Die Walküre

Sébastien Rouland
Saarländisches Staatsorchester
Date/Location
9 March 2024
Saarländisches Staatstheater Saarbrücken
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegmundPeter Sonn
HundingHiroshi Matsui
WotanThomas Johannes Mayer
SieglindeViktorija Kaminskaitė
BrünnhildeAile Asszonyi
FrickaJudith Braun
HelmwigeVera Ivanovic
GerhildeElizabeth Wiles
OrtlindeLiudmila Lokaichuk
WaltrauteJudith Braun
SiegruneJoanna Jaworowska
GrimgerdeClara-Sophie Bertram
SchwertleiteMaria Polańska
RoßweißeCarmen Seibel
Gallery
Reviews
die-deutsche-buehne.de

Wotans Experiment geht weiter

Das Regieteam Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka stellte seine Version der „Walküre“ im Rahmen von Richard Wagners apokalyptischer Endzeitvision vor, in der die Genforschung unkontrollierbar geworden ist und Göttervater Wotan sich seine eigenen Geschöpfe im Labor erschafft. Vereinzelte Buh-Rufe gingen in Jubel und Standing Ovations unter.

Die erste Szene greift den Cliffhanger auf, mit dem „Rheingold“ vor anderthalb Jahren am Saarländischen Staatstheater endete: Nach den zahllosen Experimenten, in denen Wotan (Thomas Johannes Mayer) das Serum der Supermacht zu finden hofft, mit dem er die Schöpfung über Genforschung kontrollieren will und das für Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka den „Ring“ als Symbol absoluter Macht ersetzt, konnte man gegen Ende noch die Geburt von Zwillingen sehen, die aber sofort getrennt wurden.

Hier setzt das Regieteam in der „Walküre“ wieder ein: Siegmund (Peter Sonn) und Sieglinde (Viktorija Kaminskaite) finden sich in zwei separaten Räumen wieder, in denen Wissenschaftler um Dr. Hunding (Hiroshi Matsui), Dr. Freia (Elizabeth Wiles) und Loge (Mario Ferrber) ihnen Erinnerungen implantieren und sie so zu manipulieren und konditionieren versuchen. Beide bäumen sich gegen den erzwungenen Datentransfer des Programms „Waelse“ auf, während man darüber Wotans Versuchslabor sieht, dessen Monitore alles überwachen. Siegmund und Sieglinde kommen sich näher, sie erkennen sich in zutiefst anrührenden Szenen und fliehen, doch ihr Ausbruch führt sie nicht in die ersehnte Freiheit.

Phase II des Experiments startet, Wotan versucht sich als Demiurg, aber seine Geschöpfe funktionieren nicht, wie sie sollen. Warum das so ist, macht ihm seine Frau Fricka (Judith Braun) klar, als sie Siegmunds Leben von ihm fordert, weil er durch Ehebruch und Inzest ihre Gesetze verletzt hat. Zutiefst getroffen wird Wotan der Widerspruch in seinem Tun, seine nur scheinbar „freien“ Geschöpfe als Handlanger für Aktionen einzusetzen, die ihm selbst verboten sind, im Zwiegespräch mit Brünnhilfe (Aile Asszonyi) bewusst.

Wotans diktatorische Gesellschaft
Der Auftritt Frickas unterbricht Wotans Schachspiel mit den Walküren, sein großer Monolog findet an einem weißen, sich zunehmend bläulich eindunkelnden Tisch auf einem hellen Podium statt und weckt sofort Vergleiche mit einer Therapiesitzung, zumal Brünnhilde ihm dabei gegenübersitzt. Doch auch Brünnhilde, ebenso wie die anderen Walküren seine uneheliche Tochter, lehnt sich gegen Wotan auf und versucht, Siegmund und Sieglinde zu retten. Siegmund wird von Wotan getötet, während Brünnhilde die schwangere Sieglinde retten kann und ihrem Vater das Zugeständnis abringt, dass nur „ein furchtlos freiester Held“ sie nach dem Verlust ihrer Göttlichkeit durch eine lebensgefährliche Mutprobe zur Frau gewinnen kann.

