Die Walküre

Antony Hermus
Anhaltische Philharmonie Dessau
Date/Location
5 October 2014
Anhaltisches Theater Dessau
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegmund Robert Künzli
Hunding Stephan Klemm
Wotan Ulf Paulsen
Sieglinde Angelika Ruzzafante
Brünnhilde Iordanka Derilova
Fricka Rita Kapfhammer
Helmwige Einat Ziv
Gerhilde Gerit Ada Hammer
Ortlinde Cornelia Marschall
Waltraute Anne Weinkauf
Siegrune Kristina Baran
Grimgerde Gwendolyne Reid Kuhlmann
Schwertleite Constanze Wilhelm
Roßweiße Jagna Rotkiewicz
Gallery
Reviews
Online Musik Magazin

Das Eckige im Runden

Als André Bücker in Dessau sein Ring – Projekt von hinten mit der Götterdämmerung, also dem größten Brocken des Vierteilers, begann, da war man versucht zu sagen: schlau gemacht. Denn man kann nie wissen, ob die kulturpolitischen Voraussetzungen für so ein Groß-Projekt in Sachsen-Anhalt über die Jahre erhalten bleiben. Jetzt haben es die Kulturpolitik in Magdeburg und eine bittere Kehrtwende in der Dessau-Kommunalpolitik auf der einen Seite sowie die Beharrlichkeit und der Kampfgeist des Generalintendanten und Regisseurs Bücker auf der anderen Seite tatsächlich geschafft, dass in einer bitteren dialektischen Pointe Hoffnung und Befürchtung gleichzeitig zutreffen: Sie werden den Ring in Dessau (das ist jetzt, nach dem dritten großen Teil, klar) mehr als nur achtbar zu Ende bringen. Aber der durchaus geschickt mit der Dessauer Bauhaus-Ästhetik spielende Vierteiler, der zugleich ein imponierender musikalischer Leistungsnachweis des Hauses ist, wird der Abschluss von André Bückers Intendanz werden. Vielleicht gar die Begleitmusik zu einer leichtsinnig herbei geführten oder zumindest in Kauf genommenen Theaterdämmerung. Zu den ersten Aktivitäten des neuen Dessauer Bürgermeisters (FDP) gehörte die Neuausschreibung dieser für eine Kommune so wichtigen Position. Dass Bücker den Hinweis, dass er sich doch auch bewerben könne, als puren Zynismus empfinden muss, wird klar, wenn man sich an das Schicksal des letzten Bauhausdirektors erinnert und die Sympathien bzw. unverhohlenen Antipathien des Magdeburger Kultusministers vor Augen führt. Ein so traditionsreiches und für die ganze Region wichtiges Haus wie das Theater Dessau wird in Kürze ohne Generalintendanten, ohne GMD, mit einem bis unter die Funktionsgrenze eingeschrumpften Landeszuschuss, einem abgemagerten Schauspiel und einem Miniballett dastehen. Auf dieses Rahmenprogramm zur Walküre hätte man liebend gerne verzichtet.

Wenn unter solchen Bedingungen der Vorhang dennoch für ein so ambitioniertes Projekt wie geplant hochgeht und eine alles in allem beeindruckende Walküre ihre Premiere erlebt, dann ist das per se schon ein Riesenerfolg. Er ist es aber auch für sich genommen. Sicher, der erste Akt verläppert sich szenisch seltsam spannungslos. Der Baustamm mit dem Schwert baumelt als Kabelbaum mit lauter leuchtenden Drähten in einem Gerüst. Siegmund und Sieglinde sind etwas steril in weiße Kostüme verpackt. Hintergrundprojektionen verweisen auf das Innere eines Großrechners. Stephan Klemm ist als Hunding eine imponierende Erscheinung, seine Truppe ist vermummt. Sieglinde serviert ihnen das Essen in Flugzeug-Assietten und die Getränkebüchsen zischen überreichlich. Wenn vom Wonnemond die Rede ist, zieht der Erdtrabant in gefährlicher Nähe vorüber. Und doch passiert auf der Bühne eigentlich nichts wirklich aufregendes, wobei Robert Künzli als nicht allzu großformatiger, aber klar konturierter Siegmund und vor allem Angelina Ruzzafante, die als Sieglinde erhebliches dramatisches Format aufbietet, das gemeinsam mit dem spannungsgelandenen Orchester musikalisch ausgleichen.

