Götterdämmerung

Cornelius Meister
Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart
Date/Location
February 2023
Staatsoper Stuttgart
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegfriedDaniel Kirch
BrünnhildeChristiane Libor
GuntherShigeo Ishino
GutruneEsther Dierkes
AlberichPatrick Zielke
HagenPatrick Zielke
WaltrauteStine Marie Fischer
WoglindeEliza Boom
WellgundeLinsey Coppens
FloßhildeMartina Mikelić
1. NornNicole Piccolomini
2. NornIda Ränzlöv
3. NornBetsy Horne
Stage directorMarco Štorman (2023)
Set designerDemian Wohler
TV directorTon- und Videoabteilung Staatsoper Stuttgart
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Reviews
Münchner Merkur

Brauchen wir eine „Ring“-Pause?

Zwischen Endzeitspiel und ein Kessel Mythos: Stuttgart beendet mit der „Götterdämmerung“ seinen disparaten „Ring“. Und wirft damit grundsätzliche Fragen auf.

Einfach Vorhang zu. Pausieren, das Hirn freikriegen für neue Ideen, für neue Ansätze, wie man dem umfangreichsten, bedeutungsprallsten Opus der Musiktheatergeschichte Herr und Frau werden könnte. „Man sollte dieses Werk mal ruhen lassen, am besten weltweit.“ Sprach Klaus Zehelein vor elf Jahren, damals als Intendant der Bayerischen Theaterakademie. Und redete sich leicht: Um die Jahrtausendwende hatte der legendäre Theaterermöglicher als Intendant der Stuttgarter Oper die vielleicht letzte nennenswerte Innovation für Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ gezeigt. Jede der vier Opern von einem anderen Regisseur inszeniert, das war ein Crescendo furioso von Joachim Schlömer („Rheingold“) über Christof Nel („Walküre“) und Jossi Wieler/Sergio Morabito („Siegfried“) bis zu Peter Konwitschny („Götterdämmerung“).

Doch Zehelein blieb einsamer Wüstenrufer. Sich den „Ring“ ans Revers heften, als Großtat der eigenen Ära, diese Intendantenkrankheit grassiert weiterhin. Mit den bekannten Folgen von der verzweifelten Suche nach neuen Deutungswegen (die sich oft als Sackgassen entpuppen) bis zur Überlastung des Hauses. Ein Opernsystem im „Ring“-Krampf – zumal es nicht nur an Ideen mangelt, sondern auch an adäquaten Gesangskräften. Berlin, Dortmund, natürlich Bayreuth, sogar das Landestheater Niederbayern, das wären die aktuellen Anstrengungen, demnächst folgen Bayerische Staatsoper (mit Regisseur Tobias Kratzer) und Scala.

Für jede „Ring“-Oper ein anderes Regie-Team
Ein Totempfahl, Säulen à la Forum Romanum, der Altar einer Fünfzigerjahrekirche inklusive Neonröhren-Leuchter, die Arena eines Parlaments, dazwischen Volk in antiken Togen und über allem ein wucherndes Holzbündel als Rest der Weltesche: Der Zitatenverhau auf der aktuellen Stuttgarter Bühne passt ausgezeichnet zur Lage an der „Ring“-Front. Die „Götterdämmerung“ als Resterampe, als ein Kessel Mythos. Diese Saga, so suggeriert die Szenerie von Demian Wohler, ist an ein Ende gekommen. Im Finale, man ahnt es nach wenigen Spielminuten, wird alles entsorgt sein. Auch die Bilder von Sascha Schneider (1870-1927) mit ihren schwülen, schwülstigen Göttern und Helden, die einst zur Illustration von Karl-May-Büchern gedacht waren.

