Die Walküre
Francesco Angelico | ||||||
Staatsorchester Kassel | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegmund | Martin Iliev |
Hunding | Yorck Felix Speer |
Wotan | Egils Siliņš |
Sieglinde | Nadja Stefanoff |
Brünnhilde | Nancy Weißbach |
Fricka | Ulrike Schneider |
Helmwige | Doris Neidig |
Gerhilde | Jaclyn Bermudez |
Ortlinde | Barbara Senator |
Waltraute | Maren Engelhardt |
Siegrune | Marie-Luise Dreßen |
Grimgerde | Marta Herman |
Schwertleite | Ulrike Schneider |
Roßweiße | Inna Kalinina |
Weniger ist mehr – und dann richtig gut
Der neue Ring am Staatstheater Kassel geht in die zweite Runde. Nachdem Regisseur Markus Dietz mit dem Rheingold die Grundlagen der Inszenierung gelegt hat, führt er das Konzept in der Walküre konsequent weiter aus. Er betrachtet den Text im Detail und interpretiert ihn durch Übertragung in die heutige Zeit, unterstützt durch die Bühnenbilder von Mayke Hegger und die Kostüme von Henrike Bromber, aber vor allem durch eine ausgefeilte Personenregie, die zu zeigen versucht, wie sich Menschen heute in diesen oder ähnlichen Situationen und Konflikten verhalten und bewegen würden. Nun ist das wahrhaft keine neue Idee, aber es ist ja auch nicht nötig, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Es ist sinnvoller, es neu zu betrachten, zu verfeinern, in anderen Farben und Größen zu gestalten und gegebenenfalls auch auseinanderzubauen und neu wieder zusammenzusetzen. Dabei muss man aber aufpassen, dass es hinterher wieder rollt und durch den Wunsch, etwas anders zu machen, nicht ins Schlingern gerät.
Alle drei Akte spielen im gleichen Raum, der doch kein Einheitsbühnenbild ist. Im ersten Akt strahlt er in eleganten weißen Wänden, in die einer Bar ähnliche Regale eingebaut sind. Der zweite Akt zeigt ihn von einer Brandbombe zerstört, so dass fast nur noch das Stangengerüst erhalten und alles mit verbranntem Papier bedeckt ist (was man im Zuschauerraum auch riechen kann). Konturen aus Neonröhren deuten ihn im dritten Akt nur noch an. Der Hintergrund dient als zweite Spielebene, in der das vorn Erzählte bebildert wird, zumeist doppelnd. Dort erscheint auch immer wieder leitmotivisch das schon aus dem Rheingold bekannte große W aus Neonröhren, das wohl doch für Wotan steht.
Zum Vorspiel wird die Szene dargestellt, von der Siegmund später berichtet, doch da ist kein rettender Siegmund zu sehen. Die blutig geschundene Frau wird von den Tätern dann, während Siegmunds Erzählung, auf den überlangen Tisch des Saales getragen. Da mischen sich die Ebenen. Die gleichen Männer werden von Sieglinde mit einem Schlaftrunk, den sie neben dem für Hunding mischt, vergiftet. Zum Walkürenritt werden sie dann von den Kampfesmädchen geknebelt und an klirrenden Ketten wie Maso-Sklaven auf die Bühne gezerrt und vorgeführt. Das Einsammeln gefallener Helden für Wotans Walhall-Heer wird hier nicht nur haarsträubend inszeniert, sondern auch ohne Respekt vor der Musik auf die Bühne gestellt, denn die klirrenden Ketten stören ganz erheblich. Dass Fricka sich im schwarzen Hosenanzug von einer Harley auf die Bühne fahren lässt, die dann dekorativ bis zum Ende von Wotans Monolog stehenbleibt, während Fricka zu Fuß nach Hause geht, ist ein Gag. Dass sie sich bei Wotan für den Eid mit einer heftigen Umarmung und langen Knutscherei bedankt, ist dagegen völlig überzogen. Wie köstlich war die gleiche Szene im vorletzten Ring in Kassel, als sie sich von ihrem Göttergatten mit einem distanziert vornehmen Küsschen auf die Wange verabschiedete. Eine spannende und überzeugende Andersdeutung ist hingegen das freundlich-herzliche Umgehen Frickas mit Brünnhilde, die die Walküre geradezu liebevoll zu Wotan schickt, um seinen, nein, ihren Auftrag auszuführen. Warum sollte sie da also nicht freundlich zu ihr sein?
