Götterdämmerung
Simone Young | ||||||
Chor der Staatsoper Hamburg Philharmoniker Hamburg | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Siegfried | Christian Franz |
Brünnhilde | Deborah Polaski |
Gunther | Robert Bork |
Gutrune | Anna Gabler |
Alberich | Wolfgang Koch |
Hagen | John Tomlinson |
Waltraute | Petra Lang |
Woglinde | Hayoung Lee |
Wellgunde | Maria Markina |
Floßhilde | Ann-Beth Solvang |
1. Norn | Deborah Humble |
2. Norn | Cristina Damian |
3. Norn | Katja Pieweck |
As with its predecessors in Hamburg’s now complete 2008-10 Ring, Simone Young brings to Wagner’s textures a constant questioning of received ideas of instrumental balance. Her placing of the Hauptstimme in generously scored tuttis, not unlike Rudolf Kempe’s (see his London and Bayreuth cycles on Testament and Myto), is fresh and original. In this very ‘live’ final episode, she is at one with her players, intervening interpretatively in the flow of Wagner’s melodic argument to a greater degree than previously in the cycle. The more personal, affectionate passages of the Dawn Duet or an emotional Waltraute scene are slowed and quietened to achieve a touching intimacy. And, as before, Young is no cosseter of purple passages: set pieces such as the Funeral March or Hagen’s assembly of the vassals in Act 2 (taken swiftly) always serve the stage drama rather than becoming time out for purely orchestral display.
The cast is headed by veterans. Polaski’s Brünnhilde and Tomlinson’s Hagen (and, of course, his Wotan) have been leading world casts since the 1990s, an experience which shows in their working of Wagner’s text. Tomlinson in particular takes Hagen into areas several layers above mere black villainy. Franz is a brave and enthusiastic actor of Siegfried’s moods; Lang makes much of Waltraute’s emotional blackmail of Brünnhilde; Bork (intentionally blustery) and Gabler are colourful Gibichungs. Like last year’s Siegfried (A/11), this is first and foremost an excited, committed performance with its own logic.
An astonishing 48 rival versions of the opera have, to date, been issued on ‘official’ CD labels (counting ‘dealer’ issues and substantial excerpts would take this number to over a hundred). A first choice is impossible but don’t miss live performances from two other eras: the Clemens Krauss (1953, preferably via Pristine) or the Barenboim (1991). The new Young set partners this company well.
Mike Ashman
I was very taken with the Walküre from this same source, praising in particular the conducting of Simone Young. Again here, in the Cycle’s final installment, Young is impressive, but there are moments that do not work: the Rhine Journey and Funeral Music are played far too quickly, particularly the latter. But her sense of dynamics, her feel for the one-on-one moments versus the crowd scenes, the tender versus the violent, seem to me to be ideal. The Waltraute/Brünnhilde scene is the most humanly interactive I’ve ever heard, and the summoning of the Vassals, with the Hamburg Chorus at its best, is as rousing as anyone might want. And if Young doesn’t quite reach the heights and depths of feeling that she does in Walküre, this is still a reading to be proud of.
The singing is variable. Christian Franz probably was impressive live, but on disc you can hear the effort that is going into his singing of Siegfried in the ferocious moments of Act 2. His lyrical singing can be appealing, but his is not a Siegfried for the ages. The same might be said for the Brünnhilde of Deborah Polaski, but in her case it is about a diminishing of resources. She is more than 60 years old and the vibrato has loosened a bit; with it, there is a loss of power. The Immolation Scene is as fine as most, particularly in the resigned, quiet moments, but again her outrage at the close of the first act and throughout the second comes across as less than heroic.
John Tomlinson, also moving on in years, still makes a scary Hagen, perhaps not in the gigantic Gottlob Frick sense of the role, but in nuanced nastiness to be sure. Robert Bork’s Gunther is a bit of a vulgarian, but that’s fine; Anna Gabler’s Gutrune is appealingly desperate. Petra Lang’s Waltraute is excellent, as is Wolfgang Koch’s Alberich. The sonics are superb. Pictures of Claus Guth’s production in the accompanying booklet make you grateful for a lack of video presentation. Stick with Keilberth’s 1955 performance on Testament.
