Die Walküre
Felix Bender | ||||||
Robert-Schumann-Philharmonie | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegmund | Zoltán Nyári |
Hunding | Magnus Piontek |
Wotan | Aris Argiris |
Sieglinde | Christiane Kohl |
Brünnhilde | Dara Hobbs |
Fricka | Monika Bohinec |
Helmwige | Guibee Yang |
Gerhilde | Regine Sturm |
Ortlinde | Jana Büchner |
Waltraute | Anne Schuldt |
Siegrune | Susanne Müller-Kaden |
Grimgerde | Nathalie Senf |
Schwertleite | Alexandra Sherman |
Roßweiße | Diana Selma Krauss |
Im Zentrum Wotan und das Orchester: Eine neue „Walküre“ für Chemnitz
Monique Wagemakers stellt in Frage, ob es einen spezifisch weiblichen Blick auf Wagners „Ring des Nibelungen“ geben kann. Ihre Inszenierung der „Walküre“ ist Teil des neuen Zyklus, den das Theater Chemnitz mit vier Regisseurinnen innerhalb des Kalenderjahres 2018 zum Stadtjubiläum 875 Jahre herausbringt. Die musikalische Leitung der vier Premieren teilen sich der neue Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo und der zur „Walküre“ antretende erste Kapellmeister Felix Bender. Musikalisch ist diese Produktion ein satter Wurf.
Aus Perspektive der Wotans-Sprösslinge und in deren Drama der manipulierten Kinder will Monique Wagemakers zeigen, dass „Die Walküre“ als ganz intime Familiengeschichte eine solitäre Position in Wagners Tetralogie hat. Immer wieder blicken von einer Projektion fragende Kindergesichter auf die Säulenhalle mit gotischen Rundbögen, in denen Claudia Weinhart das zeitlose Spiel verortet. Dort und vor einer abschüssigen Fläche kommen die Wälsungen-Zwillinge Sieglinde und Siegmund zusammen und spiegeln sich im dazu tretenden Kinderpaar, das sie einmal waren. Während der Schlussakkorde tritt schon der kleine Siegfried als Hoffnungsträger aus der Bühnentiefe ins meist türkis-tiefblaue Szenenbild. Auch die Kostüme von Erika Landertinger archaisieren dekorativ und schön, erzählen aber zu wenig. Enorm viel ist abstrahiert und den Phantasien der mehr oder weniger werkkundigen Zuschauer überlassen: Kein Schwert Nothung, keine Esche, kein Speer mit heiligen Runen. Sogar die leidenschaftliche inzestuöse Paarung Siegmunds und Sieglindes, hier beschworen als Akt der Selbstfindung, pulsiert kaum bis gar nicht.
Und die Männer: Der als Hunding wie ein Halbbruder Conans des Barbaren mit satten Tönen durch den ersten Akt grobianisierende Magnus Piontek und der mehrfach die letzten vokalen Reserven ins Rennen wuchtende Zoltán Nyári als Siegmund schauen aus wie abgerissene Nerds. In der ersten Stunde dieser „Walküre“ sind Männer also Schweine.
Das ändert sich aber im weiteren Verlauf. Denn Monique Wagemakers weiß viel von heterosexuellen Konfliktmustern und zeigt das auch zweimal differenziert: Zuerst, wenn das hier keineswegs ganz von Tisch und Bett getrennte Lichtalben-Paar Fricka und Wotan aufeinandertrifft. Die sängerisch und szenisch hochlohende Fricka (Monika Bohinec mit bravourösem Temperamentsfeuerwerk) schießt kräftig über das Ziel hinaus und attackiert, gewisslich gegen ihr besseres Wissen, den Göttergatten Wotan mit irreparablen Konsequenzen. Das knallt wie eine gute Strindberg-Aufführung. Später, im Mittelteil von Wotans Abschied, sitzen „Walvater“ und sein „kühnes herrliches Kind“ Rücken an Rücken, Arm an Arm. Dieser rührende, emotionale Moment stimmt nach langem Leerlauf versöhnlich, auch weil Dara Hobbs eine darstellerisch intensive und risikobereite Brünnhilde ist. Ihre Walküre schmeichelt sich nicht mit glatten Tönen ein, sondern gewinnt durch Charakter und faszinierende Kraft. Christiane Kohls Sieglinde bleibt dagegen bis zum Schluss im allzu geradlinig lyrischen Madonnenschein. Die von Ruth Staffa (Ortlinde) musikalisch kurzfristig gerettete Walküre-Truppe zeigt mehr vokale Expression denn als Frauen-Patrouille in anmutigen Gruppierungen.
