und zum Schluss eine mittlere Dosis pyrotechnisch und videozüngelnder Flammen. Wobei der Flammenkranz, mit dem das Hubpodium mit Brünnhilde eingerahmt wird, sehr an den Alberich-Wurm aus dem Rheingold erinnert.

Die Protagonisten für diese Walküre waren handverslesen. Anja Kampe überzeugte mit einer leidenschaftlichen Sieglinde und Ain Anger mit einem machtvoll auftrumpfenden Hunding. Ein Musterbeispiel von geglückter Einheit von vokaler Qualität und darstellerischer Glaubwürdigkeit lieferte das fern von jedem behäbigen oder keifenden Klischee agierende Götterpaar Thomas J. Mayer mit seinem schlanken, jungendlichen Wotan und Sophie Koch mit ihrer prägnanten, eloquenten Fricka. Auch die hochdramatische Brünnhilde von Katarina Dalayman und die Walkürentruppe ergänzten das bejubelte Protagonisten Ensemble. Das musikalische Sahnehäubchen dieser Produktion war das Siegmund-Debüt von Klaus Florian Vogt. Die Fans fanden es hörbar toll und reagierten mit Ovationen. Zum wirklich überzeugenden, leidenden und leidenschaftlichen Siegmund freilich fehlt seiner Stimme aber, nüchtern betrachtet, doch das gewisse Etwas. Auch beim scheidenden GMD Kent Nagano im Graben vermisste man, vor allem im dramatischen ersten Aufzug, die innere Spannung in einem Maße, wie man das so lange nicht von einem wagnererprobten Spitzenorchester gehört hat. Selbst den Walkürenritt formte er nicht mit der Wucht, die einen das Fürchten lehrt. Was wohl auch an dem Pseudo-Peitschengeknalle lag, das Kriegenburg den kriegerischen Damen verordnet hatte. Trost spendeten immerhin die Faszination der Todesverkündigung und Wotans Abschied, mit dem das Bayerische Staatsorchester seinen Rang als Wagnerorchester überzeugend unter Beweis stellt.

FAZIT
Nach einem vielversprechenden Auftakt mit dem Rheingold landet Andreas Kriegenburg mit seinen szenischen Ideen und dem weiter verwendeten Bewegungschor in einer Sackgasse. Kent Nagano setzt dem trotz eines Ensembles von überzeugenden Protagonisten nicht genügend musikalische Gestaltungskraft entgegen, um diese Walküre zu einem packenden Gesamtkunstwerk zu machen.

Roberto Becker | Premiere am 11. März 2012 an der Bayerischen Staatsoper München

die-deutsche-buehne.de

Ziellos auf Walkürenritt

Gut möglich, dass am Ende des neuen „Rings des Nibelungen“ an der Bayerischen Staatsoper das Dirigat von Kent Nagano als prägendes Moment der Produktion in Erinnerung bleibt. Dabei ist es gar nicht so einfach, den gemeinsamen Nenner auszumachen, auf den Nagano all die Facetten dieses musikdramatischen Weltgebäudes bringt. Was einen an seinem „Walküre“-Dirigat vorderhand fesselt, ist eben gerade dieser Facettenreichtum und die tief durchgearbeitete Strukturierung der einzelnen Facetten selbst – wobei der Orchestersatz stets einfühlsam auf das individuelle Profil der Sänger abgestimmt ist. Es gibt Momente innigsten Verzögerns, in denen das Drama seinem eigenen Geschehen mit fast lyrischer Ruhe nachzulauschen scheint. Es gibt erschütternde Zuspitzungen wie der Einbruch des Frühlings in Hundings düstere Hütte oder Wotans großen Zusammenbruch im Zwiegespräch mit Brünnhilde – da wird in der katastrophischen Klagmacht noch am ehesten spürbar, dass es um „das Ganze“ geht. Doch am stärksten prägen sich die strukturellen und klanglichen Differenzierungen ein, mit denen Nagano immer wieder überrascht: die düsteren und reichen Farben der Todesverkündigung, als Brünnhilde dem kampfbereiten Siegmund erscheint; der außerordentlich differenziert durchgearbeitete Walkürenritt (den die Regie durch das Zügelknallen der Walküren durchaus verzichtbar bereicherte); oder der impressionistisch aufgelichtete Feuerzauber im Finale.