Artistic Quality: 7
Sound Quality: 9
Robert Levine
Untreuer Kindskopf: “Götterdämmerung” in Hamburg
Allerhand Zitate von Philosophen und Literaten zieren das Programmheft zur Neuinszenierung der “Götterdämmerung”, mit der Simone Young und Claus Guth am Sonntag in Hamburg ihre gemeinsame Produktion der Wagnerschen Ring-Tetralogie abgeschlossen haben. Nur Theodor W. Adorno fehlt. Eben den aber müssen Regisseur Claus Guth und seine Dramaturgin Hella Bartnig konsultiert haben, befand der Dialektiker doch mit spöttischen Unterton: “Der Weltuntergang am Ende des Rings ist zugleich ein Happy-End.”
Ein solches dürfen wir hier immerhin fast erleben. Nachdem Hamburgs Brünnhilde, Deborah Polaski, den finalen Weltenbrand entzündet und sich mit Siegfrieds Schwert die Pulsadern aufgeschlitzt hat, fährt noch einmal der Brünnhildenfelsen nach oben: Der besteht bei Guth und seinem Ausstatter Christian Schmidt aus einer kleinbürgermiefigen Wohnküche, in der Held Siegfried, zuvor von Intrigant Hagen mit Schwert Nothung niedergemetzelt, nun munter seine Auferstehung feiert. Brünnhilde schreitet ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen – und bricht erst dann vollends zusammen, als ihr schuldlos schuldiger Liebster reglos auf der Stelle steht bleibt.
Hatte diese Liebe je eine Chance? Diese Brünnhilde jedenfalls muss es bis zu ihrem isoldisch überhöhten Liebestod geglaubt haben. Ihrem struwwelpetrigen Kindskopf Siegfried aber gilt eheliche Treue wenig: Auch ohne Genuss des Vergessenstranks ist er der damenhaften Gutrune (Anna Gabler) alsbald zugetan. Die Besetzung trägt das ihre dazu bei, die frühe Abkehr Siegfrieds von der weisen Frau Brünnhild’ glaubwürdig zu machen. Der Altersunterschied zwischen Polaski und Christian Franz spiegelt das familiäre Verhältnis von Tante und Neffe wider, das beide ja als Tochter und Enkel Wotans verbindet. Allzu tantig herb und reif spielt und singt die Polaski die Rolle denn auch, strahlender Brünnhilden-Furor fehlt zumal ihrem aus allerletzten Stimmreserven gespeisten Schlussgesang. Anrührend, weil ganz pianissimozart zurückgenommen aber gestaltet die Amerikanerin die zentrale Textstelle “Alles, alles weiß ich, alles ward mir nun frei.” Die Magie solcher Zeilen zelebrieren Simone Young und Deborah Polaski gemeinsam, und in ihnen hat diese “Götterdämmerung” ihre wenigen großen Momente. Da spielen die zuvor in den Blechbläsern chronisch patzenden Philharmoniker dann wunderbar delikat und plastisch aus, was Wagner als Zauberer der Klangfarben seinem “wissenden” Orchester abgelauscht hat. Zumal das von Wagner in der “Walküre” beim “hehrsten Wunder” der Schwangerschaft Sieglindes eingeführte und bis zum Nachspiel der “Götterdämmerung” bewusst aufgesparte Erlösungsmotiv lässt Simone Young breit ausmusizieren. Da macht ihr gelöst breites Dirigat wirklich musikdramatischen Sinn.