Auf bewundernswerte Weise realisiert
Magnet und Zentrum dieser Aufführung ist der Grieche Aris Argiris, der möglicherweise überragende Wotan seiner Generation: Szenenkonform darf er erst mit vokalem Testosteron prahlen. Darauf legt er eine Wotanserzählung hin, bei der nicht nur Brünnhilde Hören und Sehen vergeht. Dem Kapital im zweiten Akt folgen auf dem Walkürenfelsen die von Aris Argiris in purem Gold ausgezahlten Zinsen – mit schier unerschöpflichem Atem und absolut rollenkonformer musikdramatischer Textur.
Die Solisten müssten sich nicht nur vor dem Publikum, sondern erst recht vor der Robert-Schumann-Philharmonie verbeugen, die nach einem anstrengenden Wagner-Wochenende mit „Parsifal“, „Rheingold“ und „Tannhäuser“ in noch immer sehr guter Tagesform antritt. Felix Bender hat detailliert vorbereitet und geprobt: Da klingt jedes Sforzato, jedes Crescendo genau und pointiert. Das Blech singt immer und schmettert nur an den bei Wagner vorgesehenen Momenten. Bender bleibt dabei im stimmigen Fluss, lässt sich nie vom Sog des Augenblicks in anbiedernde Beschleunigung treiben und widersteht dort allen Versuchungen zum veräußerlichten Fortissimo, wo Wagner eh schon bis zum Bersten stark ist. Nur dann attackiert er die Sänger aus dem Graben, wenn man ihn dazu nötigt wie zu den „Wälse“-Rufen. Die Erregungskurve dieser Partitur mit ihren sich verdichtenden Emotionen wird an diesem Abend auf bewundernswerte Weise realisiert. Die Anwesenden der leider nicht ausverkauften Vorstellung erkannten das und dankten mit einem beseligtem Applaus-Crescendo.
Roland H. Dippel | 03.04.2018
Schwach erzählte Familientragödie: Chemnitzer „Ring“ geht mit der „Walküre“ in die zweite Runde
Das Premierenpublikum war aus dem Häuschen. Anhaltende Beifallsstürme und viele Bravos für Solisten, Chor und Kapellmeister Felix Bender unterstrichen die starke musikalische Performance an diesem Wagner-Abend im Chemnitzer Opernhaus. Die Inszenierung überzeugte dagegen nicht.
Anlässlich des 875-jährigen Stadtjubiläums stellt sich das Theater Chemnitz zurzeit mit der Neuproduktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ einer der größten Herausforderungen im Musiktheater. Mit dem „Rheingold“ steht der Vorabend der Tetralogie seit Februar auf dem Spielplan. Am Samstag folgte „Die Walküre“. Mit „Siegfried“ im September und „Götterdämmerung“ im Dezember wird der Ring binnen Jahresfrist vollendet. Anfang 2019 sind drei zyklische Aufführungen geplant.
Der für den Stadttheaterbetrieb ungewöhnliche Produktionszyklus ist möglich, weil das Haus das Projekt nicht von einem, sondern vier Regisseurinnen inszenieren lässt. Das Publikum bekommt Wagners opus magnum aus vier verschiedenen Perspektiven aufgetischt. Die Inszenierungen folgen keinem szenischen Gesamtkonzept, sondern sind nur durch eine lose Klammer miteinander verbunden. Frauen übernehmen, so ist auf der Theaterhomepage zu lesen, in dem Werk die zentralen Rollen ein. Daher sei es folgerichtig, vier Frauen die Ring-Opern auf ihre individuellen Binnenstrukturen untersuchen zu lassen. Das alles verbindende Narrativ ist damit gesetzt.