Es war schade, dass Nagano keine durchweg erstklassige Sängerbesetzung zur Verfügung stand. Nur das Wälsungenpaar beeindruckte durch nahezu tadellose vokale und musikdramatische Statur. Hier muss zuallererst Klaus Florian Vogt als Siegmund genannt werden, auch wenn er den düsteren und heißblütigen Charakterzügen dieses Wald-Desperados aufgrund seines lyrisch reinen, dabei monochromen und kaum modulationsfähigen Timbres einiges schuldig bleibt. Aber die Leichtigkeit und Sicherheit seiner Attacke, die Klarheit der Diktion, der in fast allen Lagen lupenreine Fokus der Stimme, die Mühelosigkeit des Fortes, die hocheinfühlsame Phrasierung, die dynamische Disziplin – das alles ergibt zusammen schon eine eindrucksvolle Leistung. Anja Kampes Sieglinde eroberte sich die Sympathien mit einer Mischung aus dramatischer Bühnenpräsenz und vokaler Jugendlichkeit. Sie gestaltet die Sieglinde sehr emphatisch, mit lebendiger Phrasierung und aufblühender Höhe, allerdings auch mit einer Neigung zum überspannten Flackern. Mit den Angstphantasien des letzten Aufzugs gelang ihr aber eine fesselnde Steigerung als Abrundung eines starken Rollenporträts.

Ambivalente Eindrücke hinterließ Thomas J. Mayer als Wotan. Sein dunkler, schlanker, charaktervoller Bassbariton klingt zunächst einmal sehr einnehmend. Es war beeindruckend, welche Präsenz diese nicht eigentlich „dick“ klingende Stimme auch in den Höhepunkten der kräftezehrenden Partie entfaltete und wie packend er die charakterliche „Zerrissenheit“ dieses Gottes in höchster Not spürbar macht. Nur dass Mayer in der von mir besuchten zweiten Vorstellung (15. März) im 3. Aufzug mit seiner Kraft dann doch am Ende war – um dann mit der bewegenden Gestaltung des Abschieds noch einmal für sich einzunehmen. Katarina Dalayman dagegen gab von Anfang Anlass zur Sorge: mit ihren forcierten, dadurch rhythmisch verwackelten Walkürenrufen. Dabei war sie eine zweifellos durchsetzungsfähige Walküre, der aber offenbar die vokalen Gestaltungsreserven fehlen, so dass der Fokus der Stimme immer wieder im tremolierenden Wabern verloren ging. Sophie Koch war als schulterfreie Fricka im apricot-farbenen Glitzerkleid eine hochattraktive Bühnenerscheinung. Stimmlich war vor allem ihre vollkommen keiftonfreie Höhe einnehmend, in der Tiefe dagegen fehlt es ihr an Substanz, in der Diktion an Prägnanz. Ain Anger war ein markiger, etwas holziger Hunding-Finsterling, während die Walküren mit Erika Wueschner, Danielle Halbwachs, Golda Schultz, Heike Grötzinger, Okka von der Damerau, Roswitha C. Müller, Alexandra Petersamer und Anaïk Morel hochkarätig besetzt waren und unter Nagano zu klanglicher Hochform aufliefen.