Den kann man der Regie kaum zusprechen. Guths Inszenierung ist weniger eine beherzte Interpretation des Nibelungen-Mythos als bemüht bebilderndes, langatmiges Ausstellen der Protagonisten. Spannende Personenregie findet eher zufällig statt, wenn das Charisma der Sängerdarsteller sich dem szenischen Leerlauf entzieht. Immer dann etwa, wenn Wotan-Veteran Sir John Tomlinson als Hagen die auf einer Drehbühne bewegten Gemächer der Gibichungen beherrscht. Seine deklamatorisch durchdrungene Gestaltung des Bösewichts ist intensiv, imposant, stark. Rein vokal gesehen ist sie desolat, sein ungeschlachter Bass spricht nur noch in der Mittellage sicher an. Konditionsstark metallisch, bis auf ein Zwischentief im dritten Aufzug, singt Christian Franz den Siegfried. Wirklich erstklassig sind die mittleren Männerpartien besetzt: Wolfgang Koch als Alberich und Robert Bork als Gunther beweisen, dass guter Wagnergesang ohne effektheischende Konsonantenspuckerei auskommt. Am Ende stecken Young und das Regieteam viele Buhs ein – für ein ambitioniert gestartetes Ring-Projekt, dessen ersehnter Vorschein auf den Glanz einer Musikstadt alsbald verblasst ist.
Peter Krause | 19.10.2010
Finales Freudenfest im Oberstübchen
Kontroverse Reaktionen in Orkanstärke: Dem Regisseur Claus Guth gelingt eine wegweisende „Götterdämmerung“ an der Hamburgischen Staatsoper, die alle musikalischen Defizite und die Misere im aktuellen Wagner-Gesang wettmacht.
Wenn sich nach sechzehn Stunden Musik, nach Liebe, Hass und Intrigen ein „Ring“ zum Zyklus rundet, naht der Augenblick der Abrechnung. Ist man den ungeheuren Anforderungen von Wagners Hauptwerk gerecht geworden, haben sich womöglich gar neue Perspektiven auf die ebenso vieldeutige wie viel gedeutete Tetralogie erschlossen? An der Hamburgischen Staatsoper, wo der Regisseur Claus Guth gemeinsam mit der Intendantin und Generalmusikdirektorin Simone Young seit 2008 an einer Neuauflage dieses Renommierprojekts aller Opernhäuser gearbeitet hat, fiel der Moment der Wahrheit ungewöhnlich kontrovers aus.
Die Premierenbesucher straften die Dirigentin teilweise mit grimmigen Buhrufen ab, meinten aber wohl vor allem den seit längerem glücklosen Kurs der Intendantin. Publikumslieblinge wie Deborah Polaski (Brünnhilde) oder Wolfgang Koch (Alberich) ernteten nur matte Zustimmung, dafür wurde mit dem Hagen des Wagner-Haudegens John Tomlinson demonstrativ der Erzbösewicht zum Helden des Abends erhoben. Und als der Regisseur mitsamt seinem Ausstatter Christian Schmidt die Bühne betrat, erreichten Pro- und Contra-Kundgebungen gänzlich unhanseatische Orkanstärken.
Das Ungewöhnliche daran: In all ihrer Widersprüchlichkeit war diese Reaktion ein getreuer Spiegel dieses „Ring“-Projekts, bei dem Licht und Schatten manchmal unmittelbar nebeneinander lagen. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass die Hamburger „Götterdämmerung“, sowohl für sich wie als Teil des Ganzen betrachtet, eine der intelligentesten und diskussionswürdigsten Neuproduktionen dieses komplexen Stücks seit Jahren ist.
Kein visionärer Elan
Der musikalischen Seite kam dabei leider nicht der entscheidende Anteil zu. Das lag nur partiell an der Dirigentin Simone Young, denn die verfügt über einen idiomatischen Zugang und ein feines Ohr für die Wagnerschen Mythenklänge. Mit Ausnahme des über Gebühr zerdehnten Vorspiels mit einer bleiernen Nornenszene und einem „Zu neuen Taten“-Duett, das keinerlei visionären Elan entwickelte, hat sie obendrein ein Gespür für überzeugende Tempi, wobei weder das Raunende und Beschwörend-Dunkle in den breit ausgesponnenen epischen Momenten noch der Mut zu dramatischen Zuspitzungen fehlt.
