Götterdämmerung

Antony Hermus
Chor und Extrachor des Anhaltischen Theaters
Anhaltische Philharmonie Dessau
Date/Location
20 May 2012
Anhaltisches Theater Dessau
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Siegfried Arnold Bezuyen
Brünnhilde Iordanka Derilova
Gunther Ulf Paulsen
Gutrune Angelina Ruzzafante
Alberich Nico Wouterse
Hagen Stephan Klemm
Waltraute Rita Kapfhammer
Woglinde Sonja Freitag
Wellgunde Anne Weinkauf
Floßhilde Rita Kapfhammer
1. Norn Rita Kapfhammer
2. Norn Anne Weinkauf
3. Norn Sonja Freitag
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Online Musik Magazin

Bewegte Farbenleere

Wenn sich selbst ambitionierte Bühnen wie in Frankfurt oder München mit ihren Ring-Projekten nicht wirklich an den großen Welterklärungsversuch oder Kommentar zur Gegenwart herantrauen und das eher ausgeflippten Provokateuren wie Barrie Kosky in Hannover oder einem routinierten Altmeister wie Hansgünther Heyme in Halle überlassen, dann hat natürlich auch Dessau die Freiheit, die Ring- einer Weltdiagnose vorzuziehen. Also keinen weiteren halbgaren Regietheater-Aufguss von Kapitalismus- oder Globalisierungskritik beizusteuern, sondern sich (so wie Achim Freyer gerade in Mannheim) einen ästhetischen Kunstkosmos zu basteln und den Rest an die Musik und (notgedrungen auch den Text) Richard Wagners zu delegieren. Hamlets Mutter Gertrud sitzt ja mit Sicherheit nicht im Publikum, um ihr „Mehr Inhalt, weniger Kunst“ der Bühne entgegen zu halten. Gründe hätte sie in Dessau einige.

Dort hat man jetzt den Ring mit der Götterdämmerung angefangen. Man inszeniert also nicht dem benachbarten Halle hinterher, sondern kommt der Konkurrenz vom anderen Ende entgegen. Und das auf Augenhöhe, was die musikalischen Qualitäten betrifft! Es ist nicht nur für die ausgemachten Wagnerianer beglückend, wenn man Wagners Stresstest-Monstrum für jedes Opernhaus auf so dichtem Raum von mittleren Häusern auf einem derartigen musikalischen Niveau geboten bekommt. Der herbei geraunte Kulturinfarkt jedenfalls sieht anders aus. Und die Behauptung, es gäbe in Deutschland bei der Hochkultur von allem zu viel und überall das gleiche, lässt sich kaum besser kontern.

Der Dessauer GMD Anthony Hermus demonstriert mit der Anhaltischen Philharmonie vom ersten Nornenraunen bis zu den paar hellen Nachklängen, die auf den gewaltigen (Götter-)Weltuntergang im Finale folgen, wieso das Dessauer Theater seinen einstigen Beinamen „Bayreuth des Nordens“ immer noch zu recht hervorholen kann, wenn es der Vermarktung dient. Was man erleben kann, ist ein großer Klang im großen Haus. Mit leisen Tönen, wo es sein muss und mit jener Faszination, die die Wucht des Trauermarsches oder das gewaltige Finale entfalten können, in dem Brünnhilde den Scheiterhaufen für Siegfried und sich selbst und die Götterburg gleich noch mit in Brand setzt.

Auch, dass es heute keine Wagnersänger für die großen Partien mehr gäbe, verweist Dessau ins Reich der Fabel. Man muss nur abseits des Kreises der Handvoll von überall herumgereichten Stars suchen. Dann findet man auch einen Siegfried wie Arnold Bezuyen, der seinen Wechsel vom Loge-Sänger zum Siegfried alles in allem mit Bravour meisterte. Oder einen standfest intrigierenden Hagen wie Stephan Klemm. Die restlichen Rollen kann man in Dessau aus dem Ensemble oder mit dem Haus eng verbundenen Sängern besetzten. Iordanka Derilova etwa ist mit Wagner in ihrem eigentlichen Element und liefert, ab dem zweiten Akt, eine erstklassige Brünnhilde mit Kraft und Deutlichkeit. Auch sonst ist dieser Ringauftakt rollendeckend besetzt: von Ulf Paulsen (Gunther) und Angelina Ruzzafante (Gutrune), über Nico Wouterse (Alberich) bis hin zu der aus dem Nornen- und Rheintöchtertrio, aus dem neben Anna Weinkauf und Sonja Freitag, besonders Rita Kapfhammer in ihrer dritten Rolle als Waltraude herausragt. Da auch der Chor, mit bewährten Partnern aufstockt, in Hochform ist, lässt sich aus Anhalt ein musikalischer Glücksfall vermelden.