Auch in den folgenden beiden Akten gibt es auf der Bühne von Jan Siegert wieder eine volle Dröhnung mit Videos von Frank Vetter und Michael Ott. Darunter ein imponierender Ausblick vermutlich aufs nächtliche Los Angeles. Wer die anderen beiden Teile schon kennt, findet sich zurecht. Erkennt bald den szenischen Weg hin zum bauhausaffinen Walküren- Würfel und in die Welt der Abbilder und Virtualisierung. Mit dem zweiten Aufzug, wenn Ulf Paulsen seinen Wotan als Filmboss in Hollywood mit komödiantischem Furor und imponierender Stimmgewalt ausstattet, wenn Rita Kapfhammer eine präzise Super-Fricka hinlegt und dann Irodanka Derilova als Brünnhilde der Extraklasse mit Handtasche und Handy aufkreuzt und die Regie im Schmachtfetzen über Siegmunds Tod übernimmt, aber dann doch den vorgesehenen Lauf der Dinge aufzuhalten versucht, ist die szenische Ring-Welt in Dessau wieder in Ordnung. Die Walküren haben ihren Auftritt als überdrehte Diven, die sich gerne von männlichem Personal in Matrosenuniform verwöhnen lassen. Und Brünnhilde wird am Ende im Würfelfelsen vom innerlich zerrissenen, und im Ganzen ziemlich menschlich widersprüchlichen Papa ins Strafkoma gesungen.

Im Runden formt sich hier das Eckige – am Ende ist der aufgefächerte Konstrukt wieder genau jener Würfel (mit eingeschlossener Brünnhilde), über dessen weitere Verwendung wir schon Bescheid wissen. Die gebogenen Riesenleinwände erlauben es, aus dem live gefilmten Lebensende von Siegmund einen Hollywood-Schinken vor imponierender Landschaftskulisse zu fabrizieren. In dem dann auch mal der (echte) Mount Rushmore auftaucht. Als augenzwinkernden Gruß an den Roten Mount Rushmore im aktuellen Bayreuther Ring von Frank Castorf.

Dessau als Bayreuth des Nordens – dieses in der Stadt gerne mal aufgewärmte Wort ist bislang auch deshalb noch kein Märchen aus uralten Zeiten, weil Antony Hermus und die Anhaltische Philharmonie einen fabelhaften Walküren-Sound drauf haben. Er überbrückt mit Grabenspannung auch die szenische Flaute im ersten Akt und schlägt sich in den folgenden beiden voll auf die Seite des Spielwillens und der imponierenden stimmlichen Qualitäten seiner Protagonisten. Jubel für das Ensemble, ein paar Buhs im Beifall fürs Regieteam und stehende Ovationen fürs Orchester.

FAZIT

Das Anhaltische Theater Dessauer arbeitet sich vom Ende des Nibelungen-Rings zum Anfang vor – Antony Hermus und André Brücker sind jetzt bei der “Walküre” angekommen. Die Szene fügt sich, die musikalische Qualität ist alles in allem ausgezeichnet – man darf gespannt sein, wie sich das Projekt mit dem Anfangsstück noch in dieser Spielzeit runden wird. Wer neugierig ist, sollte nichts auf die lange Bank schieben. Für das Theater in Dessau stehen die Zeichen eher auf Sturm.