Wie besitzergreifend die diktatorische Gesellschaft Wotans ist, wird in den in puristischem Schwarz-Weiß gehaltenen Kostümen, oft Overalls, deutlich, die in Farbe und Schnitt genauso uniform sind wie die superblonden asymmetrischen Frisuren. Genauso stringent und klar ist die Personenführung, die bis in kleinste Details stimmig durchdacht und immer psychologisch motiviert ist. Auch die Räume, die durch Simultanbühnen und den Einsatz der Drehbühne schnell wechseln können, zeichnen sich durch ein klares, intelligentes Konzept aus.

Brünnhilde wird in einen gläsernen Sarkophag gebettet, der mit den letzten Takten hinter einem Portal verschwindet, ein Prozess, der natürlich vom Wissenschaftlerteam Dr. Hunding, Dr. Freia, Loge und Fricka dokumentiert werden muss. Auf Wälses Schwert, Wotans Speer und die Flammen des Feuerzaubers wartet man vergeblich, doch Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka können ihre Geschichte auch ohne solche Symbole beziehungsweise Requisiten packend und überzeugend erzählen.

Musikalisches Highlight
Auch musikalisch ist die Saarbrücker „Walküre“ ein absolutes Highlight. Sébastien Rouland führt das ungemein flexibel agierende Staatsorchester sehr schlank, kammermusikalische Transparenz lässt nicht nur feinste thematische Verästelungen und Ausdrucksnuancen gut zur Geltung kommen, sondern auch Raum für die Sänger-Darsteller. Hier fällt die Interpretation von Peter Sonn auf, der für Siegmund ungewohnt lyrische Töne ohne falsches Heldenpathos findet, die diesen Charakter in seiner Ambivalenz und Zerbrechlichkeit zeigen. Viktorija Kaminskaites Sieglinde findet nach und nach zu jugendlich-dramatischer Ausdruckskraft, Thomas Johannes Mayer ist ein Wotan, der sich seiner zunehmend bröckelnden Autorität schmerzlich bewusst wird.

Mit hochdramatischer Klangfülle bei voller Textverständlichkeit in Verbindung mit souveränem Spiel brilliert die lettische Gastsopranistin Aile Asszonyi. Judith Braun als Fricka und Hiroshi Matsui als Dr. Hunding runden das spielfreudige Ensemble ab. Insgesamt herrschte auf der Bühne Spannung von der ersten bis zur letzten Minute; Spiel, Bühne und Musik griffen Hand in Hand ineinander über in dieser unbedingt sehenswerten Inszenierung.

Konstanze Führlbeck | 13. Februar 2024

onlinemerker.com

Die Ring-Schmiede von Richard Wagner am Saarländischen Staatstheater wurde fortgesetzt und heute hatte „Die Walküre“ Premiere. Vermutlich ihrer dubiosen Ideen wegen aus den Weidegründen der heimischen Puszta vertrieben, suchten nun die Wiederkäuer Alexandra Szemerédy / Magdolna Parditka ihr Heil in fremden Revieren, grasen nun in ausländischen Theater-Landschaften. Die beiden Julischkas kochten ein fades, teils geschmackloses Süppchen (Regie, Bühne, Kostüme) ohne Paprika und Pep mit den üblichen Zutaten der modernen Banausen-Regie quasi nichts Neues nur was uns seit Jahren fortwährend auf unseren Opernbühnen begegnete. Es wurde wie so oft wider Textur und Musik drauflos gewurschtelt. Kurioserweise wurde der erste Aufzug in ein Versuchslabor verlegt, das Wälsungenpaar befand sich in zwei Räumen getrennt von einer Zwischenwand mit Waschbecken und Spiegel, an den Liegen mit Schläuchen und Dioden arretiert wanden sie sich unter Drogen in Krämpfen. Sieglinde sang Wasser wie du gewollt – des Metes süßen Tranks und trank es selbst. Hunding ein Arzt unter vielen Karbolmäuschen. Die beiden Räume öffneten sich im Verlauf, keine Esche, kein Schwert, das Paar fand sich, öffnete sich die Pulsandern, o hehres Wunder fielen übereinander her und zeugten nun einen Junkie? Alle Geschehnisse wurden an Riesenmonitoren im Obergeschoss beobachtet. Im zweiten Aufzug gab es durchaus interessante Regiemomente während der Dialoge Fricka-Wotan-Brünnhilde, die eheliche Auseinandersetzung fand in der Laborkantine statt mit Personal, Brünnhilde und Papa fanden sich auf weißem Mobilar erhöht thronend beim Schachspiel. Bedingt der überflüssigen Statisterie verpuffte so manche intime Szenerie im bedeutungslosen Nirgendwo. Im Finalaufzug begegnete man attraktiven jungen Walküren, die Mädels frönten mit Lust sadistischen Neigungen, Brünnhilde wurde mittels einer Nadel ihrer Göttlichkeit beraubt, wehrte sich vergebens, nach kurzem zappeln lag sie still, wurde auf einem OPtisch ins Krematorium geschoben, Klappe zu nun loderten die Flämmchen. Interessant wäre zu erfahren was bzw. wen Siegfried wachküsst? Mir bleibt des Rätsels Lösung jedenfalls verborgen, denn für derartig verzapfte hirnlose Absurditäten opfere ich keine weiteren kostbaren Lebensstunden.

