Tannhäuser
![]() | Philippe Jordan | |||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hermann | Günther Groissböck |
Tannhäuser | Clay Hilley |
Wolfram von Eschenbach | Martin Gantner |
Walther von der Vogelweide | Daniel Jenz |
Biterolf | Simon Neal |
Heinrich der Schreiber | Lukas Schmidt |
Reinmar von Zweter | Marcus Pelz |
Elisabeth | Malin Byström |
Venus | Ekaterina Gubanova |
Ein junger Hirt | Ilia Staple |
Stage director | Lydia Steier (2025) |
Set designer | Momme Hinrichs |
TV director | Dominic Kepczynski |
“Tannhäuser” an der Staatsoper als Disput zwischen Sex und Enthaltsamkeit
Das startet doch eigentlich wie ein gleißendes Opernfinale: Es stürzt sich die Tannhäuser-Ouvertüre, akustisch teils ein bisschen dick aufgetragen, in ein tanzbuntes Gelage der Diversität und erotischen Offenherzigkeit. Im Venustempel ist Dauerparty; in diesem Paradies der Lüste tanzen auch Kardinäle entfesselt in Unterwäsche. Nur die Hollywood-Stars Margot Robbie und Brad Pitt sind natürlich nicht zu entdecken, obwohl die Szene an der Wiener Staatsoper wie eine ekstatische Paraphrase auf jene Rauschzustände wirkt, die im Hollywoodfilm Babylon in Zeitlupe entfesselt werden (Choreografie und Regiemitarbeit Tabatha McFadyen).
Mittendrin natürlich Richard Wagners tragischer Held, der Sängerkünstler Tannhäuser, der mit diesem Tohuwabohu nunmehr gewaltig fremdelt. Er hat im Übermaß genossen. Der sinnlichen und womöglich auch der kulinarischen Goodies überdrüssig, überkommt ihn nun Ekel; er will weiterziehen. Auf einem glitzernden Halbmond schwebt ein letztes Mal also Venus herbei, die Ekaterina Gubanova vor allem mit drahtigem Furor ausstattet. Galant sind ihre Bewegungen als Revuequeen. Bewaffnet mit Federschwanz und -krone, sucht sie den Unzufriedenen zum Bleiben zu bewegen.
Zum finalen Beziehungsdisput kommt es unter einem sich drehenden Portal. Doch kein Argument wirkt. Von Trieberfüllung will Tannhäuser, der unstete Genießer, tugendhaft Richtung Enthaltsamkeit pilgern. Seine Gemütslage? Aussichtslos. Glück ist, wo er nicht ist, er befindet sich, ohne es zu begreifen, auf einer endlosen Tournee zu sich selbst.
Historisch gesehen, führt die Regie Tannhäuser durch das 20. Jahrhundert. Die Venusparty findet quasi in einem Varietéambiente der Weimarer Republik statt, also im Vorzimmer des nahenden Nationalsozialismus (Bühne und Videos Momme Hinrichs). Im zweiten Akt sind die Minnesänger rund um Landgraf Hermann (charaktervoll: Günther Groissböck) dann auch eindeutig stramme Jägersleute der späten 1930er-Jahre, auch wenn hier weder Naziuniformen noch Hakenkreuze auftauchen.
Der Gesangswettbewerb mit dem Thema Liebe findet logischerweise (in dem Portal des ersten Aktes) als historische Theaterszene statt, bei der sich Tannhäuser (als Minnesänger verkleidet) um Kopf und Kragen singt. “Ja, ich war bei Venus, und ich habe jede Sekunde Sex genossen, ihr prüden Lügner!”, scheint er Wolfram von Eschenbach (solide Martin Gantner), Walther von der Vogelweide (Daniel Jenz) und der Festgesellschaft entgegenzuschleudern. Tannhäuser kann nicht anders. Umso weniger, als ihm Regisseurin Lydia Steier ein diffuses Verhältnis zur Realität implantiert hat. Beim Wettsingen halluziniert er ständig Venusfiguren herbei.
