Parsifal
Hartmut Haenchen | ||||||
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Amfortas | Ryan McKinny |
Titurel | Karl-Heinz Lehner |
Gurnemanz | Georg Zeppenfeld |
Parsifal | Klaus Florian Vogt |
Klingsor | Gerd Grochowski |
Kundry | Elena Pankratowa |
Gralsritter | Tansel Akzeybek |
Timo Riihonen | |
Stage director | Eric Laufenberg (premiere) |
Set designer | Gisbert Jäkel |
TV director | Michael Beyer |
Atheisten sind vielleicht doch die besseren Menschen
Ist Parsifal ein religiöses Werk? Nicht ohne Grund steht diese Frage am Beginn eines im Programmheft abgedruckten Interviews mit Regisseur Uwe-Eric Laufenberg (der natürlich ausweichend antwortet), denn sie bildet auch das Zentrum der Inszenierung. Und wenn, geht es dann um die Überbringung einer Heilsbotschaft, oder um ein aus der Religion hervor gehendes soziales Engagement? Die Gralsritter, so erfährt man, sind zu „höchsten Rettungswerken“ berufen, also eine Art mobile Eingreiftruppe mit Zauberkräften, und doch schließlich selbst ziemlich erlösungsbedürftig. Also geht’s um beides.
Laufenberg wählt eine ganz konkrete Ausgangssituation, ein kleines Kloster im Nahen Osten, im Irak vielleicht, wo eine Ordensgemeinschaft zunächst ganz karitativ Flüchtlinge beherbergt. Eine bedrohte Gemeinschaft, keine Frage. Ab und zu patrouillieren Soldaten mit Maschinenpistolen (da zeigt sich allerdings schnell, dass solcher Realismus auf der Opernbühne meist unfreiwillig parodistisch aussieht). Parsifal platzt da hinein wie ein Raufbold, der sich als Freiwilliger rekrutieren lassen möchte, und folglich zieht er in den nächsten beiden Aufzügen in Kämpfermontur durch die Lande, und wenn er auf den Schwan schießt, dann fällt symbolisch ein Flüchtlingskind tot um. Bedrohung und soziales Engagement sind also gegeben. Dem entgegen steht das äußerst fragwürdige Eucharistie-Ritual der Ordensbrüder, bei dem Amfortas in Christus-Pose mit Stigmata unter offensichtlichen Schmerzen sein eigenes Blut zum Wohle der Gralsbrüder hergeben muss. Der Opfer-Aspekt der christlichen Religion liegt Laufenberg offensichtlich sehr fern.
Als Exposition mag das ja noch taugen, die Bewährungsprobe im zweiten Akt aber bringt die Regie ins Schlingern. Der Kirchenraum hat sich in eine Moschee verwandelt, Klingsor kniet auf einem Gebetsteppich, und Parsifal wird zunächst von Frauen im Tschador empfangen, unter dem sich, wie man bald sieht, ein knappes Bauchtanzgewand befindet – und erst einmal ins Bad gesteckt. Da geraten allerlei Islam-Klischees durcheinander, und der gerade noch vermeintlich muslimische Klingsor hat in seiner Dachkammer eine veritable Kruzifix-Sammlung. Darunter eines, das in einen Phallus ausläuft, denn irgendwie muss diese sexuelle Dimension (die Laufenberg mehr nebensächlich streift) ja auch noch hinein in die Regie. Kundry erscheint dann, warum auch immer, im Partykleid, und wenn sie Parsifal an ihren matronenhaften riesigen Busen presst, dann ist der arme Junge vermutlich fürs Erste sexuell traumatisiert. Laufenberg gelingt es nicht, die disparaten Elemente zu einem Handlungs- und Ideenfaden zu bündeln, und eigentlich möchte er nur auf die Schlusspointe hinaus: Da werfen alle, Christen, Moslems und Juden (wo kommen die eigentlich her?) die Zeichen und Symbole ihrer Religion in Titurels offenen Sarg, und im Zuschauerraum leuchtet sanft das milde Licht der Aufklärung auf. Auf dem Weg dahin haben zum Karfreitagszauber paradiesisch unschuldig nackte Mädchen im reinigenden tropischen Regen herumgetollt und die Natur sich das Kloster (beinahe) zurück erobert.
Aus dem Parsifal lassen sich solche Gedanken kaum zwingend ableiten, zur Erschließung oder Deutung des Werkes trägt die Regie nicht bei. Vielmehr dient die Oper der Regie als Vehikel für solche Gedanken. Nun wird man einen Gläubigen Christen, Moslem oder Juden kaum dazu bewegen können, den Glauben so mir nichts, dir nichts abzulegen. Insofern ist Laufenbergs gut gemeinter Appell eines allgemeinen Religionsverzichts ein aus atheistischer Sicht lobenswertes, gleichzeitig haarsträubend naives Unterfangen. Weil die höhere Botschaft noch dazu so wenig unmittelbar aus Text und Musik herauszulesen ist, stehen die Protagonisten, mehr Bedeutungsträger als Individuen, in aller Regel beschäftigungslos herum. Eine ausgefeilte Personenregie ist kaum einmal zu erkennen. Selten war der Parsifal szenisch so langweilig wie hier.
