Die Meistersinger von Nürnberg
Christian Thielemann | ||||||
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Hans Sachs | Wolfgang Koch |
Veit Pogner | Ain Anger |
Kunz Vogelgesang | Alexander Kaimbacher |
Konrad Nachtigall | Marcus Pelz |
Sixtus Beckmesser | Adrian Eröd |
Fritz Kothner | Wolfgang Bankl |
Balthasar Zorn | Cosmin Ifrim |
Ulrich Eißlinger | Michael Roider |
Augustin Moser | Karl-Michael Ebner |
Hermann Ortel | Clemens Unterreiner |
Hans Schwartz | Alfred Šramek |
Hans Foltz | Janusz Monarcha |
Walther von Stolzing | Johan Botha |
David | Michael Schade |
Eva | Ricarda Merbeth |
Magdalene | Michaela Selinger |
Ein Nachtwächter | In-Sung Sim |
Ein Fest, nehmt alles nur in allem
Staatsoper. Grandios trotz Umbesetzungen: Christian Thielemann dirigierte erstmals die „Meistersinger“ in Wien.
Genau genommen war ihm das nur möglich, weil die Wiener Inszenierung der „Meistersinger“ schon bei ihrer Premiere, anno 1975, keine Diskussionen aufkommen ließ. Otto Schenk ließ von Jürgen Rose ein Bühnenbild wie aus dem Märchenbuch bauen, das heute tatsächlich aussieht wie die Illustrationen in einem alten Kinder-Pappband mit herausklappbaren Seiten – und das doch einen Rahmen bietet, in dem auch ein Einspringer sich zurechtfindet und seine Rolle ungehindert ausspielen kann.
Norbert Ernst gelang das phänomenal. Er gibt den Lehrbuben quicklebendig und mit charmantem Teenager-Elan. Vor allem aber singt er die Partie exzellent, hat für die einzelnen „Töne und Weisen“, die er dem verdutzten Ritter im ersten Akt vorexerzieren muss, immer neue, erstaunliche Stimmfarben bereit. Der Magdalene, ihm zur Seite, schenkt Michaela Selinger alle Phrasen, die Wagner ihr zudenkt, fein gedrechselt. Dass die zarte, hübsche Erscheinung des öfteren als „die Alte“ tituliert wird, ist der einzige Punkt, der in diesem Fall an eine Fehlbesetzung denken lässt.
Exquisit: Adrian Eröd als Beckmesser
Selinger war eine jener vielen Debütantinnen, die am Samstag planmäßig auf der Bühne stehen sollten. Ein Wagnis schien auch die Besetzung des Sixtus Beckmesser mit Adrian Eröd. Noch ein Wiener Sänger, der an diesem Abend einen triumphalen Einstand feiern durfte. Eröd hat sich für die ungeliebte Kritiker-Karikatur ein exquisites Konzept zurechtgelegt, das er bis in subtile Nuancen von Gebärde und Gesang realisiert, als hätten ein Regisseur und ein musikalischer Leiter monatelang mit ihm an der künstlerischen Gestaltung gearbeitet.
Dieser Beckmesser steht in seiner paranoiden Mischung aus Korrektheitswahn und Profilierungssucht auf Augenhöhe mit der dominierenden Figur des Hans Sachs, den Falk Struckmann – auch er erstmals im Haus am Ring – souverän und hintergründig-komödiantisch zum Bühnenleben erweckt.
Der Dialog zwischen diesen beiden Protagonisten in der Schusterstube wurde zu einem der Höhepunkte der umjubelten Aufführung. Da saß jede Pointe, jeder Blick, jede Geste. Ein Muster an Wortdeutlichkeit, war es Struckmann schon zuvor gelungen, die Schlüsselstellen, insbesondere den „Wahnmonolog“, zu kunstvoll differenzierten Musiktheater-Ereignissen zu formen. Derselbe Künstler, der in manchen Momenten ausgelassen, zu allem Schabernack des witzigen, durchaus auch ein wenig bösartigen Zeitgenossen aufgelegt scheint, offenbart dann grübelnd die Vielschichtigkeit seines Seelenlebens.