Die aktuelle Stuttgarter „Ring“-Idee köchelt bekanntlich Zeheleins Suppe auf. Jeder Teil ein anderer Regie-Ansatz (inklusive der Wiederbelebung von Wielers „Siegfried“), in der „Walküre“ durfte sogar pro Akt ein anderes Team ran, Letzteres mit besonders bedauerlichen Folgen. Was als Befreiung gedacht war, als Aufspüren neuer Sichtweisen ohne die Last, die gesamten 15 Stunden schultern zu müssen, funktioniert bei der schwäbischen Großtat nur bedingt.

Das Endzeitspiel, das Regisseur Marco Štorman nun für die „Götterdämmerung“ erdachte, wird immerhin mit jeder Minute Spieldauer konziser. Wie Zitate ihrer selbst bewegen sich hier die Figuren durch die disparate Welt. Es darf gelacht werden über den aufgekratzten Siegfried, der einer DDR-Fernsehshow entsprungen scheint. Auch Brünnhilde müht sich um Humor als Fallhöhe zum späteren Pathos. Aber am meisten interessiert eigentlich der Bösewicht.

Hagen ist bei Štorman ein Fall für die Psychocouch. Kein Dämon, sondern cooler, gemütlicher Mephisto, der sich in seinen schlechten Momenten als sein eigener Vater Alberich denkt – und zu Beginn des zweiten Akts, ein spannender Moment, gleich beide Rollen singt. Dem großartigen Patrick Zielke glückt singschauspielernd die dreidimensionalste Figur. Hagen wird fast zum Sympathieträger und in den letzten Opernsekunden unter der herniederfahrenden Weltesche begraben.

Brünnhilde und Siegfried überleben
So disparat wie die Zeichenhaftigkeit dieser Aufführung ist, so offen, nicht ganz zu Ende gedacht bleibt auch manche Figur. Für die Brünnhilde ist Štorman nicht furchtbar viel eingefallen. Christiane Libor bringt kein überpräsentes Soprangeschütz mit, singt nie forciert, riskiert auch Lyrismen. Siegfried bleibt munterer Springball, kein ernst zu nehmender Held – was Daniel Kirch sichtlich Spaß macht. Konditionell kommt er gut durch, sein gedeckter Tenor ist Geschmackssache. Ernst und schwarz wird es, als der Held und sein neuer Blutsbruder Gunther (Shigeo Ishino) in dunkelrosa Mao-Anzügen die verratene Brünnhilde in die Ecke treiben. Immer wieder sind das szenische Verdichtungen, die den ganzen Abend nur bedingt tragen.

Bei Generalmusikdirektor Cornelius Meister spürt man den engen Kontakt zum eigenen Stuttgarter Staatsorchester – im vergangenen Sommer gab es bekanntlich auch Unmut für sein Bayreuther „Ring“-Dirigat. Dass er sich viele Gedanken um Details und Übergänge macht, hört man. Stringent ist das nicht unbedingt und oft rein symphonisch empfunden: Sängerinnen und Sänger kämpfen da auf verlorenem Posten und werden zur Vokalbeilage. So klangbewusst und kraftvoll vieles entwickelt wird, so musikalisch blass bleibt ausgerechnet der Schluss.

Da schwingt sich Brünnhilde zu Siegfried auf ein hereingefahrenes Einhorn, um als eigener Mythos zu überleben. Eine hintergründige Pointe. Doch als Kinder mit Taschenlampen in den letzten Takten den unheilvollen Ring entdecken, wegwerfen und nach einem Ausweg suchen, schmeckt das wieder schal: Alles schon mal da gewesen. Wagners „Ring“ also auserzählt? Womöglich bleibt nur die konzertante Lösung, auf dass sich jeder seiner persönlichen Bilderflut aussetzt. So wie es in Bayreuth 2026, zum 150. Geburtstag der Festspiele, aus finanziellen Gründen drohen könnte. Aber das ist eine andere, eine schlimme Geschichte.

