Tristan und Isolde

Peter Schneider
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
1 August 2006
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Tristan Robert Dean Smith
Isolde Nina Stemme
Brangäne Petra Lang
Kurwenal Hartmut Welker
König Marke Kwangchul Youn
Melot Ralf Lukas
Ein junger Seemann Clemens Bieber
Ein Hirt Arnold Bezuyen
Steuermann Martin Snell
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Reviews
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Und dann saß er mit Isolden auf der Banke…

In Bayreuth sucht man nach neuen Wegen. Ob die sich dadurch auftun, dass man Regisseure mit wenigen oder gar keinen Opern- und Wagnererfahrungen engagiert, bleibt weiterhin zweifelhaft. Neben Christoph Schlingensiefs Assoziationen zu “Parsifal” und dem diesjährigen ersten “Ring”-Versuch von Tankred Dorst kann auch Christoph Marthalers Inszenierung von “Tristan und Isolde” – heuer im zweiten Jahr – von dieser Idee nicht überzeugen.

Marthalers sparsame Personenregie hat kurze starke Momente – etwa wenn Marke im zweiten Akt Isolde geradezu brutal einhakt und sich mit ihr in Ehepaarposition stellt oder wenn Isolde bei ihrem Eintreten im dritten Akt den hinter seinem Bett zusammengebrochenen Tristan nicht sieht, er aber sehnsüchtig die Hand nach ihr ausstreckt. Isolde singt ihre Erzählung im ersten Akt in sich zusammengesunken, den Blick auf den Boden, nachdenklich, verschüchtert, vor allem aber verletzt. Das ist szenisch eindrucksvoll, aber akustisch geradezu gemein, denn die schönsten Klänge versinken in der Tiefe des parkettimitierenden Bühnenbodens. Erst wenn sich die Sängerin aufrichten und im Stuhl zurücklehnen darf, strömt der Klang der Stimme – und da ist einiges, das strömen kann!

Das sachlich-kühle Bühnenbild von Anna Viebrock lässt jede Ästhetik vermissen. Der bühnengroße, etwas heruntergekommene und ziemlich beliebige Aufenthaltsraum wirkt miefig. Stühle mit unterschiedlichen Bequemlichkeitsfaktoren verstellen die Bühne im ersten Akt. Von der Eckbank bis zum Lehnstuhl, vom Sessel bis zum ungepolsterten einfachen Stuhl reicht das Repertoire. Eine wandernde Fußbank im Vorspiel bleibt beleuchtungstechnisch und bedeutungsmäßig im Dunkeln. Nun hat man Stühle mit Symbolgehalt nicht nur schon vielfach gesehen, man hat sie auch schon ästhetischer und sinnfälliger gesehen. Ersteres wäre kein Makel, erst das Zweitgenannte macht die Sache langweilig. Isoldes Manie, die Stühle auf die Seite zu legen (nicht etwa wütend zu schmeißen – das wäre ja schon viel zu viel Leidenschaft!), die die ordentliche Brangäne dann wieder aufstellt, lässt Bedeutsamkeit durch den Raum wabern, aber keine Spannung, kein Fesseln, keine emotionale Berührung aufkommen.

Der zweite Akt zeigt den Raum bis auf zwei unbequeme Kunstlederhocker leer. Statt Stuhl-um-Stuhl-auf dürfen Isolde und Brangäne nun Licht-an-Licht-aus spielen. Aber glücklicherweise nicht lange. Die beiden Hocker, die zunächst eine Art Sitzbank bilden, werden beim Eintritt Markes auseinandergeschoben – welch unbegreiflich tiefer Sinn…

Für den dritten Akt ist der Raum quasi wieder eine Etage nach unten gerutscht und dient als eine Art Mausoleum. Hier steht Tristans Bett auf einem kleinen Podium, das von einem Geländer umrahmt ist. Besucher defilieren an der lebenden Leiche vorbei.

Ebenso unästhetisch wie das Bühnenbild belästigen die obendrein auch noch unpraktischen Kostüme (ebenfalls von Anna Viebrock) das Auge. Tristans blaues Jackett zur taubenblauen Hose erinnert an sozialistische Zeiten. Gegen Kurwenals Herrenrock (nicht einmal Schottenrock) und Brangänes Stilgemisch hebt sich einzig Isoldes gelbes 50er-Jahre-Kostüm mit Ton in Ton abgestimmten beigen Handschuhen und Stökepiekern angenehm ab.