Eine Schande für das Haus ist hingegen das orchestrale Niveau dieser Premiere. Zu sagen, das Philharmonische Staatsorchester, immerhin eines der größten und bestbezahlten in Deutschland, habe auf unterem Stadttheater-Niveau gespielt, wäre fraglos eine Beleidigung – allerdings für die meisten Stadttheater. Quälend distonierende Passagen warfen immer wieder die Frage auf, wann mit diesem Klangkörper zuletzt an der Intonation gearbeitet worden sei. Und mit zahllosen unsensiblen Bläsereinsätzen, verunglückten Soli sowie einem fast durchweg harschen, farblosen Streicherklang hatten die Musiker noch einiges mehr aus der Folterkammer schlechter Laienorchester im Angebot.
Surreales Weltgebäude ohne Treppen
Auch sängerisch wies die Staatsoper keinen Ausweg aus der Misere des aktuellen Wagner-Gesangs. Eher im Gegenteil: Mit Sängern wie Tomlinson, Polaski und dem gegen Ende schmerzhaft einbrechenden Siegfried von Christian Franz meinte man einem Veteranentreffen ehemaliger Bayreuth- und Barenboim-Recken beizuwohnen. Dass diese allesamt über große Erfahrungen mit den Rollen verfügen, spürte man; ebenso hörbar waren freilich auch die stimmlichen Tribute, die Wagners Gewaltpartien über die Jahre fordern.
Umso beeindruckender, dass alle diese Defizite durch die szenische Dichte der Produktion aufgewogen wurden. Claus Guth bleibt seiner streng psychologisierenden Sichtweise treu und macht die Sänger mit einer in der Oper seltenen Genauigkeit der Gesten- und Blickführung zu echten Darstellern. Obendrein gelingt ihm das Kunststück, seine bisherigen Hamburger „Ring“-Teile, in Stil und Qualität eher disparat, doch noch durch kluge szenische und inhaltliche Rückgriffe zu einer höheren Einheit zu formen. Christian Schmidt hat ihm dafür als Rahmen ein drehbares, zweistöckiges Bühnenhaus gebaut: ein modernes Escher-Labyrinth, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die klinisch weißen Räume füllen sich bei jeder neuen Drehung der Kulisse mit beredten Versatzstücken aus den früheren Inszenierungen. Das streng getrennte Oben und Unten in diesem surrealen Weltgebäude ohne Treppen macht zudem fast überdeutlich klar, wer gerade die Oberhand im schmutzigen Machtspiel hat und wer an wessen Marionettenfäden baumelt. Folgerichtig ist der „himmlische Lenker“ Wotan als Statist im Oberstübchen präsent und lässt seine Götterschar beim ersehnten Weltenbrand finale Freudenfeste feiern.
Die Kraft der gescheiterten Utopie
Das bildet freilich nur den Hintergrundkontrast für ein Seelen- und Beziehungsdrama, das durch einen einfachen Regie-Trick in Shakespeare-Dimensionen vordringt: Guth verzichtet auf den Vergessenstrank und lässt den ohnehin moralfrei aufgewachsenen Siegfried seinen fatalen Treuebruch mit Gutrune (Anna Gabler) bewusst, aber ohne Wissen um seinen moralischen Sündenfall begehen. Dass er dadurch das Streben nach Lust und gesellschaftlicher Anerkennung über die bedingungslose Liebe der Wotanstochter Brünnhilde stellt, erkennt er, zunächst geblendet, dann ernüchtert von Hagens Intrigen, erst am Ende. Doch aus diesem Gefühlslabyrinth gibt es nun für ihn erst recht keinen anderen Ausweg mehr als den Tod, den er gezielt in Hagens Armen findet.
Brünnhilde, durch tiefstes Leid wissend geworden, tritt danach als Einzige aus dem Weltlauf, setzt dessen symbolisches Gehäuse in Brand und macht ihrem sinnlos gewordenen Leben ebenfalls selbst ein Ende. Das Schlussbild aber beschwört, in feinsinnigem Einklang mit der Partitur, die Kraft der gescheiterten Utopie: Die toten Liebenden begegnen einander – „o hehrstes Wunder“ – im gleichen kargen Raum wie im Vorspiel, dessen Kulissen bereits in der „Walküre“ den Rahmen für das Liebeswerben der Wälsungen-Geschwister abgaben. Was für eine tragisch gebeutelte Familie!
