Die Walküre
Christian Thielemann | ||||||
Staatskapelle Berlin | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegmund | Robert Watson |
Hunding | Mika Kares |
Wotan | Michael Volle |
Sieglinde | Vida Miknevičiūtė |
Brünnhilde | Anja Kampe |
Fricka | Claudia Mahnke |
Helmwige | Christiane Kohl |
Gerhilde | Clara Nadeshdin |
Ortlinde | Anna Samuil |
Waltraute | Michal Doron |
Siegrune | Natalia Skrycka |
Grimgerde | Anna Lapkovskaja |
Schwertleite | Alexandra Ionis |
Roßweiße | Karis Tucker |
Der tragische Held
Im zweiten Teil des Ring des Nibelungen gibt Regisseur Dmitri Tcherniakov – langsam aber gezielt – immer mehr von seinen Ideen und seiner Ring-Deutung preis. Bereits im ersten Aufzug der Walküre wird klar: Die Götter und Göttinnen halten die Fäden in der Hand und die Menschen sind lediglich deren Spielbälle, deren Willen und Launen restlos ausgeliefert.
Als sich der Vorhang öffnet, sehen wir Wotan, wie er durch einen Einwegspiegel, wie bei einem Polizeiverhör, das Geschehen in Hundings Hütte beobachtet. Diese ist ein offener Korpus, ohne Wände, lediglich die Türen sind angedeutet. In ihm ist Sieglinde allen – nicht nur Hunding, auch Wotan und dem Publikum – ausgeliefert. Nirgends kann sie sich verstecken.
In der Walküre werden die Hierarchien und Personenbeziehungen offengelegt: Während Siegmund als entflohener Sträfling verfolgt wird, agiert Hunding als Polizist und Vertreter des Gesetzes (auch Frickas Gesetze und Wotans Verträge). Tcherniakov macht deutlich, wer in seiner Inszenierung unterdrückt und wer unterdrückt wird. Wotan als Strippenzieher im Hintergrund, Hunding, der die Drecksarbeit übernimmt und seine Walküren, die er zu Geheimdienstagentinnen „erzogen“ hat und die für ihn streiten. Brünnhilde jedoch, indem sie dem Wälsungenpaar hilft, greift gegen Wotans Willen ein uns stört somit den Status quo und die bestehenden Kräfteverhältnisse, was letztlich zu ihrem eigenen Untergang führt.
Das Wälsungenpaar, gesungen von Robert Watson und Vida Miknevičiūtė, versuchten mit gestenreichen, dramatisierenden Spiel, Leidenschaft, Angst und Liebesgefühle zu evozieren. Stattdessen aber artete dies in einer allzu gehetzten Darstellung, die meist gegen die Musik arbeitete, aus. Bei Watsons Siegmund geriet das Wälsungenblut leider ins Stocken – zwar mit versucht gefühlvoller, leicht herber Tenorstimme ausgestattet, vermisste man eine freie, strahlende Artikulation – zu sehr musste er die Töne pressen. Miknevičiūtė, als Sieglinde zwar vom Publikum bejubelt, ließ ihre große, voluminöse Stimme oft zu kalt und scharf ertönen, was in den Höhen zu schrillem Gesang führte. Von beiden hätte man sich weniger übertrieben-darstellerische Impulse, stattdessen dezidierte Konzentration auf ihre stimmlichen Ausführungen gewünscht. Mika Kares dagegen war ein Hunding par excellence. Mit dunkler Stimmfärbung und voluminösen Timbre gestaltete er seine Rolle mit deklamatorischer und szenischer Durchschlagskraft.
Die meiste Bewunderung an diesem Abend galt jedoch Michael Volle. Im Rheingold bewies er bereits, zu was er sowohl stimmlich als auch szenisch in der Lage ist; dies konnte er nun nochmals steigern. Als alternder, verbitterter, aber mitunter auch Liebe empfindender Patriarch zog er mit seiner Darstellung das Publikum komplett in seinen Bann. Sein Wotan war ein tragischer, trauriger Held, bei dem man all die gescheiterten Verträge, Träume und Wünsche erkennen konnte. Anfangs noch voll Hoffnung und Übermut, doch im Verlauf der Oper von seinen Verstrickungen eingeholt, muss er sein eigenes Scheitern einsehen – dies alles auf eine überaus menschliche Weise, die ihresgleichen sucht. Volle hat die Messlatte für Wotan-Darsteller an diesem Abend nicht nur ganz hoch angesetzt, nein, er ist die Messlatte, an der alle anderen Sänger dieser Rolle sich messen können und sollten. Wie kaum ein zweiter vermochte er mit seiner Stimme sein tragisches inneres Zerwürfnis zu gestalten und mit seinem „Leb wohl du kühnes, herrliches Kind“ wie ein tragischer Shakespeare-Held unterzugehen.