Roberto Becker | Dessau am 28. September 2014

operapoint.com

Die opulenten Bühnenbilder von Jan Steigert übernehmen die Formensprache der bisherigen Ringteile. So finden sich zwei halbkreisförmige Projektionswände, die sich rings um die Bühnenmitte herum anordnen lassen. Auf diese Flächen lassen sich Personen, Vorgänge oder Landschaften wie die Köpfe am Mount Rushmore abbilden. Hundings Hütte ist ein Balkenturm in dem ein überdimensionales in allen Regenbogenfarben leuchtendes Glasfaserkabel hängt – aus dem Siegmund das Schwert zieht. Walhall befindet sich hoch über dem Lichtermeer von Los Angeles. Der Walkürenfelsen ist wie im Siegfried ein riesiger Rubik-Würfel (Zauberwürfel) der sich in allen horizontalen Ebenen auffächern läßt. Der Walkürenritt ist eine Cocktailparty für verzogene Töchter der höheren Gesellschaft.

Sänger und Orchester

Die Besetzung in Dessau (ein Haus mit 150 Jahren Wagner-Tradition) ist festspielwürdig: Ulf Paulsen kann mit seiner hellen baritonal gefärbten Stimme als Wotan viele stimmliche Gestaltungsmöglichkeiten erkennen lassen – und verfügt über genügend Reserven, um besonders in den tiefen Lagen vollmundig zu klingen. Da wird endlich einmal deutlich, welche inneren Regungen Wotan plagen: Fast bekommt man Mitleid. Im großen Finale Wotans Abschied trifft er auf Iordanka Derilova als Brünnhilde. Ihr schwerer dramatischer Sopran gibt der Rolle Gewicht, hohe Töne trifft sie auch im Forte, selbst wenn dies nicht frei von Schärfen gerät. Im Finale klingt sie mild und weise, sie kann mit Stimm-Nuancen der Rolle Charakter verleihen. Angelina Ruzzafante hat als schwerer Koloratursopran keine Probleme mit der Gestaltung der Rolle der Sieglinde: Im ersten Akt singt sie mit Verve und Energie die resolute Frau, im zweiten Akt kann sie mit Zurückhaltung nervöse Verzweiflung glaubhaft machen. Da muß sich Robert Künzli anstrengen, um vor allem im ersten Akt als Siegmund mithalten zu können. Er hält sich merklich zurück, kann aber in den zentralen Momenten als lyrischer Tenor voll aussingen, Durchschlagskraft entwickelt er nur in wenigen Momenten, wie ein Schwert verhieß mir der Vater. Die Winterstürme gestaltet er mit warmen harmonischen, eher leiseren Tönen. Stephan Klemm trägt als bitterböser, mit sehr dunkler Tiefe ausgestatteter Hunding zu einem stimmlich hervorragend besetzten ersten Akt bei. Rita Kapfhammer verfügt über ein schier unerschöpfliches Stimmvolumen und Ton-Umfang und verleiht der durchsetzungsstarken Fricka Format. Sie wirkt wie ein Heimchen am Herd, klingt aber niemals keifig, sondern singt mit voller Durchschlagskraft aus. Eine Rollengestaltung von wahrlich göttlicher Macht, die man gerne öfters hören würde. Antony Hermus führt die Anhaltische Philharmonie ohne Probleme durch die Untiefen des Rings. Die Orchesterstücke wie der Walkürenritt haben zwar monumentale Breite, jedoch niemals hohles Pathos. Vielmehr gelingt es die Wagnerschen Klangbögen zu einem großen Ganzen zu verschweißen und die Motive auf dem Silbertablett zu servieren.