Christian Wildhagen | 20.10.2010
Beziehungskonstellationen im Spinnennetz
In der «Götterdämmerung» hat die Inszenierung von Richard Wagners «Ring des Nibelungen» an der Staatsoper Hamburg endlich das Format gefunden, das dem Haus angemessen ist.
John Tomlinson ist das schwarze Energiezentrum dieser «Götterdämmerung». Als finsterer Nibelungenspross Hagen («frühalt, fahl und bleich») verbindet der britische Bass dämonische darstellerische Präsenz und stimmliche Prägnanz zu einem eindringlichen Porträt seiner Paraderolle: Wie er Vokale dehnt und schneidend scharf zuspitzt, wie er Konsonanten nasal nachkostet – das ist Klang gewordene Galle. Wenn er die Halbgeschwister Gunther und Gutrune giftig wispernd für seine Pläne gewinnt, stellen sich die Nackenhaare auf. Endlich, möchte man hinzufügen – denn solche grossen Momente gab es in der «Ring»-Inszenierung von Claus Guth an der Hamburgischen Staatsoper bisher zu selten.
Im Labyrinth
Der Regisseur lässt Hagen immer wieder durchs Fernrohr schauen: Im machtschwangeren Geflecht aus Blutsbrüderschaften, Schwüren und gebrochenen Verträgen – dessen labyrinthisch verschlungene Ebenen Bühnenbildner Christian Schmidt in einem zweistöckigen Bungalowmodell auf einer kreisenden Drehbühne zeigt – scheint er als Einziger den Durchblick zu haben: ein Strippenzieher des Untergangs, der selber doch nur an den Fäden des Vaters Alberich hängt und ihm in einem Traum, zu Beginn des zweiten Aktes, wie eine Marionette gehorcht.
Mit einer zumindest über weite Strecken durchaus präzisen Personenführung lotet Guth Beziehungskonstellationen aus und formt profilierte Charaktere: den zwanghaft verklemmten Verlierertypen Gunter (Robert Bork mit kernigem Bariton) etwa und seine liebeskranke Schwester Gutrune (stimmlich etwas blass: Anna Gabler) im hanseatischen Yuppie-Outfit mit marineblauem Sakko und weisser Hose. Als denkbar starker Kontrast dazu stiefelt der spätpubertäre Springinsfeld Siegfried (Christian Franz) immer noch – wie schon im dritten Teil von Wagners «Ring des Nibelungen» – mit stachliger Strubbelfrisur und Knickerbockern durch die Gegend; während des Verrats an Brünnhilde gönnt er sich erst einmal ein Bierchen aus dem Kühlschrank. Am Sektglas mit dem Vergessenstrank hat er dagegen nicht einmal genippt, sondern es einfach zerdrückt: Gutrune zu erwählen – die er mit zarten Tönen umschmeichelt und umschleicht –, war hier also seine eigene Entscheidung.
Franz muss nur im dritten Akt ein bisschen kämpfen, bewältigt die mörderische Partie aber sonst mit guter Kondition und angenehm flexiblem Timbre, das auch lyrische Facetten kennt. Deborah Polaski dagegen scheint ihren Zenit überschritten zu haben; ihre Brünnhilde klingt in der Höhe ziemlich scharf und wirkt auch szenisch weniger differenziert als die anderen Hauptpartien.
Doch auch mit den schwächeren Passagen, manchen Ungereimtheiten und den nicht immer schlüssigen An- und Umdeutungen (etwa bei der rätselhaften Wiederauferstehung im Schlussbild) gehört die «Götterdämmerung» zu den stärksten Teilen des seit dem «Siegfried» griffiger geschmiedeten Hamburger «Rings». Das liegt ganz wesentlich auch an der musikalischen Architektin Simone Young. Sie versteht es immer wieder, mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg wunderbar dunkelwarme Farben zu mischen und auch die lyrisch-intimen Momente der Partitur mit ihren zarten Piano-Klängen zu beleuchten. Dass sie sich dafür mitunter viel Zeit nimmt und dass die Bläser vor allem zu Anfang etliche Patzer und Intonationsschwächen überwinden müssen, bescherte ihr neben vielen Bravos einigen kräftigen Protest.