Bei der Regie ist die Sache nicht so eindeutig. Doch André Bücker ist zumindest konsequent in seinem Versuch, eine Bauhaus-Ästhetik auf die Bühne zu projizieren.Was die Projektionen im wortwörtlichen Sinne betrifft, haben sich Frank Vetter und Michael Ott offenbar nach Herzenslust ausgetobt und manchmal den Sinn des Gesungenen illustrierend getroffen. Oft entschweben sie damit aber auch in ein virtuelles Nirwana, das im besten Falle als Bauhaus-Reminiszenz durchgeht, oft aber auch in eine unverbindliche Bildschirmschoner-Ästhetik abdriftet. Dass das so exzessiv gar nicht nötig ist, wird deutlich, wenn der mit Leuchtspeeren bewaffnete Chor von Hagens Mannen in blauen Röcken als Formation aus der Versenkung hochfährt und mal nichts zusätzlich auf der an sich triftigen weißen Verkleidung des Bühnenportals flackert. Regelrecht falsch wird es, wenn sich zu Siegfrieds Trauermarsch der Vorhang senkt, die Musik gerade ihre Wirkung zu entfalten beginnt und ein Flimmersturm sondergleichen ausbricht. Das könnte man vielleicht sogar noch einmal in Ruhe überdenken und etwas beruhigen. Misstrauen gegenüber der Musik und der sonstigen Bühne ist nämlich unangebracht.

Die Kostüme von Suse Tobisch (die nur etwas gegen Siegfried zu haben scheint) verweisen auf Oskar Schlemmer. Da die Figuren (ähnlich wie bei Robert Wilson) stilisierte Zeichen mit ritualisierten Bewegungen sind, bleibt deren Psychologie außen vor. Wie bei dem Amerikaner aber bricht sie dann doch immer mal durch. Etwa wenn zitternde Handbewegungen innere Unruhe verdeutlichen sollen. Oder wenn selbst der stets ulkig herum staksende Siegfried mit einem Minenspiel aufwarten darf.

Ein heimlicher Star dieser Götterdämmerung ist Jan Steigerts Bühne. Da ist einmal der riesige schwarze Walkürenfelsen-Würfel. Durch seine 14 Schichten kann er wunderbar aus der Quader in die stufige Felsenform gleiten und erinnert entfernt an eine Tony-Cragg-Plastik. Auch die drei Gibichungentürme mit ihren Fahrstühlen und der ebenfalls auf und abgleitenden Plattform spielt mit der funktionalen Ästhetik des Bauhauses wie die halbrunden Horizonte, auf die unentwegt projiziert wird. Technisch funktioniert das alles fabelhaft als eigener Kosmos und als ein Spiel der Figuren, des Raums und der Farben.

FAZIT

Diese Götterdämmerung ist szenisch ein Triumph der Form über den Inhalt. Sie ist aber in sich stimmig und geht auf hohem musikalischem Niveau über die Bühne. So ist doch eine Art von Gesamtkunstwerk herausgekommen, das vom Premierenpublikum mit einhelligem Jubel für alle Beteiligten gefeiert wurde. Bei Orchester begann die stehende Ovation – und das ganz zu Recht.

Roberto Becker | Premiere im Anhaltinischen Theater Dessau am 12. Mai 2012

nmz.de

Zwischen Bauhaus und Science Fiction: In Dessau startet Wagners „Ring“ mit der „Götterdämmerung“

Übers Land geht eine „Ring“-Welle. Viele Theater wagen sich wieder an Wagners Tetralogie – oft zum wiederholten, manche zum ersten Mal. In Sachsen-Anhalt hat es Halle (in Kooperation mit Ludwigshafen) noch nicht bis zum „Siegfried“ gebracht, da beginnt das Anhaltische Theater im benachbarten Dessau-Roßlau schon seinen eigenen „Ring des Nibelungen“ – mit der „Götterdämmerung“

Doubletten im Spielplan benachbarter Häuser sind dann ein Gewinn, wenn sich der ästhetische Ansatz unterscheidet. Schon insofern hat André Bücker, Regisseur und Intendant in Dessau, die Weichen richtig gestellt, wenn er entgegen üblicher Praxis den Zyklus von hinten aufrollt und damit der Entstehungsgeschichte von Wagners Handlungsgerüst und Libretto folgt. Und während im Regelfall die „Götterdämmerung“ nach Vollendung eines „Rings“ schnell vom Spielplan verschwindet, hat das Publikum in Dessau bis zur geplanten Abrundung der Tetralogie beim internationalen Richard-Wagner-Kongress im Mai 2015 endlich einmal die Chance, das Schlussstück häufiger zu erleben.