Und Andreas Kriegenburgs Inszenierung? Sie bietet gefällige Bilder und ein paar eindrückliche Szenen – macht einen in ihrer perspektivlosen Vordergründigkeit aber recht ratlos. Dabei hatte Kriegenburg doch im „Rheingold“ mit einem klugen Gedanken begonnen: mit dem Versuch, die Tetralogie als Erzählung eines Kollektivs zu inszenieren, das sich seiner Identität versichert, indem es sich selbst den „Ring“ vorspielt. Von dieser Metaebene war in der „Walküre“ kaum noch etwas spürbar. Natürlich erkannte man Harald B. Thors so wuchtigen wie wandlungsfähigen Holzbühnenkasten wieder und auch einige Kostüme von Andrea Schraad; und natürlich konnte, wer wollte, in den zahlreichen Statisten, die von Szene zu Szene mal mehr, mal weniger gegenwärtig waren, die Fortsetzung dieses Ansatzes sehen. Nur wurde er darin von der Regie kaum bestärkt. Viel eher erregte die Mädchenriege Befremden, die etwa in der Hunding-Hütte in hellen Wallekleidern mit ihren Handlämpchen für spärlichen Lichtzauber sorgte (unter anderem dadurch, dass die Damen die Getränke zwischen Sieglinde und Siegmund hin- und hertrugen und diese dabei innerlich erleuchteten wie das fatale Milchglas in Hitchcocks „Suspicion“); oder die vor dem musikalischen Walküren-Ritt in silbrigen Hängerkleidchen und Springerstiefeln eine mähnenschwingende Stomp-Pferdenummer auf die Bühne trampelte und damit eine Buh-Bravo-Bataille des Publikums provozierte (fast ein Skandälchen – na siehstewohl!). Und dass in Wotans riesiger Regierungshalle in Eiche hell die Diener mit ihren Körpern als Sitzmöbel herhalten mussten, während hinten ein Schreibtisch in Eiche dunkel thronte – das war doch eine arg fassliche Metapher für das Verhältnis von Herr und Knecht.

Es gab ein paar kluge und ein paar rätselhafte Bildeffekte. Wenn beispielsweise bei Hunding nebst den Lampenmädels auch einige Damen vom Bestattungsunternehmen in weißer Schürze tätig waren, um im Hintergrund Leichen zu waschen und in Tücher zu hüllen, konnte man das als humane Kontrafaktur zum Geschäft der Walküren lesen, die ja bekanntlich von Wotan ausersehen sind, die im Kampf Gefallenen gleich wieder für die nächste Schlacht zu rekrutieren – was dann beim Walkürenritt mit den auf Pfähle gespießten blutigen Körpern auch gebührend angeprangert wurde. Ob uns aber die in Hundings Haus-Esche hängenden Leichen nun über spezielle atavistische Hinrichtungsmethoden aufklären wollten oder über Hundings brutales Regime im allgemeinen, blieb im Dunkeln. Oder der Dialog zwischen Wotan und Fricka: Wenn es argumentativ eng wird für den Gott, schiebt sich die Riesenwand des Bühnenkastens bedrohlich nach vorn. Und bevor der Gott gegenüber Brünnhilde nolens, volens das Heft des Handelns wieder ergreift, schiebt er sie wieder nach hinten.

Aber gerade in der Ausarbeitung der Figurenbeziehungen wunderte man sich doch, wie stereotyp Kriegenburgs Personenführung blieb, wie privat und dadurch seltsam kleinlich die Konflikte, wie zielllos die Bilder und Einfälle in ihrer Gesamtheit wirkten. Offenbar ist Kriegenburg schon in der „Walküre“ die Idee fürs Ganze abhanden gekommen. Ob er sie im Siegfried wieder findet – das ist derzeit die spannendste Frage des Münchner „Rings“.

Detlef Brandenburg | 13. März 2012

onlinemerker.com

Anja Kampe steigert sich mit beeindruckender Emphase im Laufe des Abends in eine mitreißende Sieglinde – nicht nur durch ihr intensives und leidenschaftliches Spiel, sondern auch durch ihren in der Mittellage ebenso fülligen wie leuchtenden Sopran, der auch in den Höhen meist gut anspricht. Sie bietet die beste Gesamtleistung des Abends. Viel ist über das lyrische Timbre des Tenors von Klaus Florian Vogt geschrieben worden, der den Siegmund singt. Mit einer intensiven und mimisch überzeugenden Darstellung gestaltet er ihn weit glaubwürdiger als die meisten seiner derzeitigen Sängerkollegen. Allein, sein heller Tenor, der immer wieder an Mozartsche Stimmfarben erinnert – und Vogt ist bekanntermaßen ein hervorragender Lohengrin und Stolzing – hat bei aller Qualität an Phrasierung und Wortdeutlichkeit nicht die für den Siegmund erforderliche tenorale Durchschlagskraft. Das wird bei den Wälse-Rufen, noch mehr aber in der Todverkündigung offenbar. Ain Anger ist wieder der gefährliche und mit großer Souveränität agierende Hunding mit seinem farbigen und bestens artikulierten Bass.

