Die Walküre

Kirill Petrenko
Orchester der Bayerischen Staatsoper München
Date/Location
22 January 2018
Nationaltheater München
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegmund Simon O’Neill
Hunding Ain Anger
Wotan John Lundgren
Sieglinde Anja Kampe
Brünnhilde Nina Stemme
Fricka Ekaterina Gubanova
Helmwige Daniela Köhler
Gerhilde Karen Foster
Ortlinde Anna Gabler
Waltraute Michaela Selinger
Siegrunde Helena Zubanovich
Grimgerde Okka von der Damerau
Schwertleite Rachael Wilson
Roßweiße Jennifer Johnston
Stage director Andreas Kriegenburg (2012)
Set designer Harald B. Thor
TV director
Gallery
Reviews
bachtrack.com

Die Walküre an der Bayerischen Staatsoper begeistert mit meisterlicher Klangvielfalt

Knapp dreieinhalb Stunden musste das Publikum warten, bis es sich mit tosendem Applaus erheben durfte, doch eigentlich war schon nach der Overtüre klar, dass dieser Abend besonders wird. Nach einem leicht durchwachsenen Auftakt im Rheingold, präsentierte die Bayerische Staatsoper am vergangenen Freitag Richard Wagners Walküre in selten so gehörter stimmlicher Vielfalt und mit wahrhaft meisterlichem Klang.

Viel Raum dafür bot Andreas Kriegenburgs Inszenierung allemal. Den kahlen Bühnenraum, der durch bewegliche Wände lediglich seine Dimensionen veränderte, füllte Generalmusikdirektor Kirill Petrenko mit erhabener Größe. Zügig, gleichwohl fordernd war sein Dirigat, welches einsatzstark und mit großer Präzesion mit jeder Einzelstimme Wagners musikalische Welt durchdeklinierte, gerne monumental wurde, aber nie ins Sentimentale abglitt.

Das Publikum war sichtlich entzückt. Selbst die einst so kritisch aufgenommene Balletteinlage der Inszenierung zu Beginn des dritten Akts sorgte lediglich noch für vereinzelte trotzige Lacher. Von der überwiegenden Mehrheit wurde das rhythmische Stampfen der menschgewordenen Pferde vor dem Ritt der Walküren hingegen mit gebührendem Szenenapplaus gekontert.

Ganz frei von Zweifeln und mit vielen Bravi wurde die sängerische Leistung des Ensembles quittiert. Nina Stemme in der Titelrolle als Brünnhilde ließ ihre Siegesfreude genauso mühelos und überragend in den Zuhörerraum perlen, wie sie verzweifelt um die Mithilfe ihrer Walkürenschwestern rang oder im Schlussduett nicht mit Argumenten, wie es das Libretto will, sondern scheinbar mit ihrem überlegenen Sopran Wotans milde heraufbeschwörte. Auch Simon O’Neill ließ als Siegmund seinen inbrünstigen Heldentenor mal kräftig aufbrausen und dann wiederrum unglaublich feinfühlig um seiner Schwester Liebe ringen, blieb teilweise allerdings etwas farblos. Zudem verschliff er bisweilen Wörter. Das ließ doch die überragende Klarheit des ihm gegenüberstehenden Ain Aigner, der den Hunding mit düsterem Bass sang, vermissen.

Star des Abends war ohne Zweifel Anja Kampe als Sieglinde. Sieghaft nannte Intendant Nikolaus Bachler Kampes Rollen, bei der verdienten Ernennung zur Bayerischen Kammersängerin im Anschluss, doch glaubhaft wäre vielleicht das noch bessere Attribut gewesen. In ihren so dramatisch-lyrischen Sopran legte sie alle Verzweiflung und alle Zerbrechlichkeit der Wälsung, ohne dabei je zu überzeichnen. Völlig zurecht forderte Bachler in seiner Rede, dass sie auch in Zukunft so oft wie möglich in München auf der Bühne stehen solle.

Die zweite große Überraschung des Abends war John Lundgren als Wotan, und nicht etwa, weil er den erkrankten Wolfgang Koch ersetzte. Selten hat man einen so vielschichtigen und wandelfreuigen Wotan erlebt. Kämpferisch, trotzig, überväterlich, verzweifelt, zornig, resignierend, wehmütig – sein voller Bariton wechselte gekonnt von einer Schattierung zur nächsten und geriet auch bei Petrenkos engagierter Untermalung nie ins Hintertreffen.