Barocke Besucher
All das ist genau ausgestaltet. Jede Figur hat Charakter und Funktion, präzise überraschen auch die kleinen Zitatpointen. Der junge Hirte (Ilia Staple) erscheint etwa wie ein Besucher aus einer überladenen barocken Theaterwelt. Und Tannhäuser zückt da und dort das typische weiße Taschentuch von Tenor Luciano Pavarotti. Tenor Clay Hilley, der zunächst etwas unstet klang, kam nicht nur vokal dann langsam doch strahlend und kraftvoll in die heldenhaften Gänge. Die in seiner Figur anschwellende Verzweiflung und Wut erweckt in dem Hausdebütanten so etwas wie schauspielerischen Furor, der im dritten Akt dann noch energetisch zulegt.
Dies fällt umso mehr auf, als die Regie das Finale in die Gegenwart verpflanzt und die Figuren zu digitalen Zombies formt, die regungslos in Bildschirme starren und die Außenwelt nicht mehr wahrnehmen. Räumlich sind wir backstage angelangt, düster und schmucklos wirkt alles. Wolfram? Er träumt sich weg. Während er O du, mein holder Abendstern singt, erscheint ihm jedoch nicht Elisabeth, sondern Tannhäuser, der dann auch für einen finalen Männerkuss auftaucht. Danach steuert die Regie langsam den Gipfel des Surrealen an. Elisabeth wird tot vorbeigetragen. Kurze Zeit später schreitet sie jedoch als Auferstandene die Treppe herab, wie aus einer anderen Sphäre kommend, um sich mit Tannhäuser ein Happy End zu gönnen. Schöne, zeitgemäße Volte.
Kuss für den Helden
Es wurde ein so überraschend kühnes wie auch praktikables Finale einer überzeugenden Regiearbeit. Nicht auszudenken, wenn etwa einmal Christian Gerhaher vorbeischauen würde, um seine Stimme Wolfram zu schenken, wie das schon einmal der Fall war. Nicht auszudenken, wenn Malin Byström (als Elisabeth) demnächst nicht nur im Dramatischen reüssiert, vielmehr auch im Sanften überzeugt, das am Premierenabend etwas dünn und unstet wirkte.
Dirigent Philippe Jordan, der seine letzte Premiere als Musikdirektor der Wiener Staatsoper absolvierte, trieb das Geschehen, unterstützt auch vom guten Chor, überzeugend und gleichsam schnittig voran. Das hatte, veredelt vom wunderbaren Klang des Staatsopernorchesters, Charakter und Drama. Bisweilen hätte es aber stimmfreundlicher ausfallen können.
Am Ende entwickelte sich ein ziemlicher Disput zwischen Buhs und Applaus, wie es sich bei tollen Produktionen, die das Repertoire bereichern, nun aber auch gehört.
Ljubiša Tošić | 23.5.2025
Eine Reise in die Welt des Unwirklichen
Leicht bekleidete Menschen tanzen eng umschlungen, ausgelassen und in bester Feierlaune. Alles ist in rotes, grünes und braunes Licht getaucht. Der Ernst der „realen“ Welt scheint in dieser Kunstsphäre ebenso wenig von Belang wie Geschlecht oder Kleidung – oder das, was Letztere auszudrücken vermag. Die Musik pulsiert, ist eruptiv, lebendig, ein wenig verrucht. Ja, ein Venus-Bacchanal an der Wiener Staatsoper ist orgiastisch, nebulös, ekstatisch – ein Ort, an dem man sich gerne verliert.
Doch gibt es im „Tannhäuser“ eine zweite Welt, die den Titelhelden nicht loslässt, der er sich nicht entziehen kann: eine Sphäre aufrichtiger Liebe, belebender Natur, geistigen Ernstes und christlicher Tugend – die Welt der Wartburg und ihrer Sänger. In diesem inneren Zerwürfnis Tannhäusers offenbart sich jener Grundkonflikt Richard Wagners, der ihn bis zu seinem Lebensende begleiten sollte: die Frage, ob die Kunst als wahre Religion an die Stelle des Christentums treten könne. Eine Frage, die Nietzsche zumindest bis zum „Tristan“ bejahte, bevor „Parsifal“ ihn einer bitteren Ernüchterung zuführte.
Zwischen zwei Welten zerrissen
Im „Tannhäuser“ herrschen indes beide Sphären – und zerren an der Weltauffassung des Helden. Diese Spannung lotet Regisseurin Lydia Steier mit sicherem Gespür aus. Anders als Claus Guths vorherige Wiener Inszenierung, die sich an der Dresdner Urfassung orientierte, entschied man sich nun für ein Amalgam aus der Pariser und der späten Wiener Fassung – ein Zugriff, der die Kontraste erst voll zur Geltung bringt.