Der 2. Aufzug beginnt mit szenischen Enttäuschungen. Zunächst muss Wotan wie ein Bürokrat unterwürfig gereichte Akten unterschreiben – wie oft hat man das schon gesehen! Dann weitet sich das Bild. Die Verschiebungen der Bühnenebenen in Höhe und Tiefe haben bisweilen ihren Reiz, auch bei der Todverkündigung, die auf einem erhöhten Schlachtfeld mit ein paar Überlebenden stattfindet, welches man aus den ersten Reihen aber kaum sehen sollte. Wotans Büro sieht jedoch aus wie eine 1:1-Nachbildung dessen, welches Patrick Kinmonth für die Carsen-Produktion geschaffen hat – riesige Wände, ein großes Bild (bei Carsen zwei) und ein Schreibtisch. Dazu nervt das scheinbar endlose Servieren ständig neuer Whisky-Portionen durch die schon bei Carsen zu sehenden livrierten Diener, bis Wotan selbst eine Flasche Jameson aus dem Schreibtisch holt. Kriegenburgs Konzept, „über die Welt der Körper eine andere ungewohnte Entschlüsselung der Wagnerschen Symbolik zu erzielen“, wie es Dramaturgin Tiedtke formuliert, verkommt mit dem Verhalten dieser Statisten zu bloßem Manierismus. Sie dienen abwechselnd Wotan und Fricka als Sitzgruppe aus Menschenleibern, bevor es mit dem servilen Getue weitergeht. Das wirkt alles zu konstruiert und letztlich banal. Es ist nur dem großen darstellerischen Talent von Thomas J. Mayer als engagiertem und verzweifelndem Wotan sowie der Intensität von Sophie Koch als seiner zürnenden und kompromisslosen Gattin Fricka zu danken, dass in der langen Szene dennoch Spannung aufkommt. Diese Götter sind mit ihren schlohweißen Haaren bereits gealtert, haben ihre Zeit überlebt und sind ihrem Ende nahe. Mit der vornehmlich auf Menschliches abstellenden guten Personenregie Kriegenburgs kommt diese Endzeitsituation gut heraus. Mayer hat keine ganz große Stimme, es fehlt ihm (noch) die bassbaritonale Tiefe für den Wotan. Aber er verfügt über eine klangvolle und variationsfähige Mittellage sowie blendende Höhen bei guter Diktion. Im 3. Aufzug gerät er stimmlich etwas an seine Grenzen. Sophie Koch ist eine elegante und souveräne Fricka mit farbigem Mezzo bei ebenfalls bester Wortdeutlichkeit, jedoch nicht mit der letzten Strahlkraft in der Höhe. Einmal mehr enttäuscht Katarina Dalayman als Brünnhilde mit ihren scharfen und verhärteten Höhen, zumal in der Todverkündigung. Der Schlussaufzug gelingt ihr besser. Hinzu kommt ihre schlechte Diktion – es ist oft kein Wort zu verstehen. Weiterhin kann Dalayman mit ihrer warmen Mittellage überzeugen, auch mit oft einfühlsamem und rührigem Spiel. Ihr Höhenproblem wird aber immer virulenter.

