Lohengrin
Gabriel Feltz | ||||||
Chor der Oper Dortmund Dortmunder Philharmoniker | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Heinrich der Vogler | Shavleg Armasi |
Lohengrin | Daniel Behle |
Elsa von Brabant | Christina Nilsson |
Friedrich von Telramund | Joachim Goltz |
Ortrud | Stéphanie Müther |
Der Heerrufer des Königs | Morgan Moody |
Vier brabantische Edle | Christian Pienaar |
Jeayoun Kim | |
Daegyun Jeong | |
Thomas Günzler | |
Stage director | Ingo Kerkhoff (premiere) |
Set designer | Dirk Becker |
TV director | – |
Brüderlein und Schwesterlein
Warum darf Elsa nicht nach Lohengrins Herkunft fragen? Sicher, unter dem Blickwinkel des romantischen Geniekults erwartet hier eine Lichtgestalt, dem Komponisten der Oper durchaus wesensverwandt, blindes Vertrauen und damit bedingungslose Loyalität. Vielen Regisseuren gibt diese klassische Lesart allerdings zu wenig her (und ist wohl auch nicht mehr zeitgemäß). In seiner Dortmunder Neuinszenierung verknüpft Ingo Kerkhof das komplizierte Frageverbot mit einem anderen Rätsel der Oper: Was genau ist mit Elsas Bruder Gottfried passiert? (Von Ortrud verhext, erfahren wir am Ende, ohne Details zu kennen.) Kerkhoff konstruiert eine inzestuöse Liebesbeziehung zwischen Elsa und Gottfried und identifiziert den Ritter, der ihr in höchster Not zur Hilfe kommt, mit ihrem geliebten Bruder. Kühn gedacht, muss man da sagen.
Ob dieser Lohengrin nun tatsächlich Elsas Bruder Gottfried ist oder nur irgendein Mann, auf den sie die Bruderliebe projiziert, das ist unerheblich, da Kerkhoff die Geschichte weitgehend aus ihrer Perspektive erzählt. So oder so ist die Frage nach Lohengrins wahrer Identität verboten, und zwar aus Elsas ureigenem Interesse, weil sie sich mit der Antwort die Unmöglichkeit dieser Liebe eingestehen müsste. Bis dahin ist der gedankliche Ansatz durchaus spannend – wobei der noch weit darüber hinaus gehende Versuch, den Lohengrin autobiographisch als eine musikalische Liebeserklärung Wagners an seine Schwester Rosalie zu verstehen, schon ziemlich starker Tobak ist. Aber auf der Bühne schlüssig oder wenigstens spannend umsetzen kann Kerkhoff den verwegenen Konstrukt nicht.
Kerkhoff verlegt die Handlung ins bürgerliche Milieu des 19. Jahrhunderts (elektrische Beleuchtung gibt es merkwürdigerweise schon). In einem engen Zimmerchen liegt Elsa im Bett und träumt offenbar, aber es erscheinen keine mittelalterlichen Ritter, sondern bourgeoise Anzugträger. Kein Märchen also. Oder doch? Eingeblendete Texte, beginnend mit “Es war einmal…”, verweisen auf eine Märchenebene. Das Zimmer befindet sich im leeren Raum, abgeschnittene Schilfhalme deuten auf Natur hin. Videoeinblendungen zeigen zwei Kinder am Tisch, Bruder und Schwester, und es handelt sich um die jungen Elsa und Gottfried. Komplizierter wird die Rolle des zweiten Paars Ortrud und Telramund, das Anfang des zweiten Akts ein offensichtlich erfülltes Sexualleben vorführt, das Elsa und Lohengrin verwehrt bleiben muss. Ist Ortrud die andere Seite Elsas und Telramund der Mann, der für sie vorgesehen (aber nicht geliebt) ist? Der Regie gelingt es nicht, das deutlich zu machen. Das Libretto, fast durchweg mit exzellenter Textverständlichkeit gesungen (und die Übertitelungsanlage gibt es sowieso), erzählt über weite Strecken eine andere Geschichte als die Regie. Und in den meisten Szenen (der erwähnte fulminante Auftritt von Ortrud und Telramund bildet eine Ausnahme) stehen die Figuren einfach herum und es passiert szenisch lange gar nichts. So ist dieser Lohengrin bei aller Gedankenspielerei vor allem eines: Langweilig. Und das eher uninspirierte Bühnenbild (Dirk Becker) rettet da auch nichts.
