Die Walküre
Plácido Domingo | ||||||
Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegmund | Stephen Gould |
Hunding | Tobias Kehrer |
Wotan | John Lundgren |
Sieglinde | Anja Kampe |
Brünnhilde | Catherine Foster |
Fricka | Marina Prudenskaya |
Helmwige | Regine Hangler |
Gerhilde | Caroline Wenborne |
Ortlinde | Christiane Kohl |
Waltraute | Simone Schröder |
Siegrune | Mareike Morr |
Grimgerde | Mika Kaneko |
Schwertleite | Marina Prudenskaya |
Roßweiße | Alexandra Petersamer |
Sängerstar steigt in den mystischen Abgrund
Fachkräftemangel herrscht ja im Opernbetrieb eigentlich nicht. Verwundert war man daher bereits im letzten Jahr, als Plácido Domingo für 2018 als Dirigent der Walküre angekündigt wurde. Bekanntlich tummelt sich der (einstige) Startenor schon seit Längerem in erweiterten Tätigkeitsfeldern – als Bariton mal mehr, mal weniger glücklich, und auch als Dirigent trat er in großen Häusern mitunter hervor. Nun sollte es Bayreuth sein, natürlich um als bisher Einziger sich auch das Label “Sänger und Dirigent in ein und demselben Stück” anheften zu können. 2000: Siegmund, 2018: Maestro! War deswegen auch von der in Stein gemeißelten Tradition Bayreuths abgewichen worden, die Ring-Tetralogie immer nur als Zyklus zu geben? Ausgerechnet der Castorf-Ring sollte zerpflückt werden, der den Machtkampf ums Gold anhand einer Ölspur durch die Zeitläufte des letzten Jahrhunderts erzählt? Und damit die am heißesten umstrittene Ring-Deutung seit langem?
Gut, die Walküre ist in diesem Reigen vielleicht noch die mildeste Provokation, sieht man einmal von Castorfs Manie mit den Videoprojektionen ab. Kein überfahrener Tankwart (Rheingold), keine kopulierenden Krokodile (Siegfried) und auch keine Dönerbude am Alex (Götterdämmerung), nur eine ziemlich gradlinig erzählte Story von der Auflehnung gegen das Göttergesetz und deren gewaltsame Niederschlagung durch Wotans letztes Aufgebot seiner Macht. Im grandiosen Dreh-Bühnenbild von Aleksandar Denic siedelt Castorf diesen zweiten Teil des Rings in der unmittelbaren Zeit der Sowjetrevolution im Ölförderzentrum Baku am Kaspischen Meer an. Im ersten Akt ist es noch die agrarisch geprägte Behausung Hundings mit seiner zwangsverheiraten Frau Sieglinde. Ganz naturalistisch krächzen ab und zu die Truthähne im Käfig. Durch leichte Drehung der Bühne sind wir im zweiten Akt in der Raffinerie des Ölunternehmers Wotan bereits am Vorabend der Revolution, wo der Göttervater fleißig die Prawda studiert und Brünnhilde Molotowcocktails für die Revolution abfüllt. Im dritten Akt ist die Revolution in vollem Gange, Arbeiter erstürmen den Bohrturm und die Walküren schleppen gefallene Helden davon. Am Schluss prangt der Sowjetstern auf dem Bohrturm, Brünnhilde wird wegen Auflehnung gegen väterliche Autorität ins Innere der Fabrik verbannt und im Vordergrund lodert in einem riesigen Ölfass ein heftiges Feuer auf.
In diesem absolut dominierenden Bühnenbild gelingt den Sängerdarstellern doch auch lebendiges Theater. Drei Neubesetzungen in Hauptrollen (Siegmund, Fricka und Hunding) gibt in diesem Jahr, die sich darstellerisch bestens einfügen und engagiert präsentieren. Das Wälsungenpaar ist mit Stephen Gould und Anja Kampe risikolos besetzt. Ist Gould auch stimmlich in Bestform, so ist bei ihm eine gewisse Routine nicht zu überhören. Allzu glatt singt er seine Partie, mehr Ausdruck innerer Beteiligung wäre möglich gewesen, etwa beim Lenzeslied oder in der Todesverkündigung. Unvergessen, welch vokalen Zauber Johan Botha in dieser Partie im Premierenjahr verströmte. Damals schon war Anja Kampe die Sieglinde; in dieser Rolle kehrte sie 2018 zurück. Sie lässt in der Partie keinerlei Wünsche offen, ist die lyrisch, feinfühlig singende Geliebte und Schwester. Als Hunding ist 2018 Tobias Kehrer verpflichtet, der diese Partie vokal recht milde anlegt, kaum kongruent zu seinem brutalen Äußeren, wenn er mit seiner Siegestrophäe das Haus betritt, dem auf einem Speer aufgespießten Kopf eines Gegners.
Im zweiten Akt hat Marina Prudenskaya ihren furiosen Auftritt als wutentbrannte Wotansgattin Fricka. Im Kostüm einer orientalischen Prinzessin fuhrwerkt sie energisch mit der geschwungenen Peitsche herum. Und im Dialog mit ihrem notorisch untreuen Mann bellt sie all ihre Frustration heraus. Geschmacksache – nicht jeden spricht derart eindimensionale Expressivität an. John Lundgren ist ein starker Wotan. Darstellerisch und stimmlich überzeugt er mit Energie und Kraft. Voll überzeugend auch Catherine Foster, eine ebenso hochdramatische Walküre wie lyrisch empathische Beschützerin des von ihr so sehr geliebten Wälsungenpaars. Stimmstark und gewaltig im Auftreten das Walküren-Oktett, das mehr Dynamik verströmt, als aus dem Orchestergraben verkündet wird.
Womit wir beim Dirigat Plácido Domingos wären. Und das ist die große Enttäuschung des Abends. Nicht nur der Walkürenritt wird mit unpräzisem Einsatz verpatzt, schon dem Vorspiel zum ersten Akt, der Flucht Siegmunds im Gewittersturm, fehlt es gehörig an Spannung. Nur zögerlich realisiert der Dirigent den dauernden dynamischen Wechsel dieser hochdramatischen Musik. Den orchestralen Zwischenspielen mangelt es an narrativer Kraft, weil Haupt- und Nebenstimmen nicht genügend differenziert werden. Zu oft verliert sich ein Leitmotiv regelrecht im Gestrüpp der Begleitung. Lyrische Momente geht Domingo mit zähem Tempo an, wie die lange Cello-Kantilene im ersten Akt, nachdem Sieglinde dem noch unbekannten Gast das erfrischende Wasser gereicht hat (wenn sie auch vom Solocello ausnehmend schön gespielt wird!). Doch bei aller Kritik am Ganzen wie am Detail – einen Vorzug hat Plácido Domingos Orchesterleitung doch: sängerfreundlich ist sie auf jeden Fall. Das kommt der Textverständlichkeit ebenso zugute wie (in den meisten Fällen) dem Wohlklang.
FAZIT
Hat sich all dieser Aufwand also gelohnt, für den Starsänger die Bühne auch als Dirigent zu bereiten? Dafür nicht unbedingt. Nicht wenige Buhs für Domingo jedenfalls lassen diesen Schluss zu. Aber diese Inszenierung noch einmal zu sehen, war reizvoll, wenn auch der Castorfsche Ring nur im Zusammenhang aller vier Teile erst seine besonderen Qualitäten entfaltet; sofern man dies einmal erlebt hat.
Christoph Wurzel | Festspielhaus Bayreuth am 18.08.2018