Das wild stampfende und stöhnende Opernballet der Bayereichen Staatsoper ohne Musik vor dem Walküren-Ritt wäre bei zeitlich richtiger Dimensionierung durchaus akzeptabel. Durch die überdehnte Länge verlor die Darbietung aber fast ihre gesamte Wirkung und wurde für Teile des Publikums nicht ganz unverständlich zum Ärgernis. Sogar die im Hintergrund mit ihren Speeren auf den Einsatz wartenden Walküren schienen sich zu langweilen… Wirklich ärgerlich war dann aber ihr Peitschengeknalle auf dem Boden, mit dem sie die nun symbolisch aus toten gefallenen Helden gebildeten Pferde zum – freilich nicht stattfindenden – Ritt anspornten. Das Geknalle störte dermaßen den musikalischen Ablauf, dass es selbst Kent Nagano mit dem Orchester aus dem Tritt brachte, sie hatten einen totalen Hänger. Das Oktett war im allgemeinen stimmstark besetzt mit der auffallend guten Danielle Halbwachs als Gerhilde, Golda Schultz als Ortlinde, Heike Grötzinger als Waltraute, Okka von der Damerau als Grimgerde, Roswitha C. Müller als Siegrune, Alexandra Petersamer als Rossweiße und Anaik Morel als Schwertleite. Erika Wueschner als Helmwige blieb dagegen etwas piepsig. Zum szenischen Offenbarungseid geriet der Dialog zwischen Wotan und Brünnhilde vor seiner holzgetäfelten Bürowand, bei dem sich beide zudem ungehemmt an PET-Flaschen labten. Das hat man in dieser Form auch selten gesehen. Der von den Jungdamen getragene Feuerzauber mit echter Flamme im Schlangenwurm konnte die Defizite des Schlussaufzugs nicht vergessen zu machen.

Kent Nagano begann den 1. Aufzug mit einem zügig dirigierten Vorspiel sehr engagiert und erzielte mit dem Bayerischen Staatsorchester streckenweise einen mitreissenden Wagner-Sound. Insbesondere gelangen ihm die kammermusikalischen Momente in ihrer Feinzeichnung, Transparenz und emotionalen Aufladung. Leider kam es aber wiederholt zu Tempoverschleppungen, so nach den Wälse-Rufen und während der Todverkündigung. Hier gab es bedenkliche Spannungsabfälle. Natürlich war die hohe Wagner-Kompetenz des Orchesters und der einzelnen Instrumentengruppen hörbar. Von einem großen und ebenso weit gespannten wie spannenden Bogen, wie das ein Christian Thielemann oder Peter Schneider vermögen, war aber nichts zu spüren. Und das sollte an der Bühne, auf der die „Walküre“ ihre UA hatte, doch musikalisches Ziel sein. Noch eine Aufführung am 24. April, und im Mai geht es dann mit „Siegfried“ weiter.

Klaus Billand | 29.03.2012

Münchner Merker

Apokalypse lau: Buhrufe zur “Ring”-Premiere

Wie schaut der Drache aus? Was und wie viel kracht beim großen Weltenbrandfinale zusammen? Das sind so gemeinhin die Schlüsselfragen im „Ring“. Vor allem aber: Was passiert beim Walkürenritt, dem ultimativen Film-Funk-und-Fernseh-Hit dieser 15 Stunden? Im Nationaltheater bleibt’s bei Apokalypse lau: Stöhnende, stampfende Frauen markieren vor Beginn des dritten Akts Hyper-Emotion. Eine schweißtreibende, stumme, Wagner-lose Choreographie. So lange, bis die Premierenbesucher endlich in die Falle tappen, „Aufhören!“, „Zugabe!“ oder „Musik!“ brüllen und sich ein hübsches Buh-Bravo-Gefecht liefern.

Für einen Moment spielt da Münchens neue „Walküre“ Skandälchen. Um dann wieder zurückzusinken in ein – was eigentlich? – Theater, bei dem die Flucht zur Rampe den Notausgang zum letzten Fetzchen Regie bietet. Dabei gibt es ja einiges zu sehen. Regisseur Andreas Kriegenburg bleibt seinem „Rheingold“-Stil treu. Keine Konzeptkrämpfe also, keine Weltentwürfe. Er sieht sich mit Bühnenbildner Harald B. Thor eher als der bescheidene Bildfindungs-Poet. Die Weltesche, in der tote Leiber hängen, das Tafel-Stillleben mit Obstschale und Fasanen-Gericht, in dem Hunding zur tödlichen Bedrohung für Siegmund wird, die aufs Cinemascope-Format verengte Todverkündigung, in der drei schwarz Bemantelte übers dunstige Leichenfeld wandeln, all das hat schon beachtlichen Schau-Mehrwert. Und bleibt doch nur erbaulicher Rahmen, der viereinhalb sehr lange Stunden seiner Auspinselung harrt.