Bescherte mir sowie dem teils erbosten Publikum das optische Szenario große Pein wurde man hingegen akustisch geradezu lukullisch verwöhnt. Ohne die sanglichen hervorragenden Leistungen auf der Bühne zu schmälern, vollbrachte Sébastien Rouland mit dem vortrefflich in allen Instrumentalgruppen musizierenden Saarländischen Staatsorchester wahre Wunder. Gewiss war mir der Klangkörper aus früheren Besuchen in bester Erinnerung, jedoch die heute vernommene orchestrale Friandise wird sich nachhaltig im Gedächtnis einprägen. In allerbester Manier geleitete der versierte Dirigent sein hervorragend disponiertes Instrumentarium durch die wunderbare motivische Wagner-Partitur, formte ausgezeichnete geschlossene musikalische Perspektiven voll Wärme und Sentiment. Bereits zur gewittrigen Einleitung, dem spannungsvoll elektrisierenden Knistern im ersten Aufzug wurde instrumental gewahr, was diese geniale Komposition so reizvoll macht. Aufgelichtete Klänge intimeren Charakters durchwebten die Monologe der folgenden Aufzüge, prächtig erklangen die mit Liebe zum Detail herausgearbeiteten überschäumenden Formationen. In unglaublich wunderbaren orchestralen Couleurs kontrastierte Rouland die vollen warmen Streicherklänge der innigen Passagen mit eruptiven, doch keineswegs Forte-Ausbrüchen der akkuraten, kristallklaren Bläserfragmenten. Mit wachsamem Auge war der Taktstock-Magier zudem seinen Sängerinnen und Sängern stets ein sensibler kongenialer Begleiter.

Derart umsichtig auf vortreffliche Weise von narkotischen Klangwogen getragen, durften sich die Protagonisten*innen auf wunderbare Weise entfalten. Seit ihrer Sieglinde vor zwei Jahren am NT Mannheim hat Viktorija Kaminskaite ihren Part auf unglaubliche Weise intensiviert. In jedem Moment wurde gewahr, dass sie die tiefempfindende Wissende der Zwillinge ist, ihr zunächst lyrischer ausdrucksstarker Gesang erhob sich allmählich zu jugendlich-dramatischem Aufblühen, in silbern glänzende Sopranhöhen, bildete so wunderbaren Kontrast zu ihrer makellosen, herrlichen warmtönenden Mittellage. Kurzum eine zu Recht gefeierte Sieglinde zum Niederknien.