Das Spannungsverhältnis, das dieser Sachs zur koketten, doch liebenswerten Eva Ricarda Merbeths aufbaut, ist denn auch von jener Intensität, die erkennen lässt, welche Dimensionen analytischer Kunst Richard Wagner in dieser Menschheits-Komödie erschließt. Wenn der weich-samtene Sopran Merbeths lupenrein das Ges-Dur-Quintett anführt, dann löst sich ein Handlungsknoten, der zuvor über fünf Stunden unausweichlich geknüpft wurde – auch und vor allem, weil im Orchestergraben mit Christian Thielemann ein Gestalter von allerhöchstem Format waltete.
Feinster Klangsinn ab dem Mittelakt
Mag sein, man mochte diesmal im ersten Akt noch manche Differenz entdecken zwischen dem, was der Dirigent anzubahnen versuchte, und dem, was das klanglich zunächst etwas aufgeraut wirkende Orchester realisierte. Ab dem Mittelakt schien man sich in allen Punkten einig – und über die zwei Stunden des dritten Aufzugs herrschte ein sinnlich-schöner, feinst abgestufter Klangsinn, in allen Stimmen bis in die kleinsten Einwürfe Harmonie mit den Seelenvorgängen der Darsteller, ein über alle Szenen gewölbter architektonischer Plan, der diese Wiederaufnahme zu jenem Ereignis machte, das sich das Publikum von der Papierform her wohl von Anbeginn erwartet hatte – allen Umbesetzungen zum Trotz; oder gerade mit ihnen, denn auch Peter Seiffert, der strahlend begann, hielt sich den kräfteraubenden Anforderungen seiner Partie gegenüber bis zum letzten Ton wacker. Und mancher Sänger des Ensembles nutzte seine Chance, einen Charakter zu zeichnen, von Alexander Kaimbachers Kunz Vogelgesang, der das in Sekunden schaffen muss, bis zu Ain Angers solidem Pogner und Wolfgang Kochs luxuriösem Kothner.
Damit nicht genug, bleibt das Wiener „Meistersinger“-Leben in den kommenden Tagen spannend: Wer wird die nächsten Aufführungen singen – und wird die geplante Aufzeichnung für eine DVD-Produktion stattfinden können?
WILHELM SINKOVICZ | 13.01.2008
Achtung, deutsche Meister!
Sie zählt zu den dienstältesten Produktionen der Wiener Staatsoper: Richard Wagners “Die Meistersinger von Nürnberg” aus dem Jahre 1975. Den Hinweis “Nach einer Inszenierung von Otto Schenk” müsste sich letzterer im Grunde verbitten. Es grenzt an Rufschädigung, wie wenig die Aufführung inzwischen mit Schenks Intentionen von einst gemein hat. Nichts blieb außer Jürgen Roses mittlerweile abgespielter Ausstattung. Indes war das Publikum ja nicht gekommen, um zu sehen, sondern um zu hören. Christian Thielemann sollte erstmals in Wien das Riesenwerk dirigieren, Johan Botha den Walther von Stolzing singen, Michael Schade den Lehrbuben David, Ricarda Merbeth die Eva und Falk Struckmann den Hans Sachs. Also ein programmierter Ohrenschmaus. In der Praxis freilich einer mit Hindernissen: Botha und Schade sagten nach der Generalprobe krankheitshalber ab. Und Frau Merbeth ist leider auch bei bester Gesundheit keine Idealbesetzung – eine tremolierende Heroine wirkt als Evchen doch etwas seltsam. Heroisch, aber im guten Sinne: Peter Seiffert, der für Botha einsprang, obwohl er sich eigentlich schon 2006 in München von der Rolle verabschiedet hatte. Der Saal wusste es ihm zu danken.
Das Fest der Sinne findet vor allem im Graben statt. Thielemann, der buchstäbliche Klangregisseur, ist heute ein konkurrenzloser Wagner-Zauberer. Das Staatsopernorchester klingt wie sonst einzig und allein in Sternstunden unter der nobleren Bezeichnung “Wiener Philharmoniker”. Streicher und Blechbläser in Höchstform, mit betörenden Lyrismen im Piano und von federnder, immer noch schlanker Wucht im Fortissimo. Der stürmische Jubel zur Begrüßung Thielemanns erreicht sechs Stunden danach Orkanstärke.