Als ein besonderes und auch durchaus einleuchtendes Element stellt sich das Licht in dieser Produktion dar. Das Vorspiel beginnt im Dunkeln. Am Bühnenhimmel leuchten langsam Lampen auf, mal schwächer, mal stärker, mal verblassend, aber nicht einheitlich. Wirkt dieser Lampenhimmel eher ungeordnet und lebendig, leuchten im zweiten Akt fein säuberlich in Reih und Glied geordnete kalte Neonringe an gleicher Stelle. Nach dem jähen Erwachen aus dem Liebesrausch beginnen einzelne Ringe zu flackern – auf die Isolde dann kindhaft (oder auch etwas dusselig) mit dem Zeigefinger deutet. Einige dieser Neonringe hängen im dritten Akt demontiert an den Wänden andere liegen am Boden und flackern ein letztes Mal auf. Diese Lichtregie der eigenen Art bietet mit ihrer einfachen Symbolik etwas Greifbares, etwas Verständliches – obwohl das allzu plakativ Erhellende auch irgendwie einen fahlen Nachgeschmack hat.

Das heißeste aller Liebesdramen steht derzeit in Bayreuth eiskalt auf der Bühne. Das schönste Gefühl erscheint in gefühllosem Gewand, das Menschliche erscheint unmenschlich. Doch wenn man das Scheitern, die Aussichtslosigkeit, die äußeren Begrenzungen einer Liebe zeigen möchte, kann man dies eindrucksvoller erreichen, wenn man diese Liebe zunächst erst einmal zulässt, sie zeigt und nicht gleich das Scheitern vorwegnimmt.

Der Höhepunkt der Erotik ist erreicht, wenn Tristan mit dem Kopf in Isoldes Schoß liegt und ihr mit den Zähnen die Handschuhe auszieht. Zuvor hat Tristan seine Krawatte gelockert und den obersten Knopf gelöst und Isolde hat ihre Kostümjacke geöffnet – was Tristan aber nicht sonderlich interessierte. Doch für soviel Leidenschaft ist man schon dankbar, wenn man an den Beginn des Duetts denkt. Wie sie da so brav nebeneinander sitzen, sie die Hände im Schoß, er die Hand auf dem Knie – auf seinem Knie (un)natürlich! Und so sitzt er mit Isolden auf der Banke und sie singen sich was vor.

Wenn Brangäne im ersten Akt zu Tristan geht, zieht sie sich erst einmal Hut und Mantel an. Ordentlich, wie sie ist, und es ist ja auch kalt… Ähnlich wie im Schlussbild des ersten Aktes: Kurwenal beißt sich in die Hand und Brangäne setzt sich den Hut auf. Ein ordentliches Mädchen – aber wird das der Figur wirklich gerecht, wenn man darauf so deutlich den Fokus richtet? Petra Lang zeigt jedenfalls stimmlich, dass in dieser Brangäne viel mehr Leidenschaft steckt als sie hier zeigen darf. Vielfarbig klingt ihr Mezzo und vielgestaltig im Ausdruck. “Den hehrsten Trank” klingt wunderbar warm. Auch wenn sie in der besprochenen Aufführung nicht ihren allerbesten Tag hatte, profiliert sie sich als eine Brangäne von großem Format.

Über Nina Stemmes Isolde sind schon im letzten Jahr Lobeshymnen über Lobeshymnen geschrieben worden. Mit allem Recht. Ihre geradezu unheimliche Sicherheit und die schier unerschöpflichen Reserven lassen Gesangskunst vom Allerfeinsten erleben. Von sanften, zarten Tönen bis zum gewaltigen “Tod uns beiden” beherrscht sie mit großer, substanzreichster Stimme das ganze Spektrum. Ihre strahlenden und stahlharten Höhen von größter Intonationssicherheit beweisen obendrein, das Schärfen in dieser Partie durchaus nicht unumgänglich sind.