Markus Thiel | 14.02.2023

onlinemerker.com

Mit dem Ross in den Himmel

Marco Stormans Inszenierung stellt die Unsicherheit der Figuren in den Mittelpunkt. Es ist nichts mehr so, wie es war. Die gesellschaftlichen Verabredungen scheitern. Storman arbeitet in diesem Zusammenhang die apokalyptische Situation recht gut heraus, auch wenn manche Szene noch plastischer sein könnte. Man sieht an einem Gestell die Weltesche hängen, die langsam und geheimnisvoll herabgelassen wird. Es handelt sich dabei um ein eigenartiges Gebilde aus verschiedenen Baumstämmen. Große Gemälde in Goldrahmen wecken Kunst-Assoziationen und werden wiederholt über die Bühne getragen und an immer anderen Orten neu aufgestellt. Selbst an Karl Mays „Winnetou“ wird in einer Art Siegfried-Reminiszenz erinnert. Hier wird unter anderem dargestellt, wie Siegfried den Drachen tötet. Storman scheut sich auch nicht, Assoziationen zu Wagner-Inszenierungen der Vergangenheit zu wecken. So wird im Programmheft eine Stuttgarter Inszenierung von Otto Krauß aus dem Jahre 1935 erwähnt, die die NS-Kulturpolitik konsequent umsetzte. Ereignisse und Sichtweisen werden klug hinterfragt. Auch der Philosoph Ernst Bloch ist hier mit dem Aufsatz „Rettung Wagners durch surrealistische Kolportage“ zu finden.

Vieles an dieser durchaus einfallsreichen Inszenierung wirkt surrealistisch. Nebelwolken hüllen die Bühne von Demian Wohler in eine undurchsichtige Aura. Die Kostüme von Sara Schwartz erinnern ebenfalls an die Vergangenheit, wenn etwa Brünnhildes Helm auf einer Skulptur zu finden ist. Brünnhilde selbst wird bei einer Auseinandersetzung mit Waltraute diesen Helm wütend vom Sockel stoßen. Und nach dem Liebesglück mit Brünnhilde am Brünnhildenfelsen fällt Siegfried einer üblen Zaubertrank-Intrige zum Opfer, die ihn seine Liebe zu dieser Frau schnell vergessen lässt. Die Gibichungenhalle setzt sich hier aus verschiedenen Orten zusammen. Es gibt neben den riesigen Holzsäulen auch ein Podest mit Mikrofonen, in die der reichlich verwirrte König Gunther hineinspricht. Sein Halbbruder Hagen hat von Anfang an Finsteres im Spiel – und er versteht es ausgezeichnet, den reichlich naiven und auch einfältigen Siegfried zu manipulieren und hinters Licht zu führen. Waltraute tritt mit einer gelben Fahne auf und macht ihrer Schwester Brünnhilde heftige Vorwürfe, die darauf reichlich unwirsch reagiert. Wenn am Ende des ersten Aktes Brünnhilde von Siegfried mit der Tarnkappe überwältigt wird, sieht man dieses Geschehen nicht auf offener Bühne.

Im zweiten Akt lässt Storman Alberich und Hagen vom selben Sänger singen, dabei gelingt auch ein schauspielerischer Coup. Die anschließende Mannenszene mit Hagen besitzt durchaus Spannungsmomente, die sich immer mehr steigern. Brünnhilde schleudert ihren Racheschwur gegen Siegfried in der Menge aus, sie wird von den Menschen geradezu eingekreist. Auch auf der Empore erneuert sie ihre Vorwürfe, schleudert Dokumente hinab.Im dritten Akt stehen schließlich wieder die Kunstgemälde im Vordergrund, wenn Siegfried von Hagen mit dem Speer ermordet wird. Siegfried wirkt dabei wie ein Untoter, der auf dem Walkürenfelsen sein Leben beendet. Dieser Felsen fährt langsam und gespenstisch nach hinten, dann fällt der schwarze Vorhang. Wiederholt senkt sich dieser schwarze Vorhang, der Zuschauer bleibt im Ungewissen. Zuletzt sieht man bei Brünnhildes Schlussgesang Siegfried im Hintergrund auf dem gewaltigen Pferd Grane sitzen – und Brünnhilde schwingt sich zu ihm hinauf, beide reiten ekstatisch davon. Einen Feuerschein sucht man allerdings vergeblich, was eher eine Schwäche dieser Inszenierung ist. Denn dann würden die Bilder noch mehr an Farbe und Leuchtkraft gewinnen. Das System zerspringt endgültig, wie Marco Storman meint. Und unter der sich langsam und gewaltig herabsenkenden Weltesche wird schließlich Hagen begraben, der von den Rheintöchtern symbolhaft hinabgezogen wird. Das sind starke Bilder, die manche szenische Schwächen vergessen lassen.