Humor beweist der Regisseur, indem er in die Projektionen während Wotans Erzählung einen fliegenden Storch einfügt und damit Erdas Schwangerschaft bebildert („von mir doch barg sie ein Pfand“). Ebenso, wenn er in der Todesverkündigungs-Szene Sieglinde ihrem Siegmund zuflüstern lässt, was der Brünnhilde fragen soll. Fast wie im richtigen Leben. Wenn neun bronzen schimmernde Figuren (acht Männer und eine Frau) während dieser Szene im düsteren Hintergrund die Bühne hinaufschweben und dabei wie „Oscar“-Statuen aussehen, wirkt dies aber eher unfreiwillig komisch. Ebenso der Moment, in dem Sieglinde am Ende des ersten Aktes ihr Kleid nicht ausgezogen bekommt, zum zweiten Akt dann aber nur im blendend weißen Unterrock auftritt, nachdem der über und über blutige Siegmund im ersten Akt überall seine Blutspuren hinterlassen hatte. Dass Brünnhilde mit weiß und rot beleuchtetem Dampf nicht auf einem Felsen schlafen gelegt wird, sondern in die Unterbühne hinabfährt und dann einen säulenartig beleuchteten Bühnennebelschwall hinterlässt, gehört wiederum zu den nicht überzeugenden Posten auf dem Konto „anders machen“.
In der Walküre wird viel erzählt und das ganz intensiv und spannend, aber der Regisseur traut der Kraft von Musik und Text nicht und bebildert, was nur zu bebildern ist. Er traut auch der Bühnenpräsenz seiner Sänger nicht und bevölkert die Bühne immer wieder mit zusätzlichem oder an dieser Stelle nicht vorgesehenem Personal. Vielleicht traut er auch nicht der Fähigkeit des Publikums, sich längere Zeit auf Text und Musik konzentrieren zu können, und möchte es mit Bildern und Aktionen bei der Stange halten. Geweckt wird es jedenfalls regelmäßig durch ausgiebig flackernde Blitze und eine blendende tragbare Lampe als Requisiten-Leitmotiv, mit der beispielsweise Fricka ihren Gatten wie in einem Verhör blendet.
Der Beginn des zweiten Aktes wird als Party aller 9 Walküren gezeigt, das stört nicht weiter, das kann man machen. Aber dass die Walküren-Schwestern zum Schlafenlegen Brünnhildes zurückkommen, sie in ein übergroßes goldenes Gewand mit Zwangsjackenärmeln verpacken und ihr einen Karton mit Schleife als Grabbeigabe dazulegen (was da drin ist, bleibt bis zum Siegfried eine Überraschung), ist widersinnig. Gerade eben hatte Wotan ihnen doch unter höchster Strafandrohung strikt verboten, den Walkürenfelsen zu betreten. („Weichet von ihr und haltet euch fern! Wer von euch wagte bei ihr zu weilen…“). Zu Wotans Monolog im zweiten Akt werden Bilder aus dem Rheingold projiziert, was diese ganz intime, heimliche Lebensbeichte zwischen Vater und Tochter zu einer Bildergeschichte macht. Ja, die kann lang werden, aber wenn man so fantastische Sängerdarsteller zur Verfügung hat, dürfte man sich ganz auf ihre Darstellungskraft verlassen. Das beweist eine Sequenz im dritten Akt, in der Brünnhilde und Wotan allein, vor schwarzem Hintergrund nur mit ein bisschen waberndem Bühnennebel ihren Vater-Tochter-Streit mit Worten ausfechten. Vom Bild her ist das die schlichteste Szene – aber mit Abstand die intensivste. Und damit sind wir bei der großen Stärke dieser Inszenierung, der Personenregie, die den Text bis ins Kleinste ausdeutet und höchst intensive und spannende Szenen entstehen lässt. Im Detail spannend, nicht durch große Aktion oder Bebilderung. In den Szenen, in denen diese Personenregie mit Reflektionen und Schattenelementen, die eher optische Eindrücke als zusätzliche Bilder erzeugen, kombiniert wird, zeigt sich großes Musiktheater.
