Das Rheingold
Cornelius Meister | ||||||
Orchester der Bayreuther Festspiele | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Wotan | Egils Siliņš |
Donner | Raimund Nolte |
Froh | Attilio Glaser |
Loge | Daniel Kirch |
Fasolt | Jens-Erik Aasbø |
Fafner | Wilhelm Schwinghammer |
Alberich | Ólafur Kjartan Sigurðarson |
Mime | Arnold Bezuyen |
Fricka | Christa Mayer |
Freia | Elisabeth Teige |
Erda | Okka von der Damerau |
Woglinde | Lea-Ann Dunbar |
Wellgunde | Stephanie Houtzeel |
Floßhilde | Katie Stevenson |
Stage director | Valentin Schwarz (premiere) |
Set designer | Andrea Cozzi |
TV director | Michael Beyer |
Der Wotan-Clan
Überraschung! Beim neuen Bayreuther „Ring“ wird im „Rheingold“ kein Geschmeide geraubt, sondern die Zukunft – in Gestalt eines Kindes. Ein erster Eindruck vom “Ring”-Auftakt unter Regie von Valentin Schwarz
Pack schlägt sich, Pack verträgt sich – eben nicht. Wenn Regisseur Valentin Schwarz den neuen wegen Corona zweimal verschobenen „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth als Familiensaga anlegt, werden gleich am Vorabend des „Rheingold“ Waffen gezückt. Und noch bevor aus den Tiefen des Orchestergrabens im Festspielhaus das sub-kontra-tiefe Es der Kontrabässe ertönt, dieser Urschlund all der „Ring“-Motive und all der göttlichen Lichtalben und zwergenhaften Schwarzalben in Wagners Weltuntergangs-Mythos, geht der Vorhang bereits auf und man erblickt – ja was? Eine DNA-Doppelhelix? Korallen am Rheingrund, gleich neben dem alsbald verfluchten Ring?
Nein, eine Nabelschnur ist auf dem bühnenhohen Video zu sehen, oder genauer: zwei. Zwillinge im Mutterleib tauchen auf, während allmählich die von Cornelius Meister am Pult allzu nüchtern konturierten Wagnerschen Wellenklänge anheben. Erst gleiten sie sanft umeinander, dann wird getreten und geboxt. Bruderkrieg, Brudermord,stimmt, das fängt schon im „Rheingold“ an, wenn Alberich seinen Bruder Mime knechtet und der Rieser Fafner seinen Bruder Fasolt erschlägt.
Der Clou des nach zwei Corona-Jahren so heftig herbeigesehnten neuen Bayreuther „Rings“ besteht darin, dass der 33-jährige Österreicher Schwarz Wagners freien Umgang mit nordischen und mittelalterlichen Mythen seinerseits als Freibrief dafür nimmt, etwas Neues zu schaffen. Nicht der Ring, nicht das schnöde Götterkapital wird von Alberich geraubt, als die Rheintöchter ihn neckisch entmachten, sondern die Jugend, die Zukunft.
Hilfe, der Zwerg hat die Kinder entführt: Bei dem Jungen mit Basecap kann es sich nur um Klein-Siegfried handeln, bei den blondbezopften Mädchen womöglich um die späteren Walküren. Oder wie auch immer, vielleicht handelt es sich bei dem Jungen auch um den bad guy Hagen, der später Siegfried töten wird. In jedem Fall stellt Schwarz die Generationenfrage. Er wird bis zur “Götterdämmerung” gewiss herausarbeiten, wie die Familientraumata von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Und Siegfried als Kind im Kinderheim Nibelheim, das hätte insofern seine Logik hat, als der strahlende Hoffnungsträger des Wagnerschen Mammutwerks in Teil 3 der Tetralogie ja tatsächlich von Alberichs Bruder Mime großgezogen und im Schmieden unterrichtet wird. Mit der gerade im „Rheingold“ so sinnfällig lautmalerischen Musik hat die Familienaufstellung samt Kinderhandel-Thema über weite Teile allerdings weniger zu tun.