Eine weitere Dame avancierte zur Publikums-Favoritin: Aile Asszonyi, mir bereits als Elektra bekannt. Mit bewundernswerter Bravour absolvierte die estnische Sopranistin die wohl anspruchvollste Brünnhilde. Strömend, kontrastreich in warmen Schattierungen floss ihr farbenreiches Material dahin, sensibel entfaltete sich das Goldtimbre in vokaler Natürlichkeit. Faszinierend demonstrierte Asszonyi sangliche Flexibilität gepaart mit prächtigen wohlklingenden Höhenaufschwüngen, sensiblen Piani. Grandios das Aufblühen des Mezzoforte zur Todesverkündigung, beispiellose Attribute welche die Sängerin auf beglückende Weise, auch darstellerisch vielschichtig höchst präsent vereinte.

Judith Braun präsentierte eine wahrhaft göttliche Fricka von majestätischer Aura, elegant in schwarzweisser Robe mit schillerndem Ohrgeschmeide führte sie mit vortrefflich grundiertem, angenehm timbriertem Mezzosopran ihre weiblich-uneinsichtigen Argumente vor, welchen Wotan schließlich verzagt machtlos kapitulieren musste.

Ließ sich in Vergangenheit so mancher Göttervater zu weniger melodischem Sprechgesang verleiten, nicht so Thomas Johannes Mayer! Seit Jahren durfte ich den inzwischen international renommierten Bassbariton in diversen Rollen erleben, nun so schien mir krönte der exzellente Sänger seine erfolgreiche Karriere mit dem Wotan und präsentierte dank der enormen Ausdruckskraft seiner farbenreichen Stimme einen Über-Gott par excellence. Mühelos bündelte der außergewöhnliche Sänger-Darsteller seine immensen vokalen Reserven, adelte die kräftezeherenden Monologe mit beeindruckender Intonation, frappierender musikalischer Gestaltung und vortrefflicher Deklamation. Gleichwohl vermochte der intelligente Künstler den innigen Passagen die sinnliche-vokale Wärme seines schönen Timbres einzuhauchen und vermittelte ebenso den markanten, emotionalen Höhenattacken glaubwürdige Charakterkonturierung.

Fazit: eine Vater-Tochter-Relation zu wahrhaft göttlicher charismatischer Rollenanalyse und musikalisch vollendeter Interpretation.

Sonore, rabenschwarze Bassgewalten von expressiver Strahlkraft waren von Hiroshi Matsui höchst eindrucksvoll zu vernehmen.

Zwiespältig erklang die Stimme von Peter Sonn in meinen Ohren, sein Siegmund punktete zwar mit kernigem Mittelbereich, setzte seine Wälserufe zu tief an und blieb dem strahlenden Höhenglanz der Partie einiges schuldig.

Dafür entschädigte das vokal-erlesen, ungewöhnlich stimmschöne Walküren-Oktett (Elizabeth Wiles, Liudmila Lokaichuk, Judith Braun, Maria Polanska, Valda Wilson, Joanna Jaworowska, Clara-Sophie Bertram, Carmen Seibel) in bester Vokalise.

Zehn Minuten prasselnder Applaus und lautstarke Ovationen für die musikalischen Komponente, wenig Pro jedoch berechtigt vehemente Kontras für das Produktionsteam.

Gerhard Hoffmann | 12.02.2024

concerti.de

Wagner als Wissenschaftsthriller

Wagners Bühnenfestspiel als Menschheitsexperiment, in dem eine wissenschaftliche Elite am Homo sapiens manipuliert und ethische Basiskonflikte ausficht: Das gewagte Konzept geht auf geradezu verblüffende Weise auf.

Es ist fast beängstigend, wie klar und voll logisch das Regiekonzept des Saarlänischen Staatstheaters in Saarbrücken für Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ in „Das Rheingold“ und der am Sonntagabend herausgekommenen „Walküre“ aufgeht. Die Idee eines Bühnenfestspiels als Menschheitsexperiment, in dem eine wissenschaftliche Elite am Homo sapiens manipuliert und ethische Basiskonflikte ausficht, entstand schon lange vor Corona. Insofern waren Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka mit ihren WL/+LL Laboratories eigentlich früher dran als zum Beispiel Dmitri Tcherniakov, der an der Berliner Lindenoper den „Ring“ ebenfalls zum Science Thriller machte. Schon in der Saarbrücker „Rheingold“-Premiere im September 2022 zeichnete sich ab, dass mit einer Besetzung überwiegend aus dem eigenen Ensemble unter GMD Sébastien Rouland die existenziellen Fragen zur Gegenwart und nahen Zukunft mit orchestraler Feinheit und viel Lyrizismus erörtert werden. Auf einige verstörte Buhs nach dem ersten Akt endete die Premiere mit rückhaltloser Begeisterung und Applausexplosionen.