Im Streichkonzert
Den bekam auch der neue Hamburger Kultursenator Reinhard Stuth zu spüren, als er auf der Premierenfeier mit zahlreichen Buhs begrüsst wurde. Der CDU-Politiker – vor einem Jahr noch als Staatsrat derselben Behörde in den Ruhestand entlassen und im August sehr überraschend von Bürgermeister Christoph Ahlhaus ins Amt gehievt – hat sich zwar noch nicht über die Staatsoper geäussert, dafür aber mit den angedrohten Abholzmassnahmen in der Kulturlandschaft für allgemeines Entsetzen gesorgt.
Stuth will die Zuschüsse für das Schauspielhaus in der kommenden Saison um 1,2 Millionen Euro kürzen. Das heisst, die traditionsreiche Bühne müsste sich entweder auf zwei Neuinszenierungen pro Jahr beschränken oder aber seine Kinder- und Jugendarbeit einstellen. Ausserdem soll das Altonaer Museum geschlossen werden, um den Haushalt um 3,5 Millionen Euro zu erleichtern. Dabei hat Stuth offenbar vergessen, dass die rund 70 festangestellten Mitarbeiter gar nicht entlassen werden können und seine Gleichung folglich auch nicht aufgeht. Durch solche dilettantischen Aktionen präsentiert sich der Jurist als kulturferner Kleinkrämer mit groben Rechen- und Rechercheschwächen – schlicht peinlich ist das. Kein Wunder, wenn ihn ein Gastkommentar an der Pinnwand des Altonaer Museums als «Kulturbanausenator» bezeichnet und die «Süddeutsche Zeitung» vor kurzem konstatierte, er habe «in vier Wochen mehr zerstört als alle seine Vorgänger zusammen».
Nun will der Bürgermeister einen Krisengipfel einberufen. Hoffentlich kommen er und sein Senator dann zur Vernunft. Eigentlich sollte die Kulturbehörde ja ein positives Energiezentrum sein – und kein schwarzes Loch, das die kreativen Potenziale der Stadt einfach wegsaugt.
Marcus Stäbler | 22.10.2010
Nicht nur die Götter sind am Ende
Matte Leistung: In Hamburg misslingt der Schlussstein von Wagners „Ring“
Lustlos, uninspiriert, fad: Mit der „Götterdämmerung“ suchte Regisseur Claus Guth für seinen Hamburger Ring offenbar nur noch eines – das Ende. Emotionen zeigte allenfalls das Publikum in der Staatsoper, das mit lauten Buhs auf Guths glanzlose Inszenierung und die matte musikalische Umsetzung durch Simone Young reagierte.
Ein Haus mit vielen Gängen und Türen, mit Zimmerfluchten und verschiedenen Ebenen: Mit einem solchen Labyrinth haben Claus Guth und sein Bühnenbildner Christian Schmidt ihren Züricher „Tristan“ zum fesselnden Drama gemacht. Was dort aber wunderbar in einem Spiel mit Bewusstseinsebenen und -zuständen aufging, geriet in der Hamburger „Götterdämmerung“ lediglich zum müden Abklatsch. So sehr sich der kantige Bauhaus-Rohbau auch auf der Bühne drehte – Zentrifugalkräfte für die Handlung wollten so nicht entstehen. Stattdessen spülte das Karussell die Protagonisten lediglich an den Bühnenrand, wo sie ihren Rampengesang ablieferten. Auch die Personenregie beschränkte sich auf ein Minimalmaß.