Der Chor ist im ersten und dritten Aufzug im oberen Rang aufgestellt, was szenisch wohl unterstreichen soll, dass die Regie ein Kammerspiel zeigen möchte. Weil auch noch die Fanfaren vor den Türen des Zuschauerraums postiert sind, ergibt sich eine faszinierende Rundum-Beschallung, und so viele Details vom Chor hat man sicher noch nie gehört. Bei allem Eindruck, den das macht, ergeben sich aber auch zwei Probleme. Da bei vielen Chorpassagen kein Chor auf der Bühne agiert und damit ohne jede szenische Aktion gesungen werden muss, verstärkt sich der statische, ja beinahe konzertante Charakter dieser Szenen – ein reines Hördrama. Zum anderen ist die Koordination zwischen Dirigent, Orchester und den über weite Strecken verteilten Sängern und Ferntrompeten eben doch sehr heikel. Der ausgezeichnete und sehr aufmerksame Opernchor, im Klang mit etwas viel Vibrato, bewältigt das großartig, und bis auf ein paar ganz kleine Wackler und Intonationseintrübungen gelingt das Unternehmen ziemlich präzise. Aber es muss eben streng auf den Schlag des Dirigenten gesungen werden, und dadurch bekommt die Musik auch etwas Unbewegliches. Zumal GMD Gabriel Feltz im Bemühen, auch die kleinen Noten sehr sorgfältig ausspielen zu lassen, mitunter die dramatische Entwicklung stocken lässt. Am besten gelingen die schwungvollen, von den Blechbläsern dominierten Zwischenspiele. Feltz interpretiert Wagner ansonsten in vielen Passagen als Zeitgenossen Mendelssohns und Schumanns, meist leicht und luftig, hebt die liedhaften Elemente hervor und weniger das sich abzeichnende Musikdrama. Manches gerät dabei arg schematisch. In weiten Teilen setzen die Dortmunder Philharmoniker das musikalische Konzept sehr gut um, manches wie die zu lauten und “klappernden” Holzbläsereinsätze zu Beginn des Vorspiels könnte noch Feinschliff vertragen.
Wenn Lohengrin weder Ritter noch Superheld ist, sondern ein sensibler junger Mann, dann ist Daniel Behle eine ganz ordentliche Besetzung – der leiseste in einer ansonsten stimmgewaltigen Riege. Die Spitzentöne singt er gerne von unten an, hat eine sichere Höhe, allerdings mit wenig Glanz. Ein netter Junge halt. Die junge schwedische Sopranistin Christina Nilsson, von der Maske sträflich behandelt (und auch Kostümbildnerin Jessica Rockstroh ist nicht viel Vorteilhaftes eingefallen), singt mit strahlkräftigem, großem Sopran die Elsa, sicher noch etwas kantig, aber mit immenser Energie – da könnte ein großer Sopran heranwachsen. (Leider verschleppt sie im hier schier endlosen Dialog mit Lohengrin im Brautgemach ausgerechnet dann, wenn Gabriel Feltz endlich mal auf Toren kommt, das Tempo.) Großartig ist Stéphanie Müther als hell timbrierte, strahlkräftige Ortrud, und Joachim Goltz ist ein metallisch wuchtiger, ungemein präsenter Telramund (die Partie liegt für ihn offenbar eine Terz zu hoch, die Spitzentöne verblassen – das fehlt ihm zur Weltklasse). Shavleg Armasi ist ein mehr als solider König Heinrich, dessen Bedeutung im Regiekonzept ziemlich unklar bleibt. Der Heerrufer ist eine Mischung aus Conferencier und Märchenerzähler, bewusst karikiert angelegt – Morgan Moody spielt das sehr schön (wobei der Effekt sich irgendwann erschöpft) und singt auch sehr ordentlich. Das Premierenpublikum war mit der musikalischen Seite sehr zufrieden: Ziemlich pauschales Gejohle von den Rängen (eine Unsitte, die sich offenbar mehr und mehr bei Premieren nicht nur in Dortmund verbreitet), auch für das Regieteam – das dann aber doch noch heftig Unmut mitgeteilt bekam.
FAZIT
Musikalisch gibt es viel Hörenswertes, insbesondere von den Sängern; szenisch kann Ingo Kerkhoff sein überambitioniertes Konzept auf der Bühne nicht umsetzen und produziert vor allem öden Stillstand.