Das Bacchanal gerät zur Hommage an die rastlose Tanzkultur der Berliner 1920er Jahre. Der opulent gestaltete Venusberg (Bühne und Video: Momme Hinrichs, Kostüme: Alfred Mayerhofer) evoziert Schauplätze wie das Moka Efti, sinnlich aufgeladen mit dem Varietéflair eines Moulin Rouge mit bunten Tänzerinnen und Tänzern. Eindrucksvoll ist vor allem das fledermausartige Rippengewölbe, hinter dem ein künstliches Gewitter aufzuleuchten scheint – Sinnbild für das Dionysische der Musik, das Rauschhafte, Kontrolllose.
Dem entgegen steht die Wartburg des zweiten Aufzugs, ein Kontrast, der folgerichtig das Apollinische spiegelt – geordnet, rational, sittlich erhöht. Auch hier zeigt Steier ein Unterhaltungsetablissement, diesmal jedoch im klassizistischen Ernst der späten 1930er Jahre. Theater und Realität verschwimmen: Es bleibt zunächst unklar, ob die Figuren den Sängerkrieg nur spielen – oder ob der Konflikt tatsächlich entbrennt. Im dritten Aufzug kulminieren die Gegensätze. Nur noch die Rückseite der Wartburg ist zu sehen sowie ein fragmentarisches Marienbild. Es ist ein entkernter Ort, wie auch Tannhäuser selbst, der als reuiger Pilger aus Rom zurückkehrt und sichtlich desillusioniert ist.
Hausdebüt mit epochaler Stimme
Claire Hilley, der an diesem Abend sein Hausdebüt gab, verkörpert diese innere Leere mit gewaltiger Stimme und versierter Phrasierung. Im ersten Aufzug gelingt es ihm jedoch nur bedingt, die Zerrissenheit seiner Figur – die zermürbende Sehnsucht und das Gefühl, nirgends dazuzugehören – vollends darstellerisch zu fassen. Doch er spielt sich frei, nicht zuletzt durch seine sichtliche Unlust am inszenierten Sängerkrieg mit Mittelalterkleidung und Perücke.
Ekaterina Gubanova gibt in dieser Produktion die nocturnale Venus. Ihr klanglich ausgewogener, kraftvoller Mezzosopran überzeugt im Auftakt, gerät aber gegen Ende der Venusberg-Szene ins Stolpern. Das von Jordan angeschlagene Tempo gerät zur Herausforderung. Gerade die süßlichen, verlockenden Töne der Venus verlangen da nach mehr Zurückhaltung.
Glanzlichter des Abends: Groissböck und Byström
Die vokale Glanzleistung des Abends liefern Günther Groissböck und Malin Byström. Groissböck überzeugt als blasiert-affektierter Landgraf Hermann, der zwischen Fürst, Conférencier und dekadentem Clubbesitzer changiert. Mit warmem Bass und wohlartikuliertem Vortrag buhlt er mit erhobener Brust und verschmitztem Lächeln um Aufmerksamkeit und um Elisabeth. Diese erhält durch Malin Byströms beeindruckend dunklen, angenehm weichen Sopran eine erschütternde Tiefe. Ihre Interpretation der Elisabeth trifft ins Mark. Bedauerlich, dass Ludovic Tézier als Wolfram krankheitsbedingt absagen musste. Martin Gantner übernimmt souverän, doch fehlt es seiner Interpretation besonders in der Abendstern-Kantilene an jener inneren Wandlung vom nüchternen Meistersinger zur innigen, fast dionysischen Figur, die dieser Moment verlangt.
Über aller Kritik thront schließlich Philippe Jordan, dessen Interpretation eine dramatisch präzise Exegese des Werks darstellt. Schon die Ouvertüre setzt Akzente: tänzerische Eleganz trifft auf brachiale Ausdruckskraft. Jordan legt Wert auf Elan, weiß das Geschehen aber auch immer wieder gezielt bis zum Innehalten zu verlangsamen. Kaum ein Orchester kann dabei aus dem piano derart gezielt ins forte übergehen wie das Wiener Staatsopernorchester. Ein gelungener, zeitgemäßer „Tannhäuser“, der den zentralen Konflikt geschmackvoll in Szene setzt. Den wenigen obligatorischen Buhrufen stand ein aufgeschlossenes, zufriedenes Publikum entgegen.