Eine zweite Überlegung zur Inszenierung lässt gleichfalls aufhorchen: „Das Werk kann in Dessau nicht ohne Erinnerung an die Klassische Moderne gelesen werden, die vor Ort vor allem während der Bauhaus-Jahre 1926-1932 Gestalt gewann.“ Erinnert wird in Programmheft und Vorankündigung ausdrücklich an die Bauhaus-Meister Walter Gropius, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy. Ausdrücklich wollen André Bücker und seine Mitarbeiter Jan Steigert (Bühne), Suse Tobisch (Kostüme), Frank Vetter und Michael Ott (Projektionen) an Wieland Wagners Bayreuther Wagner-Erneuerung anknüpfen. Sie beziehen aber zugleich auch Stellung in der Diskussion um Profil und Identität der von Spardiskussionen geschüttelten Doppelstadt an Mulde und Elbe. Zukunft lässt sich in Dessau-Roßlau nur gewinnen, wenn das Erbe der kurzen, aber fruchtbaren Bauhaus-Jahre nicht nur nach Außen dem Image der Stadt dient, sondern auch intern wieder kreative Energien freisetzt.

Dass Dessau seiner reichen Wagner-Tradition wegen lange Zeit als „Bayreuth des Nordens“ galt, die letzte komplette Neuinszenierung des gesamten „Ring“-Inszenierung aber schon 1953/54 herauskam und in veränderter Ausstattung letztmals 1963 gespielt wurde, ist ein weiteres Argument für das ambitionierte Projekt. Und man ist neugierig, welche Botschaft für die Gegenwart das Anhaltische Theater in der „Götterdämmerung“ entdeckt. Immerhin steht die laufende Spielzeit unter dem beziehungsreichen Motto „Glühende Landschaften“.

Tatsächlich sind Stilwille und Originalität der Inszenierung nicht abzusprechen. Abstrakte Farb- und Lichtwirkungen überziehen in ungewöhnlicher Intensität Vorder-, Seiten- und Hinterbühne. Oft sind es geometrische Figuren in Rot, Gelb oder Blau, in Weiß und in Schwarz, die sich in verschiedene Richtungen bewegen, der Verdichtung oder Verdunkelung unterliegen. Wie auffällige Fremdkörper erscheinen in dieser Umgebung eine goldene Scheibe und ein goldener Ring. Zwischenzeitlich erscheinen im Hintergrund germanische Runen, im 2. Akt auch grotesk wirkende, archaische Figurinen. Manchmal mutet die Bebilderung überladen oder beliebig an, doch allemal bleibt die Bühne als eine zweite Schicht über der Musik in Bewegung, während die eigentliche Inszenierung durch Sparsamkeit und Statuarik geprägt ist. Obwohl in der Regel gut verständlich, ist der Text über die Bühne projiziert, und so entsteht oft eine Art dezent bebildertes Lesetheater, in dem der Zuschauer bewusst den Beziehungen zwischen Musik, Handlung und Bebilderung nachspüren kann.

So bleibt viel Raum für die Wirkung der Musik und die stimmliche, artikulatorische und darstellerische Präsenz der Sänger. Am Ende wird das Premierenpublikum während von den Ensemblemitgliedern besonders Iordanka Derilova als großartige Brünnhilde, Rita Kapfhammer als anrührende Waltraute (und zusätzlich Floßhilde und 1. Norne) und Ulf Paulsen als eindrucksvollen Gunther feiern. Unter den Gästen stach der gebürtige Roßlauer Stephan Klemm in der Schlüsselrolle des ebenso wachen wie finsteren Drahtziehers Hagen hervor. Der von Helmut Sonne einstudierte Opernchor (unterstützt durch den Extrachor und den freien Opernchor „choruso“) fesselte durch Timbre, Artikulation, Nuancierung und szenische Beweglichkeit. Die Anhaltische Philharmonie unter GMD Anthony Hermus überzeugte im 1. Akt noch nicht in jeder Phrasierung und nicht an jeder exponierten Solostelle, aber diese kleineren Unsicherheiten legten sich immer mehr zugunsten eines wirklich imponierenden, farbigen, souverän atmenden Duktus, der die Musik als organischen Bestandteil eines zunehmend fesselnden Gesamtkunstwerks erscheinen ließ.