Stefan Schmöe | Theater Dortmund am 30. November 2019
In der Dortmunder „Lohengrin“-Inszenierung hat Elsa einen Albtraum im Kornfeld
Einen so tollen Lohengrin wird man so schnell nicht wieder hören: Daniel Behle hat in dieser Partie im Dortmunder Opernhaus sein Debüt gegeben. Ein strahlender Ritter ist er nur musikalisch.
Wenn die Autorin dieses Textes zur Arbeit eine solche Einstellung hätte wie Regisseur, Bühnenbildner und Kostümbildnerin des neuen Dortmunder „Lohengrin“, dann wäre diese Premierenkritik an dieser Stelle zu Ende.
Das, was das Publikum am Samstagabend im ausverkaufen Dortmunder Opernhaus mit Buhrufen für das Regieteam und großem Jubel für Solisten, Chor und Orchester quittierte, war kaum mehr als eine konzertante Aufführung der Wagner-Oper. Ein, zwei Ideen des Regisseurs (er inszeniert Elsas Traum), wenige Ansätze von Personenführungen, aber nur, wenn nicht mehr als zwei Personen auf der Bühne sind. Das war‘s.
Jessica Rockstroh setzt auf Beerdigungs-Look
Den Opernchor bewegt Regisseur Ingo Kerkhof gar nicht – der singt von den Zuschauerbalkonen, was musikalisch ein toller Raumklang-Effekt ist. Auf der Bühne steht der Chor später vor einem Vorhang. Und jeder (mit Ausnahme von Elsa im weißen Hochzeitskleid) darf das anziehen, was er auf der letzten Beerdigung getragen hat. Kostümbildnerin Jessica Rockstroh putzt das düstere Einheitsschwarz immerhin mit kleinen brabantschem Spitzenkragen heraus.
Ein Kammerspiel in einem winzigen Schlafzimmer auf der sonst nur mit Stroh dekorierten Bühne (Dirk Becker) macht Kerkhof aus dem „Lohengrin“. Das Schlafzimmer ist für Elsa wie ein Gefängnis, das sie erst verlässt, als ihr Retter Lohengrin erschienen ist. Einem Ritter würdig ist der bescheidene Auftritt an der Seite der Bühne übrigens nicht. Und wenn Elsa die Geschichte schon geträumt hat – dass ein Ritter am Schluss so jämmerlich in der Ecke kauert, ist wohl auch mehr ein Albtraum.
Behle gibt ein tolles Debüt
Wieso schlafen eigentlich alle in einem Bett? Elsa ebenso wie Ortrud und Teramund? Die Frage beantwortet der Regisseur ebenso wenig wie die, ob Lohengrin Elsas verschollener Bruder Gottlieb sein soll, weil er ihr den Federball zeigt, den Elsa und Gottlieb beim Suppelöffeln im Video in den Topf geworfen haben.
Nicht wegen der Inszenierung, aber wegen der großartigen musikalischen Leistung muss man diesen „Lohengrin“ gesehen haben. Daniel Behle gibt sein Debüt in dieser Wagner-Rolle. Und das ist ein Ereignis. So schön ausgesungen, mit einer so traumhaften Leichtigkeit und Innigkeit in der Stimme hat man den Lohengrin noch nicht gehört und hört vieles in Wagners Musik ganz neu. Wunderbare Farben und Obertöne hat Behles Tenor. Er klingt sanft und elegant wie ein märchenhafter Retter und im dritten Akt auch maskulin wie ein Ritter. Und nicht nur seine Gralserzählung ist ein Traum, weil sie liedhaft klingt, aber trotzdem kraftvoll.
Generalmusikdirektor Gabriel Feltz schafft umwerfenden Raumklang
Die junge Schwedin Christina Nilsson passt mit ihrem schlank geführten, leuchtenden Sopran als Elsa hervorragend zu Behles Tenor. Hervorragend ist auch Joachim Goltz als Telramund mit einem starken, dunklen Bariton besetzt, der noch kräftiger ist als der Bass von Shavleg Armasi als König Heinrich. Telramunds Schwertkampf mit Lohengrin ist in der Inszenierung auch sehr dürftig. Stéphanie Müther singt eine hochdramatische Ortrud, mit vielen Farben aus dem italienischen Fach. Gewohnt souverän gestaltet Morgan Moody die Partie des Heerufers, muss aber sehr marionettenhaft spielen.
