Tristan und Isolde
Tristan | Samuel Sakker |
Isolde | Stéphanie Müther |
Brangäne | Jennifer Feinstein |
Kurwenal | Martijn Sanders |
König Marke | Erik Rousi |
Melot | Jason Lee |
Ein junger Seemann | Sangmin Jeon |
Ein Hirt | Sangmin Jeon |
Steuermann | Andreas Heichlinger |
Stage director | Edison Vigil (premiere) |
Set designer | Lukas Noll |
TV director | – |
Stehoper als Psychodrama
Das Liebeslager ist hart: eine nahezu in die Waagerechte gekippte Metalltür, deren Ornamente an den wikingischen Tierstil des Mittelalters erinnern. Im Hintergrund aber heißt Bühnenbildner Lukas Noll ins Riesenhafte vergrößerte Flora wuchern, einen Dschungel samt fleischfressender Pflanze. Liebe ist eine gefährliche Angelegenheit. Doch müssen Tristan und Isolde sich nicht in den Wildwuchs begeben, um diese Erfahrung zu machen. Mag sein, sie befinden sich längst darin und ihnen blüht auf Weisung von Regisseur Edison Vigil nichts, was nicht seit Verkostung des Liebestranks in ihrem Inneren brodelte. So jedenfalls ließe sich des Paares völlige Blindheit für das Dickicht halbwegs plausibel erklären. Es scheint zu allem Überfluss Klingsors Zaubergarten benachbart. Dies desto eher, als die florale Pracht beim Auftauchen Markes und Melots ins Nichts schwindet, um einen öden Küstenstrich freizugeben. Bonjour tristesse. Die im Liebestod hinter sich zu lassen, nicht die schlechteste Wahl ist. Zumal die Heftigkeit der Empfindung sich offenbar mit Bann und Erstarrung verbindet, worin das Paar sich nurmehr bei den Händen zu halten und frontal in Richtung Auditorium zu singen vermag, in Wahrheit aber in einen imaginären Raum.
Fesselnde Ambivalenzen
Was in den Seelen Tristans und Isoldes vorgeht, bleibt zunächst nicht allein König Marke ein Rätsel. Selbst Kurwenal begreift solche Regungen allenfalls ahnungsweise. Loyalität muss Tristans treuem Gefolgsmann ersetzen, wozu Intellekt und eigene Erfahrung in Gefühlsdingen unvermögend sind. Doch scheint das unfrohe Kareol der rechte Ort für todwunde Gemütslagen. In Wuppertal irisiert der Platz für Tristans Krankenbett und Sterbelager zwischen schwarzem Felsüberhang, Riesenhöhle und Gewölbesaal. Durch eine Öffnung im Hintergrund dringt das zaubrisch grünblaue Meer. Ob Tristan sich in solcher Umgebung wirklich in Liebe verzehrt oder lediglich einer unbestimmten Sehnsucht nach dem Tod hingibt, für den er sich prädestiniert glaubt, bleibt in der Schwebe. Der verblichen Daliegende bietet Isolde mindestens Anlass, nun ihrerseits in Konzerthausattitüde und nach Verstummen des Gesangs meerwärts gewandt das Erdendasein hinter sich zu verlassen. Nur Altkluge geben vor zu wissen, was Liebe ist. Auf der Wuppertaler Bühne verharrt die Personnage daher im Vagen. Die dortige Herumsteherei offenbart in solchem Fall erheblichen Mehrwert. Von Martin Anderssons in Schwarzweiß-Meeresbrandung, Gischt und Strand in klug gewählten Stereotypen cinematographisch schildernden Videos lässt sich das bedingt sagen.
Helden des „Tristan“ im Bergischen Land sind das Sinfonieorchester Wuppertal und dessen Chef Patrick Hahn. Klangkörper und Kapellmeister treiben unablässig das Drama voran. Noch mit der erfülltesten Liebesnacht verrinnt die ungnädige Zeit. Ihr abzugewinnen ist freilich, sie trotz allem Drängen kammermusikalisch zu durchhören. So in Wuppertal. Tief berührend die überaus zarten Streicherklänge. Freilich macht auch das Blech auf unaufdringliche Weise seine Sache ausgezeichnet. Samuel Sakker ist ein Tristan mit bildschönem emphatischem Material. Die Zeit wird erweisen, ob er damit klug hauszuhalten wissen wird. Noch gestaltet er seine Partie zuweilen unerwogen. Heißt: Sakker spart am falschen Ort. Stéphanie Müther eignet sich die Isolde fortwährend an. Bis zu schlussendlich einnehmender Leuchtkraft. Jennifer Feinstein bietet für Brangäne ihren einnehmenden Mezzo auf. Gewiss wird Feinstein an den Registerwechseln noch feilen. Martijn Sanders singt den Kurwenal schlank und geradeaus. Jason Lee verkörpert einen durchschlagskräftigen Melot.