Götter mit weißen Kitteln und Spritzbesteck
Die Lichtalben tragen auch in „Die Walküre“ weiße Kittel, notieren auf Plexiglas-Ipads Untersuchungsergebnisse, hantieren mit Injektionsspritzen und geraten in Panik, wenn die Androiden anders agieren als programmiert. Dabei proben die Walküren nicht einmal den Aufstand. Bekanntermaßen ist Wotans von Wagner mit beträchtlichen Text- und Monologfluten dargestellter Wille das Entstehen einer bedingungslos freien Nachkommenschaft, welche trotzdem die Interessen ihres Schöpfers ausficht. Dieses Dilemma, welches das 1870 in München uraufgeführte und beliebteste „Ring“-Teilstück in dramatischer Hochspannung hält, haben Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka mit Schärfe, aber ohne Anspruch auf konzeptionelle und moralische Gewissheiten in Szene gesetzt. Also geht es im großen Disput von Wotan und seiner Frau Fricka weniger um die Sühnung eines vormodernen Strafbestands wie Ehebruch als um Blutschande als genetisches Dynamit im Labor und ethische Konflikte bei Fragestellungen über das menschliche Genom. Dabei sind die Götter – erkennbar am uniformen Platinblond – offenbar selbst bereits eine frühe Optimierungsstufe und wollen nur das Beste für den Arterhalt.

Brünnhildes (künstliche) Intelligenz
Wie in Wagners Dichtung scheitert Wotans Plan in „Die Walküre“ in zwei Stufen. Zum einen durch die Liebe der Zwillinge Siegmund und Sieglinde, welche den moralischen Weltenplan erschüttert und deshalb gewaltsam gestoppt werden muss. Hier liegen die Zwillinge in zwei Schlafzellen an Drähten und sind noch erschöpft von einem Mind Uploading. Dieses gibt ihnen ein paralleles Gedanken-Inneres und treibt die beiden noch mehr zueinander als ihre manipulierte Erzeugung am Ende von „Das Rheingold“. Später floppt auch noch Wotans Walküren- und Brünnhilde-Projekt. Denn die (künstliche) Intelligenz Brünnhildes übertrifft, seit sie Wotan im Schach schlägt, die ihrer menschlichen Schöpfer. Es ist einfach gefährlich, wenn der Android Brünnhilde richtig denkt und deshalb die zum aktuellen Stand der Zivilisation falschen Schlüsse zieht. Die Walküren und Brünnhilde wandern beim Feuerzauber vorerst in die Abstellkammer des Labors, weil die nächste, aus ihnen recycelte Androiden-Generation B dümmer und devoter programmiert werden soll.

Statt Speer und Schwert gibt’s einen DNA-Stamm in der Schauvitrine
Eine Story also wie für die Digitale Sparte des Staatstheaters Nürnberg. Das, was Szemerédy und Parditka auf die Bühne bringen, ist dabei mindestens ebenso spannend. Aber statt mit moralischem Exhibitionismus agieren sie objektiv und mit feinsinniger Gelassenheit. Sie geben nicht vor, klüger zu sein und stellen deshalb wie Wagner mustergültige Fragen zum nicht gerade ungefährlichen Ist-Zustand einer Gesellschaft im Wandel. Es gibt keinen Speer, kein Schwert, wohl aber etwas anders funktionalisierte Beruhigungsmittel, einen DNA-Stamm in der Schauvitrine und ein offenbar evolutionär modifiziertes Skelett. Die zunehmend rebellischen Androiden erkennt man an Leuchtdioden und – sofern es Eingriffe von außen gibt – am gequälten Griff ihrer Hände an den Nacken. Im Kampf gegen die Androiden hält hier die sonst ziemlich streitbare Gemeinschaft der Wissenschaftler noch zusammen.