Musikalisch besitzt diese „Götterdämmerung“ viele Glanzpunkte, auch wenn manche Passagen noch präziser hervorgehoben werden könnten. Cornelius Meister betont allerdings den riesigen Themenbestand seht intensiv – auch die lyrischen Sequenzen werden mit ganz eigenwilligen Tempi ausgeleuchtet. So kommt die leitmotivische Verknüpfung nie zu kurz. Die „ewige Melodie“ triumphiert hier mit leidenschaftlicher Emphase – und dies vor allem beim Liebesduett von Brünnhilde und Siegfried im Vorspiel und im Finale. Und auch die chorische Polyphonie gelingt mit dem Staatsopernchor unter der kompetenten Leitung von Manuel Pujol ganz ausgezeichnet. Cornelius Meister glättet manchmal geschickt die Härten und Kanten von Wagners „Götterdämmerung“. So gehen die monumentalen Blöcke zuweilen nahtlos ineinander über. Christiane Libor gelingt es als Brünnhilde, mit strahlkräftigen Spitzentönen das Seelenleben dieser Figur eindringlich zu beschreiben, was insbesondere im kontrapunktisch kühnen Vorspiel zur Geltung kommt. Auch Daniel Kirch als Siegfried vermag seiner Rolle ein starkes Profil zu geben. Stine Marie Fischer ist als Waltraute mit ihrem tiefen, aber voluminösen Sopran eine Idealbesetzung – und auch Esther Dierkes als Gutrune sowie Shigeo Ishino als Gunther zeigen eine große gesangliche Ausdruckskraft. Eine Meisterleistung vollbringt Patrick Zielke als Alberich und Hagen in einer Person. Er vermag den Klangfarbenreichtum und die robuste Kraft dieser elementaren Figuren in hervorragender Weise zu verkörpern. Dies zeigt sich nicht nur bei der dämonischen Ausgestaltung des b-Moll-Akkordes, sondern vor allem beim Absprung von B nach F und den Tonfolgen B, E und Es. Fafners Paukenrhythmus auf Ces und F wirkt drohend. Sie deuten sehr konsequent auf Hagen als symbolische Person, die alle Fäden in den Händen hält.

In weiteren Rollen überzeugen ferner Nicole Piccolomini (erste Norn), Ida Ränzlöv (zweite Norn), Christiane Kohl (dritte Norn) sowie Eliza Boom (Woglinde), Linsey Coppens (Wellgunde) und Martina Mikelic (Floßhilde). Cornelius Meister glückt mit dem famos musizierenden Staatsorchester Stuttgart eine genaue Durchleuchtung der Motivvielfalt dieses Werkes, was auch am Schluss bei der gigantischen Übereinanderschichtung von Walküren-, Feuerzauber-, Wellen-, Walhall- und Siegfried-Motiv zur Geltung kommt. Das Liebeserlösungsthema steigert sich behutsam. So überwiegt doch noch der fast optimistische Blick in die Zukunft. Zuletzt gab es Ovationen und Jubel für das gesamte Ensemble.