Den Wotan-Clan mit Kinderplanschpool statt Rhein und im zweiten Aufzug mit Bungalow-Wohnlandschaft samt Salon mit Dienstpersonal und Haus-Bar zu zeigen (Bühne: Andrea Cozzi), verharmlost den Auftakt zum weltumspannenden, inkommensurablen 16-Stunden-Werk außerdem eher, als ihn ins Heutige hinein zu radikalisieren.
Der Göttervater tritt im Golfdress auf, statt des Hammers schwingt Donner einen Golfschläger (was mit sofortigem Hexenschuss bestraft wird – Lacher im Publikum). Freia wird im SUV entführt, Fricka schlürft ein Tässchen Espresso, bis Urmutter Erda ihr berühmtes Machtwort spricht. Sie ist, das leuchtet ein, ohnehin von Anfang an dabei in der Upperclass-Welt.
Cornelius Meister und das Festspielorchester legen derweil unten im Graben das Actionpotential der Wagnerschen Partitur frei. Man vermisst das Fantastische, Verstörende, den Wagnerschen Mischklang. Noch die züngelnden Flammen in Nibelheim nehmen sich plakativ aus.
Am überzeugendsten unter den “Rheingold”-Sängern: Olafur Sigurdarson als Alberich
Unter den Sängern erntet Olafur Sigurdarson als Alberich den heftigsten Applaus. Seine Stimmgewalt, seine Ausdrucksintensität und sein die eigene Fehlbarkeit nie leugnender Furor überzeugen in der Tat am meisten, gefolgt von Christa Mayers so energischer wie emotional nuancierter Göttergattin Fricka und der natürlichen Autorität von Okka von der Dameraus Erda. Die anderen, auch dynamisch schwächeren Stimmen, Egils Silins als etwas statuarischer Wotan, Daniel Kirch als gelegentlich lackaffig-kapriziöser Loge, Arnold Bezuyen als jammernder, japsender Mime oder Jens-Erik Aasbø und Wilhelm Schwinghammer als Riesen-Paar verkörpern eher eindimensionale Typen, wenn auch mit Lust an der Karikatur.
Wie das wohl wird, wenn die Kinder groß sind? Die entführten, verpfändeten, um ihre Kindheit betrogenen Kinder? Valentin Schwarz’ Wagner- und Bayreuth-Regiedebüt firmiert seit einem Interview im letzten Winter unter dem Etikett „Netflix“-Ring. Na ja, „Dallas“ ist älter als Netflix.
Klein-Siegfried ist übrigens schon im „Rheingold“ kein Engel, und ständig wird wie gesagt von Göttern, Riesen und Zwergen mit Pistolen herumgefuchtelt. Wann fällt der erste Schuss? Am Montag geht’s weiter bei den diesjährigen Festspielen mit dem neuen Bayreuther „Ring“. In der „Walküre“, so viel ist sich, kommt weitere Verwandtschaft ins Spiel.
CHRISTIANE PEITZ | 31.07.2022
Dialektisch gewitzter Serienstart
Eine ungewöhnlich umfangreiche Premierenfolge auf dem Grünen Hügel mit einer Erholungswoche dazwischen – das passte auf jeden Fall zum Wetter und zu den besonderen Umbesetzungs- und Probenbedingungen dieser Bayreuther Festspiele. Nach der einhellig bejubelten Premiere der kurzfristig ins Programm genommenen „Tristan und Isolde“-Neuinszenierung von Roland Schwab und Einspringer Markus Poschner, nun also mit „Rheingold“ der Auftakt (oder wie Wagner es nannte: der Vorabend) des um zwei (Corona-)Jahre verspäteten neuen Rings von Valentin Schwarz.