Fricka und ihr genetisches Double Waltraute
„War Ist Wird“ orakeln Wort- und Buchstabenornamente in klarem Funktionsdesign auf den Wänden. Nicht nur das schafft eine Beziehung zu Wagners Zerfalls- und Entwicklungsprozesse in mehreren Zeitebenen modellierender Musik. Selbst wenn sich das Wissenschaftsteam auch in der „Walküre“ an die Gesundheitstipps Freias hält (pantomimische Hauptrolle und Höhentorpedo im Walküren-Oktett: Elizabeth Wiles) und regelmäßig Äpfel isst, sitzt Staub in den Ritzen. Hinter den Monitoren für digitale Kurvenprotokolle sieht man neben Plastiksäcken für Organreserven kalten Beton. Die Labor-Luft wird allmählich dick, aber nach wie vor arbeiten Loge, Doktor Hunding (angemessen trocken statt toxisch: Hiroshi Matsui), Fricka und ihr genetisches Double Waltraute äußerst konzentriert.

Wagner-Feinschliff mit Sängerfest
Das einzige Paradox des Abends ist, warum die Androiden mit ihrem synthetisch generierten Intelligenz-, Gefühls- und Hormonhaushalt weitaus emotionalere, affektiertere und berückendere Musik haben als die verbliebenen Menschen mit ihrem ent-emotionalisierten Teamgeist. Man hört Wagners hier verführerisch schöne Klangfarbendramaturgie mit an Höhepunkten ins Nervöse getriebener Hochspannung. Das Saarländische Staatsorchester glänzt mit einer Fülle kammermusikalischer Details, Sébastian Rouland entfesselt beim Androiden-Notschlachten im Feuerzauber melodische Lava. Wenn Thomas Johannes Mayer als Wotan an einem kleinen Plexiglastisch sitzt und Brünnhildes Leuchtdioden das geschichtliche Datenmaterial aufsaugen, ist das ein ganz großer Moment. Ein weiterer, wenn Fricka als Ethik-Beauftragte die Versuchsnotbremse zu ziehen versucht (stark: Judith Braun). Der Bewegungschor und die Walküren haben umfangreiche Aufgaben im Androidenpark. In der Liebesszene von Siegmund und Sieglinde macht sonst oft musikalischer Rausch vergessen, dass diese Ekstase Resultat eines strategischen Kalküls ist. Hier zappeln die mental aufgepoppten Genkonstrukte an medizinischen Schläuchen, werden mit manipulierten Hirnströmen zueinander getrieben. Verständlich, dass Teile des Publikums die Szene mit Buhs bedachten.

Triumph der subtilen Genauigkeit und berührenden Details
Peter Sonn als Siegmund und Viktorija Kaminskaite haben durch die Umdeutung ihres Erkennensmoments den Vorteil, dass sie die große Szene weniger selbstvergessen als mit lyrischer Bewusstheit und vokalem Feinsinn durchmessen. Als Brünnhilde agiert und singt Aile Asszonyi ebenbürtig: Glanzvoller Stimmstrahl und hohe Bewusstheit in der Dialogführung zeichnen diese „Walküre“ aus. Asszonyi und Mayer hätten die Kraft und Kondition für lautere und straffere „Ring“-Lesarten. Aber hier hört man einen Triumph der subtilen Genauigkeit und berührenden Details. Der Wissenschaftsthriller und halbe Science fiction forderte dazu heraus, Wagners Partituren in Saarbrücken besonders genau zu lesen. Mit einem kammermusikalisch leuchtenden Resultat, das grobe Wirkungen und Lärm verschmäht. „Siegfried“ folgt ab Februar 2025.

Roland H. Dippel | 13. Februar 2024

klassik-begeistert.de

Die „Walküre“ in Saarbrücken ist ein Experiment mit Risiken und Nebenwirkung

Es verdient Respekt, wenn ein Haus von der Größe des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken sich an Wagners monumentale Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ wagt. Die kleineren Rollen können natürlich aus dem Ensemble besetzt werden, für die Partien wie Siegmund, Wotan und Brünnhilde setzt man auf Gäste, und hat dabei eine gute Hand bewiesen.