Alexander Walther | 30.01.2023 

Frankfurter Rundschau

Wie Hagen dann auch noch Winnetou ermordete

Die Oper Stuttgart beschließt ihre zweite gemixte Ring-Tetralogie mit einer bilderreichen und trotzdem lahmenden „Götterdämmerung“.

Aus Stuttgart stammt das vor 20 Jahren erstmals und direkt spektakulär umgesetzte Modell, Richard Wagners Ring-Tetralogie auf vier Regieteams zu verteilen. Etliche Kopien im Anschluss misslangen oder überzeugten buchstäblich nur in Teilen. Profiliert war beispielsweise der von vier Regisseurinnen gestaltete Ring in Chemnitz oder zum Abschluss des gemixten Karlsruher Rings Tobias Kratzers „Götterdämmerung“, die – und das muss ja wohl die Idee sein – als in sich geschlossenes Unikum auftrat. Aber insgesamt erweist sich das Disparate von vier Ansätzen nicht als Qualitätsmerkmal, sondern als Anzeichen einer bedenklichen Kurzatmigkeit. Ein Theater wird widersprechen, denn der Aufwand – angefangen bei vier Bühnenbildern – ist gewiss immens, aber: Es wirkt oft einfach ein bisschen bequem.

Im zweiten, 2021 gestarteten Stuttgarter Mischring kulminierte das Konzept in der „Walküre“, in der jeder Akt aus anderer Hand kam. Das klingt so aufregend und war eine so läppische Verwechslung von Ausstattung und Interpretation. Nach Stephan Kimmigs „Rheingold“ im trübsinnigen Zirkusambiente, der zerteilten „Walküre“ und dem wiederbelebten „Siegfried“ von Jossi Wieler und Sergio Morabito nun also Marco Štormans „Götterdämmerung“. Auch Štorman, dessen Stuttgarter „Nixon in China“ ein Hammer war, treibt das Versatzstückhafte weiter voran, Unruhe, Uneinheitlichkeit und eine Wiederberümpelung der Bühne sind die Losung. Glänzende Ideen zeigen sich neben Tändelei.

Demian Wohler zeigt auf drehbarer Bühne architektonische Überreste, teils sakral, teils amtlich wirkend. Zwei Elemente werden sich ins Gedächtnis setzen: die zerstörte Weltesche, die wie ein zusammengeklappter, knochiger, verletzter, halbverwester Körper von oben herabgelassen wird und als Raumskulptur mehr Ernst ausstrahlt als alles andere an diesem Abend. Dazu hat sich das Team in die Karl-May-Illustrationen und andere Bilder von Sascha Schneider (1870-1927) verguckt, deren männliche Nacktheit seinerzeit den Verlag in Verlegenheit brachte. Schneiders Homosexualität störte Karl May auf die sympathischste Weise überhaupt nicht, ihm gefiel an den Bildern wohl nicht zuletzt, dass sie Winnetous Geschichte transzendierten – Salbe auf den Wunden eines Schriftstellers, der doch viel mehr wollte, als Kinder zu unterhalten.

Jedenfalls tauchen sie nun, zu Schinken hochgejazzt und gerahmt, aus einer Funduskiste auf. Die allwissenden Nornen wie die ebenfalls gut informierten Rheintöchter – optisch sind die beiden agilen Trios ohnehin nicht voneinander zu unterscheiden – stellen und hängen sie hier und da auf. Wohler hat kräftig retuschiert: Winnetous gen Himmel strebender Astralkörper ist nun von einem (Hagens) Speer durchbohrt. Aus dem geflügelten Teufel, der sich (freilich nicht bei Karl May, sondern in anderem Zusammenhang) über den momentan toten Leib Jesu beugt, wird Wotan über Wohlers Eschen-Leiche.

In diese ganze Schneider-Idee wurde viel Liebe und Kraft gesteckt. Auch wenn Richard Wagner mit Sascha Schneiders Kunst vermutlich nichts hätte anfangen können, so passt sie doch schillernd genug in die Zeit und die Welt von Wagnerverehrung und Wagnerkitsch, um auf der Bühne in Fahrt zu kommen.