Patrick Erb | 23. Mai 2025
Klamauk auf der Wartburg
Die Staatsoper hat sich einen neuen „Tannhäuser“ gegönnt. Der Premierenabend schwankte zwischen abgeschmackter Parodie und dem krampfhaften Versuch, der Geschichte um den sündigen Minnesänger eine „aktuelle Bedeutung“ abzuringen. Gesanglich war es vor allem „schmalspurig“. Gerettet haben den Abend das Staatsopernorchester und der Chor.
Dabei hat Philippe Jordan am Pult Wagners Musik nicht gerade das „pralle Leben“ eingehaucht: ein in der Farbenpracht romantischer Wagner mit funkelndem Streicherklang und goldklingendem Blech. Doch die dramatische Innenspannung, die Gegensätze zwischen orgiastischer Liebeslust und reuegeplagter Sünderexistenz, wurde nur oberflächlich nachgezeichnet. Spannung kam eigentlich erst im Finale des dritten Aufzugs auf – und bis dahin regierte über weite Strecken eine in Schönklang gepackte, ausdifferenziert dargebotene, in ruhigen Fluss gebettete „Beschaulichkeit“. Gespielt wurde die auf der „Pariser Fassung“ beruhende „Wiener Fassung“. (Es gibt im Programmheft einen erläuterten Beitrag dazu, den Philippe Jordan verfasst hat.)
Der Tannhäuser von Clay Hilley musste in große „Fußstapfen“ steigen und hat sich achtbar geschlagen. Sein Tenor besitzt einen relativ schmalen hellen Kern, mit dem die Stimme aber übers Orchesters kommt. Das Timbre ist etwas „streng“, ihr Klang in der Höhe eng. Sein Tannhäuser war uncharismatisch, aber er hat den Abend durchgehalten. Wenn das als Vorgabe für eine Staatsopern-Premiere genügt, dann wurde das Ziel erreicht. Martin Gantner (Wolfram) kann man insofern keinen Vorwurf machen, weil er für Ludovic Tézier eingesprungen ist. Dass sein nüchterner Bariton der Figur wenig Facetten abgewinnen konnte, steht auf einem anderen Blatt. Günther Groissböck zeigte sich mehr als pointierter denn als väterlich-orgelnder Landgraf, stimmlich in besserer Verfassung als zuletzt (was man als positives Zeichen mit nach Hause nahm). Die Minnesänger des Sängerkrieges waren gesanglich nicht in der Lage, der sie desavouierenden Regie Paroli zu bieten – doch dazu später.
Wenn man bei den Damen den jungen Hirten als erstes erwähnt, ist das kein Ruhmesblatt für das Besetzungsbüro. Ilia Staple sang ihre kurze Passage mit hübschem Sopran, aus unerfindlichen Gründen vom Schnürboden hängend wie ein Barockengel kostümiert. Den Gesang der beiden anderen Damen prägte ein viel zu starkes Vibrato. Die stimmlichen Verführungskünste der Venus von Ekaterina Gubanova hielten sich in sehr engen Grenzen. Malin Byströms Elisabeth fehlte der strahlende Ton blühender Unschuld und Jugend, aber die Sängerin hatte noch die Generalprobe krankheitsbedingt abgesagt. Der Staatsopernchor war auf der Bühne der eigentliche „Matchwinner“, saftig und mit Pathos tönten die Pilger und mit noblem Jubel tönte der Einzug der Gäste im zweiten Aufzug.
Auffallend war die Inkongruenz des szenischen Entwurfs von Lydia Steier. Das Bacchanal im ersten Aufzug als (zeitlich in der Zwischenkriegzeit angesiedelte) Life-Ball-Revue anzulegen, war allerdings „aufgelegt“, und dass die Venus vom Schnürboden schwebt, machte guten Effekt. So wurde der schäbige Theaterinnenraum, der auf der Bühne zu sehen war, zumindest mit allerhand Show aufgefüllt. Tannhäusers Weg in die Menschenwelt endete allerdings vor einer schwarzgrauen Wand, die mit Projektionen „belebt“ wurde. Der Hirte zeigte sich verfremdet als Barockengel in einem großen Wandausschnitt schwebend. Steier zitierte in dieser Szene noch die Bayreuther „Tannhäuser“-Inszenierung von Tobias Kratzer, ein clownesker Querverweis, der an sich schon „Bände“ spricht.