Ein großartiges Erlebnis ist der Raumklang, den Generalmusikdirektor Gabriel Feltz schafft, indem er den Chor und später Blechbläser im Saal platziert. Und das Theater hat den Orchestergraben tiefer herunter gefahren, wodurch sich der Klang besser mischt und die Balance zu den Sängern fast so ideal wie in Bayreuth ist. Musikalisch ist das ein Wagner-Fest.
Julia Gaß | 01.12.2019
Daniel Behle als Lohengrin in Dortmund: Immer sollst du ihn befragen
Daniel Behles ausgezeichnetes Debüt als Lohengrin am Theater Dortmund.
Zu den bescheidenen Wünschen im Leben mag seit ein paar Jahren gehören, Daniel Behle einmal als Lohengrin in der gleichnamigen Oper Richard Wagners zu hören. Seine Stimme geht so sehr dorthin, ihre Leichtigkeit, Genauigkeit, sanfte Kraft, die hier zwar nicht über die lange Strecke strapaziert wird – weshalb erfolgreiche Siegfrieds am Schützer von Brabant heillos scheitern können –, aber punktuell auf Vordermann sein muss: in gleißenden Höhen, jenen Sphären, in denen ein Gralsritter erst zu sich selbst kommt. Anders als ein Mensch, selbst wenn er ein Tenor ist.
Der 45-jährige Daniel Behle – sprechen wir nicht davon, wie viele Jahre, Jahrzehnte er jünger aussieht, sprechen wir jedenfalls nur ganz kurz davon – jetzt also als Lohengrin: Das Theater Dortmund sicherte sich das verheißungsvolle Debüt, anscheinend knapp vor den Stuttgartern, die das ihrerseits angekündigt hatten (und wo Behle demnächst auftreten wird). Ein verheißungsvolles Debüt, das die Verheißung erfüllen, übertreffen kann. Makellos die Höhen, in denen nichts verschwimmt und nichts versteckt werden muss, die Töne wie eine Perlenkette, die technische Präzision der Intonation und Artikulation so glasklar wie beim Liedgesang. Der Kraftakt wird tatsächlich zum erzählenden Lied. Dafür muss und sogar: sollte eine Stimme nicht stählern klingen. Welch ein Glück, dass Elsa ihn nachher gegen sein Verbot befragt und Lohengrin vom Gral erzählen muss.
Eine Spur von Übersorgfalt in der Artikulation wirkt eher ansprechend – Lohengrin ist streng, und Fehlerlosigkeit hat stets einen Zug ins Streberhafte –, außerdem dürfte sich das noch legen. Eine Kühle, die eingebildet sein kann, passt zur transzendenten Herkunft. Lohengrin schwankt ja zwischen der Sehnsucht nach häuslicher Liebe und einer von ganz oben anbefohlenen Pflichterfüllung, aber selbst im Schwanken ist er übernatürlich dezent. Dem wurde Behle voll gerecht, auch als Typus, in dem ferner ein Hauch von Buster Keaton mitschwingt.
In der Inszenierung von Ingo Kerkhof im Opernhaus Dortmund taucht er hemdsärmlig und mit einiger Verzögerung aus dem dunklen Hintergrund auf. Eine verunglückte Szene nicht, weil weit und breit kein Schwan zu sehen ist, sondern weil das Tableau der übrigen Solisten eine teils missmutige, teils zagende, teils bloß unverbindliche Haltung präsentiert, während uns von hinten der Chor regelrecht anschreit in einer jedenfalls in der besuchten Vorstellung nicht gut austarierten Wucht.
Rund um Behle nämlich Licht und Schatten. Die Dortmunder Philharmoniker unter Gabriel Feltz suchen und finden das Zupackende im Romantischen. Sie mystifizieren sogar die hier schleunige Ouvertüre nur in Maßen. Das Kernige steht ihr aber nicht schlecht, zumal die Bühne schon zu sehen ist und Elsa bei finsteren Träumen in ihrem bieder eingerichteten Kämmerlein liegt. Dirk Beckers Bühne zeigt ein Stoppelfeld, das auf Wiedervorlage für alle möglichen Opern und Sprechtheaterstücke verwendet werden könnte. Die Kammer zur Linken ist nachher merkwürdigerweise auch das Schlafzimmer der Telramunds.