Bloß will die Inszenierung dann gar nichts weiter damit anfangen. Hier flitzt stattdessen ein hyperaktiver, bisschen trashiger, völlig argloser Siegfried im rosafarbenen Trainings- oder Hausanzug (Kostüme: Sara Schwartz) umher. Es mag Štorman sogar um diesen Kontrast oder dieses Gefälle gehen, aber das kann oder will er uns nicht interessant machen. Daniel Kirch spielt Siegfried wie im Rausch (nach einem Wasserfläschchen scheint er süchtig zu sein, ungewöhnlich), und weil er die mörderische Partie auch gut und kultiviert singt, ist das eine Bank. Aber wohin soll es führen? Seine Brünnhilde, Christiane Libor, auch sie stimmlich äußerst solide, bleibt als Figur im Statuarischen, dazu passt ihr togaartiges Gewand.

Beim Personal scheint die kreative Regiekraft ganz in die Ausgestaltung des Schuftes Hagen geflossen zu sein. Patrick Zielke ist ohnehin ein Mann mit Bühnenpräsenz. In einer dollen Szene lassen Štorman und der in eine so krasse Entscheidung natürlich einbezogene Dirigent Cornelius Meister den Alberich einfach weg: Sein grausliger Vater erscheint dem schlafenden Hagen als Alpdruck und Kopfgeburt, Zielke singt den einen wie den anderen, wechselt fabelhaft Gestus und Klangfarbe. Eindrucksvoll.

Wunderbar, aber ebenfalls aus einem Nichts von Zusammenhang heraus, gestaltet sich Stine Marie Fischers Waltraute, Fischers Stimme unwagnerisch weich, rund, hinreißend in den Tiefen. Sie spielt groß, sehnsuchtsvoll und mit Blumenkranz wie eine Wagner-Sängerin um 1900. Dass der Chor (von Manuel Pujol einstudiert) ähnlich gekleidet ist, wie zum Bacchanal, verblüfft. Hier geht es vermutlich darum, allemal eine Zivilgesellschaft zu zeigen, nicht die üblichen waffenstrotzenden Schergen. König Gunther, Shigeo Ishino, und seine Schwester Gutrune, Esther Dierkes, gewinnen gleichwohl als Figuren wenig Profil. Das ist ihr Schicksal. Aber auch sie singen mit Anstand und Stehvermögen, wie auch das Orchester unter Meister manchmal etwas übergroß wirkt, aber im Einzelnen voller Schönheiten. Das Inkonsistente des Bühnengeschehens hindert vielleicht auch den langen Fluss der Musik immer wieder. Es ist keine fruchtbare Hinderung, falls das jemand hofft.

Vieles bleibt rätselhaft, aber es ist nicht die Art von Rätsel, bei der man auf eine Lösung hofft und ihr entgegenbebt. Es gibt auch keine Lösung, aber ein schräges Happyend, bei dem zur nicht übermäßig zündenden Schlussmusik Siegfried und Brünnhilde auf einem Einhorn davonrollen. Hagen wird von der Weltesche erschlagen. Die obligatorischen niedlichen Kinder kommen auf die Bühne, suchen und finden den Ring, finden möglicherweise sogar viele Ringe, so dass wir noch kurz an der Ring-Parabel entlangstreifen könnten.

Das klingt vielleicht übertrieben, aber selbst Hartgesottene können allmählich auf den Gedanken kommen, dass die „Ring“-Produktion in die Krise geraten ist und dringend einen Impuls bräuchte.