Michael Kaminski | 24. Oktober 2023
Das Orchester erzählt alles
Es fängt an wie ein Naturfilm. Der Video- und Multi-Media-Künstler Martin Andersson illustriert bereits das Vorspiel mit Bildern von der bewegten See und von der schroffen Küste Cornwalls auf der großformatigen Leinwand. Das Medium Film wird hochprofessionell eingesetzt. Die See setzt sich als Hintergrund eines stilisierten Schiffsdecks mit beweglichen, auch als Raumteiler eingesetzten Segeln fort. Im zweiten Akt blüht bei der Liebesszene Tristans und Isoldes im Hintergrund ein exotischer Garten mit Farnen und fleischfressenden Pflanzen, der bei der Entdeckung der Liebenden durch die Jagdgesellschaft in Flammen aufgeht, die sich live auf der Bühne fortsetzen. Tristans Krankenzimmer im 3. Akt könnte eine Grotte oder Höhle sein, die sich zum Meer hin öffnet. Tristans Krankenlager ist eine Pelzdecke. Mit einigen kargen Elementen von Lukas Noll – einer dreieckigen Plattform, einer fahrbaren Treppe und ein paar segelartigen Paravents im ersten Akt, einer zweiflügeligen goldenen Tür, die später gekippt zum Liebeslager wird, und ein paar angedeuteten Felsen im dritten Akt ist die Bühne komplett.
Die Kostüme von Dorothee Joisten zitieren mittelalterliche Elemente, sind aber im Grunde moderne Kleidung – Kleider mit weiten Röcken, ein königlich prächtiges rotes für Isolde, das bei ihrer Ankunft in Cornwall noch um eine goldfarbene Schärpe ergänzt wird, und ein dienstbotenhaft-schlichtes cremefarbenes für Brangäne. Tristan trägt über moderner Hose und weißem Hemd einen stilisierten kragenlosen Gehrock in hellblau, Kurwenal eine dunkelblaue kragenlose schräg geknöpfte Jacke und Hose etwas schlichter, Melot einen schwarzen kragenlosen Gehrock und König Marke eine stilisierte Uniform mit einen großen goldenen cornischen Emblem auf der linken Brust. Man kann die soziale Stellung der Personen an der Kleidung ablesen. Die Handlung spielt eindeutig im Mittelalter zur Zeit des Gottfried von Straßburg, der Wagners literarische Vorlage schrieb.
Die überlegte Personenführung von Edison Vigil folgt exakt dem Klavierauszug und verdeutlicht im besten Sinne die Konflikte und Leidenschaften der handelnden Personen. Es ist eine Inszenierung, die einfach nur Wagners Idee vom Gesamtkunstwerk folgt. Im ersten Akt ersten Akt agieren Isolde, Brangäne, Tristan und Kurwenal auf dem Schiff, als Requisite das Kästchen mit den Zaubertränken. Es wird unmittelbar klar, dass Isolde, die Heilerin, sich in den Held Tristan verliebt hat, obwohl der ihren Verlobten im Kampf getötet hat. Sie will eine Aussprache mit Tristan, der sie seinem König Marke als Brautwerber zuführt. Im Hintergrund deuten Meereswogen starke Emotionen an. Tristan, der Isolde eigentlich aus dem Weg gehen wollte, akzeptiert den gemeinsamen Sühnetrank, einen Doppelselbstmord. Statt des Todestranks reicht Brangäne den Liebestrank. Er wird zum Todestrank, denn sein Genuss hat die Folge, dass die Liebe der beiden zueinander sie alle Konventionen über Bord werfen lässt und sie damit ihren Tod provozieren.
Im zweiten Akt ist zunächst nur eine goldene zweiflügelige Tür auf der Bühne. Nachdem die Liebenden allein sind, wächst im Hintergrund ein üppiger Urwald, und die Tür neigt sich nach hinten und wird zum Liebeslager. Die ekstatische Musik sagt eindeutig, dass es hier nicht nur um romantische Liebe, sondern auch um körperliches Begehren und seine Erfüllung geht. Die Entdeckung der Liebenden auf dem Höhepunkt ihrer Ekstase: „Rette dich, Tristan“ wird auch szenisch zum dramatischen Höhepunkt der Oper. Der intrigante Melot triumphiert, er hat Tristan überführt. König Marke ist zutiefst getroffen: „Tatest du´s wirklich?“. Tristan kann sein Verhalten nicht erklären. Als Melot sein Schwert gegen ihn erhebt, nimmt er zwar das von Kurwenal gereichte, lässt sich aber mit den Worten „Wehr dich, Melot“ von diesem eine schwere Wunde beibringen, an der er letzten Endes stirbt.
Der dritte Akt ist in der Natur angesiedelt. Das Krankenlager Tristans mit der Pelzdecke könnte in einer Höhle sein, die sich zum Meer hin öffnet. Ein großer Felsbrocken dient als Ausguck. Der vom Tode gezeichnete Tristan wird von seinem treuen Freund Kurwenal versorgt. Nur die Sehnsucht nach Isoldes Ankunft hält ihn am Leben. Die elegischen Melodien des Englischhorns ertönen vom Hintergrund der Bühne.