Egils Silins ist ein wunderbarer Göttervater mit echter Wotan-Stimme, der seine Stimmkraft klug und nicht protzig einsetzt und seine Kräfte unmerkbar zu disponieren weiß, so dass er auch mit dem finalen „Wer meines Speeres Spitze fürchtet durchschreite das Feuer nie!“ noch so kraftvoll und eindringlich in den Zuschauerraum droht, dass von dort bestimmt niemand auf die Idee käme, es zu versuchen. Mit einem ebenso gewaltigen Ausbruch besiegelt er vorher mit „So nimm meinen Segen, Niblungen-Sohn!“ sein Schicksal – und das Schicksal der Welt. Seine Vorliebe für A/O-Lauteinfärbungen ist allerdings ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Nancy Weißbach gibt mit ihrem ersten Auftritt eine Visitenkarte ab, auf der „Hojotoho“-Rufe stehen, die man so exakt, klangschön und ausdrucksvoll selten zu hören bekommt. Und das gilt für ihre ganze Gestaltung der Partie. Ihr substanzreicher Sopran blüht farbenreich und üppig. Die Stimme sitzt sicher und ohne Flackern. Wenn sie die Todesverkündigung aus einer hinteren Loge des Zuschauerraumes singt, wird ihre exzellente Stimmtechnik besonders deutlich hörbar. Man könnte sich aber ein genaueres Aussingen der Schlusstöne einzelner Phrasen wünschen. Nadja Stefanoff singt eine leidenschaftliche Sieglinde und macht doch auch im Ausdruck die verletzte Seele dieser Figur deutlich. Martin Iliev kommt hörbar vom Bariton-Fach, singt den Siegmund eher markig-markant als heldisch-strahlend und unterstreicht damit das Naturburschenhafte der Figur. Die „Wälse“-Rufe gelingen ihm eindrucksvoll, ein bisschen mehr Legatokultur wäre insgesamt aber wünschenswert. Ulrike Schneider bietet als Fricka ein Kabinettstückchen an interpretatorischer Feinarbeit, gestaltet jedes Wort minutiös aus und setzt ihren Göttergatten mit argumentativer Zickigkeit unter Druck. Vor stimmlicher Gewalt muss Wotan aber keine Angst haben. Yorck Felix Speer sang in Kassel bereits den Bartolo im Figaro und wird auch der Baculus im Wildschütz sein. Partien, die seiner Stimme besser liegen dürften als der Hunding, den er tadellos mit hoher Stimmkultur singt, aber ohne das schwarze Bassfundament, das die Figur bedrohlich wirken lässt. Sehr gut aufeinander abgestimmt, ausnahmslos auf hohem Niveau, dadurch im Klang zwar individuell, aber doch homogen, kann das Walküren-Oktett begeistern.
Francesco Angelico nimmt den ersten Akt sehr genau unter die Lupe, dirigiert detailorientiert quasi mit dem Seziermesser, zerschneidet damit aber auch fast jeden Spannungsbogen. Dazu kommt ein ausgesprochen langsames Tempo, was diesen eigentlich so leidenschaftlichen Akt recht langatmig werden lässt. Der zweite und dritte Akt lassen dagegen kaum etwas zu wünschen übrig. Da entstehen Spannungsbögen und geradezu atemberaubend intensive Passagen. Den Feuerzauber legt er zwischendurch wie ein retardierendes Moment einmal kurz auf Sparflamme, um ihn dann angemessen, aber nicht übertrieben brennen zu lassen.