Judith von Sternburg | 15.02.2023 

bachtrack.com

Entzauberung statt Mythenbildung

Das Klischee, dass sich Opernsänger*innen bei Richard Wagners Bühnenwerken in antiquierten Kostümen, bewaffnet mit Speer und Flügelhelm, gegenüberstehen und im Grunde genommen mehr anschreien als singen, ist längst überholt. Beim Anblick der neuen Götterdämmerung an der Oper Stuttgart sieht man dieses Vorurteil jedoch wieder bekräftigt. Der Ring des Nibelungen, der unter Mitwirkung von nicht weniger als sechs Regisseur*innen entstanden ist, wird nun von Marco Štorman zu Ende erzählt.

Štorman mag sich von einem einzigen Gemälde des symbolistischen Malers Sascha Schneider inspiriert haben: Schneider fertigte Illustrationen für Karl Mays Winnetou-Bücher an und eines der prägnantesten Bilder daraus zeigt den Häuptling gen Himmel ausgestreckt, seine langen schwarzen Haare im Wind flatternd – und hier ergänzt, um die Brücke zum Siegfried-Mythos zu schlagen, mit einem Speer im Rücken. Štorman lässt seine Charaktere daraufhin immer mehr von Schneiders Gemälden auf der Bühne platzieren und gibt ihnen neue Bildunterschriften, um Parallelen zu Siegfried, Brünnhilde und deren Untergang herzustellen – eine Idee, die konstruiert wirkt und leider wenig Aussage und Effekt erzielt.

Brünnhilde scheint oft nur Augen für das heroische Bild Winnetous zu haben, ist ihr eigener Held doch eher ein abgehalfterter Barney Geröllheimer, dem man nur allzu sehr ansieht, dass seine Eltern Geschwister sind. Daniel Kirch in der Rolle des Siegfried muss man es hoch anrechnen, dass er unentwegt den überdrehten Pausenclown gibt und seine ihm aufgetragene Rollengestaltung konsequent durchzieht.

Während Schneiders Bilder von muskulös gestählten Körpern strotzen, die homoerotische, arische Szenen von nordischen Übermenschen evozieren, müssen die Personen auf der Bühne unvorteilhafte Mesh-Shirts und fleischfarbene Kostüme aus juckendem Polyester tragen. Der Auftritt von Hagens Mannen in eben solchen hautfarbenen Kleidern weckt gleichzeitig Assoziationen mit dem Sturm aufs Kapitol und dem Tanz ums goldene Kalb – die mit Goldlack überzogenen Tierschädel ergänzen das archaisch-wirre Bild entfesselter Männlichkeit noch zusätzlich. Die Kostüme von Sara Schwartz werden von den zahllosen Requisiten und Bühnenbauten ergänzt. Das ganze Requisitenlager – ein Brünnhildenfelsen aus Pappmaché, Totempfähle, antike Säulen und angedeutete Kirchenräume mit Kanzel und Orgel – kommen zum Einsatz. Štorman und sein Regieteam präsentieren ein überbordendes Horror vacui aus sinnentleerter Überfülle. Spätestens im zweiten Aufzug hat man jegliches Interesse an seiner Konzeption, aber leider auch an den Personen verloren. Er stellt eine Welt dar, um die es nicht schade wäre, ginge sie sogleich unter.

Der unentwegte Einsatz von Requisiten, das Poltern des Mobiliars, ihre Umbauten und umständliche Szenenwechsel brachten zusätzliche Unruhe in die Produktion und vermochten dennoch nicht über den Mangel einer klaren Regieaussage hinwegtäuschen. Seine spärlich gesäten Ideen bilden kein kohärentes Konzept. Statt einen Beitrag zur Mythenbildung zu leisten, entzaubert Štorman das Ende der Tetralogie und nimmt ihr jegliche Anziehungskraft.