Man erkennt den blutgetränkten Verband seiner tödlichen Wunde, den er sich abreißt, als die Nachricht von Isoldes Ankunft kommt. Isolde findet Tristan tot vor. König Marke erscheint mit Melot, um Tristan zu verzeihen und ihm seine eigene Entsagung zu verkünden – zu spät! Melot und Kurwenal erstechen sich gegenseitig mit ihren Schwertern. „Isolde verliert sich im Todeswunsch, um für immer mit Tristan vereint zu sein“ – so formuliert man im Programmheft Isoldes „Liebestod“. Die gezeigte szenische Umsetzung habe ich für mich selbst anders interpretiert: Am Ende, nach Isoldes Verklärung, schreitet sie in eine bessere Zukunft dem Licht entgegen.
Der junge in Australien geborene Heldentenor Samuel Sakker als Tristan macht die Entwicklung des Charakters deutlich. Eigentlich als Kriegsheld und Gebildeter erzogen will er Isolde Gutes tun, indem er sie seinem König Marke vermählt. Als Isolde dafür, dass er ihren Verlobten Morold im Kampf getötet hat, Vergeltung fordert, trinkt er mit ihr den Sühnetrank – nicht wissend, dass es ein Liebestrank ist. Im Grunde nimmt er seinen Tod billigend in Kauf, durchlebt aber noch alle Komplikationen eines Liebesverhältnisses, vor allem den Loyalitätsbruch zu seinem Ziehvater König Marke, die überbordende Liebes-Lust in der Nacht der Liebe, den Schock der Entdeckung durch Marke mit dem von ihm provozierten Todesstoß von Melot und das unerträgliche Sehnen nach der Geliebten im Todeskampf. Physisch ist Sakker der attraktive Held, der dem Darsteller des Tristan der Uraufführung, Ludwig Schorr von Carolsfeld, verblüffend ähnlich sieht. Stimmlich hat er die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen eines strahlenden Heldentenors, der im Fieberwahn das erlittene Leid mit den farbigsten Tönen besingt. Samuel Sakker ist ein Heldentenor am Beginn seiner Karriere, der nach kurzer Zeit im Ensemble der Royal Opera Covent Garden weltweit in schweren Heldenpartien auftritt. Seine Stimme ist unverbraucht und metallisch strahlend, er hat aber auch die gestalterische Tiefe, die zehrende Sehnsucht des schwer versehrten Verbannten im dritten Akt auszudrücken.
Die junge Neuseeländisch-britische Sopranistin Kirstin Sharpin hat als Isolde in Nordhausen debutiert. Mit ihrem wunderbar homogenen mädchenhaft schönen perfekt geführten Sopran gestaltet sie die an- und abschwellenden Phrasen sehr differenziert. Sie macht die Entwicklung der Königstochter Isolde deutlich. Zunächst wütend auf Tristan, den sie zu sich zitiert, dann bei der Einnahme des Sühnetranks zu allem entschlossen, verliert auch sie den Boden der Konventionen unter ihren Füßen. Sie stellt jegliche Vorsicht hintenan und lebt nur noch ihre Liebe. Nach dem Eklat findet Isolde, die gekommen ist, Tristan zu pflegen, nur seine Leiche und löst sich in der Schlussszene „Mild und leise, wie er lächelt“, von der Welt. Hier zeigt Kristin Sharpin, dass sie auch die lyrische Tiefe hat, die Auflösung: „Ertrinken, versinken, unbewusst höchste Lust“, im „Liebestod“ zu feiern. Danach ist erst einmal Totenstille, dann lange anhaltender frenetischer Jubel mit stehenden Ovationen.
König Marke, Tristans Ziehvater, ist der Hauptleidtragende. Der finnische Bass Erik Rousi, seit 2023/24 Ensemblemitglied, ist ein erstaunlich junger König Marke. Er leidet zunächst an der tiefen Kränkung durch den Treuebruch Tristans, den er wie einen Sohn liebt, will dann aber, nachdem ihn Brangäne von der Schuldlosigkeit Tristans überzeugt hat, großzügig dem jungen Paar seinen Segen geben – zu spät! Er bleibt allein zurück, denn Melot und Kurwenal gehen Tristan und Isolde voran in den Tod. Mit großer Intensität gibt er den Gefühlen des von seinem Ziehsohn verratenen und vor allen bloßgestellten König Marke ergreifenden Ausdruck.
Die Mezzosopranistin Jennifer Feinstein wurde von der Los Angeles Times mit der jungen Marilyn Horne verglichen. Für sie ist die Brangäne eine Paraderolle, in denen sie alle Facetten ihrer farbigen Stimme leuchten lassen kann. Sie macht durch ihre Gestik dem Publikum deutlich, dass sie Isoldes Anweisung, den Todestrank zu reichen, missachtet, und stattdessen den Liebestrank kredenzt.