Dabei hat die Regie den Akteuren eine durchaus gewöhnungsbedürftige, da mehr oder weniger stark ritualisierte Körpersprache auferlegt. Sie ist wesentlich geprägt von Bewegungen der Arme und Hände geprägt und erinnert stark an das barocke Gestenrepertoire, wie es 2009 in Karlsruhe die belgische Regisseurin Sigrid T’Hooft an Händels „Radamisto“ vorgeführt hat. Die Figuren der Handlung wirken auf diese Weise gefangen in Rollen oder Konventionen, allerdings in unterschiedlicher Intensität. Brünnhilde und Hagen agieren relativ natürlich und strahlen selbstbewusste Autorität aus. Ganz anders – und zunächst gewöhnungsbedürftig – Siegfried: Weiß geschminkt und gekleidet, mit roten Lippen und rotem Haarkranz, wobei ihn das in einem Köcher auf dem Rücken (!) getragene Schwert überragt, ist er alles andere als ein blonder germanischer Held, sondern wirkt wie eine Mischung aus Clown, Teletubbie und Roboter. Die Beine stecken in hohen Stiefelschäften, die ihn zum Stechschritt zwingen, und mit weit ausholenden Armen stakst er unternehmungslustig über die Bühne. Am Ende bleibt sogar die Leiche in den Stiefeln stehen. Wie Arnold Bezuyen daraus eine tragikomische Figur macht, die in ihrer verzweifelten Ernsthaftigkeit schon wieder Würde ausstrahlt, ist eine Leistung für sich. Dass er dabei sängerisch in der Höhe bisweilen etwas angestrengt wirkt, ist dabei durchaus noch im Einklang mit der Rolle.

Sehr geschickt nutzt die Inszenierung die ungewöhnlich tiefe und breite Bühne. Hinten erscheint als Walkürenfelsen ein zunächst monolithischer schwarzer Block, der sich zur Treppe auffächern und zudem in den Vordergrund schieben lässt. Vorne fährt aus dem Boden eine Gestängekonstruktion mit drei Aufzügen, die vor allem als Gibichungenhalle dient. Wenn sie seitlich von Vorhängen umfasst ist, erinnert sie – als Anspielung auf die industrielle Tradition des Standortes Dessau – an ein Gasometer. Viele Auf- und Abgänge finden über eine Plattform im Bühnenboden statt – auch dies ein Ausdruck der Abstraktion. Der armreifgroße Ring und die Speere, Schwere und Schilfrohre symbolisierenden Leuchtstäbe der Darsteller bleiben die einzigen sichtbaren Requisiten. Es gibt weder Horn noch Holz, nicht Boot noch Strom, nicht Vogel noch Ross. Die szenischen Verwandlungen aber gelingen perfekt und ziehen viel Aufmerksamkeit auf sich – um den Preis aber auch, dass „Siegfrieds Rheinfahrt“ zur Hintergrundmusik des Umbaus schrumpft.

In der irritierten Zuschauer-Bemerkung, die Theaterleute hätten wohl „zuviel Science Fiction gesehen“, spiegeln sich Stärke und Schwächen des Regiekonzepts. Unzweifelhaft ist dieser „Ring“ nicht von Gestern: Er rührt nicht in der germanischen Mythensuppe. Er ist aber auch nicht wirklich von Heute, wirkt bei allem Verzicht auf verkrampfte Aktualität und trotz aller Bauhaus-Farben und -Formen seltsam zeit- und ortlos, vielleicht wirklich futuristisch. Am Ende sieht man Siegfried vor dem kohlrabenschwarzen Kubus im Hintergrund in einem Stuhl – wie aufgebahrt zur Leichenverbrennung. Dass der Tote den Arm mit dem Ring noch einmal drohend erhebt, überrascht zwar, entspricht aber Wagners Regieanweisung. Brünnhilde gibt den Ring zurück und steigt auf den angedeuteten Scheiterhaufen. Hagen verschwindet mit den Rheintöchtern in der Versenkung, und Gutrune (Angelina Ruzzafante), die an Gunthers Leiche trauert, wird im Gestänge eingeschlossen. Siegfried aber steigt aus seinem Sitz, kommt nach vorne – und entpuppt sich als ein durchaus lebendiges Kind.