Am Pult der eigentlich für „Tristan” angeheuerte Cornelius Meister, der den erkrankten Pietari Inkinen ersetzte. Und der das jetzt schon mal souverän hinbekam. Die Dosierung und das Zusammenspiel mit den Sängern funktionierte jedenfalls. Was man hörte, animierte zum genauen Hinsehen. Die Protagonisten konnten vor allem ihre Stärken ausspielen, manche Schwäche freilich auch nicht völlig ausblenden. Meister ist zwar ein Hügel-Debütant, aber in Sachen Ring gerade in Stuttgart mit seinem dortigen Orchester mittendrin. Er kann jetzt also bei Wagner daheim in Bayreuth mal das Ganze, fast aus dem Stand und hintereinander weg durchexerzieren. Das Publikum honorierte seinen Einsatz (und den des Spezialorchesters im verdeckten Graben versteht sich) einhellig.
Bei den Protagonisten lieferte Okka von der Damerau mit ihrem Untergangsorakel einen kurzen, aber referenzverdächtigen Auftritt. Christa Meyer glänzte als eine glasklare Fricka, bei der man sich schon auf den Clinch mit ihrem Ehemann in der nächsten Folge freut. Elisabeth Teige schillerte nur mit ihrer Freia, spielte aber überzeugender. Lea-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel und Katie Stevenson sind hier frische Rheintöchter mit Kindermädchenjob. Bei den Nibelungen überzeugt Olafur Sigurdarson als Alberich, auch mit seinen hinzugefügten vokalen Eigenwilligkeiten, wenn es für ihn hart wird, während Arnold Bezuyen eine gewisse prägnante Leidensfähigkeit als Mime schuldig bleibt. Das gilt auch für Daniel Kirchs übereitel, im Spiel aufdrehenden Loge. Bei den Riesen überzeugt Jens-Erik Aasbø als Fasolt mehr als Wilhelm Schwinghammers Fafner. Egilis Silins’ (Einspringer-)Wotan hat das Clananführerformat, das er braucht, auch stimmlich. Donner (Raimund Nolte) und Froh (Attilio Glaser) zumindest hat er im Griff. Alles in allem schlägt sich das Ensemble gut – das (zum großen Teil ringkundige) Publikum hat seinen Beifall freilich mit Gespür für’s Besondere dosiert.
Die lautstarken Buhs, die es neben den überwiegenden Bravos gleich am Ende gab, können so nur dem Regieteam gegolten haben, das sich beim Ring – im Unterschied zum Dirigenten – nicht nach jedem Teil, sondern erst am Ende, nach der „Götterdämmerung“, dem fachkundigen Publikum (mit den so unterschiedlichen Erwartungen) stellt. Was dann passiert, werden wir am 5. August wissen.
Bis dahin bleibt es spannend. Mindestens so wie Valentin Schwarz und seinem Team jetzt der Auftakt zu ihrer Miniserie gelungen ist. Es fehlte zwar viel, was eigentlich ins Rheingold gehört – vor allem fehlte der Ring selbst. Dafür gab es aber jede Menge von Personal und Anspielungen, die es bislang dort noch nicht zu sehen gab. Schwarz hatte im Vorfeld angekündigt, dass der Ring für ihn eine Art Gesellschaftsroman oder eine Netflix-Serie ist, mit der eine Familiengeschichte erzählt wird. Dazu gehört, dass man am Ende gespannt auf die Fortsetzung ist und getrost spekulieren kann (und soll) wie es wohl weitergeht.
Wenn also die ins Große zielende Geschichte, mit der sich ganz gut jede Art von Kapitalismus- und Gesellschaftskritik betreiben lässt, oder anhand derer man wie Frank Castorf den Verlust aller großen Utopien abhandeln kann, jetzt auf eine Familiengeschichte herunter gebrochen wird, dann beginnt das Ganze – durchaus nachvollziehbar – nicht auf dem Grund des Rheins, sondern im Mutterleib. Im Video von Luis August Krawen zum sehr leise beginnenden und dann flott eskalierenden Vorspiel zeichnen sich im Fruchtwasser erst zwei Nabelschnüre und dann zwei Embryos ab. Schon die kämpfen miteinander. Da der eine des andere Auge trifft, darf man davon ausgehen, dass es sich hier um die beiden Hauptkontrahenten im Ring Wotan und Alberich handelt. Wenn das Spiel beginnt, dann sind die beiden längst zwei recht verschiedene Mannsbilder. Der eine ein Clanchef, Patriarch im Luxus. Jeans und Lederjacke zum ergrauten Haar bei dem anderen lassen auf einen eher weniger erfolgreichen Lebensweg schließen. Jedenfalls haben die drei Kindermädchen, die am Pool auf ein paar Mädels und einen Buben aufpassen sollen, kein Problem, es dem leicht übergriffigen Typen handfest heimzuzahlen. Toll, wie beweglich Sigurdarson den Grabscher spielt, noch besser, wie die jungen Frauen damit umgehen und ihn am Ende als begossenen Pudel dastehen lassen. (Eine ziemlich moderne Situation, mit ungeplantem Seitenblick auf das Vorfeldskandälchen der diesjährigen Festspiele also!).