Der niederländische Bassbariton Martijn Sanders ist ein jugendlicher Kurwenal, der seine Rolle als Tristans Freund auf Augenhöhe mit Hingabe gestaltet, und der mit Tristan leidet. Die Stimme ist eher dunkel timbriert und hebt sich gut von der Tristans ab. Ihnen stehen mit Jason Lee (Melot), Sangmin Jeon (junger Seemann und Hirt) und Andreas Heichlinger als Steuermann sehr gute junge Sänger zur Seite, die mehr sind als nur Stichwortgeber. Der Herrenchor der Oper Wuppertal in der Einstudierung von Ulrich Zippelius verkörpert die Seeleute auf der Überfahrt Isoldes.
Dirigent Patrick Hahn kostet die opulente Instrumentierung Richard Wagners mit großem Sinfonieorchester, das die Gesangslinien nicht nur untermalt, sondern auch ausdeutet, voll aus. GMD Patrick Hahn arbeitet seit 2021/22 mit diesem Orchester in Sinfoniekonzerten und Oper zusammen. Vor allem das Englischhorn, das das Gift verkörpert, das die Liebenden zueinander führt, und die Solo-Bläser beeindrucken auf der ganzen Linie. Hahn macht aus diesem Werk eine sinfonische Dichtung mit Gesang, bei dem die Spannung nicht nachlässt. Zusammen mit der szenischen Gestaltung mit Videosequenzen, Bühnenbildern und singenden und agierenden Sängerdarstellern entsteht ein Gesamtkunstwerk im Sinne Wagners, das Maßstäbe setzt.
Nach einem Wassereinbruch durch Hochwasser der Wupper im Sommer 2021, bei dem die Unterbühne von 2.000.000 Litern Wasser überflutet wurde, konnte am 22. Oktober 2023 erstmals wieder Oper dort gespielt werden. Die Entscheidung, nach so langer Renovierungszeit mit „Tristan und Isolde“ wieder zu eröffnen, war genau richtig, denn mit dieser Produktion zeigt das Haus, dass es musikalisch und szenisch in der ersten Liga der Wagner-Spielstätten mithalten kann.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer | Vorstellung am 12. November 2023
Schäumende Meereswogen
Hätte Wagner gewollt, dass man seine Opern häppchenweise konsumiert, die drei Aufzüge des „Tristan“ beispielsweise an drei Abenden sich einverleibt? Was im Sommer 2021 die Deutsche Oper am Rhein kammermusikalisch aufbereitet und pandemiebedingt tat, ermöglicht die Oper Wuppertal ihrem Publikum nun ganz regulär: „Wem die ca. 5h der Oper im Ganzen zu lang sind, kann die drei Akte an drei verschiedenen Abenden besuchen.“
Zur sonntäglichen Premiere nutzten das Angebot (noch?) wenige, doch man möchte in keiner Sängerhaut stecken und mitgrübeln: Ist der Schwund im Saal nun Vertriebsstrategie oder Unlust…? Von letzterer jedenfalls keine Spur bei Wagners schwermütigstem Werk: Wuppertal jubelte einhellig beim Schlussapplaus und Rebekah Rota scheint als neue Opernintendantin mit einem glücklichen Händchen gestartet zu sein.
Filmisches Bebildern des musikalischen Dramas
Und weil es bekanntlich nicht viel Handlung in Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ über die Liebestragödie zwischen Irlands Königstochter und Cornwalls Vasallen gibt, setzt die Inszenierung ganz auf die Kraft musikalischen Erzählens. Und auf die sinnliche Illustration durch raumfüllende Videos von schäumenden Meereswogen und stürmischen Steilküsten. So ist Martin Andersson (Konzept und Regie Video) mindestens ebenbürtig zu nennen mit Edison Vigil, der die sparsame Personenregie verantwortet, während die Kostüme von Dorothee Joisten stattlich-zeitlos, nur nicht in allen Fällen vorteilhaft gelungen sind.
Sparsam doch raffiniert hingegen ist die Schiffkonstruktion für die Überfahrt nach Cornwall zu Beginn (Bühne: Lukas Noll): transparente, aus Holzleisten bestehende Dreiecke deuten den Schiffsrumpf an, hängende Netze bilden Segel, eine Treppe dient als Aussichtsturm. Von hier herab besingt ein Seemann sehnsüchtig das Meer (bezaubernd lyrisch und klar: Sangmin Jeon); Tristan und Isolde hingegen begegnen sich völlig unterkühlt und schnell wird klar: Mögen tun sich diese beiden mitnichten VOR Konsum des Liebestrankes. Eine interpretatorische Setzung, der man folgen kann.
Farnumwucherte Liebesnacht
Körpernähe bleibt auch im zweiten Aufzug spärlich und die Liebesnacht sittsam, wenn beide auf einem Podest sich nebeneinander betten, während dahinter dreidimensional buntgrüne Farne die Bühne bewuchern. Als König Markes Eintreffen den Ehebruch bezeugt, versinkt die ganze Pflanzentraumnachtwelt in einer riesigen Feuersbrunst und hinterlässt nichts als verbrannte Erde – großes Kino, das die Ausweglosigkeit beider phantastisch visualisiert.