Ekaterina Gubanova als seine Frau Fricka sang mit ungemeiner großer Durchsetzungskraft, ja fasst herrisch, aber am Ende nicht vollkommen überzeugend. Gleichwohl blieb ihr raumfüllendes Duet mit Lundgren ähnlich nachhaltig in Erinnerung, wie die Schlussszene des Stückes, als der von Statistinnen getragener Ring aus Feuer Brünnhilde umschlingt und das Publikum in andächtige Stille hüllte.

Auch wenn, oder gerade weil diese nüchterne Inszenierung mit ihren wenigen Requisiten nun schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, bleibt sie angenehm zeitlos. In jedem Fall bietet sie der traumhaften musikalische Ausgestaltung viel Platz zum Atmen. Wer die Chance hat, sollte es sich nicht entgehen lassen, diese Walküre im Juli noch einmal mit gleicher Besetzung zu sehen. Es lohnt sich.

Norman Schwarze | 22 Januar 2018

klassik-begeistert.de

Musiktheaterbesuche sind vitale Erlebnisse – da wollen auditive und visuelle Sinne angesprochen, angeregt werden – mit wachsendem Verständnis der Quantenphysik erlaubt man einen weiteren menschlichen Sinn: Körperempfindung, Tiefensensibilität, metaphysisches Erfühlen. Was löst Hören und Sehen aus? Münden diese formalen Wahrnehmungen in Empfinden – in unbewusst tiefem Empfinden?

Das war riesengroß – großartig – einzigartig!

Dieser Abend im Nationaltheater bot ein übervolles Füllhorn tiefen Empfindens, weckt Begeisterung aus intellektueller, kulinarischer, optisch-akustischer Ansprache. Tiefes Erleben und Genießen kann wunderbares Essen, pralle Erotik und so ein Musiktheater bieten.

Machthaber Gott Wotan lebt in eigener kruder Moral, hat außerehelich Zwillinge (Siegmund und Sieglinde) gezeugt, die getrennt aufwachsen. Der erwachsene Siegmund schleppt sich verletzt durch Dunkelheit und wird von Sieglinde (unerkannt) aufgenommen, die in Zwangsehe mit Hunding lebt. Der erkennt in Siegmund seinen Feind und verlangt am nächsten Morgen den Zweikampf bis zum Tode. Sieglinde betäubt ihren Zwangsgatten, dann erkennen sich die Zwillinge Sieglinde und Siegmund und haben Geschlechtsverkehr.

Im nächsten Akt tobt Fricka, legale Ehefrau Wotans, über diese ihr bekannten Umstände und verlangt von Wotan seinen leiblichen Sohn zu töten. Wotan unterwirft sich. Tatsächlich verlangt er die Tötung Siegmunds nun von seiner Lieblingstochter Brünnhilde. Als sie Siegmunds tiefe Liebe zu Sieglinde kennenlernt, ändert sie diesen Plan und will helfen. Stocksauer erscheint Wotan, tötet Siegmund und nebenbei auch Hunding. Brünnhilde und Sieglinde fliehen.

Sieglinde, geschwängert von ihrem Bruder, kann endgültig fliehen. Brünnhilde muss sich ihrem Vater stellen – zunächst will er sie entehren, dann erfolgt Verbannung im Feuerkreis.

Zur visuellen Inszenierung: Kriterien sind dramatische Durchleuchtung, Personenregie, Bühne, Kostüme, intellektuelle Ansprache, Kulinarik. Im Ergebnis hat alles begeistert – großer Jubel, nichts Kopflastiges. Sieglindes Kostüm erschien wohl etwas zu trivial.

Zunächst war ich verblüfft. Der Zugriff des ambitionierten Regisseurs Andreas Kriegenburg erschien zu lapidar. Im ersten Akt fanden sich noch ein gegenständliches Bühnenbild, eine riesige Esche, ein Tisch, gefallene Krieger im Baum – Interpretationsansätze. Schon hier wurden den Akteuren große Freiräume zur Entfaltung ihrer außerordentlichen sängerischen Aufgaben eingeräumt. In den folgenden Bildern abstrahierte sich das dann in einfachen leeren Räumen, Podien fuhren auf und nieder – die Geschichte wurde schnörkellos werkimmanent erzählt, vielfach erfüllten Statisten stimmungsbildende Aufgaben. Immer wurden Möglichkeiten gefunden, dass nach vorn mit gutem Kontakt zum Dirigenten gesungen werden konnte.