Das Staatsorchester folgt seinem Generalmusikdirektor engagiert und wesentlich konzentrierter als in der Rheingold-Premiere, über einzelne Ausfälle lässt es sich dadurch besser hinweghören.
FAZIT
Eine Inszenierung, die Musik und Text allein nicht traut und vieles überbildert, dafür aber mit einer exzellenten Personenregie im Detail überzeugt. Nach einem auch musikalisch eher enttäuschenden ersten Akt können der zweite und dritte umso mehr begeistern.
Bernd Stopka | Premiere am 9. März 2019
„W“ – wie Walküre
Am Anfang stand das „W“ für Walhall. Die Rieseninstallation aus Neonröhren mit emporio-armani-Anmutung ersetzte im neuen Kassler „Rheingold“ (zur Spielzeiteröffnung – unser Bericht) komplett die ergaunerte Götterburg. Vielleicht stand es ja auch für den Gott Wotan – oder wenn man es als augenzwinkernden Kalauer nimmt, gleich noch für Wagner selbst. Dieses große Neon-W taucht auch jetzt in der „Walküre” wieder auf. Und es passt auch hier! Diesmal gleich noch als Kürzel für den Titel. Bühnenbildnerin Mayke Hegger hat es von ihrer Kollegin Ines Nadler aus dem „Rheingold“ übernommen. Als optisches Leitmotiv in einer Tetralogie, die das Lehrbeispiel für musikalische Leitmotive ist.
Der Kassler Oberspielleiter Markus Dietz, der den nunmehr fünften (!) Ring in Kassel seit 1961 schmiedet, überlässt den beiden Damen die Bühne für jeweils zwei Ringteile. Nadler wird im „Siegfried“ und Hegger in der „Götterdämmerung“ zum Zuge kommen. Bisher lieferten beide einen überzeugend klaren, gänzlich entrümpelten, aber doch assoziationsoffenen Rahmen für ein kammerspielartiges Ausloten der einzelnen, auch für sich stehenden Teile. Ohne den Ehrgeiz, den landauf landab durchbuchstabierten Welterklärungs- und Kapitalismuskritikversuchen eine weitere Variante hinzuzufügen. (Zu den echten Marksteinen der Ring-Rezeption von Joachim Herz (Leipzig) und Patrice Chéreau (Bayreuth) gehört auch Ulrich Melchingers und Gerd Albrechts Kassler Variante von 1970-1974.)
Weil Dietz auf der Suche nach dem Exemplarischen bewusst alles Mythische beiseite räumt, ist es nicht verwunderlich, dass Sieglinde in einem clean gestylten Raum, der nur durch einen langen Tisch und Wandfächer mit illustrer Getränkeauswahl an eine Behausung erinnert, immer wieder die Traumata ihrer Kindheit und Jugend durchlebt. Zum stürmischen, nervös pulsenden Vorspiel verschwindet die helle Rückwand von Sieglindes Gegenwart. Im Dunkel der Hinterbühne ist gleich zu Beginn der Überfall zu sehen, der sie in die Hände einer Männerhorde fallen ließ, die sie an Hunding (düster: Yorck Felix Speer) verschacherte. Diese Männer verlachen sie dabei so höhnisch, wie ihre Hunde bellen. Zu Wotans großem Rückblende-Selbstgespräch wird in einem Video hinter dem W dezent an all das erinnert, was im „Rheingold“ passierte. Mit einer Truppe von Statisten wird verdeutlicht, was die Walküren eigentlich wirklich so treiben.
Den Walkürenritt gibt es als eine regelrechte Show, bei der elegante Damen amazonenhaft wie Dominas halbnackte männliche Musterexemplare an der langen Leine zu sich zerren, um sich mit ihnen zu vergnügen. Wobei ihnen egal ist, was mit ihren – in dem Falle männlichen – Lustobjekten passiert.