Fazit

Zugegeben ein bißchen gewöhnungsbedürftig ist es schon, daß die einzelnen Ringteile in Dessau von der Götterdämmerung rückwärts (also gemäß ihrer dramaturgischen Entstehung) gezeigt werden. Dafür sind in dieser Walküre Antworten auf Fragen aus den Aufführungen Siegfried und Götterdämmerung möglich, z.B. zur Beziehung Brünnhilde-Siegfried. Das stellt Andre Bücker mit einer ausgefeilten, sehr ausdrucksstarken Personenregie dar, was von den Sängerdarstellern (selten gehört heutzutage!) auch stimmlich einfühlsam betont umgesetzt wird. Das modernistische Bühnenbild, die Überblendungen und Regieeinfälle sind Wegweiser zu weiterführenden Gedanken, denen der Zuschauer folgen kann, aber nicht muß. Wenn der Zuschauer diese ignoriert, ist es die konservativste, durchdachteste Ring-Inszenierung unserer Tage. Schade, daß überzogene Sparmaßnahmen dazu führen, daß der Ring nur zweimal als Zyklus gezeigt werden kann. Ab der kommenden Spielzeit sind nur noch kleinere Produktionen möglich. Die einhellige Begeisterung des Publikums für die herausragenden Sänger-Darsteller, Dirigent, Orchester und Regie spricht Bände.

Oliver Hohlbach | 7. Oktober 2014

nmz.de

(K)ein Würfel zum Einschlafen

Der erste Akt der „Walküre“ ist bei den Fans populär und spielt sich eigentlich von selbst. Zwischen den Sturmböen des Vorspiels und Siegmunds „Wes Herd dies auch sei“, bis hin zum inzestuösen „So blühe denn Wälsungenblut“ der Wotanssprößlinge Siegmund und Sieglinde fühlt sich noch jeder Wagnerfan wohl. Wenn es gut geht, auf der Stuhlkante. In Dessau war das nicht ganz so.

Was nicht an Antony Hermus und der Anhaltischen Philharmonie lag, die sich von Anfang an wiederum als Wagnerorchester von Format erwiesen. Es lag auch nicht an Robert Künzli als wackerem und konditionsstark strahlendem Siegmund oder Angelina Ruzzafante, die eine beeindruckende Sieglinde von der erwachenden Neugier über den emotionalen Ausbruch bis hin zu ihrem traurigen Ende ablieferte. Nicht mal an dem recht eigenwillig intonierenden Stephan Klemm, der als Sieglindes Zwangsehemann Hunding immerhin eine imponierende Gestalt beisteuerte, aber nicht ganz an das nahezu hauseigene Ensemble heranreichte.

Irgendwie fügte sich das Ganze nicht zwischen Jan Siegerts nüchterner Gerüstkonstruktion unter dem frei baumelnden Kabelbaum, zu dem Hundings Wohnzimmer-Stamm (samt der Geheimwaffe, die Wotan für den Sohnemann Siegmund hier für alle Fälle deponiert hat) mutiert ist. Auch die Projektionen, die das Computer-Innere irgendeiner Übermaschine assoziieren sollen, helfen nicht weiter. Man rätselt mehr darüber, Wer hier eigentlich Wo ist und amüsiert oder ärgert sich über kleinteilige Einfälle: die Geschwister sind von Suse Tobisch in sterilem Weiß verpackt. Sieglinde muss wie eine Stewardess Assiettenessen und Büchsendrinks bis an den letzten vermummten Hundingkämpfer verteilen. Sonst aber unbeholfen hin und her und auf Siegmund zu irren. Immerhin: Wenn die Winterstürme vorm Wonnemond weichen, funkelt der Sternenhimmel und man kommt dem Mond gefährlich nahe. Und wenn Siegmund das (ganz klassische) Schwert aus dem Kabelgewirr zieht, tanzen auf dem Bildschirm Horizont die Zahlenkolonnen. In diesem ersten Akt bleiben dennoch als (bedeutendes!) Trostpflaster vor allem Hermus und Co im Graben und die beiden Wälsungen auf der Bühne!