Leidenschaft strömt in diesem „Tristan“ vor allem aus dem Graben: Zum „Motiv ungeduldiger Erwartung“ etwa peitscht der junge Generalmusikdirektor Patrick Hahn das formidable Sinfonieorchester Wuppertal derart übermütig vorwärts, das einem angst und bange wird. Doch nie zerfasert ihm sein zu Beginn moderates, später akzentuiertes Dirigat, das nur partiell zu sehr ins Fortissimo geht und es den Sänger:innen dann unnötig schwer macht…
Überzeugendes Solisten-Ensemble
Samuel Sakker als Tristan haushaltet entsprechend mit seiner Kraft, spart in den ersten beiden Aufzügen an Verzierungen, um im dritten umso mehr aufzutrumpfen mit seinen verzweiflungsnahen „O Treue! Hehre, holde Treue!“-Rufen. Erik Rousi gibt mit rundem, nicht allzu tiefem Bassbariton einen bemitleidenswerten König Marke, Jennifer Feinstein gestaltet ihre Brangäne mit flexiblem, bronzenem Mezzo, Martijn Sanders singt sich als Tristans treuer Kurwenal im Finale erst so richtig frei und mit Jason Lee als Melot kann das Wuppertaler Ensemble einen stattlichen Tenor aufweisen, von dem noch zu hören sein wird.
Stéphanie Müther war als Isolde erst zwei Tage vor der Premiere für die erkrankte Kirstin Sharpin eingesprungen – ein Glücksgriff, denn die aktuelle Brünnhilde im Dortmunder Konwitschny-„Ring“ gibt ihrer Isolde alle Facetten dramatischer Interpretation, ohne je zu forcieren. Und man versteht jede Silbe – keine Selbstverständlichkeit. Ob die Originalbesetzung mehr szenische Aktion bringt, wird in den kommenden Vorstellungen zu erleben sein. In jedem Fall ist dieser „Tristan“ eine bildstarke, auf hohem Niveau musizierte Wagner-Interpretation. Die man doch besser an EINEM Abend sich einverleiben sollte.
Ulrike Kolter | 23. Oktober 2023
Versunken im Meer der Emotionen
Nachdem zu Beginn der Spielzeit das Opernhaus noch 12 Wochen für den Vorstellungsbetrieb gesperrt war, um die Schäden zu beheben, die das Hochwasser im Juli 2021verursacht hatte, bei dem 2 Millionen Liter Wasser in die Unterbühne gespült worden waren und einen Großteil der Technik lahmgelegt hatten, sind die Renovierungsarbeiten nun abgeschlossen, und das Haus kann wieder im vollen Umfang bespielt werden. Das muss natürlich mit einem großen Meisterwerk der Opernliteratur gefeiert werden, und so hat Rebekah Rota, die ab dieser Spielzeit die Intendanz der Oper Wuppertal übernommen hat, Richard Wagners Tristan und Isolde ausgewählt. Das Werk stand hier zuletzt 2009 in der Inszenierung des damaligen Intendanten Gerd Leo Kuck auf dem Spielplan und mag dem einen oder anderen Wuppertaler Wagner-Anhänger noch in guter Erinnerung sein (siehe auch unsere Rezension). Von daher wird hier ein schweres Erbe angetreten. Die Regie, für die Martin Andersson und Edison Vigil im Doppel-Team verantwortlich zeichnen, kann den Vergleich mit der damaligen Produktion aber durchaus aufnehmen, auch wenn sie bei allem Jubel im Publikum nicht nur Zustimmung findet.
Dass Wagner selbst das Werk als “Handlung in drei Aufzügen” beschrieben hat, mag ein wenig verwundern, denn allzu viel Handlung weist die Oper trotz ihrer Länge von rund vier Stunden reiner Spielzeit nicht auf. Der eigentliche Hauptteil der Aktion hat bereits stattgefunden, wenn sich der Vorhang hebt. Im Anschluss erlebt man ein wort- und klanggewaltiges Drama über einen der wohl traurigsten Ehebrüche der Operngeschichte, der schwer in eine Erzählung zu übersetzen ist, die den Spannungsbogen nicht allein der Musik überlässt. Das Regie-Team setzt zum großen Teil auf Videoprojektionen und teilt sich in eine Video-Regie, für die Andersson verantwortlich zeichnet, und eine Bühnen-Regie auf, die Vigil übernimmt. Schon während des grandiosen Vorspiels, das der Wuppertaler Generalmusikdirektor Patrick Hahn wunderbar emotional mit dem Sinfonieorchester Wuppertal präsentiert, blickt man auf das seichte Wogen des Meeres, das auf einen Gaze-Vorhang vor der Bühne projiziert wird, und möchte bei der leidenschaftlichen Musik in diesen Wogen versinken. So stellt man sich den Blick vom Schiff vor, das die irische Königstochter Isolde als Braut zu König Marke nach Kornwall bringt.