Nicht auf den billigen Effekt aus
Die Melange aus Macht, Sex und Gewalt, die die „Walküre“ durchwandert, findet nicht nur in dieser Schlüsselszene eine exemplarische szenische Entsprechung. Es gibt auch sonst dauernd einen erotischen Funkenflug. Im ersten Aufzug zwischen Siegmund und Sieglinde sowieso. Bei den Geschwistern höchst glaubwürdig mit einem kammerspielartigen Crescendo der gegenseitigen Anziehung. Nothung wird gewöhnlich nicht so deutlich dekodiert. Bei Dietz landet Sieglinde erst zwischen den Beinen ihres Bruders und dann das Schwert zwischen ihren Schenkeln. Aber auch das bleibt im Rahmen einer assoziativen Ästhetik, die nicht auf den billigen Effekt aus ist.
In seiner Kassler Inszenierung wuchert ein gelernter Schauspielregisseur mit seinen Pfunden und liefert eine Personenregie, die ihr Charisma der Überzeugungskraft der Musik hinzufügt. Sowohl der nicht nur wälsungenruf-starke Martin Iliev als strahlender Siegmund und die hinreißende Nadja Stefanoff als Sieglinde, als auch Ulrike Schneider (wiederum) als beinhart argumentierende und glasklar artikulierende Fricka und der standfeste Egils Silins als konditionsstark markiger Wotan der Spitzenklasse ließen sich voll darauf ein.
Der große verbale Schlagabtausch zwischen Wotan und Fricka wird zu einem Grundsatzdiskurs, der nur auf den ersten Blick nach dem Ehekrach aussieht, der er ja auch ist. Wenn sie mit der Harley ankommt, Wotan argumentativ zu Kleinholz verarbeitet und dann ohne Harley, aber eng umschlungen mit ihrem Kradfahrer wieder abzieht, ahnt man, welche unverfrorene Entschlossenheit konservative „Revolutionärinnen“ an den Tag legen können.
Klar, dass die Brünnhilde Nancy Weißbach trotz ihres auf den ersten Blick und den ersten Ton hin sofort erkennbaren Walkürenformates dagegen nicht ankommt. Weil sie eben doch Wotans Willen ist und bleibt. Selbst dann, wenn sie gegen ihn rebelliert. Für Brünnhilde hat Dietz einen seiner apartesten Einfälle reserviert: die Todesverkündigung erklingt hinter unser aller Rücken aus der Tiefe des Zuschauerraumes. Zu sehen ist die Walküre diesmal wirklich nur für Siegmund! Dass allein er sie sehen kann, behauptet sie ja immer. In Kassel hat man’s erlebt. Jedenfalls beinahe – hier ist Sieglinde auch in dieser Situation wachen Auges an seiner Seite.
Mag sein, dass die Ringaffinität gerade dieses Theaters das aktuelle Ring-Unternehmen begünstigt. Mit GMD Francesco Angelico bieten die Musiker im Graben jedenfalls schon mit dem ersten Akt die atemlose Spannung auch musikalisch, die auf der Bühne behauptet wird. Und das bleibt so, immer in der Balance mit den Sängern auf der Bühne. So wie Kassel mit den ersten beiden Ringteilen gestartet ist, möchte man das große W ab jetzt auch als ein „Weiter so!“ verstanden wissen.
Joachim Lange | 12.03.2019
Hundings Loft
Zwei Paare beherrschen die „Walküre“, den zweiten Teil von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Das fällt erst recht in Kassel auf, wo Siegmund und Sieglinde, Brünnhilde und Wotan über die Zweifel erhaben sind, die man an Markus Dietz’ Inszenierung haben kann. Jedenfalls vertreten sie die starke Seite der Unternehmung, die menschliche, die der Oberspielleiter des Staatstheaters klug nach vorne schiebt. Auch buchstäblich, indem der Steg um den Orchestergraben Schauplatz wird. Zugleich ist es, als würde Dietz der Kraft seines Personals ein wenig misstrauen: Lebhaft die zusätzliche Bebilderung.