Doch dann startet die Inszenierung durch. Der eigentlich viel schwierigere zweite Akt packt von Anfang an. Wird ein Fest zum Hören, Schauen und Nachdenken! Denn auf hohem Podest mit knallroten Schalenstühlen und einem nächtlich funkelndem Metropolen-Panorama im Hintergrund residiert Wotan. Ein Logenplatz zum Beobachten der Welt. Ulf Paulsen stellt mit seinem beträchtlichen komödiantischen Talent und einer seiner besten stimmlichen Leistungen einen Wotan auf die Bühne, dem man gerne so gebannt zuhört wie zusieht: Wenn er mit seinen Allmachtsphantasien immer mehr ins Rutschen kommt, nicht nur seine Frau Fricka sondern mit ihr gleich noch die bestehende Ordnung austricksen will, sich in Widersprüche verstrickt und daran leidet. Der oberste Gott im Stück als der eigentliche Mensch. Das ist eine Glanzleistung bei der Paulsen sich kein bisschen schont und doch noch genügen Kraft fürs Finale behält. Und er hat die richtigen Partnerinnen dazu.

Da ist seine Ehefrau Fricka, die rein gar nichts von der Umgehung des Inzesttabus hält, das Wotan eingefädelt hat. Rita Kapfhammer ist eine der besten Frickas weit und breit. Es ist höchst glaubwürdig wie sie ihren Göttergatten zusammenfaltet. Natürlich war auch die Vorfreude auf Iordanka Derilovas Walküren-Brünnhilde voll auf berechtigt. Die macht schon aus ihrem ersten Hojotoho ein vokales Fanal und ein schauspielerisches Kabinettstück mit Handy und Handtasche macht. Jetzt funktioniert das blendend, weil es mit boulevardesker Ironie gewürzt ist und die Frauen Wotan sozusagen ein wenig zum Gott des Gemetzels machen. Dabei entpuppt sich Wotan zwischen seinen Filmrollen, Drehbüchern und Oscars mit dem Blick auf die berühmten Hollywood-Schriftzüge in Kalifornien schnell als mächtiger Film-Produzent. Brünnhilde ist seine Favoritin, als Tochter und als Regisseurin. Sie inszeniert die Todesverkündigung als Hollywood Drama um die Liebe des Zwillingspaares vor grandioser Landschaft. Wenn Siegmund gegen seinen Filmtod revoltiert schreibt sie das Drehbuch einfach um und putscht so gegen ihren Chef und den Lauf der Dinge.

Was uns einen ebenso gelungenen wie erstaunlich kurzweiligen dritten Akt beschert. Um den mit architektonischem Ehrgeiz stylisch aufgefächerten (Felsen-)Würfel versammeln sich herrlich aufgedonnerte Diven mit Vorliebe für Handtaschen und das smarte männliche Personal im Matrosenlook. Es gibt jede Menge gut gemachte Videoüberblendungen und eine Ahnung davon, dass wir uns im Dessauer Ring wohl durch eine Geschichte der medialen Reflektion oder Verfremdung der Welt bewegen, die in der „Walküre“ bei einer cineastischen Verarbeitung der Wirklichkeit und der Macht der Bilder angekommen ist. In den letzten beiden Akten wirkt der Umgang mit der Livekamera souverän (oder bewusst improvisiert). Der einmal auftauchende Mount Rushmore aus South Dakota mit den in Stein gehauenen Präsidenten-Porträts ist zwar recht weit weg von Hollywood, hat aber durchaus mehr mit der Macht der Bilder zu tun. Es ist ein bewusster Bezug auf Frank Castorfs Marx-Lenin-Stalin-Mao Adaption des amerikanischen Heiligtums, die im aktuellen Bayreuther Ring die Gemüter ebenso faszinierte wie erregte. Selbstbewusst erinnert Andre Bücker damit daran, dass Dessau und sein Theater ein wichtiger Teil der Wagner- und deutschen Stadttheaterwelt bisher waren. Und es, trotz aller Anstrengungen vereinigter politischer Inkompetenz, noch sind. Stehende Ovationen im und für das Dessauer Theater!