Das Bühnenbild von Lukas Noll ist relativ abstrakt und spartanisch gehalten. Im Hintergrund auf der linken Seite sieht man eine Treppe mit dem jungen Seemann, der von Sangmin Jeon mit lyrischem Tenor interpretiert wird. Davor deuten zwei bewegliche helle Bühnenelemente den Schiffsrumpf an. Darüber schwebt ein Segel, auf das eigentlich die Vorgeschichte projiziert werden soll, die während des ersten Aufzugs als Rückblende mit Vigil als Isoldes von Tristan ermordetem Verlobten Morold gezeigt werden soll. Da allerdings Kirstin Sharpin, die eigentlich in Wuppertal ihr Haus-Debüt in der weiblichen Titelpartie geben sollte, die Premiere wegen Erkrankung absagen musste und Stéphanie Müther als Isolde eingesprungen ist, werden die Video-Einspielungen im ersten Aufzug weggelassen, da sie Sharpin gezeigt hätten und das beim Publikum vielleicht für Verwirrung gesorgt hätte. So sieht man im Hintergrund nur als Projektion die friedlich wogende See. Stéphanie Müther begeistert als Isolde nicht nur mit kraftvollen Spitzentönen, die die Verzweiflung der jungen Frau deutlich machen, sondern punktet auch durch eine hervorragende Textverständlichkeit, so dass man bei ihr die Übertitel eigentlich gar nicht benötigt hätte. Auch Jennifer Feinstein lässt als Brangäne mit jugendlich frischem Mezzosopran aufhorchen. Darstellerisch bewegend trifft sie die Entscheidung, den Todestrank durch einen Liebestrank auszutauschen, der schlussendlich in die Katastrophe führt. Der Trank wird dann ganz klassisch in einer Schale überreicht.
Als Tristan ist Samuel Sakker als Gast zu erleben. Im ersten Aufzug wirkt sein baritonal gefärbter Tenor neben Müther noch ein wenig blass. Im weiteren Verlauf des Abends steigert er sich jedoch und findet in seiner großen Szene im dritten Aufzug zu bewegender Dramatik. Martijn Sanders stattet seinen getreuen Gefährten Kurwenal mit kraftvollem Bariton aus. Zu Beginn ist die Personenregie von Müther und Sakker recht statisch gehalten. Das ändert sich nach dem Genuss des Liebestrankes.
Der zweite Aufzug führt zu Beginn des musikalischen Vorspiels in einer Videoprojektion durch eine Art düstere Gruft, in der immer wieder verschiedene Steinfiguren erscheinen. Es verwundert nicht, dass sich Isolde in dieser Umgebung unwohl fühlt. Ein verziertes Tor deutet den Übergang zum Garten an, in dem sich Tristan und Isolde zum Rendezvous verabredet haben. Eine einsame Flamme brennt auf der rechten Bühnenseite, die Isolde verlöschen lässt, um Tristan das vereinbarte Zeichen zu geben. Für die große Liebesszene im zweiten Aufzug lässt Andersson in einer Projektion im Hintergrund einen finsteren Zauberwald entstehen, der im Verlauf der Szene regelrecht zu wuchern beginnt. Auch aus dem Bühnenboden vor der Projektion wachsen riesige Pflanzen, die eigentlich die verbotene Liebe vor der Außenwelt zu verbergen versuchen. Aber ein riesiges Feuer verrät die beiden Liebenden. Die Pflanzen versinken im Schein des Feuers im Boden. Was in der Projektion zurückbleibt, ist verbrannte Erde, die die Ausweglosigkeit der Situation eindringlich beschreibt. Zuvor finden Müther und Sakker im berühmten Duett “O sink hernieder, Nacht der Liebe” zu einer betörenden Innigkeit. Die gekippte Eisentür im Hintergrund hat sich in eine, wenn auch sicherlich etwas unbequeme, Schlafstätte verwandelt. Mahnend tönen Brangänes Rufe aus dem Off, doch vergeblich. Es kommt zur Katastrophe. Jason Lee verleiht dem Melot einen hellen, der Rolle angemessenen schneidenden Tenor. Erik Rousi gibt den betrogenen König mit verletztem, dunkel gefärbtem Bassbariton.