Cornelius Meister und das Staatsorchester Stuttgart untermalten das Geschehen mit einem überaus effektvollen, hörenswerten und sehr präsenten Dirigat. Meisters intensive Beschäftigung mit der Partitur war deutlich zu spüren. Er schuf intensive, rauschhafte Klänge, gegen welche die Solist*innen jedoch immer wieder Mühe hatten, sich Gehör zu verschaffen. Etwas mehr Transparenz und leisere Zwischentöne hätten der musikalischen Interpretation mehr Tiefe verliehen, die man bereits im Geschehen auf der Bühne vermisste. Bereits die einleitende Nornenszene erklang im ungewohnt durchdringenden Forte und blieb für den Abend richtungsweisend.

Daniel Kirch, dessen herber Tenor zwar kraftvoll und mit deutlicher Deklamation erklang, wurde von der Wucht des Orchesters insbesondere in seiner Höhe immer wieder zum Brüllen gezwungen. Seine Darstellung wirkte stellenweise forciert und bot wenig elegante Ausgestaltung. Dass Kirch seine in der Tiefe gefestigte Tenorstimme auch klangschön und ausdrucksstark formen kann, bewies er an der Oper Stuttgart zuletzt in der Titelrolle des Parsifal; so blieb er jedoch als Siegfried hinter den hohen Erwartungen zurück Ähnliche Probleme hatte zunächst Christine Libor, die selbst als versierte Brünnhilde gegen das Orchester anzukämpfen hatte. Ab dem zweiten Aufzug und insbesondere in der ergreifenden finalen Szene hat sie sich freigesungen und konnte die die Schönheit ihrer festen, dramatischen Sopranstimme frei entfalten.

Patrick Zielke gehörte mit seiner Doppelbesetzung als Hagen und Alberich zu den wenigen interessanten und wirklich gelungenen Ideen dieser Produktion. Statt auf seinen Sohn im Traum einzuwirken, wird Alberich zu einer der Identitäten Hagens schizophrener Persönlichkeit. Zielke schafft mit seiner Darstellung einen Ruhepol inmitten dieses chaotischen Abends und verlieh ihm ungeahnte Tiefe. Mit kontrastreicher Ausgestaltung vermochte er sogar seine Baritonstimme zu verstellen, um mal herber und mal feinsinniger zu singen. Dabei überzeichnete er nie, sondern bleibt stattdessen seiner fantastischen Diktion und markanten Stimmfarbe treu. Stine Marie Fischer gestaltete eine ausdrucksstarke Waltraute mit einer in der Tiefe schöpfenden Alt-Stimme von größter Klarheit. Auch Shigeo Ishino als Gunther mit raumgreifenden Bariton und Esther Dierkes als stimmlich hypnotisierende Gutrune rundeten die hörenswerte Besetzung ab.

Štorman mag dem Publikum seine Inszenierung als postmodern verkaufen wollen, doch er bleibt in seinen Aussagen und Deutungen zu pauschal. Das Programmheft mag Susan Sontag, John Berger und Baudrillard zitieren, doch diese Götterdämmerung hat es noch nicht mal zum Simulacrum einer gelungenen Deutung des Ring-Abschlusses gebracht. Štorman trat ein schweres Erbe an: Er musste sich an der legendären Vorgänger-Inszenierung der Götterdämmerung von Peter Konwitschny messen, welcher die Tetralogie mit bedeutungsvoller Tiefe abschloss, während sich Štorman stattdessen in seinem eigenen Requisitenlager verirrte.

Blickt man abschließend auf den nun fertiggestellten „neuen“ Stuttgarter Ring, stellt sich die Frage, ob man nicht nur den alten Siegfried, oder besser doch alle vier Teile des alten Stuttgarter Rings zurückbringen sollte? Zweifelhaft bleibt, ob es das ist, was Wagner meinte, als er „Kinder schafft Neues“ propagierte…

Alexandra Richter | 21 Februar 2023 

Rating
(3/10)
User Rating
(2/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
1280×720, 1.8 Mbit/s, 4.0 GByte (MPEG-4)
German subtitles
Remarks
Webstream
Possible dates: 12 and/or 19 February 2023
This recording is part of a complete Ring cycle.