Vielleicht nicht ganz so glücklich war die Wahl des Regieteams. Das ungarische Duo Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka zeichnet auch für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich, wobei letztere auch gut von einem Abverkauf bei Adidas stammen könnten. Wenig Freude bereiten dem Auge auch die Bühnenbilder, die dem Gesamtkonzept folgend nur die Nüchternheit eines Forschungsinstitutes widerspiegeln, in dem Experimente an lebenden Menschen stattfinden.

Sicher, man könnte Wagners Intentionen schon in diese Richtung deuten, schließlich missbraucht Wotan das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde zur Erschaffung des „freien“ Helden. Die Regisseurinnen beißen sich aber an ihrem Konzept fest, und verwandeln den vielleicht sinnlichsten Akt der Opernliteratur in eine klinische Studie.

Nichts, aber auch gar nichts lässt sich von dem Zauber der aufkeimenden Liebe nachvollziehen, wenn zwei zuckende Probanden in getrennten Kojen auf Klinikbetten liegen. Dass Hunding dann als Klinikmitarbeiter im Arztkittel auftritt, ist zwar konsequent, aber bürstet das Bühnengeschehen noch weiter gegen den Strich.

Im zweiten Akt wird Wotan als Chef des dubiosen Institutes vorgestellt, der die Schar seiner Walküren-Töchter mittels Chip-Implantaten unter Kontrolle hält. Das Zucken der Manipulierten wird über den gesamten Abend zu einem ermüdenden Running Gag.

Im so genannten Walkürenritt des dritten Aktes brechen dann endgültig die Dämme des schlechten Geschmacks. Was die acht Wunschmaiden an ordinären und plumpen Aktionen veranstalten, taugte bestenfalls noch zu einer Parodie. Den Tiefpunkt bildet dann aber das völlig verschenkte Schlusstableau. Da befinden sich auf einmal auch Loge und Fricka auf der Bühne, Brünnhilde wird in ein CRT-Gerät gelegt, und dann in die Flammen eines Krematoriums geschoben. Da bleibt nur die bange Frage, wie dieser Ring zu einem befriedigenden Ende gebracht werden soll.

Musikalisch fällt der Abend erheblich erfreulicher aus. Peter Sonn leiht dem Siegmund seinen sehr hellen, aber kräftigen Tenor, der in den „Winterstürmen“ auch durchaus lyrische Qualitäten erkennen lässt.

Seine Zwillingsschwester Sieglinde wird von Viktorija Kaminskaite mit frischem, unverbrauchten Sopran adäquat verkörpert. Der Gast-Wotan Thomas Johannes Mayer bringt seine Rollenerfahrung als großen Pluspunkt mit. Sein geschmeidiger Bassbariton gestaltet die Gebrochenheit von Wotans Charakter glaubwürdig. Aile Asszonyi als seine Tochter Brünnhilde findet neben den dramatischen Passagen auch zu innigen Zwischentönen. Gewöhnungsbedürftig allerdings ihr Schlachtruf im zweiten Akt, und Ermüdungserscheinungen am Ende sind auch nicht zu überhören. Die Fricka mit Judith Braun und der Hunding mit Hiroshi Matsui sind rollendeckend aus dem Haus besetzt, ebenso die acht Walküren, die vokal durchaus achtbar abschneiden.

Am Pult steht Generalmusikdirektor Sébastien Rouland, der dem souverän aufspielenden Orchester durchaus stärkere Impulse vermitteln könnte.

Einige Passagen, wie etwa die Todverkündigung, ziehen sich unnötig zäh in die Länge. Da ist für die nächsten Ring-Etappen noch viel Luft nach oben!

Peter Sommeregger | 13. März 2024

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User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 539 MiB (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by Alexandra Szemerédy and Magdolna Parditka (2024)
Vera Ivanovic replaces Valda Wilson as Helmwige.