Im letzten Aufzug sieht man zunächst wieder das Meer vom Anfang. Dieses Mal führt es wohl nach Kareol, wohin Kurwenal den tödlich verwundeten Tristan gebracht hat. Die Bühne stellt nun eine riesige dunkle Höhle dar, in der Tristan mit Kurwenal auf die Ankunft Isoldes wartet. Der mittlere Teil ist geflutet und führt mit einer ausgeklügelten Lichtregie direkt ins Meer hinaus, das hinter der Höhle in einer Projektion zu erkennen ist. Hier läuft Sakker stimmlich zu Höchstform auf und punktet bis zum Schluss mit kraftvoll ausgesungenen Höhen. Jeon übernimmt auch die Partie des Hirten, der für Kurwenal Ausschau nach Isolde hält, und überzeugt erneut mit leuchtendem Tenor. Tristans Erinnerungen an Isolde, die ihn zunächst am Leben halten, werden in Filmeinspielungen visualisiert. Doch als Isolde ankommt, ist es zu spät. Bewegend stirbt er in ihren Armen, und Isolde legt sich relativ apathisch auf Tristans Krankenlager. Den Kampf zwischen Kurwenal und Melot nimmt sie gar nicht mehr wahr. Auch Markes Vergebung kann sie nicht mehr erreichen. Stattdessen verliert sie sich im Todeswunsch und setzt zum berühmten Liebestod “Mild und leise” an. Müther punktet auch hier wieder durch intensive Dramatik und schreitet langsam ins Wasser, um im Meer zu versinken. Das Schlussbild geht unter die Haut, so dass nicht nachvollziehbar ist, wieso es für diesen Regie-Ansatz vereinzelte Unmutsbekundungen gibt. Die Solistinnen und Solisten, der von Ulrich Zippelius einstudierte und um den Extrachor erweiterte Herrenchor der Wuppertaler Bühnen und das Sinfonieorchester Wuppertal mit ihrem GMD Patrick Hahn werden jedenfalls zu Recht mit großem Jubel vom Publikum gefeiert.
FAZIT
Das Regie-Team um Martin Andersson und Edison Vigil erzählt die tragische Liebesgeschichte in eindrucksvollen Bildern ohne unnötigen Schnickschnack. Die musikalische Leistung überzeugt auf ganzer Linie.
Thomas Molke | Opernhaus Wuppertal am 22. Oktober 2023
Wagners Oper in Wuppertal umjubelt
Für die erste große Produktion in ihrer Eigenschaft als neue Opernintendantin der Wuppertaler Bühnen greift die Amerikanerin Rebekah Rota gleich zu einem Schlachtross des Repertoires, zu Richard Wagners Liebesdrama „Tristan und Isolde“. Ein klares Zeichen, dass es der ehemaligen Sängerin nicht an Entschlossenheit und Selbstbewusstsein mangelt. Obwohl sie selbst Wagner nicht sonderlich mag, vertraut sie der großen Wagner-Tradition des Hauses, die man dem engagierten und vorzüglichen Spiel des Wuppertaler Sinfonieochesters auch nach den abenteuerlichen Berg- und Talfahrten des Theaters während der letzten zwei Jahrzehnte noch immer anmerkt. Dass die Aufführung zudem auch vokal überzeugen kann, ist allerdings fast ausschließlich Gästen zu verdanken. Das kaum noch vorhandene Ensemble muss sich mit kleinen Nebenrollen begnügen.
Die Verpflichtung von gleich zwei Regisseuren lässt Besonderes erhoffen. Martin Andersson als Video-Regisseur und Edison Vigil als Bühnen-Regisseur wollen die komplexe Vorgeschichte und etliche Hintergründe der aktionsarmen Handlung mit Film-Einblendungen veranschaulichen, worauf man allerdings vergebens wartet. Andersson belässt es im Wesentlichen bei einigen dekorativen Impressionen von der Küstenlandschaft Cornwalls, ohne sie mit dem Bühnengeschehen zu verknüpfen. Und Edison Vigil erzählt brav und steif die Geschichte des unglücklichen Liebespaars – und das mit einem äußerst sparsamen Bewegungs-Reservoir. Dass die langen Monologe nicht in triste Spannungslosigkeit erstarren, ist allein der starken Bühnenpräsenz der Solisten zu verdanken.
Imponierend, mit welcher Strahlkraft der junge australische Tenor Samuel Sakker Tristans explosive Ausbrüche im dritten Akt durchsteht. Mit Stephanie Müther als Isolde ist kurzfristig eine rollenerprobte Sängerin eingesprungen, die ihre Partie mit beachtlichem Glanz bis zum Ende stemmen kann. Mit großer, wenn auch etwas scharfer Stimme steht ihr mit Jennifer Feinstein als Brangäne eine adäquate Partnerin zur Seite. Nicht ganz höhensicher bewährte sich Martijn Sanders als Kurwenal. Die kleineren Rollen werden Ensemblemitgliedern anvertraut: Erik Rousi verkörpert einen allzu gutmütigen Marke und Jason Lee einen verlässlichen Melot.
Starke Impulse setzt Generalmusikdirektor Patrick Hahn, der offensichtlich an die von seiner Vorgängerin Julia Jones erzielte Qualität des Orchesters anknüpfen kann und wesentlich zum musikalischen Erfolg der Produktion beiträgt.