Verena Stoiber rückte die Kritik am totalen Konsum in den Fokus ihrer „Rheingold“-Deutung (ausführliche Kritik folgt). Nicht Rhein, Walhall und Nibelheim, sondern ein Warenhaus bestimmte die Szene. Das gefiel nicht jedem. Das Regieteam musste sich für den progressiven Zugriff deutliche Buhs gefallen lassen. Dieses harte Los blieb Monique Wagemakers am Samstag zwar erspart. Einprägsame Szenenbilder jedoch auch.
Wagemakers bediente sich des tiefenpsychologischen Zugriffs. Anhand ihrer punktierten Figurenführung weiß der Zuschauer jederzeit, wer in Wagners nicht immer einfach durchschaubarem Figurengeflecht wie zu wem steht. Die museale Ausstattung befriedigt die Bedürfnisse jener, die das sogenannte Regietheater, das sich längst durchgesetzt hat, bis heute vehement ablehnen. Wer von der Oper mehr als ein schnöde nacherzähltes Libretto erwartet, ist in dieser „Walküre“ falsch.
Kostümdesignerin Erika Landertinger hat Siegmund, Wotan und Co. in Outfits gesteckt, die ein wenig an „Game of Thrones“ erinnern. Besondere Hingucker sind Hundings Bärenfellmantel und die Rüstungen der Walküren, die die weibliche Figur besonders deutlich betonen. Claudia Weinharts Bühnenbild zeugt derweil von Einfallslosigkeit. Das Zentrum bildet eine nach allen Seiten offene Gewölbehalle, die an Beliebigkeit kaum noch zu übertreffen ist und der während des fünfstündigen Abends überhaupt keine Funktion zukommt. Wagemakers nutzt nicht einmal eine der zahlreichen Säulen als Weltesche, aus der Siegmund im ersten Aufzug das Schwert Notung zieht (welches der Zuschauer im Übrigen zu keinem Zeitpunkt zu sehen bekommt).
Kurzum: Das abstrakte Gebilde ist sinnentleert und versperrt obendrein den Blick auf die atmosphärischen Landschaftsaufnahmen, die die Regisseurin zur Untermalung der Szene an die Bühnenrückwand werfen lässt.
Noch störender ist das exzessive Auf und Zu des lichtdurchlässigen Projektionsvorhangs. Die gezeigten Motive sind weitgehend belanglos. Während des Vorspiels zum ersten Akt wird die Zeichnung eines traurigen Mädchengesichts gezeigt (es soll sich wohl um Sieglinde handeln), das an ein bekanntes Plakatmotiv des Musicals „Les Miserables“ erinnert. Intelligenter, wenngleich der Inszenierung kaum dienlich, ist die animierte Visualisierung des Stamms der Weltesche vor dem zweiten und dritten Akt.
Einziger guter Einfall sind die beiden Kinderstatisten, die ganz zu Beginn des Abends die Trennung der Geschwister Siegmund und Sieglinde darstellen. Darüber hinaus ist die Inszenierung leider kein Must-Seen, sondern ein schnöder Rohrkrepierer, den man in ähnlicher Gestalt auch andernorts zu sehen bekommt. Was fehlt, ist ein durchgreifendes Alleinstellungsmerkmal, das das Wagner’sche Familiendrama an der Oper Chemnitz sehenswert machen würde.
Was die Regie nicht zu leisten imstande ist, ist die Musik. Die Robert-Schumann-Philharmonie lief bei der Premiere unter Stabführung Benders zu einer Glanzleistung auf. Der scheidende Kapellmeister bot dem Publikum eine erfrischend erquickende Interpretation voller Facettenreichtum, die mit Aufführungen an großen Opernhäusern locker mithalten kann.
Statt auf die sinfonische Breite des anspruchsvollen Werks zu bauen, was dem Maestro angesichts der deutlich reduzierten Streicherbesetzung Probleme bereitet hätte, kitzelte er mit geradezu pedantischer Präzision jene feinen Nuancen aus der Partitur hervor, die andernorts gern im opulenten Streicherteppich versinken oder die Fähigkeiten des Orchesters überfordern. Das klinisch saubere Klangbild erhielt nur durch das eingespielte Schlagwerk kleine Risse.