Bleibt die musikalische Seite. Dirigent Hartmut Haenchen ist bekannterweise recht kurzfristig für den Bayreuth-überdrüssigen (oder der Einmischungen von Bayreuths Musikchef Christian Thielemann überdrüssigen?) Andris Nelsons eingesprungen, verfügt aber über erhebliche Wagner-Erfahrung, die er ausspielt. Er dirigiert einen flüssigen, entspannten, beinahe heiteren Parsifal, nie zu schwer, farbenreich und den verschmelzenden Mischklang suchend. Nicht alles überzeugt, die Blumenmädchenszene etwa gerät zu laut und zu wenig verführerisch. Die Gralschöre, gewohnt imposant gesungen vom ausgezeichneten Festspielchor (Einstudierung: Eberhard Friedrich), sind nur ganz selten zu massig, das Finale gelingt überirdisch schön.
Die Stimme von Klaus Florian Vogt in der Titelpartie bleibt Geschmackssache. Unverwechselbar, wie er obertonreich aus dem Nichts aufdrehen kann, und Kraft hat er auch (wenn auch auf Kosten des Timbres). Je nach Lage und Vokalfärbung ist die Stimme uneinheitlich. Ärgerlich, dass er seine zentrale Szene „Amfortas, die Wunde“ so zerhackt singt, da entsteht kein musikalischer Bogen, sondern die Musik wird in Partikel zerlegt. Aber das Publikum liebt ihn, wie offenbar auch Elena Pankratova als Kundry, die über eine trompetenhaft große Stimme verfügt und nicht nur die lyrische Erzählung im ersten Teil der Begegnung mit Parsifal, sondern auch den dramatischen zweiten (bei der merkwürdigerweise vom Bühnenpersonal niemand zuhören will, jedenfalls gehen alle ab) stimmlich imposant bewältigt. Die Gestaltung bleibt recht pauschal; ob die Sängerin wohl immer den Wortsinn kennt? Die russische Einfärbung stört kaum, von gelegentlich überzogenem „Konsonantenspucken“ abgesehen, da man sowieso fast nichts vom Text versteht. Der überragende Sänger ist Georg Zeppenfeld als Gurnemanz mit großer, durchaus sonorer und gleichzeitig jugendlicher Stimme, die auch da noch geradezu majestätisch aufleuchtet, wenn er Parsifal im dritten Akt zum König salbt (und man den meisten Sängern die Anstrengung der langen Partie anmerkt). Ryan McKinny gibt einen ordentlichen Amfortas, Gerd Grochowski einen ebensolchen Klingsor.
FAZIT
Lasst ab von der Religion: Uwe-Eric Laufenberg jubelt dem Parsifal eine arg naive Botschaft unter, die noch dazu mit erheblicher szenischer Langeweile erkauft wird. Musikalisch festspielwürdig.
Stefan Schmöe | rezensierte Aufführung: 3.8.2016
Whatever else Parsifal is about, we may agree that its ending represents the opening up of a closed society. That is one idea well caught at the end of this filming of the Bayreuth Festival’s 2016 new production – house lights fully up, scenery and ensemble moving to the sides in search of new horizons in cloud-like smoke. It’s a nice lift at the end where not everything in Uwe Eric Laufenberg’s staging appears yet to have come into precise focus – which itself prompts again the question as to whether the premiere of a show that has several years to run is really the best occasion to record it for posterity.
Judging from the costumes and from the Google map video that occupies the first Transformation interlude in Act 1, we are in the modern-day Middle East world of religious conflict. The Grail community shares not especially luxurious space with other religions, refugees, tourists and soldiers. Its iconography is very Christ-oriented; a large crucifix designates its area and Ryan McKinny’s terrifically in‑focus Amfortas appears at the ceremony as Jesus en route to Calvary. Later we see that part of Klingsor’s reaction against the Grail domain has made him build up a fetishistic collection of crucifixes, one of which appears, tastelessly, to have been worked into a sex toy. The burkhas which Kundry and the Flower Maidens wear some of the time in Act 2 suggest a rather half-hearted attempt to show Klingsor turning towards Islam, maybe too hot a potato politically. None of these interventionist ideas are made much of until Act 3 when, rather movingly, the Flower Maidens return to the Grail domain ‘redeemed’ after Parsifal baptises Kundry. And too many of the ideas – like the appearance of soldiers smoking during Gurnemanz’s monologue – appear at the moment like easy alienation effects in the middle of an otherwise straight and clear reading of Wagner’s text.
Hartmut Haenchen’s belated Festival debut fields all his customary research on the score. He seems immediately master of pit/stage balance, using to the full the acoustics for which the work was created. (His sampled bells also sound specially period.) I haven’t done the comparative maths but the performance feels quite fast, although not to a Boulez or Krauss degree. The cast fit well, with McKinny outstanding in mood and (like his longtime North American predecessors here, George London and Thomas Stewart) in the balance between hysteria and pain. Pankratova encompasses Kundry’s tricky range in Act 2 with aplomb – it’s just a pity she’s not given more interesting things to do, although her shell-shocked (de)incarnation in Act 3 is memorable. Vogt now sounds more natural in this role than as Lohengrin. Zeppenfeld contributes another multi-layered reading of an ‘old’ Wagner bass. The Blu‑ray provides exceptional sound and picture detail. Well worth seeing even if there is a shortage of the more memorable visual moments provided by Audi (Challenge Classics, 8/17), Lehnhoff (Opus Arte, 7/05) and Kupfer (EuroArts).
Mike Ashman
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