Einen Vorteil hat indes eine derart reduzierte Bühnensprache: Sie lässt Raum für die Musik, Raum, den Richard Wagners Komposition mit ihrem sprechenden Gestus, ihrer Deutungskraft geradezu fordert. Nur gelingt es Simone Young nicht, die Löcher mit Sinn zu füllen, die in der Regie klaffen. Schon den ersten, zugegeben heiklen Akkord, der die Tür zum düsteren Weltuntergangsszenario der drei Nornen (Deborah Humble, Cristina Damian und Katja Pieweck) aufstößt, schon diesen Akkord verpatzen die Hamburger Philharmoniker. Ein Schock, der sich wie Mehltau auf den ganzen ersten Akt legt. So wird Young mit ihrem Orchester mehr zum Spielball der Klangflut, als dass sie selbst das Ruder in die Hand nehmen würde, um die Fahrt aktiv zu gestalten. Der Kahn dümpelt auf den breiten Fluten der Partitur träge dahin und eckt an den Klippen der Partitur an – so kommt niemand den Geheimnissen der Musik auf die Spur. Die zwei Stunden des ersten Aktes dehnen sich zu einer gefühlten Ewigkeit, was bedauerlich ist angesichts der eisigen Präzision, mit der sie die ersten drei Teile des „Rings“ zu kühl schillernden Brillanten geschliffen hatte.
So betet der Abend brav den letzten Teil der Tetralogie herunter. Christian Franz‘ deftig-naiver Siegfried wirkt im Umfeld der feinen Gibichungen-Gesellschaft auch dann deplatziert, wenn er sein Outdoor-Outfit gegen den Smoking eintauscht – warum nicht. Dem kernigen Naturburschen widersprechen allerdings die Grenzen der Stimmkraft, die sich offenbaren, wenn dem Tenor die Stimme auf dem Eis einfach wegrutscht. Diese leisen Passagen sind wiederum die Stärke der Brünnhilde von Deborah Polaski, während sich im Forte ein harter metallischer Glanz in die Stimme mischt. Robert Bork ist ein unauffälliger Gunther, Anna Gabler singt die Gutrune solide, aber ohne Durchsetzungsvermögen – was ja aber durchaus zu ihrer Helferfunktion in Hagens Machtspiel passt. Den singt Sir John Tomlinson mit einem Bass von der Schwärze einer verlorenen Seele – die überzeugendste Figur des Abends.
Ihr zur Seite stellt Claus Guth sein geliebtes stummes Bühnenpersonal. Diesmal sind es Wotan und die Götterschar aus dem Rheingold, die in stillem Bangen vom Dachboden des Bauhaus-Torsos aus verfolgen, wie eine Etage tiefer die Welt in Schutt und Asche gehauen wird. Am Ende geht alles im Rauch auf, Aschebrocken fliegen durch die Luft wie nach den Anschlägen vom 11. September, und im Tod finden Siegfried und Brünnhilde zueinander – eine typische Wagner-Apotheose, möchte man sagen. Nur fehlt ihr hier jeder Zauber.
Ralf Döring | 19.10.2010
Weltenwandel in der Kleinraumwohnung
Kann man machen, glücklich macht’s aber nicht: Claus Guths Hamburger “Ring des Nibelungen” braust mit der “Götterdämmerung” über die Ziellinie. Doch trotz guter Sangesleistungen bleibt ein fader Nachgeschmack: Was soll denn bitte diese Wohnwelt-Metaphorik?
So verschachtelt wie die Wagner-Welt sich auf der Bühne darbot, so kleinteilig mühte sich die Inszenierung: Claus Guths Hamburger “Ring des Nibelungen” ging mit seiner dramaturgisch zerdehnten “Götterdämmerung” in die Schlussphase, ohne Faszination, Kontroverse oder Provokation zu bieten. Doch gerade das war wohl die Idee des Regisseurs: Nach all den Deutungen von Wagners “Ring” scheint die Tetralogie ausinszeniert, endgültig erklärt und endlos aktualisiert. Irgendwann ist mal Ende, wir haben verstanden.
Also wirft Claus Guth den Stoff zurück ins allgemein Menschliche, auch wenn das Leben im “Ring” zum scheinbar griffigen Leben in der Neubausiedlung wird. Privat ist die Tat, auch die eines Siegfried. Oder sind wir nicht alle ein bisschen Hagen? Simpel, nah dran – so ist dieser Hamburg-“Ring”: Eine in sich schlüssige Sache, die niemanden weh tut und niemanden bessert. Gesungen wurde zum Teil sehr schön.