Spannende szenische Dialektik
Die entscheidende pfiffige Idee ist aber, dass Alberich nicht nach irgendwelchem Gold grabscht, sondern erkennt, dass der Goldjunge (der spielt seine Rolle wirklich goldig und hat goldfarbene Klamotten an) die Zukunft ist. Er ist der personifizierte Ring. Jeder will nicht ihn, aber das, was er bedeutet. Die Zukunft! Schwarz gelingt hier tatsächlich eine spannende szenische Dialektik. Alberich geht es zwar um die Macht, aber mit dem Knaben geht er geradezu liebevoll um. Was der durchaus auch so zu empfinden scheint, wenn er seinen Entführer (oder zeitweisen Erzieher bzw. Ersatzvater) tröstet, als sich Wotan seiner bemächtigt. Nibelheim ist hier eine helle Kita-Box mit jungen blonden Mädels (in Walkürenzahl!), die schon mal mit kleinen Pferdchen spielen und gruselige Ungeheuer malen. Und denen unser Goldjunge übel mitspielt – wie später (bzw. im vorigen Jahr bei der halbkonzertanten Walküre) Hermann Nitsch die Farben – oder was auch immer – an die Wand klatscht und mit den Walküren rauft. Die können sich freilich wehren und stürzen sich ihrerseits auf den rebellischen Knaben.
Dass Alberich für die Verwandlung in den Riesenwurm einfach nur den Goldjungen auf die Schultern nimmt, ergibt Sinn. Er bedroht seinen Kontrahenten Wotan mit der Zukunft. Und man hat durchaus den Eindruck, dass Wotan nicht nur rumsteht und sich über das antiautoritär enthemmte Früchtchen amüsiert, sondern bereits hier auf die Idee kommt, sich diese Art von Nachwuchs selbst zu verschaffen. Wenn in der Garage der Luxusvilla dann die Riesen mit dem SUV anrücken und ihre Geisel Freia nur gegen den Goldjungen herausrücken, kann man als Zuschauer zwar aus der Verständnis-Kurve fliegen. Oder man freut sich einfach an dieser Art von vorausgreifender origineller Binnenlogik.
Es gibt auch kleinteiligeren Witz. Zwar ist der Aufritt des Goldjungen, der wohl zu Hagen heranreifen wird (und den der Programmzettel ungerechterweise unterschlägt), kaum zu toppen. Aber wenn der Großkotz Donner es plötzlich im Kreuz hat, wenn er mit dem Golfschläger zuschlagen will, muss man lachen. Mindestens grinsen darf man bei Wotans Angeberei in Sachen Prachtgemäuer, das er hier nur imaginiert, während Froh auf die Unterlagen dazu verweist, die in der Mappe sind, die Loge angebracht hatte. …
Das unsichtbare „Fortsetzung folgt“ auf dem sich schließenden Vorhang ist eine gute Nachricht!
Joachim Lange | 01.08.2022
Alberichs großer Gedanke?