Bühnentechnisch ist dieser Schluss ein raffiniertes Spiel mit der Perspektive. Inhaltlich ist er eine Wendung, die schon Ferrucio Busoni in seinem antiwagnerischen Gesamtkunstwerk „Doktor Faust“ (UA 1925) vorweggenommen hat. Auch hier inkarniert sich als Ausdruck der Hoffnung der tote Held in der jungen Generation wieder neu. Bischof Wolfgang Huber, ehemals Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, hatte es anderntags bei seiner Theaterpredigt in der Johanniskirche nicht schwer, die inhaltliche Brücke zur biblischen Offenbarung des Johannes zu schließen – mit der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Trotzdem erinnert das Ende dieser Dessauer „Götterdämmerung“ auch an die etwas zwanghafte Beschwörungsformel in Bertolt Brechts „Gutem Menschen von Sezuan“. Dort soll sich das Publikum selbst den Schluss ausdenken: „Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“ Aber in der Tat: In den glühenden, aber nicht blühenden Landschaften nordöstlich von Sachsen liegt genau hier die Herausforderung. Mit brennenden Landschaften, Untergangsvisionen und Todesrausch ist hier niemandem gedient.

Andreas Hauff | 18.05.2012

onlinemerker.com

Mutiger Neu-Anfang: „Götterdämmerung“ als Auftakt zu einem „Ring“ in Dessau

Fast auf den Tag genau 49 Jahre ist es her, dass (am 26.05.1963) in Dessau die letzte „Götterdämmerung“ verklang: das „Bayreuth des Nordens“, in der Mitte der fünfziger Jahre durch seine intensive Wagner-Pflege und die dazu veranstalteten jährlichen „Richard-Wagner-Festwochen“ ein wahres Mekka für alle Wagner-Freunde in Mittel- und Ost- Deutschland, wurde nach dem Bau der Berliner Mauer als Wagner-Theater ausgebremst; nur mit Mühe gelang es dem damaligen Team unter Intendant Willy Bodenstein, im Wagner-Jahr 1963 noch einmal eine Wiederaufnahme des „Ringes“ durchzusetzen, der im Jahre 1958 Premiere gehabt hatte. Bodenstein hatte in den Jahren von 1950 bis 1954 den gesamten Wagner vom „Holländer“ bis zum „Ring“ in damals üblicher konventioneller Interpretation und als deutliches Zeichen gegen das Neue Bayreuth in Szene gesetzt und war damit beim Publikum, aber auch bei der Kulturpolitik der DDR erfolgreich gewesen; in nur zwei Jahren, von 1956 bis 1958, erneuerte er das gesamte Wagner-Repertoire mit Inszenierungen, die – vorwiegend durch den Ausstatter Wolf Hochheim geprägt – Neubayreuther Erkenntnisse aufgriffen, erweiterte den Werk-Kanon um „Rienzi“ und „Parsifal“ und machte Dessau zu einer Art „Super-Bayreuth“, ohne der damals viel kritisierten Quantität eine neue Qualität geben zu können. Im Gegenteil: in ihrer ästhetischen Abhängigkeit von Neubayreuth boten die Inszenierungen keinen Gegenpol mehr, sondern wurden austauschbar und unverbindlich. Es war für die Kulturpolitik der DDR nicht schwierig, dieser Übergewichtigkeit Wagnerscher Werke im Dessauer Spielplan ein Ende zu bereiten. Dessau spielte als Wagner-Theater nach 1961 keine Rolle mehr. Einzelne Inszenierungen in großen zeitlichen Abständen beschränkten sich zudem auf „Tannhäuser“ (1971), „Holländer“ (1973, 1988), „Meistersinger“ (1983) und „Rheingold“ (1985). Auch nach der „Wende“ war an eine Neuauflage der „Wagner-Tradition“ zunächst nicht zu denken: ein sehr statischer „Rienzi“ (1992) und der durchaus als verunglückt zu bezeichnende „Lohengrin“ (1995) bestärkten in ihren Ergebnissen eher die Gegner Wagners; Intendant Johannes Felsenstein versuchte mit dem „Holländer“ (1998), zwei konzertanten „Parsifal“-Aufführungen (2004), sowie mit „Tristan“ (2006) und „Parsifal“ (2008) eine neuerliche Annäherung an das Thema Wagner.

Im Jahre 2009 übernahm André Bücker als Generalintendant die Leitung des Hauses und setzte mit seinem neuen GMD Antony Hermus erneut auf das Thema Wagner: der „Lohengrin“ im gleichen Jahre war ein deutliches Zeichen für einen Neubeginn – auch in der Spielweise; nun soll bis 2015 der gesamte „Ring“ folgen, der vergangenen Sonntag mit der „Götterdämmerung“ begonnen wurde. Ein mutiges Vorhaben und nicht unumstritten – ist doch im 50 km entfernten Halle ebenfalls ein „Ring“ im Entstehen. Nach langer Abstinenz ist Wagner in Sachsen-Anhalt nunmehr im Doppelpack auf dem Wege und die alten Rivalitäten zwischen zwei Städten, die beide nicht Landeshauptstadt sind, brechen erneut auf. Müßig und unnütz ist die Diskussion allemal, denn auch in Berlin schert sich ja keiner drum, dass man auf der Bismarckstraße rechts und links zwei verschiedene „Ringe“ sehen kann…