Pedro Obiera | 24.10.2023
Eine Seefahrt, die ist lustig, aber nicht bei Richard Wagner. Das Drama utopischer Erotik von Tristan und Isolde beginnt auf der Irischen See. Bei der Premiere am 22. Oktober 2023 im Barmer Opernhaus wogte dazu eine Sturmflut per Video in Zeitlupe auf der Rückwand der Bühne. Richard Wagner hatte schon im Fliegenden Holländer das Leben als gefährliche Seefahrt begriffen, nachdem er im Unwetter vor Norwegen bei der Flucht vor Gläubigern aus Riga Schiffbruch erlitten hatte. Jetzt ist das Wetter zwar besser, aber mit der berühmten Homonymität „Wehe du Wind“ und „wehe mein Kind“ beginnt die existentielle Beziehung des Liebespaars: Isolde liebt Tristan, den sie von einer Verletzung mit vergiftetem Schwert das Leben rettete, als der ihren Verlobten umgebracht hatte. Jetzt muss er sie seinem König Marke von Cornwall zur Hochzeit bringen. Musikalisch beginnt zwischen beiden eine unmögliche Beziehung, laut Anweisung in der Partitur „langsam und schmachtend“ im Pianissimo. „Zaghaft“, alles andere als „eilend“ sucht sich die Musik in unbestimmter, vieldeutiger Harmonik zu orientieren und kündigt die Moderne, das Ende der Tonalität an. Ohne Musik wäre laut Nietzsche bekanntlich das Leben ein Irrtum und, schlimmer, die Dreiecksgeschichte von Tristan, Isolde und König Marke banal. Intensiv hatte Richard Wagner Arthur Schopenhauer gelesen, diesen misanthropen Pudelliebhaber, der glaubte in der Musik „unendliche Wünsche, unendliche Befriedigung, unendliche Schmerzen“ erleben zu können. Richard Wagner, da er im Leben nie das große Glück der Minne genossen hat, wollte er mit dem „Tristan“ dem „schönsten seiner Träume ein Denkmal setzen“ (Brief an Franz Liszt am 16. Dezember 1854), verliebte er sich doch im Alter von ca. 40 Jahren in die junge, verheiratete, aus Elberfeld stammende Mathilde Wesendonck. Für sie komponierte er ihre Gedichte zu Liedern, vielleicht seinen besten Kompositionen.
Die Affäre „mit seiner ersten und einzigen Liebe“(?) endete am 17. August 1858. Ergänzend dazu entstand „Tristan und Isolde“. Im 1. Akt auf dem Schiff nach Cornwall will Isolde Tristan, obwohl verliebt, mit einem Gifttrank umbringen, der aber von ihrer Dienerin Brangäne mit einem wirklich starken Liebestrank vertauscht wird, was auch immer im „Trank ohne Wank“ enthalten war. Mord und Leidenschaft liegen dicht nebeneinander, damals wie heute. Auf der Bühne sieht man hinter einem aus drei Segeln angedeutetem Schiffsbug die See in Beleuchtung wie bei William Turner. Stephanie Müther mit großem stimmlichem Ausdruck, eindrucksvoller Kraft und Subtilität im Piano ist bei der Premiere für die akute erkrankte Kirstin Sharpin eingesprungen. Sie kam mit Erfahrungen von der Oper Chemnitz bis hin nach Japan, war 2022 in Dortmund 2022 als Brünhilde und Tosca und in Bayreuth als Ortrud zu hören, also mit Wagner vertraut, was dem „Tristan“ in der Barmer Oper auch guttat.
Das sommernächtliche Rendezvous im Schloßpark bei König Marke, zunächst durch eine goldene Pforte verschlossen, betört beide. Die hohen Bäume und Pflanzen wachsen um sie herum als Videokulisse auf. Hörnerschall in der Ferne hinter der Bühne stört nicht die leise Tremolo-Intimität, wenn im ppp die „Nacht der Liebe hernieder sinkt“. Da ging bei synkopal verschobenen Triolen die kammermusikalisch zarte Musik mit glänzenden Soli der Holzbläser oder der Solovioline direkt aufs Herz. Endlich milderte die Harfe die Unsicherheit des Tristanakkords, bevor das ekstatische Liebespaar von Melot (Jason Lee) in flagranti ertappt wird, der sie an König Marke verrät. Der schwerverletzte Tristan kann von Kurwenal (Martijn Sanders mit sonorem, leicht sprödem Bariton) gerettet und nach Kareol gebracht werden. Dort kämpfte der wagnererfahrene Samuel Sakkers, der diese Rolle schon in Nancy gesungen hat, lange mit dem Tod. Seine „Tagesgewitter im Kopf“ wurden per Video auch für das Publikum Realität, wenn er in psychedelisch euphorischer Trance inständig hofft, Isolde noch mal zu sehen. In dieser langen und anstrengenden Szene kam seine schöne Stimme an ihre Grenzen und es bewahrheitete sich die Äußerung von Rossini, der von wundervollen Momenten aber langen Viertelstunden bei Wagner gesprochen hat. Kurwenal hat ein Schiff zu Brangäne geschickt. Sie kommt, findet aber Tristan tot vor. Damit ist aber noch nicht Schluss. Denn es erscheinen König Marke mit Gefolge und Brangäne, die ihm den Liebestrank verraten hat, er also an der Treue seines lieben Tristan nicht mehr zweifeln muss. Marke will beiden verzeihen.
Johannes Vesper | 26. Oktober 2023