Zusammen mit Anja Kampe als Brünnhilde erhob er den Abschied und Feuerzauber des dritten Aufzugs zu einem absolut fesselnden und das Publikum zu Tränen rührenden Ereignis. Kampe, deren klare, feste Sopranstimme lediglich in den Höhen an ihre Grenzen stieß, konnte dies durch ihre einnehmende Darstellung wettmachen und entwickelte mit Volle eine Dynamik, die man nur selten so packend erlebt – der dritte Aufzug wurde so zu einer wahren Sternstunde!
Die Staatskapelle Berlin und Christian Thielemann beflügelten das Schauspiel auf der Bühne zusätzlich. Thielemann setzte musikalische Satzzeichen – er unterstrich Gesungenes, setzte durch differenzierte Dynamik und Lautstärke gar Ausrufezeichen, um die Sänger*innen wie auf Händen zu tragen und deren Gesang nochmals Nachdruck zu verleihen. Er war sich dabei stets um die Wirkung dieser Effekte bewusst und setzte alles gezielt ein, ohne effekthascherisch oder übertrieben zu wirken. Als Hunding ansetzte, um „Mein Haus hütet Wölfing dich heut“ zu singen, begann Thielemann im mezzoforte, steigerte sich dann stufenweise ins fortissimo, um Hundings Gesang einzuleiten, zu tragen und letztlich Aufschwung zu geben – ein Effekt, der einschlug! Bei ihm schien alles durchgetaktet und geplant mit dem Ziel, einen großen dramatischen Bogen über alle vier Opern hinweg zu spannen. Mit dieser stetigen musikalischen Steigerung haben die Musiker*innen und Sänger*innen jedenfalls bewiesen, dass man bei den letzten beiden Teile der Tetralogie Großes erwarten darf.
Alexandra Richter | 05 Oktober 2022
Szenisch einleuchtender, musikalisch fesselnder: „Die Walküre“ an der Lindenoper
Stürmisch ist er, der Beginn der „Walküre“, die einen Tag nach dem „Rheingold“ an der Berliner Staatsoper Premiere hatte. Christian Thielemann nimmt ihn rasant. Der „Zirkus Walküre“ (Friedrich Nietzsche) liegt ihm hörbar mehr als der Vorabend der „Nibelungen“-Tetralogie. Auch ist die Regie von Dmitri Tcherniakov am zweiten Abend bezwingender und verständlicher als im „Rheingold“.
Die „Walküre“ erzählt die Liebesgeschichte zwischen Siegmund und Sieglinde, die Vorgeschichte der eigentlichen Siegfried-Tragödie. Wieder spielt sie bei Tcherniakov im Forschungszentrum E.S.C.H.E. Wieder ist Tcherniakov für Überraschungen gut, denn der erste Akt spielt nicht, wie vermutet, im Innenraum mit Baum, den man im „Rheingold“ sah, sondern einem ehelichen Schlafzimmer mit Kochnische und Bad umgeben von weißen, nur durch Holzrahmen skelettierten Wänden. Durch eine einseitig verspiegelt Scheibe beobachtet Wotan voyeuristisch die Szene, er sieht Sieglinde Wasser aus dem Kühlschrank entnehmen, Hunding gar stehend urinieren. Er zieht sich aus und legt sich schlafen. Auch seine bildschöne, blonde Frau Sieglinde zieht ihr Nachthemd an und legt sich zu ihm, nachdem sie ihm einen Betäubungscocktail verabreichte, damit sie sich dem in ihr Haus flüchtenden Siegmund zuweisen kann.