Doch so möchte man wirklich nicht wohnen in der Welt: Kahle Wände, schmale Zimmer, Sparmöblierung. Die Welt baut sich auf zwischen einer Einraumwohnung und einem Schachtelhaus. Ergebnis: klaustrophobische Zustände, Angstlähmungen und teilweise unfreiwillige Komik zwischen Kühlschrank und Kacheln. Siegfried greift zum Flaschenbier: das größte Musikdrama der Welt in kleinstmöglicher Darreichungsform, zumindest optisch. Richard Wagners Vision wird in der Hamburger “Ring des Nibelungen”-Inszenierung zu einer Vorstadt-Erfahrung – und auch in der vierten und letzten Etappe dieser Reise hält Regisseur Claus Guth an seiner Wohnwelt-Metaphorik fest.
Vom Elektrische-Eisenbahn-Modell im “Rheingold” zum sozialen Wohnungsbau in der “Götterdämmerung”: Das klingt brisant, nach gesellschaftlichem Sprengstoff, aber Tagesaktualität ist das letzte, was einem bei Guths Göttern in den Sinn kommt. Sein “Ring” an der Hamburger Staatsoper bleibt eine illustrative Inszenierung, die einiges zeigt, aber zu wenig deutet.
Steigerung zum Schluss
Schließlich geht es um nichts weniger als den Lauf der Welt. Siegfried, der autonome Held, vom Götterchef Wotan als Heilsbringer erkoren, soll als frei Handelnder die Zukunft der Menschheit definieren und nebenbei die Planetenpläne realisieren; eine Zeitenwende mit neuen Werten, neuer Moral. Von all dem sieht man wenig. Man sieht vor allem Zwänge und Grenzen, die sich aus dem drehbaren Bühnenkasten ergeben, ein Sog des scheinbar unausweichlichen Geschicks.
Immer wieder entdeckt Claus Guth die komischen Momente dieses Aufbaus, wagt mit doppelbödiger Führung sogar Komik, ausgerechnet beim intriganten Oberbösewicht Hagen, dem der stimmlich immer noch überragende John Tomlinson kauzig-komödiantische Akzente gibt. Mit Studienrats-Pferdeschwanz im gedeckten grauen Anzug und burlesker Gestik hätte das eine Studie des schlau-schlimmen Strippenziehers mit politischen Dimensionen werden können – wenn der Regisseur seinen Einfällen etwas mehr getraut hätte. So bleiben es hübsche Momente inmitten würgender Tristesse.
Beste Szenen sind dann auch die von der Regie klassisch klar gebauten Ensembles im zweiten Aufzug, bei denen Deborah Polaski, die anfangs eher blass agierte und stimmlich belegt wirkte, zu bekannter Form auflief. Ihre Totenklage am Schluss steigerte sich, trotz einiger Artikulationsprobleme, zu feuriger Intensität: ein würdiges Finale.
Christian Franz kämpft als lausbubiger Siegfried – unfrisiert, irgendwo zwischen Punk und Pumuckl – manchmal mit der verlangten strahlenden Höhe, steigert sich aber wie seine Brünnhilde Polaski zum Ende hin. Geglückt und erfreulich stark die Besetzung der “kleineren” Rollen: Der in den USA geborene Bariton Robert Bork lieferte einen kraftvollen Gunter ab, seine Schwester Gutrune bekam von Anna Gabler Profil, und besonders Petra Lang als Mit-Walküre Waltraute holte sich verdienten Schlussapplaus ab.
Der fiel fürs Regieteam sehr sparsam aus. Auch Opernchefin Simone Young bekam vom Publikum mächtig Gegenwind für ihr Dirigat, das die “Götterdämmerung” breit und behäbig im Tempo anging, und auch einige Wackler im Blech trugen nicht zur Klangfreude bei. Ein etwas trauriger Ring, der sich bewusst der großen Gesten enthielt und das Thema eher philosophisch-karg abhandelte.
Kann man machen, glücklich macht’s aber nicht.
Werner Theurich | 18.10.2010
Oehms |
A production by Claus Guth (premiere)
This recording is part of a complete Ring cycle.