Der Ring als Bruderzwist in einer Familiensaga? Wotan und Alberich, die Brüder, von denen der eine sich (zumindest anfangs) auf wonnigen Höhen sonnt, der andere dagegen „ungeliebt, mittellos und darüber gefährlich geworden“ ist, wie es Regisseur Valentin Schwarz, knapp nach Patrice Chéreau der jüngste zumindest der Ring-Festspielgeschichte, auf seinem Waschzettel zur Handlung anspricht. Dagegen spricht eigentlich nichts, zumal sich die Idee im dramatischen Vollzug kaum aufdrängt, ihr Dasein zumindest an diesem ersten Abend einzig im Anfangsbild fristet, wo zum einlullenden Es-Dur-Weltenanfang zwei Föten an einer Nabelschnur hängen. Ein visuell ansprechender, obergäriger Einfall!
Die erste Szene am Rhein ist in Gouvernanten-Ästhetik gehalten: Die Rheintöchter passen auf eine Gruppe Kinder auf, sechs niedliche Wesen, nur eines sitzt seitab, die Spritzpistole in der Hand, dem fröhlichen Kinderdasein abgewandt. Prompt macht sich Alberich, der ein ähnliches Schicksal hatte, ihn zunutze. Er entführt den Buben und züchtet sich in seinem Körper eine Art Herrenmenschen mit Narrenfreiheit heran, dem der Trieb zur Unterdrückung eingeimpft wird: Als Wotan und Loge in Nibelheim ankommen, sitzen in einem Glaskobel verwechselbare, wie geklont aussehende Mädchen, in deren Gesellschaft der entführte Bub sich austoben, Suppe an die Wand schütten, die Gefährtinnen an den Haaren, ziehen, ihre Zeichnungen zerreißen, sie mit der Pistole bedrohen darf. Das Kapital, der Ring, ist bei Schwarz das verwerflichste Tun der Welt: jene, die sich noch nicht wehren können, missbräuchlich formen. Man ist gespannt, wie diese Vergegenwärtigung, die mit allem Wagner-Talmi aufräumt, der sich pseudo-modernen Entwürfen oft noch einlagert, in den kommenden Teilen fortwirkt: Hier war kein Ring, kein Speer, kein Schwert, kein Hort auf der Bühne, nur ein goldenes Amulett um Wotans Hals, und doch ging einem die Parabel der Machtverhältnisse vielversprechend auf, freilich zu einem Preis: Das Treiben und Walten der Götter sinkt ins Nebensächliche, ihre Handlungen bis hin zu den mythischen Beschwörungen des Schlusses erübrigen sich – hier ist von scherzoser Idylle, von täppisch verspieltem Vorabend wie auch von mythischem Strahlenkranz szenisch nichts zu sehen.
Musikalisch entspricht dem eine rigorose Reduktion. Einspringer Cornelius Meister, der dem Vernehmen nach trotz knapper Probenzeit viele eigene Wünsche durchsetzte, ließ schlank, rhythmusfroh, dabei zurückgenommen und unter steter Führung eines quecken, hellen Streicherpulses musizieren, wie das hier wohl selten zu hören war. Manches war auch zu schnell, praktisch kein Verweilen eingeplant, was vor allem die Sänger manchmal in Bedrängnis brachte, die im Versuch mitzuhalten dem Tempo teils noch vorauseilten. In Bayreuth ist das zwar nichts Besonderes, aber sängerfreundlich war’s dabei allemal: Man hatte gar den Eindruck, am Vorabend dürfe es noch kein volles Fortissimo geben. Meister fegte derart elegant durch die Partitur, dass es sich nach maximal zweieinviertel Stunden anfühlte; so konsequent hat noch kaum jemand Wagners (verbürgtes?) Behauptung eingelöst, wäre man nicht so langweilig, müsste Rheingold in längstens zwei Stunden vorüber sein. Dass Meister doch auf seine zwei Stunden zwanzig kam, was schnell, aber nicht gerade rekordverdächtig ist (Petrenko war zuletzt bei zweieinviertel), lag unter anderem an seiner Vorliebe für seltsame, nicht immer organische Ritardandi. Im Orchesterschluss geht einem das Ansinnen, wenn es auch etwas grell ist, zumindest auf: Dieser erklingt geradezu als ,Musik über Musik‘, die pompöse Stampede der aufsteigenden Götter geradezu ins Groteske zerrend. Das wäre arg übertrieben, wenn man nicht auf der Bühne sähe, warum: kein Einzug, kein Glanz, kein Etappensieg, nur Wotan, der im oberen, bis dato gesperrten Stockwerk unter verständnislosen Blicken der anderen berauschte Wiegeschritte in Tanzhaltung macht.