Der erweist sich mittels eines kurzen, gezeigten Videoclips als gesuchter, fliehender Straftäter, der aufgrund seiner grauen Strähne im Haar eindeutig identifizierbar ist. Nebenbei gemerkt: Auch Wotan hat eine graue Strähne im Haar. Das Schwert zieht er übrigens aus der Rückwand des Schlafzimmers. Keine Esche, nichts Mystisches oder Zauberisches, keine Romantik, kein Sex (den die Musik suggeriert) kein „Wonnemond“, überhaupt keine Natur und keine Stimmung. Nacktes Neonlicht herrscht vor im sterilen Gebäudekomplex der Forschungseinrichtung. Radikal vermenschlicht Tcherniakov Götter und Riesen, Zwerge und sonstige Dramatis personae. Alle werden von den mythischen Kothurnen Wagners heruntergestoßen. Es gibt in diesem „Ring“ so scheint es, nur Spießer, Bürger, und Mittelmaß moderner Alltagsmenschen.
Tcherniakov bricht konsequent mit allen Inszenierungsklischees. Um sich ganz aufs „Menschlich-Allzumenschliche“ (Nietzsche) zu konzentrieren. In der „Walküre“ zeigt er sich endlich als Meister der Beobachtung und Inszenierung von Alltäglichem, anrührend Menschlichem, von Psychologie und Physiologie.
Wotans und Frickas Ehedisput über Treue, Untreue, Inzest und erzwungener Opferung Siegmunds aus sittlichen Gründen im Schlafzimmer der Hundings ist ebenso bezwingend wie der Abschied Wotans und Brünnhildes Im Anatomie- oder Vortragssaal, in dem zuvor der Walkürenritt (wie eine Versammlung von Wissenschaftlerinnen) stattfand. Ein statuarisches Stelldichein der Walküren in blauen Overalls. Sie schauen sich einen Videoclip auf herabgelassener Leinwand an. Zu lesen ist, dass es bei dem Menschenversuch, als der der „Ring“ gezeigt wird, um ein Feldforschungsprojekt für Gräueltaten geht. (Im „Rheingold“ beobachteten Ärzte ein Video mit Vorgängen im menschlichen Hirn). Es geht also allmählich zur Sache. Man ahnt, worauf Tcherniakov hinauswill. Siegmund wird brutal von Polizisten in Kampfuniformen zur Strecke gebracht, nachdem er mit Sieglinde (samt Tüte voller Wäsche und Mineralwasserflasche) ins zweite Tiefgeschoss geflüchtet ist, wo dann die Todverkündigung Brünnhildes im blauen Regenmantel stattfindet, während ein Stockwerk höher die (stummen) Nornen sich an den Käfigen mit Versuchstieren zu schaffen machen.
Eindrucksvoll, ja bewegend ist der Disput Wotans mit der von ihm verstoßenen „Wunschmaid“, die er schließlich allein im Dunkeln stehen lässt, während er im Hörsaal stehend auf die Hinterbühne fährt, wo sich dann ein schwarzer Vorhang herabsenkt. Kein Feuerzauber, kein Felsen, keine Flammen, kein Qualm, kein Einschlafen. Brünnhilde malt orange Feuerzungen auf Stühle, bei ihrer Einschläferung steht sie mit weit ausgebreiteten Händen über Wotan. Lachend deutet sie mit Händeflattern Feuer an. Ironie, sonst nichts. Tcherniakov verweigert konsequent Wagnersche Illusion.
In dieser Szene wachsen Wotan und Brünnhilde als gänzlich unopernhafte, feinster menschlicher Regungen und sichtbarer psychologischer Vorgänge fähige Sängerdarsteller über sich hinaus. Michael Volle singt einen imposanten, klug phrasierenden, volltönenden Wotan. Er dürfte gegenwärtig konkurrenzlos sein. Auch die attraktive, jugendliche Brünnhilde von Anja Kampe ist konkurrenzlos, sie übertrifft fast alle ihre Sängerkolleginnen des hochdramatischen Fachs mit Natürlichkeit des Vortrags, enormer Strahlkraft auch bei den Spitzentönen und Wärme, schließlich auch an Wortverständlichkeit. Auch die schöne Sieglinde, eine Blondine mit Traumfigur, gesungen von der litauischen Sopranistin Vida Miknevičiūtė ist sensationell in Erscheinung und Stimmkraft.
Die Fricka von Claudis Mahnke ist im der „Walküre“ weit überzeugender als im „Rheingold“, Der Hunding des finnischen Bassisten Mika Kares ist wiederum eindrucksvoll. Die acht Walküren sind exzellent. Einziger sängerischer Wermutstropfen ist der amerikanische Tenor Robert Watson als Siegmund, die Wälserufe gelingen ihm zwar erstaunlich, er hat Kraft, aber seine Stimme ist nicht wirklich schön“, sie ist oft eng geführt, klingt gequetscht und ist eigentlich klein. Dennoch darf man von einer – alles in allem – erstklassigen sängerischen Besetzung sprechen.