Bislang glaubte man ja an ein Naturgesetz. Die „Walküre“, das allzu menschlichste der vier „Ring“-Stücke, funktioniert im Grunde von selbst. Vor allem der erste Akt – ein klingendes Regie-Buch. Wer nur halbwegs hinhört, ob Regisseur oder Dirigent, dem glückt automatisch Intensität.

Was für ein Irrtum. Ausgerechnet diese 60 Minuten (und weite Teile der folgenden Akte) verfallen im Nationaltheater in Opernstarre. Klaus Florian Vogt singt die „Winterstürme“, später die Todverkündigung berückend lyrisch, mit unangestrengtem Lied-Ton-Zauber, liefert aber letztlich nur ein delikat abgeschmecktes Arienkonzert. Ähnliches bei der unterforderten Anja Kampe als Sieglinde. Ein, zwei flackernde Spitzen passieren ihr, was aber nichts macht, da sich emphatischer Gesang und Spiel ideal durchdringen. All dies könnte wirklich überwältigen, müsste (nicht nur) sie gerade in den Monologen ständig nachatmen. Und das lenkt nun die Aufmerksamkeit auf den Mann eine Etage tiefer.

Dass Kent Nagano das Gegenteil eines dramatisch empfindenden, vokal sensiblen Dirigenten ist, rächt sich vor allem in dieser „Walküre“. Es ist einer seiner schwächsten, spannungslosesten Münchner Abende. Gewiss: Das Bayerische Staatsorchester klingt luxuriös und die Leitmotiv-Arbeit nach kundiger Analyse. Doch der erste Aufzug kommt kaum in Gang, das Vorspiel zum zweiten entgleist fast. Scharnier- und Übergangsstellen sind gefährdet, die Tempi zu zerdehnt. Man hangelt sich von einer Mini-Episode zur nächsten. Und wenn Nagano der Sinn nach Dramatik steht, dann ist das nie organisch entwickelt, sondern vor allem zweierlei: unvermittelt und laut.

Zwei fatal Wesensverwandte haben sich da gefunden. Nagano und Kriegenburg vertrauen nicht nur auf den souveränen, sich selbst überlassenen Sänger – sie brauchen ihn dringend. Und das geht nur selten auf. Bei Vogt und Kampe mit kleinen Abstrichen, auch bei Melonenvernichter Ain Anger, ein Hunding aus dem Musterbuch des schwarzen Mannes. Im Falle der Titelheldin wird es allerdings schwierig. Katarina Dalayman wirkt, als sei sie erst vor zwei Tagen zum Ensemble gestoßen. Darstellerisch ist sie zu passiv und vokal damit beschäftigt, ausbrechende Extremtöne zu kontrollieren und ihren verhärteten Sopran aufzuweichen. Gleichwohl ist die Schwedin der zurzeit seltene Fall einer Hochdramatischen, die die Brünnhilde überhaupt unfallfrei durchsteht. Bräuchte sie einen Animateur, wäre im Falle des Götterpaares eher ein Kontrolleur gefragt. Sophie Koch gibt die Fricka als Joan-Collins-Karikatur mit bizarr überdrehter Deklamation. Thomas J. Mayer scheint sich dagegen ständig zu beobachten (und zu gefallen): Seine tiefe Wotan-Verzweiflung, die Kriegenburg mehr als alles andere akzentuiert, ist ausgestellt, weniger erfühlt. Am imponierendsten ist er in den Ausbrüchen des dritten Akts, auch in der genauen Textarbeit, vieles verläuft sich indes in diffuser Intonation.