So ein unschön gesungenes Rheingold hat man auch noch kaum gehört: Keiner (!) der Sänger wurde hohen Ansprüchen an Schöngesang gerecht, was für dieses Stück, wie sich einmal mehr und durchaus verblüffend erwies, aber auch kein vernichtendes Zeugnis sein muss. Kaum irgendwo anders erwächst doch die dramatische Persona derart in stetig stützendem Wechsel zwischen Stimme und Spiel, wie das Wagner, seiner Theorie hier auch zeitlich am nächsten, nie wieder erreichte (vielleicht auch nicht wollte). Und so hinterließen der grobe, hart anlautende und Vokale vernebelnde, auch textlich pauschale Wotan von Egils Silins und der heftig bellend durch die Register wildernde Alberich von Olafur Sigurdarsson in Summe keinen schlechten Eindruck, auch wenn der Jubel für letzteren auch deshalb nicht ganz zu begreifen ist, weil er, von der Regie wohl etwas allein gelassen, darstellerisch nicht über banal sinistres Getue hinauslangt: ein Fremdkörper in dieser versachlichten Welt, der dabei gar nicht wirklich fremd, sondern einfach fehl am Platz wirkt. Daniel Kirch als Loge hat weder Weichheit noch charakterliche Schärfe, und wenn er sich szenisch nicht so penetrant hervortäte (ohne dass die ständigen Feixer und Schlenker mit dem Haar besonders profiliert wären), bliebe wenig von ihm haften. Christa Mayer liefert wohl die ausgeglichenste Leistung des Abends: eine rundum solide, punktgenaue Fricka, was sich auch von Wilhelm Schwinghammers Fafner sagen lässt, während Jens-Erik Aasbø als Fasolt zwar nordisch orgelt, aber jede Schönheit für des verliebten Riesen Kantilenen vermissen lässt. Arnold Bezuyen kann als Mime mit seinem Erz-Charaktertenor einmal mehr punkten und zeigt vor, was es heißt, mit Stimme eine Figur zu zeichnen; Elisabeth Teiges Freia bleibt harmlos zurückhaltend; bei Raimund Nolte (Donner) wird man den Eindruck nicht los, hier wolle einer dunkel tönen, ohne dazu veranlagt zu sein (in der hohen Lage hört man verdächtig Adrian Eröd durch). Attilio Glaser gibt Froh einen angenehm hellen Tenor. Die Rheintöchter (Lea-Ann Dunbar, Stephanie Houtzeel und Katie Stevenson) sind nicht schlecht besetzt, an der Klarheit ihres Gesangs lässt sich aber noch arbeiten. Belange der musikalischen Leitung sind hier freilich noch mit leichtem Vorbehalt zu tadeln.
Gregor Schima | 01.08.2022
Der Junge im gelben T-Shirt
Um das Spektakulärste gleich an den Anfang zu setzen: Dies wird offenbar ein Ring ohne Ring. Und ohne Schwerter, Speer und Tarnhelm. Vielmehr eine Familien-Soap-Opera in den Kreisen der Besserverdienenden. Alle mythisch-märchenhaften Accessoires sind konsequent gestrichen. Stattdessen: Eine Beziehungskomödie? (Tragödie? Das scheint noch unklar) aus der Gegenwart. Eigentlich geplant für das Jahr 2020, dann kam Corona, und so erlebt die Neuinszenierung von Valentin Schwarz mit zwei Jahren Verspätung ihre weitgehend umjubelte, gleichwohl mit ein paar heftigen Protesten versehene Premiere – mit manchen Umbesetzungen, krankheitsbedingt auch kurzfristig am Dirigentenpult (da springt Cornelius Meister für den erkrankten Pietari Inkinen ein).