Robert Dean Smith singt den Tristan stellenweise wunderschön, selbst viele Passagen im dritten Akt klingen geradezu arios. Sein Stolzing klingt wunderschön – nach dem Tristan hoffentlich immer noch – aber für den Tristan ist das Timbre zu hell, klingt die Stimme zu leicht. Er ist eben kein schwerer Heldentenor, den man sich für diese Partie wünscht. Auch die Ausdruckskraft lässt einiges zu wünschen übrig. Dieser Tristan liebt und leidet nicht wirklich.

Für den erkrankten Hartmut Welker hat ab der hier besprochenen Aufführung John Wegner den Kurwenal übernommen. Mit seinem großen, kernigen Bariton versucht er – von der Regie nicht besonders nachhaltig bedacht – dem Kurwenal Profil zu verleihen, wobei er gelegentlich etwas undeutlich artikuliert.

Einen sehr individuellen Marke gestaltet Kwangchul Youn. Mit gewaltigem, drohendem, aber außergewöhnlich klarem Bass singt er einen verärgerten, ja wütenden König. Äußerlich bewahrt der Betrogene Haltung, aber innerlich möchte er alles zusammenschlagen. Das ist kein mitleidheischender armer alter Mann, sondern ein echter Kerl – absolut überzeugend und beeindruckend.

Eine guten, aber nicht allzu nachhaltigen Eindruck hinterlässt Ralf Lukas als Melot. Wunderschön singt Clemens Bieber das Lied des Seemanns. Martin Snell als Steuermann und Arnold Bezuyen als Luxusbesetzung des Hirten komplettieren das Ensemble.

Nach dem glücklosen Dirigat von Eiji Oue im Premierenjahr hat die Festspielleitung mit Peter Schneider auf einen bewährten und bayreutherfahrenen Dirigenten zurückgegriffen. Schneider lässt die Partitur blühen, wo sie blühen kann, er kennt die akustischen Möglichkeiten des Hauses und nutzt sie. Filigrane Klänge und heftige Ausbrüche sind gleichermaßen zu hören. Aber das Ganze klingt insgesamt eher zuverlässig als spektakulär. Die große Leidenschaft oder gar der Sinnenrausch wollen sich nicht einstellen. Es ist allerdings auch eine immense Herausforderung, gegen die hemmende Wirkung der Regie anzudirigieren.

In kongenialer Einigkeit setzen Stemme und Schneider mit dem Liebestod einen fulminanten Höhe- und Schlusspunkt. Schneider dreht noch einmal richtig auf und Stemme singt scheinbar mühelos darüber hinweg. Nur schade, dass sich die Szene eher lächerlich verabschiedet. Dabei beginnt das Ende für diese Inszenierung außergewöhnlich bewegend: Isolde hatte sich in Tristans Bett eingekuschelt und sich nicht weiter um die anderen geschert. Dann richtet sie sich auf und singt ihren Schwanengesang – um sich danach ins Bett zu legen und sich die Decke bis über den Kopf zu ziehen. Während ihrer Ekstase wenden sich alle Personen nacheinander ab und stellen sich mit dem Gesicht zur Wand – nur Brangäne stellt sich seitlich zum heruntergekommenen Gemäuer.

Das und vieles andere mag vielleicht tiefere Bedeutungen haben als die offensichtlich plakativen, aber diese erschließen sich nicht unmittelbar. Will die Regie mit den wenigen Worten zu viel oder zu wenig sagen? Wenn der Vorhang fällt, bleibt ein seltsam flaues Gefühl. Nur gut, dass es musikalisch einige feine Gewürze gibt.

FAZIT

Nina Stemmes Isolde ist das Ereignis dieser “Tristan”-Produktion. Das insgesamt hohe musikalische Niveau kann die szenischen Unzulänglichkeiten jedoch nicht auffangen. Die spröde Inszenierung in kargen und kalten Bildern erklärt sich auch im zweiten Jahr nur ansatzweise. Insgesamt kommt mehr Langeweile als Erhellung auf, und das ist – nicht nur, aber ganz besonders für Bayreuth – einfach zu wenig.

Bernd Stopka | Rezensierte Aufführung: 17. August 2006

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Premiere, HO
Technical Specifications
256 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 465 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Christoph Marthaler (2005)