„Ein ‚Ring’ für und in Dessau ist heute nicht vorstellbar, ohne die Aufführungsgeschichte im ‚Bayreuth des Nordens’ zu reflektieren. Der ‚Ring der Bauhausstadt’ sucht die Nähe zur klassischen Moderne – der Ästhetik, die in ‚Neu-Bayreuth’ nach dem 2. Weltkrieg ein Ansatzpunkt für die Befreiung von der ideologischen Umklammerung des Werkes von Richard Wagner durch den Nationalsozialismus war.“ So steht es als programmatische Erklärung im Spielzeitheft der 217. Dessauer Theater-Spielzeit 2011/12. Und – um es gleich vorweg zu sagen: André Bücker ist eine Inszenierung zu danken, die sich auf den Mythos beruft, die frei ist von politischen Behauptungen und szenischem Über-Aktionismus. In der Abstraktion ihrer Schauplätze wie der Personenbeziehungen, im „Weglassen“ alles dessen, was an Naturalismus erinnern könnte, ist sie wohltuend übersichtlich, schaut überwiegend gut aus – tut sich allerdings schwer mit dem Vermitteln der „Geschichte“, die eben nicht nur das Orchester erzählt, sondern die Wagner auch sinnbildlich auf der Bühne zeigen wollte. Speziell die in der „Götterdämmerung“ komplizierte Frage, wie das nun mit Siegfrieds „Gedächtnis“ beschaffen ist, bleibt dabei weitgehend auf der Strecke: man mischt keine Tränke und Gegentränke, man deutet mit sparsamsten Handbewegungen an, dass nun etwas „vergessen“ – oder später wieder „in Erinnerung gebracht“ wird; die „Wagner-Gemeinde“ reimt sich das schon richtig zusammen, was der unvorbelastete (und weitgehend unvorbereitete) Normalverbraucher davon versteht oder verstehen kann, steht auf einem anderen Blatt. Dafür sorgt die Lichtregie für Kurzweil, so sehr, dass man sich in Teilen, die gemeinhin als „langatmig“ gelten, belästigt fühlt. Die zwei langen Stunden des ersten Aktes werden doch nicht kurzweiliger, weil immer irgendwo eine Lichtprojektion für Bewegung sorgt, sie könnten allein durch Spannung und Intensität in den Personenbeziehungen „verkürzt“ werden – das allerdings versagt sich die Inszenierung. „Nicht psychologische Deutung dieser Kosmogonie von Göttern und Menschen oder politisierende Aktualisierung, sondern Untersuchung des Inneren von außen her, von seiner Erscheinungsform hin zu seinem Kern, die innere Wahrheit des Menschen als Geometrie, als äußere Wahrheit erfahrbar zu machen, ist ein Anliegen dieses Interpretationsansatzes“ meint der Regisseur im Programmheft – das klingt plausibel, allerdings wäre angesichts des Ergebnisses mit Joachim Herz zu fragen: „Wie macht man das?“ Diese Frage wurde weitgehend nicht beantwortet, vielmehr wäre zu bemerken, dass die hier gefundene äußere Form neue Rätsel aufgibt.

Dabei hat Jan Steigert durchaus beeindruckende Bilder geschaffen, die die Regie im Großen und Ganzen auch überzeugend bedient, die aber in der Fülle des Details doch einige Fragen offen lassen. Und dann gibt es natürlich wieder „Beiwerk“, das man als überflüssig empfinden muss, möglicherweise deshalb, weil die Umsetzung wenig überzeugen kann: der durchgängige Siegfried-Stechschritt zum Beispiel oder auch die parkinsonsche Etüde mit der rechten Hand Gunthers (und im 2. Akt des gesamten Chores) – man spürt die Absicht, begreift aber nicht, was damit gemeint sein könnte. (Kein Zuschauer ist verpflichtet, das Programmheft zu lesen – obwohl selbiges gerade in dieser Frage recht aufschlussreich argumentiert und man nach dessen Lektüre zumindest wissen kann, wie es gemeint gewesen sein könnte…) Dabei hat Suse Tobisch sehr ansprechende und wirkungsvolle Kostüme entworfen, die dem Ganzen Kontur verleihen und dem grundsätzlich interessanten Ansatz entsprechen. Es wäre zu wünschen, dass in den folgenden Teilen deutlicher zum Ausdruck gebracht werden kann, was die einzelnen Personen beabsichtigen und vor allem, wie sie zueinander zwingender in Beziehung gesetzt werden können.