Aber ein Ring ohne Ring? Na ja, jedenfalls ohne den gewohnten geschmiedeten Reif. Das Rheingold, später der Ring, das ist – ein Kind. Mit etwas gutem Willen kann man in Kindern, plattitüd formuliert, das “Kapital der Zukunft” oder eben auch einfach ein Bild für die Zukunft an sich sehen. Da sitzen im ersten Bild Kinder am Pool (großartige Aussicht auf eine entfernt fränkisch anmutende Landschaft), beaufsichtigt von drei kindermädchenhaften “Rheintöchtern”, die ganz prima singen können (Lea-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel, Katie Stevenson), und dann kommt (szenisch nicht weiter motiviert) Alberich daher, liefert sich ein Wortgefecht mit den Damen, wird ein wenig gedemütigt – und entführt das eine Kind, das anders aussieht als die anderen und abseits sitzt. Ein Kind im gelben T-Shirt, eine Anspielung vermutlich auf das Gold. Ein Kind mit besonderen Fähigkeiten (was man sehr viel eher durch die Einführungsvorträge – die in diesem Jahr online gehalten werden – versteht als durch das Geschehen auf der Bühne). Kinder sind es auch, die später in Nibelheim sitzen, adrett in rosa gekleidete Mädchen, die brav rätselhafte Bilder malen. Und dazwischen sitzt dieser Junge im gelben T-Shirt, ein Systemsprenger, der randaliert und durch Alberich und Mime zur Gewaltbereitschaft erzogen wird, im aseptisch reinen Raum die Überwachungskamera mit allerlei Gegenständen bewirft (sich dann aber merkwürdig friedlich verhält, wenn er kurzerhand gleich zweimal seinen “Besitzer” wechseln muss).
Es gibt zu jeder der Ring-Opern eine an die Inszenierung angepasste Inhaltsangabe, gelesen von namenhaften Schauspielern und Schauspielerinnen (im Falle des Rheingolds von Jens Harzer), die man per QR-Code (der steht im Programmheft) abrufen kann. Manche Information daraus ist unverzichtbar; man erfährt etwa, dass Wotan und Alberich Zwillinge sind (während der orchestralen Einleitung der Oper, zum Es-Dur-Klang, sieht man ein Video mit Zwilling-Embryos, die sich schlagen; der eine (Wotan) geht offenbar mit Augenverletzung, der andere (Alberich) mit ramponiertem Genital daraus hervor – was ja ganz lustig auf deren spätere Ausprägung anspielt. Ansonsten sind ironische Brechungen eher rar (oder nicht erkennbar); Peter Konwitschnys neue Dortmunder Walküre mit – so der erste Eindruck bei aller nach dem Rheingold gebotenen Vorsicht – durchaus ähnlichem entmythologisierten Konzept – war da mutiger und souveräner, der vorige Bayreuther Ring von Frank Castorf sowieso. Valentin Schwarz’ Personal wirkt eher durch die leicht überzogenen Kostüme (Andy Besuch) mit zombieartig starker Betonung der Augenpartien leicht schrill als durch die bestenfalls mittelprächtige Personenregie. Da verschenkt Schwarz einiges an satirischem Potential, das durch das Konzept doch eigentlich freigelegt worden ist. Und um auf die oben angesprochene Inhaltsangabe zurückzukommen: Das Problem ist, dass man darin bereits quasi alles Relevante erfährt – was auf der Bühne passiert, geht nicht nennenswert darüber hinaus. Der durchaus unterhaltsamen Inszenierung fehlt es an den großen Momenten, die aus einem interessanten Konzept wirklich großes Theater machen.