Statisten stehen als Hundings Mannen laut auflachend und feixend im Hintergrund. Am Anfang fallen sie in einer Rückblende über die kleine Sieglinde her, starker Einfall, die ersten, nervösen Takte nicht für Siegmunds, sondern Sieglindes Alptraum zu nutzen. Sie haben ferner einen lieben Hund dabei, der viele Leckerlis bekommt. Die tote Maid aus Siegmunds jüngstem Desaster wird hereingetragen und später unglücklich zur Seite gelegt. Neonleuchten gehen an und aus, Bühnenteile heben, senken sich. Alles (das meiste) bleibt geschmackssicher, dezent. Aber wer große runde Ringe mag, kommt nicht recht auf seine Kosten.
Das große Neon-W ist aus dem „Rheingold“ wohlbekannt. Mayke Hegger, die die Bühne für die „Walküre“ und die „Götterdämmerung“ gestaltet, hat es von Ines Nadler („Rheingold“, „Siegfried“, eine vielleicht pragmatische Aufteilung) übernommen. Gut, dass Wagner den Buchstaben so mag. Walhall selbst wirkt im zweiten Akt ramponiert, die Gerüstverkleidung gerupft, wohingegen Hundings Hütte mit weißen Einbaumöbeln schick ausgestattet ist. Oben in der Wand steckt Notung, das Schwert. Das Zimmer, also natürlich der Baum ist gewachsen, seit Wotan die Waffe platzierte. Siegmund kann sie so klassisch herausziehen, wie es selten zu sehen ist.
Unbegreiflich, wie ein Landei aus Vorzeiten zu solcher Innenarchitektur kommt. Hunding, der machtvoll schön singende Yorck Felix Speer in markigem Pechschwarz, lässt sich den mondänen Lebensstil jedenfalls nicht anmerken. Siegmund, blutüberströmt, macht auch sofort alles schmutzig, inklusive Sieglindes Kleid weiß wie Schnee. Er, Martin Iliev, mit etwas beengt wirkendem, bei den Wälse-Rufen jedoch zu Größe und Breite gelangendem Tenor; sie, Nadja Stefanoff, eine leidenschaftliche Darstellerin mit einer – aus Mainz vertrauten – hochkultivierten, beweglichen Stimme. Er tapsig, sie sofort fasziniert. Das Herausziehen Notungs ist eine erotisch aufgeladene Szene. Intimität wird ohne Verlegenheit und Peinlichkeit vermittelt.
Ein überzeugendes Pendant findet das im nächsten Akt, wenn zwischen Vater und Tochter kein Blatt Papier geht. Er, der spät in die Produktion gesprungene Egils Silins, ein mühelos großer, die Bühne beherrschender Wotan mit ausgezeichneter Kondition; sie, Nancy Weißbach, eine klangschöne, sichere, sympathische Brünnhilde. Aber auch Ulrike Schneiders Fricka, eine hervorragende Besetzung aus dem Ensemble, ist keine dumme Kuh, hat eigene Träume, und ihr Widderwagen ist ein Motorrad, das spektakulär auf die Bühne tuckert (dort aber vorerst stehenbleiben muss, kleiner, nicht untypischer Kompromiss). Ihr Geplänkel mit Wotan: keine Spur von Langeweile.
Wenig intim die Idee, Brünnhilde vom Rang aus Siegmund erscheinen zu lassen – dass hingegen Sieglinde aufwacht und ihm Fragen einflüstert: anregend, sehenswert. Die prächtig singenden Walküren, nicht die ersten und letzten in Abendgarderobe (Kostüme: Henrike Bromber), sind die dominahaften Dompteusen der hündischen Helden. Das fördert die aufgeregte Lachlust einiger Herrschaften, ist allerdings mit diesem Wotan und dieser Brünnhilde in keine Verbindung zu bringen. So schwankt Dietz zwischen Innigkeit und Routine, Intensität und Halbgarem.
Das Interesse geht allerdings bisher nicht verloren. Das ist von den guten Akteurinnen und Akteuren nicht zu trennen, auch nicht von dem großartig aufgelegten Orchester unter der Leitung von Francesco Angelico. Zu hören ist dauerhaft eine Detailliertheit, die den schönsten Momenten der Inszenierung entspricht.
13.03.2019
A production by Markus Dietz (2019)
This recording is part of a complete Ring cycle.