Die Anhaltische Philharmonie bewältigt den Abend achtbar; nach durchaus beachtlichem Beginn lässt die Kondition allerdings im Laufe des Abends nach; Antony Hermus hat das Ganze sicher im Griff, wählt durchweg flüssige Tempi und stößt bei einzelnen orchestralen Höhepunkten leider an Grenzen – besonders auch des Klanges. Weshalb man die „Bearbeitung von Gotthold Ephraim Lessing“ gewählt hat, bleibt in dem großen Haus ein Rätsel, ist aber möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass das Orchester in seiner Be-setzungsstärke – die ein Auswechseln einzelner Musiker im Laufe des Abends von vornherein verbietet – hier an objektive Grenzen stößt. (In der Rückerinnerung an die fünfziger Jahre mit ihrer intensiven Wagner-Pflege in Dessau muss ehrlicherweise angemerkt werden, dass dies auch damals bereits ein Problem war.)

Auf der Bühne gibt es dagegen kaum Ausfälle: der Opernchor wird durch Extrachor und den „coruso“-Opernchor verstärkt, da stehen dann nicht nur an die siebzig Menschen auf der Bühne, sondern sie singen auch mit beeindruckender Klangfülle und präziser Musikalität. Dem Chordirektor Helmut Sonne gebührt uneingeschränkte Bewunderung. Von den Solisten überzeugt zuerst Stephan Klemm, der nicht nur die stimmlichen Voraussetzungen für einen wirklich „schwarzen“ Hagen mitbringt, sondern auch mit Musikalität und vorbildlicher Artikulation fesselt. Das ist ein erster Aktivposten für diesen neuen „Ring“. Nächst ihm wäre die hauseigene Brünnhilde zu nennen, die Iordanka Derilova mit wahren Leuchtraketen der Spitzentöne ausstattet, deren Ausdauer durchaus beeindruckt; um eine wirklich große Brünn-hilde zu werden, müsste sie an ihrer oft flachen Mittellage und der zum Teil gutturalen Tiefe arbeiten. Für den „Siegfried“-Teil empfiehlt sie sich schon heute, die „Walküre“ wäre noch ein arbeitsreiches Feld. Angelina Ruzzafante als Gutrune und Ulf Paulsen als Gunther erfüllten ihre Aufgaben mit substanzreichen Stimmen, die technisch ordentlich geführt wurden. Rita Kapfhammer, die Aktivistin des Abends im Mezzofach – 1.Norn, Waltraute und Floßhilde waren ihr in Personalunion anvertraut – hatte besonders in der Waltrauten-Szene des ersten Aktes Defizite in der Artikulation. Anne Weinkauf beeindruckte durch klare Diktion als 2. Norn und Wellgunde. Zuverlässig im Musikalischen, aber zu leichtgewichtig (vor allem in der Nornenszene) im Stimmlichen rettete Sonja Freitag als Woglinde und 3. Norn den Abend, indem sie für die erkrankte Cornelia Marschall einsprang. Nico Wouterse blieb als Alberich Randfigur.

Siegfried war mit Arnold Bezuyen besetzt. Seit Jahren ist er als Loge berühmt von Bayreuth bis New York; ob er diese Ziele als Siegfried wird durchlaufen können, möchte ich eher mit Skepsis beurteilen; natürlich hat er das alles richtig und mit hellem Timbre gesungen – aber an Tiefe des Durchdringens fehlt es vorerst noch.

Genug der Einwände: für Dessau war es nicht nur ein großer Abend, sondern – was die Reaktionen des Publikums betrifft – ein rasender Erfolg. Und es war durchaus ein ernst zu nehmender Beginn, man sollte die völlig überflüssige Rivalität zum benachbarten Halle vergessen und sich vielmehr daran orientieren, was in Dessau bereits alles mit Wagner geleistet wurde. Daran anzuknüpfen ist das Verdienst von André Bücker und Antony Hermus; es sind nicht alle Blütenträume auf Anhieb gereift, aber ein gelungener Neustart war es allemal. Hoffen wir, dass nicht nur dieser „Ring“, sondern das Thema Wagner in Dessau in eine glückliche Zukunft geführt werden kann. Potential ist vorhanden – oder: um frei mit Wagner zu sprechen: „Sie haben gesehen, was wir können, nun liegt es an Ihnen, zu wollen – dann haben wir eine Kunst.“ Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ist der Schirmherr dieser Aufführung – möge es ihm gelingen, dem Anhaltischen Theater Dessau die Möglichkeiten zu schaffen, die es braucht, um seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen zu können.