Unter den Solisten ragte Aris Argiris‘ warmer Bariton besonders heraus. Seine von zwischenmenschlichen Emotionen getragene Wotan-Interpretation lässt im dritten Akt allerdings auch düstere Zwischentöne erkennen. Ebenfalls stark: Magnus Piontek. Sein markerschütternder Bass-Sound verlieh dem Haustyrannen Hunding eine besonders diabolische Note. Dara Hobbs (Brünnhilde) war zwar stimmlich jederzeit präsent. Etwas mehr Dramatik hätte ihrer Interpretation aber gutgetan.
Ein echter Gewinn war die Verpflichtung der Bayreuth-erfahrenen Christiane Kohl (Sieglinde). Monika Bohinec (Fricka) machte einen guten Job. Zoltán Nyári (Siegmund) erwischte keinen herausragenden Tag. Der lyrische Tenor tat sich hörbar schwer mit der bei Wagner so wichtigen Artikulation der Konsonanten und verschluckte im ersten Akt ganze Silben. War das Lampenfieber Schuld? Im zweiten Aufzug konnte sich der Ungar jedenfalls spürbar steigern und erntete beim Schlussapplaus – wie alle Mitwirkenden – lauten Beifall.
Martin Schöler | 25. März 2018
Wotan und seine Kinder
Die Oper Chemnitz hat den zweiten Teil seines neuen Frauen-„Rings“ zur Premiere gebracht, der von vier verschiedenen Regisseurinnen inszeniert wird und der Anfang Februar mit Verena Stoibers zeitkritischer wie unterhaltsamer „Rheingold“-Deutung gestartet ist. Wagners Weltendrama weiblich deuten – will das auch Regisseurin Monique Wagemakers mit ihrer „Walküre“?
Nein. Sie erkenne vielleicht Tendenzen, gibt sie im Programmheft zu, aber keine spezifisch weibliche oder männliche Sicht aufs Werk. Was soll man da auch deuten, wenn die schlimmste Strafe für Brünnhilde im feuerumringten Schlaf darin besteht, einem Ehemann samt heimischem Herd entgegen zu sehen? Während Wotan sie aus dem Bund der Walküren verbannt hat, die er allesamt mit unterschiedlichen Frauen gezeugt hat – und trotzdem Moraldiskussionen mit Ehefrau Fricka führt… Die geschlechterspezifische Rollenverteilung in Wagners Weltendrama ist deutlich, obwohl es neben aller männlicher Dominanz auch Frauen wie Fricka gibt, die sprichwörtlich die Hosen anhaben.
Große Figureninterpretation und szenische Neudeutung sind ohnehin nicht Wagemakers Anliegen. Sie malt lieber große Tableaus, hübsche, gelegentlich zur Statik tendierende Bilder, die dem großartigen Solistenensemble Raum zur musikalischen Entfaltung lassen: Überwiegend steht oder kniet man, Sieglinde – ganz mädchenhaft – neigt zur Ohnmacht, ansonsten zeigt sich die flammende Leidenschaft zwischen Siegmund und Sieglinde höchstens im plantonischen sich die Hände reichen.
Claudia Weinhart hat auf die Bühne ein zeitloses Gerüst geschwungener Rundbögen mit Leuchtröhren gebaut, die nach Drehbühnenfahrt sichtbar werden. Vorn öffnet und schließt sich hin und wieder ein durchsichtiger Netzvorhang – warum, erklärt sich nicht ganz. Auch die bühnenbreiten Videoprojektionen auf der Hinterbühne bieten eher ästhetischen Reiz als inhaltlichen Mehrwert: ziehende Wolken, trockene Äste, überdimensionale Mädchengesichter. Zu Siegmunds „Siehe, der Lenz lacht in den Saal!“ schreitet ein Kinderpaar vor die Augen Siegmunds und Sieglindes: Andeutungen alles auf die durchaus belastete Vater-Kind-Beziehung zwischen Wotan und seinen diversen Sprösslingen.
Die Walküren sind in den Kostümen von Erika Landertinger eine eingeschworene Truppe, in Reifrock und Brustpanzer mit Korsett-Abdrücken der nackten Brüste (als Reminiszenz womöglich an die Walküren im letzten Chemnitzer „Ring“ von Michael Heinicke). Zunächst versammeln sie sich fast ulkig automatenhaft im Stuhlkreis, dann choreographiert Wagemakers die Gruppe durchaus geschickt, auch musikalisch ist die Szene pointiert und mit sängerischem Niveau.