Ein aufwendiger Umbau in der Pause zeigt das Brautgemach Lohengrins und Elsas sodann als unerwartet großen Saal, dessen Funktion vor allem ist, hinter einer halbdurchsichtigen Wand ein doublettiertes Paar ähnlich, aber nicht genau so sich bewegen zu lassen. Einiger Aufwand für einen geringen Ertrag.
Das gilt ebenso, das gilt sogar noch mehr für die an sich schöne Videoarbeit von Philipp Ludwig Stangl. Zwei brave Kinder essen ihre Suppe. Das müssen Elsa und ihr inzwischen verloren gegangener Bruder Gottfried sein: Gottfried, dessen Verschwinden der Auslöser der Handlung ist und der diesem Szenario zufolge nicht so viel jünger wäre als sie, wie es üblicherweise gezeigt wird. Im Suppentopf findet sich auf einmal ein Federball (vom Federball zum Schwan sind es keine Lichtjahre), mit dem lustig gespielt wird, bevor er wieder im Topf verschwindet. Dafür lassen sich Kerkhof und Stangl viel Zeit. Dass auch Lohengrin nachher wie von ungefähr einen Federball zur Hand hat, ist allerdings eine Überraschung. Sind er und Gottfried ein und dieselbe Person?
Es ist sicher die Schwäche von Kerkhofs Erzählung, ein offenes und interessiertes Publikum auf den Leim gehen zu lassen – bei einer Handlung, die Überschreibungen an sich auch gut verträgt, und einer Musik, die psychologische Ambivalenzen vermittelt. Was genau meint Lohengrin, wenn er singt, dass er Elsa liebe? Und was kann Elsa damit anfangen? In Dortmund reagiert sie an dieser Stelle schroff, aber auch diese Fährte wird nicht verfolgt.
Gewiss ist lediglich, dass Kerkhof sie als Träumerin zeichnet, gar als Narkoleptikerin, die die Schlummersucht in inadäquaten, oft bedrängten Augenblicken überkommt: Darauf würde man sich gerne einlassen. Recht nützlich auch die calvinistisch gedeckten Kostüme von Jessica Rockstroh und die Lichtarbeit von Florian Franzen. Es ist meistens nicht stimmungs-, nur in vielem sinnlos.
Auch Elsa ist eine interessante Debütantin, die Schwedin Christina Nilsson (Jahrgang 1990!). Sie spielt somnambul bis ins Törichte, ihr Sopran dabei schlank, groß, ohne Schärfe. Joachim Goltz als solider Telramund und Sabine Hogrefe als Ortrud – die an diesem Abend ad hoc eingesprungen ist und sich mit zerbinettahafter Sicherheit in die Situation findet – sind ein weniger düsteres als mürrisches Paar. Finster besprechen sie sich bei einer Zigarette danach im Schlafzimmer.
Durchschlagend Shavleg Armasi als Heinrich. Eine Abwechslung Morgan Moody als Herrufer mit strohblonder Sturmfrisur (!): ein jovial auftretender, aber ambitionierter PR-Mann des Königs. Im Unausgewogenen des Ganzen brachte das zwar nicht viel, aber vergessen wird man ihn nicht.
13.12.2019
Elsas unmöglicher Traum
Die Ausgangslage für den Regisseur Ingo Kerkhof: „Elsa träumt. Der Stücktitel bezeichnet dabei den Traumgegenstand, also Lohengrin…ich glaube nicht, dass Lohengrin der ist, der sich sehnt und träumt, sondern Elsa…man hat das Gefühl, es könnte alles aus ihrer Perspektive erzählt werden…“
Weiters kann man dem Einführungsvortrag der Dramaturgin Laura Knoll entnehmen, schon im „Lohengrin“ könnte es die Inzestproblematik der Geschwisterliebe (wie später bekanntlich in der Walküre) zwischen Elsa und dem verschollenen Gottfried geben. Und bringt auch gleich die frühe „schwärmerische Neigung des ganz jungen Richard Wagner zu seiner um 10 Jahre älteren Schwester Rosalie“ ins Spiel.