Der Verzicht auf historische Einbettung und historischen Ballast auf der einen, auf jegliche Anspielung auf Sagen- und Märchenwelt auf der anderen Seite entwurzeln zudem die Figuren. In Dietrich Hilsdorfs aktuellem Ring an der Düsseldorf-Duisburger Rheinoper oder Johan Simons’ Deutung für die Ruhrtriennale 2015 nahm, freilich mit lokalem Bezug zum Ruhrgebiet, die Kohle als Urgrund des Wohlstands eine inhaltlich zentrale Rolle ein; Frank Castorf hat die Kohle dann durch Öl als den “Treibstoff” des 20. Jahrhunderts ersetzt. Schwarz sieht nun offenbar Bildung und Erfindungsreichtum als die zentralen Ressourcen für Wohlstand im 21. Jahrhundert an. Das müsste freilich über die Idee an sich hinaus deutlicher und schlüssiger inszeniert werden. In diesem Rheingold bleibt vieles Behauptung. Man muss freilich, eine Ring-Binsenweisheit, abwarten, wie Schwarz die ausgeworfenen Fäden in den weiteren teilen fortspinnt.
Cornelius Meister dirigiert das Rheingold mit flüssigen Tempi als vergleichsweise unpathetisches Konversationsstück, leicht und beweglich. Die Leitmotive nimmt er zurück, gibt ihnen keinen Signalcharakter, sondern bettet sie in die symphonische Entwicklung ein – das wirkt in seiner musikdramatischen Konzeption erst einmal schlüssiger als das Fehlen der szenischen Pendants auf der Bühne (was dort mitunter zu Leerlauf führt, weil der Text seine unmittelbare Bedeutung verliert, z.B. wenn es keinen Tarnhelm und keinen Ring gibt). Ohne Ambosse oder zumindest Anspielungen auf industrielle Prozesse klingt allerdings auch die entsprechende Musik in Nibelheim ziemlich unmotiviert. Meister und das ausgezeichnete Festspielorchester spielen mit den Klangfarben; die musikalische Dramatik wird eher durch Farbwechsel als durch orchestrale Wucht erzeugt. Große Teile der zweiten Szene nimmt Meister beinahe rezitativisch, könnte da allerdings mit dem Orchester durchaus noch “sprechender”, pointierter entlang dem Text phrasierend gestalten.
Egils Silins gibt einen souveränen, wenn auch wenig charismatischen Wotan, was zur Rollenanlage passt, denn dieser Gott sieht sich offensichtlich eher auf dem Golf- oder Tennisplatz denn als Weltenlenker. Seinem Zwillingsbruder Alberich, von der Familie verstoßen und nun mit anderen Mitteln nach – ja, wonach eigentlich? Macht? Geld? Ansehen? – greifend, gibt Olafur Sigurdarson eine große Stimme und wuchtige Präsenz, mitunter auf Kosten der Gesangslinie; manches, längst nicht alles erklingt differenziert. Daniel Kirch neigt als stimmlich ganz ordentlicher Loge, ein schmieriger Familienanwalt, zum Forcieren; auch bei ihm sind sicher noch gestalterische Spielräume, gerade in den lyrischen Passagen, vorhanden. Großartig auf den Punkt genau ausgestaltet ist die Fricka von Christa Mayer, mit lyrischer Emphase beeindruckt Elisabeth Teige als Freia, und Okka von der Damerau als im Haus offenbar geduldete und so gar nicht geheimnisvolle, eher eine Restklugheit im Luxusleben bewahrende Zweitfrau Erda geben ein Damentrio mit Festspielglanz ab. Raimund Nolte als Donner und Attilio Glaser als Froh sind eher leichtgewichtige Möchtegerngötter, Jens-Erik Aasbø (Fasolt) und Wilhelm Schwinghammer (Fafner) fiese Bauunternehmer-Riesen aus zwielichtigem Milieu, stimmlich solide wie auch Arnold Bezuyen als Chefpädagoge Mime in Alberichs Erziehungsanstalt.
FAZIT
Allerlei Widrigkeiten und Umbesetzungen zum Trotz ein musikalisch überzeugender Ring-Vorabend. Das nicht uninteressante Konzept von Valentin Schwarz lebt vorerst mehr auf dem Papier und in den Einführungsvorträgen als auf der Bühne.
Stefan Schmöe | Festspielhaus Bayreuth am 31. Juli 2022
A production by Valentin Schwarz (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.