Auch Christian Thielemann gilt es, Abbitte zu leisten, denn wie er den Abstieg nach Nibelheim, den Disput zwischen Wotan und Fricka, den Walkürenritt und die lange Abschiedsszene Wotan-Brünnhilde einschließlich Feuerzauber dirigierte, nötigt Respekt ab. Da zeigte er sich dann doch als kraft- und temperamentvoller Meister der „Kunst des Übergangs“ und Künstler der Klangmagie, auch wenn er nicht gerade als Anwalt einer analytisch scharfen Durchleuchtung der Partitur gelten kann. Romantisches Parfum und gefühlte Stimmung sind eher seine Sache. Auch waren seine Tempi durchweg schneller als im „Rheingold“, wenn auch immer wieder dröge Stellen zu hören waren. Extreme Dynamik gehört nun Mal zu seinem Markenzeichen.
Dennoch: Man verließ schwer beeindruckt diese „Walküre“ in Berlins „Lindenoper“ und man ist gespannt auf die noch ausstehenden beiden Teile der Tetralogie.
Dieter David Scholz | 04.10.2022
„Walküre“ ohne Wumms
Beim neuen Berliner „Ring“ treiben Regisseur Dmitri Tcherniakov und Dirigent Christian Thielemann in der „Walküre“ ihre Spielchen mit dem Publikum
Aha. Nun ist also ein wenig klarer, wohin Dmitri Tcherniakov mit seinem Regiekonzept für den neuen „Ring des Nibelungen“ an der Berliner Staatsoper zielt. Wotan, so war schon aus dem „Rheingold“ ersichtlich, leitet ein Forschungszentrum. Aber er ist kein Quantenphysiker oder entwickelt neue Medikamente, er kümmert sich nicht um Klimawandel oder Makroökonomie, nein – er macht Menschenversuche. Auch mit den eigenen Kindern.
An sein Büro ist eine Musterwohnung angebaut, was dort geschieht, kann er durch eines dieser Spezialfenster beobachten, wie man sie aus Krimis kennt, wo der Kommissar den Verdächtigen im Verhörraum sehen kann, der aber nicht ihn. Leider aber muss in der „Walküre“ nun auch das Publikum mitansehen, wie Hunding ganz ungezwungen bei sich im Badezimmer im Stehen uriniert oder wie Sieglinde für den durstigen Siegmund Mineralwasser aus dem Kühlschrank holt.
Hier wird Voyerismus erzwungen
Denn die geschmacklos eingerichtete Behausung, die Tcherniakov als sein eigener Bühnenbildner entworfen hat, deutet die Wände nur durch Metallrahmen an. Das zwingt zum Voyeurismus – und verzwergt zugleich die Tragödie, die es hier abspielt. Wagners Weltenvisionen werden heruntergebrochen auf das Niveau von Spießern und Sachbearbeitern, der Regisseur verweigert szenisch weiterhin alles Mythische, Zauberische, das dieses vierteilige Bühnenfestspiel durchweht.
Der Walkürenritt ist also lediglich das Treffen von neun Wissenschaftlerinnen aus der Arbeitsgruppe zur Gewaltanalyse, bei dem als optischer Höhepunkt eine Leinwand herunterfährt, für die Power Point Präsentation. Der finale „Feuerzauber“ findet nicht statt, der Kampf zwischen Hunding und Siegmund ist hinter die Bühne verbannt. Unsichtbar bleibt darum auch der Schlüsselmoment, wenn Wotan das Schwert Notung in Stücke springen lässt, obwohl er es doch seinem Geschöpf Siegmund als Verteidigungswaffe zugedacht hatte.
Womit er aber gegen seine eigene Versuchsanordnung verstieß, wie seine Gattin zuvor angeprangert hat. Claudia Mahnke ist als Fricka weiterhin ein Kraftzentrum dieser Neuinszenierung, darstellerisch wie stimmlich. Eine Powerfrau, die rhetorisch versiert ihre Argumente vorträgt, unnachgiebig bleibt, als es darum geht, dem traumtänzerischen Theoretiker Wotan nachzuweisen, dass er irrt, wenn er meint, einen Menschen erschaffen zu können, der vollkommen frei ist. Selten hört man diesen für beide Ehepartner peinigenden Diskurs packender, auch Dank Christian Thielemanns detailversessener Ausziselierung des leitmotivgesättigten Orchesterkommentars.