Statt sich mit diesen Figuren also näher zu beschäftigen, sie in Kraftfeldern miteinander zu konfrontieren, verlegt sich Kriegenburg auf Ersatzhandlungen. Wieder ist also die Statisterie gefragt. Eine Riege dienstfertiger Mädchen durchweht Hundings Haus. Siegmund und Sieglinde dürfen sich nicht direkt das Wasserglas reichen, damit sind diese Helferinnen enervierend oft beschäftigt. Ähnliches bei Wotans, wo sich befrackte Herren fürs hohe Paar schon mal zum Sitzmöbel gruppieren. Doch statt sich mit einmaligem Vorzeigen seiner Einfälle zu begnügen, reitet Kriegenburg auf ihnen herum. Man nehme nur die Walküren, die nach dem stummen Spiel ihrer trampelnden Kolleginnen zum Hojotoho mit langen Zügeln peitschen und Sadomaso-Gefühle heucheln. Es ist also Halbzeit im Münchner „Ring“. Und es hakt gewaltig. Doch mit der Hoffnung verhält es sich wie mit Brünnhilde im „Ring“. Die stirbt zuletzt.

Markus Thiel | 12.03.2012

Die Welt

Zäher Krieg auf dem Walkürefelsen

Besonders ernüchternd ist, dass die Regie das große Wagner-Problem nicht in den Griff bekommt: die gerne mal 20 Minuten langen Dialoge, bei denen nur zwei Leute auf einer kahlen Bühne stehen und schon genug damit beschäftigt sind, die schweren Noten anständig zu singen. Im “Rheingold” hatte Kriegenburg jede Gefahr von Statik durch die dauerbewegliche Menschenkulisse elegant abgewendet. In der “Walküre” ist ihm nichts Vergleichbares eingefallen, die Unterhaltungen zwischen Wotan und Fricka und zwischen Wotan und Brünnhilde sind langatmig.

Die einzige Innovation ist ein stummes Walkürenballett zu Beginn des dritten Akts mit keuchenden jungen Frauen in Silberkleidchen, die ihre langen Haare durch die Luft wirbeln. Es blieb unklar, was das sollte – aber noch ratloser machte die Reaktion des Publikums. Die Leute fingen an zu brüllen, “Wir wollen Richard Wagner”, “Macht endlich Musik”. Mit der Idee, einen Akt einige Minuten später beginnen zu lassen, hatte der Regisseur aus Sicht vieler Besucher seine Kompetenzen bereits überschritten.

Die Sängerbesetzung prunkte mit großen Namen. Allen voran Sophie Koch als stolze Göttin Fricka und Klaus Florian Vogt, einer der gefragtesten Wagner-Tenöre derzeit. Vogt ist berühmt für seine helle und klare Stimme. Für eine Darbietung des Siegmund wurde er bejubelt, auch wenn das sicher nicht seine Paraderolle ist. Die lyrischen Passagen beherrscht Vogt wunderbar, mühelos bildet er seinen Klang. Doch bleiben die dunklen, kämpferischen Facetten Siegmunds unterbelichtet. Anders seine Partnerin Anja Kampe als Sieglinde, die eine wunderbare Kraft bewies, ohne schrill zu klingen. Thomas J. Mayer stand die fast unsingbare Wotan-Partie gut durch, und Katarina Dalayman war als Brünnhilde ebenfalls überzeugend.

Leider kann sich Dirigent Kent Nagano immer noch nicht richtig zu einem emotionalen “Ring”-Klang entschließen. Impulse gehen vom Graben nicht aus, vor lauter Rücksicht auf die Bühne wirkten viele Stellen zu zerstückelt – und im Vorspiel zum zweiten Akt fiel das Orchester fast ganz auseinander. Nach einem guten “Rheingold” nun also eine zumindest szenisch enttäuschende “Walküre”. Noch haben Kriegenburg und Nagano nicht mal die Hälfte der “Ring”-Musik geschafft, über Wohl und Wehe des ganzen Zyklus ist also noch nichts entschieden. Aber steigern müssen sie sich, wenn sie den Bayreuther “Ring” 2013 herausfordern wollen.

Lucas Wiegelmann | 13.03.2012

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User Rating
(3/5)
Media Type/Label
PO
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 525 MiB (MP3)
Remarks
Broadcast
A production by Andreas Kriegenburg (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.