Überhaupt ist das Ensemble bis auf wenige Abstriche hochkarätig besetzt, allen voran die in allen Registern brillante, dunkel timbrierte Fricka von Monika Bohinec (aus dem Ensemble der Wiener Staatsoper) als ganz majestätische Göttin. Wotan (ebenso famos: der griechische Bariton Aris Argiris) pflegt seinen Zorn sängerdarstellerisch aufs Heftigste, lässt sich am Ende aber doch erweichen und fällt der abtrünnigen Tochter in die Arme. Dara Hobbs schafft es im Sinne der Inszenierung, die Brünnhilde musikalisch ebenso mädchenhaft zu gestalten wie Christiane Kohl ihre Sieglinde, beide Stimmen klingen angenehm hell und weder schrill noch zu dramatisch in den exponierten Lagen. Hunding ist mit Rauschebart, Glatze und Fellmantel ein brutaler Rüpel, dem man als Frau wahrlich nicht allein begegnen mag (aus dem Chemnitzer Ensemble solide besetzt: Magnus Piontek). Nur Zoltán Nyári braucht als Siegmund Aufwärmphasen, um sich freizusingen, galoppiert anfangs unnötig überakzentuiert durch seine Partie, ehe ihm formidable Spitzentöne gelingen, wenn das Wälsungenblut erblüht.
Felix Bender führt die Robert-Schumann-Philharmonie als 1. Kapellmeister in teils extrem gedehnten Tempi, stets jedoch ensembledienlich durch den Abend – die wagnergeeignete Akustik des Hauses tut ihr übriges für ein üppiges Klangbild.
Dass diese eher gediegene „Walküre“ inszenatorisch den kompletten Gegensatz zur inhaltlich fordernden „Rheingold“-Interpretation bildete, zeigt mal wieder, dass man den „Ring“ problemlos an verschiedene Produktionsteams geben kann. So wird am Ende für jeden was dabei sein – das Chemnitzer Publikum feierte den Abend mit langen, stehenden Ovationen.
Ulrike Kolter | 24.03.2018
Wälse! Wälse! Wo ist dein Schwert?
Der verheißungsvolle Chemnitzer Ring stockt bei der „Walküre“, aber nicht stimmlich.
Im Verhältnis zum originellen und lebhaften Auftakt mit Verena Stoibers „Rheingold“ bietet der Chemnitzer Regisseurinnen-Quartett-Ring nun eine halbgare „Walküre“. Das ist etwas enttäuschend, wenn man daran denkt, wie man nun trotzdem alle Wagner-Interessierten unbedingt in dieses durchdachte „Rheingold“ locken soll und wie stark die „Walküre“-Regisseurin Monique Wagemakers etwa in Mainz Puccinis „La Bohème“ erzählte. Ihrem Ring-Beitrag hingegen mangelt es an einer zündenden Grundidee oder jedenfalls ihrer Umsetzung.
Der Ansatz, an die in der Tat tragische Kindheit von Siegmund und Sieglinde zu erinnern, führt zu einem kurzen Hänsel-und-Gretel-Auftritt zwischendurch und zu den Videoprojektionen einiger trauriger und gestresster Kindergesichter im Bühnenhintergrund. Das drehbare Bühnenbild von Claudia Weinhart zeigt hingegen romanische Bögen, die je nach Ansicht parsifalisch wirken oder wie ein Teil einer Industrie- oder Bahnkonstruktion. Dieses Gerüst dürfte in vielen Opern gut ausschauen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Aufzug ist ein Bogenstück heruntergekommen, marode die Menschen- und Götterwelt. Vage auch das Hantieren mit einem durchsichtigen Vorhang, der sich schleppend nach hier und dort bewegt.
Das ist irritierend wenig, zumal Wagemakers aus der Konstellation Sieglinde-Siegmund-Hunding vorerst so gar nichts herauslockt. Dass sie auf Nothung, das Schwert, verzichtet – bescheiden genutztes Privileg einer Inszenierung, die nicht klären muss, wie das nicht vorhandene Schwert beim nächsten Mal repariert werden soll –, wäre interessant, wenn sie mehr daraus machte. Wenn sie etwas daraus machte.