Werner P. Seiferth | 13.05.2012

operapoint.com

Aufführung

Der Ring in der Bauhausstadt Dessau, die Götterdämmerung im Bauhaus-Stil, wie ein Architektur-Designstil Bühnenbild und Personenführung beeinflussen kann, zeigt uns André Bücker, der Intendant des Theater Dessau: Die vielfarbigen Designer-Kostüme lassen Assoziationen in alle Richtungen zu. Ebenso ist jeder Figur eine eigene Geste zugeordnet. So zeichnet sich der ganz in weiß gekleidete Siegfried mit rotem Haarschopf und Stechschritt aus. Das Bühnenbild wirkt einfach: Die Spielfläche ist in zwei Ebenen aufgeteilt, die versenkt und gehoben werden können. Die hintere Ebene kann den Brünnhildenfelsen aufnehmen, der aus verschiebbaren Quadern besteht. Die vordere Ebene kann ein Stahlgestell (Niebelheim) aufnehmen, in das eine obere Plattform und drei Aufzüge integriert sind. Um diese Spielfläche hängen zwei gekrümmte Vorhänge, die kreisförmig verfahren werden können. Über dieses Bühnenbild werden Projektionen geworfen, die mit vielen Formen und Farben spielen.

Sänger und Orchester

Dominiert wird das ausgezeichnete Sängerensemble vom Rollendebüt Arnold Bezuyens als Siegfried. Er ist von der lyrischen Rolle des Loge aus dem Rheingold nun ins Heldentenor-Fach vorgestoßen. Nach dem Abend kann man feststellen, daß das Potential für diese Weiterentwicklung zweifellos vorhanden ist. Er versucht zunächst alle Töne – besonders die Heil-Brünnhild-Rufe – mit viel Klangvolumen auszusingen. Jedoch geht ihm spätestens zu Beginn des dritten Aktes die Luft aus, hohe Töne werden nur noch angesungen und am Ende wirkt die Waldvogel-Erzählung wie eine alternative tiefere Notierung. Iordanka Derilova als Brünnhilde ist ein hochdramatischer Sopran, der mit viel Durchschlagskraft der Brünnhilde gerecht wird, wenn ihr auch die warmen einfühlsamen Töne (noch) fehlen. Ulf Paulsen kann mit seinen stimmlichen Mitteln aus dem Vollen schöpfen – bei ihm ist Gunther ein zurückhaltender Mensch. Angelina Ruzzafante wertet mit ihren glockenklaren Tonkaskaden die Gutrune von der jugendlichen Naiven zum Vollweib auf, wird damit zur Gegenspielerin der Brünnhilde. Genau das gleiche gelingt Rita Kampfhammer als Waltraute: Ein schier unerschöpfliches Stimmvolumen und Ton-Umfang ermöglicht ihr mit einem mystisch-rauchigen Ausdruck die Verzweiflung der Waltraute greifbar zu machen. Stephan Klemm verleiht dem Hagen mit seiner soliden Baß-Stimme entsprechendes Auftreten, wenn auch ein wenig Bösartigkeit fehlt. Der Chor besticht durch transparentes Klangbild und exaktes Zusammenspiel, besonders, da er mit einem Extrachor verstärkt wurde. Antony Hermus führt die Anhaltische Philharmonie ohne Probleme durch die Untiefen der Götterdämmerung. Die symphonischen Zwischenstücke wie Siegfrieds Rheinfahrt werden monumental breit mit viel Leidenschaft gespielt. Manchmal wirkt das gefühlte Tempo sehr breit, aber das Finale wird zu einem Kumulationspunkt der Hoffnung.

Fazit

Minutenlange Ovationen, ein tobendes Publikum – das ist der Lohn für eine sehr aufwendige, den Zuschauer in der Farben-Formen-Bilderflut fast ertränkende Inszenierung. Die körperstarre gestendominierte Personenführung erinnert an Regisseur Robert Wilson, wodurch im ersten Akt Längen entstehen, denn die teilweise unverständlichen Gesten verundeutlichen manches Mal die Handlung). Auch stören die permanent grellen Projektionen unkonkreter Formen quer über das gesamte Bild. Dennoch überzeugt die Produktion durch eindrucksvolle Bühnenbilder. Musikalisch bestätigt dieser Ring das Anhaltische Theater Dessau als derzeit führendes Haus im Großraum Berlin – und als Wahrer einer Wagner-Tradition in Dessau.

Oliver Hohlbach | 13. Mai 2012

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User Rating
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Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 584 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by André Bücker (2012)