Joachim Lange | 28.09.2014

Thüringische Landeszeitung

Die Macht der Bilder und die Wirklichkeit

Bei Wagners “Ring” wandert Regisseur André Dücker in Hollywood-Gefilden

Der erste Akt der “Walküre” ist populär und spielt sich eigentlich von selbst. Da fühlt sich noch jeder Wagnerfan wohl. In Dessau war das nicht ganz so. Was nicht an Antony Hermus und der Anhaltischen Philharmonie lag, die sich von Anfang an wiederum als Wagnerorchester von Format erwiesen hat.

Es lag auch nicht an Robert Künzli als wackerem und konditionsstark strahlendem Siegmund oder Angelina Ruzzafante, die eine beeindruckende Sieglinde ablieferte. Nicht mal an dem recht eigenwillig intonierenden Stephan Klemm als Hunding. Irgendwie fügte sich das Ganze nicht zwischen Jan Siegerts nüchterner Gerüstkonstruktion unter dem Kabelbaum, zu dem Hundings Wohnzimmer-Stamm mutiert ist.

Auch die Projektionen, die das Computer-Innere irgendeiner Übermaschine assoziieren sollen, helfen nicht weiter. Man rätselt mehr darüber, wer hier eigentlich wo ist und amüsiert oder ärgert sich über kleinteilige Einfälle: Die Geschwister sind von Suse Tobisch in steriles Weiß verpackt. Sieglinde muss wie eine Stewardess Assiettenessen und Büchsendrinks bis an den letzten vermummten Hundingkämpfer verteilen. Und wenn Siegmund das (ganz klassische) Schwert aus dem Kabelgewirr zieht, tanzen auf dem Bildschirm Zahlenkolonnen.

Doch dann startet die Inszenierung durch. Der zweite Akt wird ein Fest zum Hören, Schauen und Nachdenken! Denn auf hohem Podest mit einem nächtlich funkelnden Metropolen-Panorama im Hintergrund residiert Wotan. Ulf Paulsen stellt mit seinem komödiantischen Talent und einer seiner besten stimmlichen Leistungen einen Wotan auf die Bühne, dem man gerne so gebannt zuhört wie zusieht – der oberste Gott als der eigentliche Mensch.

Natürlich macht Iordanka Derilova schon aus dem ersten “Hojotoho” der Brünnhilde ein vokales Fanal und ein schauspielerisches Kabinettstück mit Handy und Handtasche! Die Szene funktioniert blendend, weil sie mit boulevardesker Ironie gewürzt ist und die Frauen Wotan ein wenig zum Gott des Gemetzels machen. Dabei entpuppt er sich zwischen seinen Filmrollen, Drehbüchern und Oscars schnell als mächtiger Film-Produzent. Brünnhilde ist seine Favoritin. Sie inszeniert die Todesverkündung als Hollywood-Drama.

Um einen (Felsen-)Würfel versammeln sich im dritten Akt aufgedonnerte Diven und das smarte männliche Personal im Matrosenlook. Es gibt jede Menge gut gemachte Videoüberblendungen und eine Ahnung davon, dass wir uns im Dessauer “Ring” wohl durch eine Geschichte der medialen Reflexion oder Verfremdung der Welt bewegen, die in der “Walküre” bei einer cineastischen Verarbeitung der Wirklichkeit und der Macht der Bilder angekommen ist. Der mal auftauchende Mount Rushmore ist ein bewusster Bezug auf Frank Castorfs Marx-Lenin-Stalin-Mao-Adaption im aktuellen Bayreuther “Ring”. Selbstbewusst erinnert André Bücker damit daran, dass Dessau bisher ein wichtiger Teil der Wagner- und deutschen Stadttheaterwelt war. Und es, trotz aller Anstrengungen vereinigter politischer Inkompetenz, noch ist. Stehende Ovationen im und für das Dessauer Theater!

Joachim Lange | 29. September 2014

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
224 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 347 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by André Bücker (2014)