Die Jagdgesellschaft spielte dann vor der „Wand“, von Natur keine Spur, und Landgraf und Mannen benahmen sich so peinlich, wie man heutzutage meint, dass sich Jäger benehmen müssten. Diese Szene strotzte nur so von ausgelutschtem „Regisseurstheater“. Nun ist es aber offenbar so, dass Tannhäuser die Lebenswelt dieser Kerle im Venusberg abgegangen ist – war er nicht selbst einst einer von ihnen, ist Elisabeth nicht mit dem Landgrafen verwandt? Und spätestens an diesem Punkt hätte der Regisseurin auffallen müssen, dass in Tannhäusers Brust zwei Seelen wohnen, Liebe und Lust, Elisabeth und Venus, Menschenwelt und Orgiengrotte – und dass man die Titelfigur selbst schwer beschädigt, wenn man eine von diesen beiden Seiten lächerlich macht.
Im zweiten Aufzug wurde der Sängerkrieg als völkischer Kostüm-Mummenschanz entlarvt. Im Interieur eines Varietetheaters produzierten sich – vor beanzugten Herren und Damen in Dreißigerjahre-Kostümen beäugt – die Minnesänger in peinlicher Outrage, was dem Sängerkrieg jegliche Spannung nahm. Auch Tannhäuser wurde in diese „Farce“ miteinbezogen, mehrmals warf er seine „Mittelalter“-Frisurenperücke zornig auf den Boden. Diese Verulkung der „Menschenwelt“ (Tannhäuser inbegriffen) hatte weitreichende Folgen, weil sie dem Konflikt der „Welten“, der Tannhäuser existentiell (!) bedroht, die Schärfe nahm. Der unglaubwürdige Umschlag in Elisabeths Verhalten von operettenhafter Gefühlsduselei zu religiösem Sühnewahn erledigte dann den Rest und unterminierte schwer die Motivation für Tannhäusers reuige Pilgerschaft.
Der dritte Aufzug blieb rätselhaft, wieder dieser schäbige Theaterraum, aber weitgehend leer. Drei oder vier alte Fernseher, vor denen Menschen sitzen. Eine kunstinstallationsartige, aus Monitorbildern zusammengebaute Statue Mariens oder gar der heiligen Elisabeth, flimmerte ins Auditorium. Es war alles sehr trist. Doch dann offenbarten sich verheimlichte sexuelle Wünsche: Elisabeth knutscht noch kurz mit Wolfram ehe sie über eine Treppe „entschwebt“; Wolfram hat beim Abendsternlied homosexuelle Phantasien. Der Klamauk vom zweiten Aufzug war plötzlich vergessen, die Regisseurin versuchte interpretatorischen „Ernst“ in ihre Produktion zurückzuholen. Aber der Schaden war längst angerichtet. Im Finale wurde dann ein letztes Quentchen Trost aus einer insgesamt wenig gelungenen Neuproduktion gequetscht: wenn Tannhäuser verstirbt und Elisabeth in weißem Kleid wie ein Engel besagte Treppe zu ihm abwärtsschreitet.
Der Schlussapplaus war nach gut vier Stunden (inklusive zweier Pausen) mit knapp fünfzehn Minuten überraschend lange, trotz vieler Buhrufe gegen das Regieteam. Beim ersten Einzelvorhang mussten außerdem Wolfram und Elisabeth einige Buhrufe über sich ergehen lassen, beim zweiten Einzelvorhang traf es auch die Venus. Ein einsames Buh gab es bereits gleich nach dem ersten Aufzug. Die Premiere war seitens der Staatsoper dem erst vor wenigen Wochen verstorbenen Peter Seiffert gewidmet worden, der 2012 drei „Tannhäuser“ Vorstellungen an der Staatsoper gesungen hat.
PS: In Anbetracht dieser Neuproduktion stellt sich wieder einmal die Frage, ob die Opernhäuser nicht viel zu oft dieselben Werke neu inszenieren. Die Staatsoper hat sich zuletzt 2010 an den „Tannhäuser“ gewagt (Regie Claus Guth; Tannhäuser: Johan Botha). Die Produktion wurde nur achtzehn Mal gespielt und verschwand bereits nach vier (!) Jahren wieder aus dem Repertoire.
Dominik Troger | Staatsoper 22. Mai 2025