Michael Volles Wotan poltert und tobt, raumgreifend, ein verwundetes Alphatier – und bricht dann doch zusammen, im 3. Akt, nach der Strafpredigt, die er Brünnhilde halten muss. Dabei ist die doch nur deshalb ungehorsam gewesen, weil sie ausführte, was er sich heimlich am sehnlichsten wünschte. Ein berührendes Finale ist das, auch weil Anja Kampe, die in den bewegten Szenen an ihre Grenzen gehen muss, im intimen Dialog zu interpretatorischer Intensität findet.
Mika Kares tritt angemessen dumpf dröhnend auf als Hunding, Vida Mikneviciute ist eine rückhaltlos hingebungsvolle Sieglinde mit gleißendem Sopran. Klein und glanzlos wirkt daneben der Tenor von Robert Watson, eine Enttäuschung, trotz solider Gesangstechnik, trotz differenzierter Textbehandlung. Dass Christian Thielemann im 1. Akt, den Watson eigentlich tragen müsste, die Berliner Staatskapelle extrem zügelt, die hochschießenden Emotionen nur wie durch eine Watteschicht klingen lässt, erscheint zunächst als Kapellmeistertugend: Der Dirigent ist in erster Linie für seine Solisten da und achtet darum drauf, dass auch die Schwächeren akustisch nicht untergehen.
Im Laufe des Abends aber wird dann deutlich, dass der Dirigent noch ein übergeordnetes Ziel verfolgt: Er will das ganze Werk unter einen einzigen, gigantischen Spannungsbogen bringen, die Aufführung als vierstündiges Crescendo anlegen, vom flüsternden Beginn bis zum fantastischen, klangfarbensprühenden Höhepunkt, bei den finalen Wotanworten: „Wer meines Speeres Spitze fürchtet, durchschreite das Feuer nie“. Schade, dass Regisseur Tcherniakov dem Göttervater in dieser Inszenierung die Symbolwaffe gar nicht gönnt.
Frederik Hanssen | 04.10.2022
WAGNERS DICHTUNG ALS MUSIKALISCHE ERZÄHLUNG
Der Staatsoper Berlin gelingt es wie keinem anderen Opernhaus neben neuen, jüngeren Künstler*innen immer wieder die ganz großen Namen für Opernaufführungen an das Pult der Staatskapelle zu locken: Mit Sir Simon Rattle für Janáček, Antonio Pappano für Puccini oder Zubin Mehta für die Werke von Strauss und Verdi sind neben dem breit gefächertem Repertoire von Daniel Barenboim selbst („Chefdirigent auf Lebenszeit“) auch die Wiederaufnahmen des Hauses nur in den Händen der besten und versiertesten Dirigent*innen. Lediglich ein Gastauftritt von Christian Thielemann hat an der Staatsoper all die Jahre terminlich nie so richtig passen sollen. Umso überraschender, dass nun gerade jenes Einspringen Thielemanns für die musikalische Leitung des „Ring des Nibelungen“ alles bislang an der Staatsoper Berlin erlebte – Barenboim möge diese Anerkennung hoffentlich verzeihen – in den Schatten stellte. Über die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein, zuvörderst soll in dieser Kritik die musikalisch Interpretation von Christian Thielemann ausführlich gewürdigt werden.
Streng genommen waren die Voraussetzungen für das Einspringen von Christian Thielemann denkbar schlecht: Eine knapp-bemessene Probezeit, in welcher der Dirigent parallel auch eine lang geplante Orchestertour mit den „Dresdnern“ unternahm. Dazu das ihm fast fremde Orchester bei einem Hausdebüt im Orchestergraben direkt mit allen vier Teilen des Ring-Zyklus. Und trotz (oder gerade wegen?) dieser Anspannungen waren Thielemanns musikalischen Ergebnisse selbst für seine hohen Ansprüche schlichtweg überragend!