Wotan-Fricka-Brünnhilde dagegen füllen den sich hier ausbreitenden Leerraum mit drei willensstarken, auch modisch eigenwilligen Figuren (zum Bühnenbild und zur Inszenierung in keinem näheren Verhältnis stehende Kostüme: Erika Landertinger), die sich nichts nehmen und nichts schenken: ein herrischer, aber unpathetischer und zu Zuneigung fähiger Gott, eine Ehefrau, die man nicht einfach als Spießerin abtun kann, eine gutgelaunte, aufmerksame Tochter.
Das unaufwendig überzeugende Duo Wotan-Brünnhilde führt auch gut durch den dritten Aufzug, in dem unterinszenierte Walküren immerhin auf alle möglichen Peinlichkeiten verzichten: straffe, kühle Reiterinnen mit fleischfarbenen Brustrüstungen (als wäre künstliche Nacktheit der Schutz, auch dies ein ins Leere laufender Ansatz). Sie machen ihren Job. Die erkältete Ortlinde wurde übrigens von der Seite durch die zu Vorstellungsbeginn eintreffende Wiesbadenerin Ruth Staffa gesungen.
Außer Nothung lässt Wagemakers auch das Feuer weg. Hinterm jetzt von Wotan gehaltenen Vorhang sieht man die Walküre forthuschen, so dass die Bühne leer ist, als sich der Vorhang sodann wieder öffnet. Ein Kind tritt dem langsam abgehenden Gott entgegen. Die Erinnerung an die kleine Brünnhilde? Eine Vorschau auf das Erscheinen Siegfrieds am nächsten Abend, den Ende September Sabine Hartmannshenn in Szene setzen wird?
Anregender ist es, zu diesem Zeitpunkt darüber zu staunen, wie es den Chemnitzern gelungen ist, eine so hochwertige Solistentruppe zusammenzustellen. Zunächst einmal verwirrt und bezaubert Rollendebütantin Christiane Kohl als Sieglinde, die mit einer lieblichen, sehr jugendlichen Agathe-Stimme meisterhaft besteht und zum hier etwas lapidar gestalteten Abgang im dritten Aufzug mit reinstem Schönklang gewaltig auffahren kann. Ihr Partner Siegmund, der Ungar Zoltán Nyári, hält gut mit. Dass er etwas haushaltet, lohnt sich. Enorm dann das göttliche Trio: Aris Argiris (einst Ensemblemitglied in Frankfurt) ist nicht nur ein kraftvoller und bis zum Schluss ohne hörbaren Verschleiß großer Wotan, er ist auch markant und über Stunden modulationsfähig. Und gibt es auch philosophischere Götter, so doch kaum menschlich sympathischere.
Wem stumpfsinnige Wotan-Darsteller ein Graus sind, bekommt hier etwas geboten. Monika Bohinec (schon im „Rheingold“ dabei) ist eine ebenbürtige Fricka mit energischer, nicht schneidender, in den Mittellagen vollendeter Stimme. Titelheldin Dara Hobbs, das hochdramatische Sieglinde-Pendant, lässt fein austarierte Stimmkultur und erst am Ende forcierte Töne hören, wie überhaupt alle Beteiligten – auch der sonore Hunding von Magnus Piontek, auch die fitten Walküren – ohne die in Ringen schwer vermeidbaren Grobheiten und Gewaltakte auskommen. In diesem Zusammenhang soll allerdings auch das mittelgroße Opernhaus hochleben. Darstellerisch zeigen vor allem Argiris, Bohinec und Hobbs, dass etwas mehr Regiefantasie auf fruchtbaren Boden gefallen wäre. Wie die Dinge liegen, wirkt das Spiel der drei etwas freihändig.
Felix Bender dirigiert die Robert-Schumann-Philharmonie gepflegt und verhalten und selbst an den einschlägigen Stellen ohne erhebliche Aufwallungen. Das ist offenbar Konzept, lässt die tatsächlich häufig dastehenden Sängerinnen und Sänger gut dastehen, nimmt aber auch eine Spannungslosigkeit in Kauf. Starke, sichere Instrumentalsoli bezeugen, dass es sich hier nicht bloß um ein zusammengekauftes Kunstprodukt handelt.
Judith von Sternburg | 04.04.2018