Also, man macht sich auf eine gedankentiefe, tiefenpsychologisch unterfütterte Regiearbeit gefasst. Zumal auch Grimms Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“ per Video zitiert wird…
Das ätherische A-Dur des Vorspiels hebt an. Gleich einmal gnadenlos zerhustet von einigen Rücksichtslosen im Auditorium. Kaum ist die Geräusch-Partiturzeile überstanden, beginnt die Bebilderung der Ouvertüre. Ohne eine solche kommt mittlerweile fast kein Inszenator, der auf sich hält, aus. Also: Elsa träumt, auf Video unnatürlich verdoppelt. In einem ärmlichen Zimmer, in einem spartanischen und höchst unbequemen Bett, einen unmöglichen Traum. Das Zimmer könnte in Dutzenden anderen Opern auch genauso vorkommen.
Der erträumte Ritter oder Retter kommt – und alles könnte ja gut werden. Nach der Lesart Kerkhofs sieht Wagner das alles abstrakt, weil er „… von verschiedenen Bewusstseinszuständen“ schreibt. Schon im alten Indien sei der Schwan eine Metapher von einem Seinszustand in den anderen. Und nun kommt im Programmheft der Satz, der meiner Ansicht nach Ausgangspunkt für das klägliche Scheitern dieser Inszenierung ist: „Wenn man den Schwan auf der Bühne nicht sieht, kann man sich darauf konzentrieren, was mit den Menschen passiert, die meinen, ihn gesehen zu haben…Um nicht in die Falle zu geraten, den Schwan zu illustrieren, legen wir ihn dahin, wo er hingehört, nämlich in die Musik, in die Köpfe der Mitwissenden und der Zuschauer…der Schwan ist kein Taxi…“
Danke, diese Publikumsbelehrung war ganz wichtig!
Wenn man nach dieser bestechenden Logik alles in die Köpfe des Publikums legt, drückt man sich als Interpret aber auch um andere essenzielle Dinge einer durchdachten, spannenden, musikalischen Interpretation. Ja, ich will Platz haben zum Mitdenken und für Assoziationen. Und ich kapriziere mich nicht auf das Vorkommen eines Schwanes. Aber mich interessiert z.B., wie hält es der Regisseur gemeinsam mit dem Lichtdesigner, wenn es um die Farben in Wagners Musikkosmos geht? Hier die erste Ignoranz dem musikalischen Geschehen gegenüber. Nachtschwarz und fahlgrau dominiert bis zum Überdruss die Bühne. Mitverantwortlich für diese Bühnentristesse: Florian Franzen, der das Geschehen in eine Finsternis taucht, bei der man eine Winterdepression kriegen könnte. Weiters mitverantwortlich dafür: Dirk Becker. Wie schon angedeutet, das Bühnenbild macht den Eindruck, man habe Restbestände aus früheren Arbeiten exhumiert. Was sollten z.B. die Strohreste, die selbst im Brautgemach allgegenwärtig bleiben? Ja, und die Kostüme wirkten in ihrer uninspirierten Alltäglichkeit wie von früheren Produktionen zusammengesucht. Ob Brabanter, ob Schwanenritter, ob König: Nichts ist unterscheidbar, alles bleibt sich gleich. Verantwortlich dafür: Jessica Rockstroh.
Die Inszenierung bietet nicht einmal Erregungspotenzial. Und ist vor allem theaterhandwerklich, in der Führung der Protagonisten und vor allem des Chores, von erschreckender Hilflosigkeit. Wunderte ich mich noch unmittelbar vor Beginn der Vorstellung dass Seitenteile des Ranges völlig leer blieben (Gedanken über Auslastungssorgen der Dortmunder Oper kamen auf), so war mit dem 1. Choreinsatz alles klar. Er sang im 1.Akt auf der Galerie, da kam die hilflose Chorführung noch nicht zum Tragen, und Stellen wie „Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte. Wie erscheint sie so licht und rein…“ machten in diesem Raumklang schon was her. Wie überhaupt der Opernchor Theater Dortmund markant und kraftvoll tönte (Einstudierung: Fabio Mancini). Für chaotische Auf- und Abgänge im 2. Akt, dann doch auf der Bühne, konnte er nichts.