Da kam die Erleuchtung: dieser großartige Regisseur hat die Deutungshoheit seiner Inszenierung an Richard Wagner, seinen kongenialen irdischen Vertretern, den Dirigenten Kirill Petrenko und die Sänger, abgegeben – mit großer Sensibilität hat er feine optische Räume einrichten lassen. Es gab keine kopflastigen konstruierten Botschaften, nichts war aufgesetztes Regietheater – pure Walküre. Und trotzdem lockere unangestrengte Personenführung, präzise publikumswirksame Aktionen – es gab keine Langeweile. Das stimmte alles…

… und ob dieser optimalen Einrichtung zu sängerischen Großtaten war es ein Wunder an Diktion und Ausdrucksfähigkeit der Sängerschauspieler. So kann die Geschichte der Walküren auch aufgrund überragender Textverständlichkeit wundervoll überbracht werden.

Das Dirigat Kirill Petrenkos: da können Welten verglichen werden. Es gibt die mutige Pinselei, aber auch einen souverän-beherrschenden analytischen Dirigenten, der feinste musikalische Strukturen aufdeckt und betonen kann, permanent Kontakt mit den Sängern hat, bei ihnen ist, niemanden zudeckt, Dynamisches und Dezibel immer im Griff hat und so auch detailliert mit den Instrumentalisten musiziert. Das Ergebnis ist ein filigranes Erleben strukturierter dramatischer Musik, niemals in kühlem Formalismus fortschreitend, sondern permanent emphatisch. Das ist einfach schön – schön für die Seele und durchaus auch für das kulinarische Genießen. Alle Musiker schaffen diese durchdringende, berührende Wagnersche Atmosphäre, die in uns dringt.

Ein wenig Beckmesserei: der Walkürenritt entsprach weder szenisch noch musikalisch der Qualität des Abends. Einige Statistenauftritte schienen unnötig. Alle stilisierten Schwertkämpfe wirkten improvisiert, ungenau.

Siegmund: Simon O’Neill – ein sympathischer Akteur, auf sehr hohem Niveau, aber doch nicht ganz auf dem Standard seiner Kollegen. Wunderschöne virile Höhe, etwas geschoben – er hat bombensicheren Platz dafür in seinen Resonanzräumen, das klingt wunderschön. Diesen Platz verlässt er leider, wenn er in die Mittellage geht, da wird es gaumig, fahl – schade. Der einzige Darsteller, der unbeholfene Körpersprache benutzt: er stolpert mehr, verkrampft gehetzt, das wirkt outriert, unfertig. Die „Winterstürme“ verblüfften, wirkten markiert, unterartikuliert und gehetzt – danach hat er sich wieder erholt.

Hunding: Ain Anger: ein sehr angenehmer Bass, wunderbares Fundament, vitaler Darsteller, klare Intonation in allen Lagen.

Wotan: John Lundgren – ein Bassbariton mit Wucht, Sensibilität und gestählter Stimme. Sängerisches Vermögen ermöglicht große darstellerische Beweglichkeit – gleitende Registerwechsel ohne abzusetzen, Pianokultur und übermächtiges Fortissimo, er schreit und bellt nicht. Woher kommt so ein sängerisches Vermögen?

Brünnhilde, Fricka, Sieglinde: Nina Stemme, Ekaterina Gubanova, Anja Kampe: Pure Faszination – solche Stimmen gab es lange Zeit nicht. Stattdessen wurde geprustet, gespuckt, geschrien mit dem Alibi, es sei ja schließlich Wagner. Hier der Beweis, dass auch dies mit ungeheurer sängerischer Qualität präsentiert werden kann. Alle Damen singen – auch in exponiertesten Lagen – immer ihre Linie ,weil sie es halt können. Die Fortissimi dieser Damen sind himmeleröffnend. Sie singen wunderbar und gepaart mit exzellentem darstellerischem Talent.

Die Walküren: tolle Töne, aber für Puristen dann doch szenisch, musikalisch und sängerisch mit Luft nach oben.

Gratulation dem Intendanten Nikolaus Bachler – ein Wagner durchgängig spannend, kurzweilig, monumental. Allumfassend begeisternd – tausend Dank.

Tim Theo Tinn | Bayerische Staatsoper, München, 19. Januar 2018

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Technical Specifications
1280×720, 2.5 Mbit/s, 4.0 GByte (MPEG-4)
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