Besonders die Wahl seiner äußerst langsamen Tempi überraschte zunächst. „Das Rheingold“ geriet mit einer Aufführungsdauer von knapp 2:45 h über 20 Minuten länger als die durchschnittliche Spieldauer. Thielemann schien dabei keine Kommunikations- oder Eingewöhnungsprobleme mit der Akustik und seinen Musiker*innen zu fühlen. Sein Klangbild im Orchester führte er stets schlank, zugleich mit Präzision, während er im Zusammenspiel mit dem Ensemble auf der Bühne eine üblich vorbildliche Stimmführung bewies. Thielemann dirigierte dabei stets die Dichtung des Librettos betonend, freilich ohne die Staatskapelle als Begleitung zu wähnen. Vielmehr drängte er mit dem Orchester fortwährend in das dramatische Geschehen der Gesangsstimmen ein. Thielemanns Gespür für die musikdramatische Dichtkunst gab dadurch dem Libretto Wagners den ihm gebührenden Ausdruck. Beispielsweise verzögerte der Dirigent im ersten Aufzug bei den neugierigen Erkundigungen Sieglindes den Melodiefluss des Orchesters mit einem leichten Rubato: Als Sieglinde am Satzende mit der Stimme leicht in die Höhe ging, ließ Thielemann die Staatskapelle kurz innehalten um die mit Spannung erwartete Erwiderung Siegmunds just hinauszuzögern. Diese brach dann nach einem Moment des spürbaren, zugleich unhörbaren Pochens, impulsiv, mittels gekonnt gesetzter Blechbläserakzente, in den Stimmfluss des Tenors ein. Musikdramatisch schlichtweg extrem aufwühlend!
Während die meisten Partien dieses neuen Berliner Rings mit gestandenen Wagner-Größen besetzt wurden, bestach das Wälsungenpaar durch zwei Newcomer der großen Opernbühne: Nachdem sie das Ensemble des Staatstheater Mainz verließ, zündete Vida Miknevičiūtė schlagartig zu einer Weltkarriere. In ihren Rollendebüt als Sieglinde glänzte sie mit großer, zugleich präzise geführter Sopranstimme und leidenschaftlicher Gestik. Miknevičiūtės Stimme ist in allen Lagen mit einem leichten Vibrato ausgestattet, das obgleich stellenweise etwas schrill, direkt ins Mark des Publikums traf und dieses vereinnahmend sogleich zu großen Ovationen mitriss.
Robert Watson gab ihr gegenüber in der Partie des Siegmund ebenfalls sein Rollendebüt, war dabei leider weniger erfolgreich. Obgleich er in schönen, groß angelegten Bögen und in einem wunderbarem Legato sang, konnte er seinem Charakter kaum die notwendige Präsenz verleihen. Zwar böte seine Tenorstimme durchaus Potential, nur führte Watson diese etwas zu eng und agierte auch szenisch arg zurückhaltend und zögerlich. Vielleicht sollte der Sänger die Partien Wagners zunächst an mittelgroßen Opernhäusern festigen, um im selbstsicheren Auftreten geübt etwas befreiter und souveräner eines Tages auch das Publikum an der Berliner Staatsoper mitreißen zu können.
Großgewachsen mit viel Stamina berührte der Bass Mika Kares das Publikum. Der Finne weiß mit ausdrucksstarker Gestaltung die Gesangstradition seiner Landsmänner Matti Salminen und Martti Talvela fortzuführen. Man ist fast geneigt zu tadeln, dass Kares Stimme zu rund und klangschön gefärbt ist, als dass sie dem misslichen Charakter eines Fasolt, Hundings oder Hagens entspräche. Nach seinem epochalen Rollendebüt als Marke an der Bayerischen Staatsoper ebnete Kares mit diesem Ring-Zyklus nun seine Zukunft für eine ganz große Wagner-Karriere.
Michael Volle blühte als Wotan nun erst so richtig auf und wie Anja Kampe sich in ihren drei Brünnhilden schlagen wird, ist abschließend erst mit der Götterdämmerung zu bewerten.
Der gesamte Premierenzyklus wird derzeit live im Stream des RBB übertragen, ein TV-Mitschnitt ist im November bei ARTE geplant. Es bleibt zu hoffen, dass eine CD-Veröffentlichung vorgesehen ist – denn insbesondere aufgrund des Dirigats hätte sie direkt das Potential einer neuen Referenzaufnahme!
Phillip Richter | Rezension der Vorstellung v. 03.10.2022
A production by Dmitri Tcherniakov (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.