Bedauernswert an diesem szenischen Offenbarungseid waren die Sänger/innen. Allen voran Daniel Behle, dessen Weltdebüt in der Rolle des Schwanenritters man mit Spannung entgegen gesehen hatte. Er war in diesem Konzept dazu verurteilt, mit stocksteifem Zeitlupentheater alles auszumerzen, was nach „Glanz und Wonne“ aussehen könnte. Mit grämlichem Gesichtsausdruck und einer Körpersprachlichkeit, die baldigen Suizid befürchten ließ, schlich er von der rechten Bühnenseite barfuß und sonst in undefinierbarem Outfit herein. Alles nur keiner, der Elsa glaubhaft machen hätte können, für sie zu kämpfen und zu streiten. Sein „Elsa, ich liebe dich“ hatte die Emotionalität einer Tiefkühltruhe. Die Brautgemachszene hatte von der ersten Sekunde an den endgültigen Todeskeim in dieser Beziehung. Da gab es keine dramatische Zuspitzung wie eigentlich intendiert. Und immer wieder das Singen zusammengekauert, sogar während der Gralserzählung sitzend (!). Das zeigt für mich, dass Kerkhof nichts vom Singen versteht, wenn er derlei ständig verlangt von seinen Sängern!
Kommen wir zur musikalischen Bewältigung. Dass Behle den Lohengrin souverän, mit edlem Timbre, schlank, lyrisch grundiert, sozusagen vom „Tamino“ kommend, s i n g e n k a n n , hat der hochintelligente Sänger eindrücklich demonstriert. Um schließlich eine Gralserzählung abzuliefern, die in ihrer bestechenden Grundmusikalität und als innerer Monolog angelegt, ein Highlight war, das allein den Besuch der Premiere lohnte.
Die junge schwedische Sopranistin Christina Nilsson, übrigens eine Stipendiatin u.a. der Birgit-Nilsson-Stiftung, legte als Elsa eine mehr als beachtliche Talentprobe ab. Ihr lyrischer Sopran, gleichwohl auch in dramatischeren Regionen belastbar, reicht rollentechnisch von der Mozart-Contessa bis zur Ariadne. Da kommt Elsa gerade recht. Sie bemühte sich nach Kräften, diese Konzeption auch mit roten Blutkörperchen anzureichern. Respekt!
Aufhorchen ließ als Telramund der kantige Bariton Joachim Goltz. Gottlob kein Forcierer auf Teufel komm raus, singt er die mörderische Partie souverän und ohne Ermüdungserscheinungen aus. Er muss einen nicht nur psychisch sondern auch optisch derangierten Grafen mimen, der seiner Frau nicht nur mental, sondern auch sexuell hörig ist.
Ortrud (Stéphanie Müther) ist als Domina angelegt, die auch über exzeptionelle Qualitäten im Bett verfügt und mit Turandot- und Brünnhildensopran die wilde Seherin souverän auf die Bretter stellt.
Eine der vielen entbehrlichen Mätzchen: Das Zigarettchen nach erfolgtem Koitus, so als spielte man Schnitzlers Reigen …
Geraucht wird mehrfach auf der Bühne. Auch vom kleinbürgerlich- beamtenhaft gezeichneten König Heinrich von Shavleg Armasi. Er begann recht imposant (bombensichere Höhe), schwächelte zwischenzeitlich (flache, substanzarme Tiefe) um im 3. Akt stimmlich erfrischt wiederzukommen.
Morgan Moody war als Heerrufer sozusagen ein wichtigtuerischer Pressesprecher des Königs. Er dirigierte sogar den Brabantenchor. Auch entbehrlich! Die Baritonstimme des kalifornischen Ensemblemitglieds: hart, trocken, höhensicher, belastbar.
Albern die Bildzuspielungen, die auf die Gebrüder Grimm verweisen. Auch da „erhellt sich nichts“. Und über „Revolution“ gab es auch etwas zu lesen. Richtig, Wagner hatte auch eine revolutionäre Phase!
Die musikalische Leitung hatte GMD Gabriel Feltz. Er erwies sich als höchst Wagner-kompetent, war der ruhige Sachwalter der Partitur, hatte den Chor auch hinter seinem Rücken bestens im Griff. Die Dortmunder Philharmoniker spielten ohne Fehl und Tadel. Ihre klangprächtige, inspirierte Wiedergabe gehörte zur Haben-Seite dieses Abends.
Das Dortmunder Opernpublikum akklamierte die Leistungen der Solist/innen, des Chors, des Dirigenten und des Orchesters gebührend und strafte das Inszenierungsteam für finsteres, langweiliges, statisches Regietheater aus der Mottenkiste mit deutlich artikuliertem Missfallen ab. Erste Buhrufe gab es schon nach dem 1. Akt…
Karl Masek | 30.11. 2019