Die Bühne dominierten Struckmanns Hans Sachs und Adrian Eröd als Sixtus Beckmesser. Ein denkwürdiges Debüt, wunderbar gesungen und – ganz gegen das Klischee der Figur – verkörpert. Von Struckmanns Sachs, von seiner kraftvollen und zugleich allerfeinsten Charakterisierungskunst, lässt sich nur schwärmen. In beider Zusammenspiel entstand plötzlich, was man die meiste Zeit vermisste: Musiktheater. Dass Struckmann am Schluss der mörderischen Partie, beim berühmt-berüchtigten “Verachtet mir die Meister nicht”, zweimal die Stimme versagte, hatte da bloß den Rang einer Zusatzpointe nach glänzender Leistung. Denn so wurde das schwüle Gedünst von “welschem Tand” und “heil’ger deutscher Kunst” effektvoller durchbrochen, als es jeder Regieeinfall vermocht hätte.
Ulrich Weinzierl | 14.01.08
„Die Wiederentdeckung der Langsamkeit“
Wenig sängerfreundlich war das Hochnebelwetter der letzten Tage. Zwei krankheitsbedingte, kurzfristige Absagen mischten die Besetzungsliste auf. Doch geprägt hat den Abend vor allem eine Person: Dirigent Christian Thielemann mit eigenwilliger Virtuosität.
Thielemann bot dem Wiener Publikum eine Deutung der „Meistersinger“, die einen (inklusive der beiden Pausen & Schlussapplaus) sechs Stunden lang in Atem hielt. Es war eine Deutung fern ab ausgefahrener und „erprobter“ Wege, die das Risiko nicht scheute und die viele Details ans Licht hob, um sie neu zu entdecken und neu in ihrem dramatischen Kontext zu befragen.
Es begann mit einem hinreißend musizierten Vorspiel, das im Übergang zur Schlusssteigerung durch eine momenthafte Verzögerung atemlose Spannung erzeugte – eine Verzögerung, die die Grundthematik des Abends anschlug: die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Dabei überließ er das Orchester nicht sich selbst, damit es sich als gemächlicher Strom die Partiturseiten entlangwälze, sondern er formte dieses „Zeitlassen“ als innere Qualität, als Momente einer Weltschau und Selbstreflexion, die um das chronikhafte der Einzelereignisse wissend (und fühlt man sich hier nicht an Sachsens „Wahnmonolog“ erinnert?) um eine Gesamtschau ringt.
Thielemann verbreitete mit seiner Interpretation keine tröstende Metaphysik (auch wenn er beispielsweise im Vorspiel zum dritten Aufzug die Streicher zu berauschenden, goldgesättigten Klangschichten ordnete, als einem kostbaren Ton-Gewebe philharmonischer Meisterschaft), sondern er betonte die Brüche durch Vorhalten überlanger Generalpausen, durch manchmal gewalttätig aufgischtende Orchesterwogen (wie Sachsens Verzweilfung im III. Aufzug) oder durch plötzlichen Tempowechsel. Es fanden sich aber genauso jeglichen Zeitgefühls enthobene Oasen, in denen impressionistisch anmutende Lautmalerein (zum Beispiel die naturraunende Sommernachtsstimmung im zweiten Aufzug) dem angeregten Gemüt Erholung boten. Das Finale fand keine Erfüllung in strahlendem Glanz pompös bewältigter Orchestermassen, sondern beunruhigte mit an die Schmerzgrenze gehenden schicksalshaft-wuchtigen Pauken- und Blechschlägen – und da schien es, als würde sich über der Festversammlung schon das Herannahen des 30-jähriges Krieges ankündigen.
Doch leider hatte das Blech keinen so guten Tag – und auch die Frage muss erlaubt sein, wie weit diese grandiose (Selbst-)Inszenierung noch mit den Interpretationswünschen der Sänger zusammenging. Das Gefühl innigen Miteinanderwirkens zwischen Bühne und Orchester stellte sich bei mir nur phasenweise ein (wobei hier auch Fragen der sängerischen Disponiertheit zu berücksichtigen wären). Falk Struckmann (Rollendebüt an der Staatsoper) wirkte als Sachs auf mich jedenfalls nicht so zwingend, wie man es in anderen Partien von ihm gewohnt ist. Das mag an der Rolle selbst liegen, bei der eine in der Tiefe fülligere Stimme nur gewinnen kann sowie an der persönlichen Ausgestaltung: einem etwas spröden Charakter, der den Sachs weder besonders väterlich noch als besonders seriösen Meister zeichnet, sondern mehr den Schuster in der Midlife-crisis herauskehrt, der ein erfülltes Leben sucht und zu verzichten lernt. Zudem blieb Struckmann trotz ökonomischer Einteilung der Kräfte im Finale ein wenig hinter den Erwartungen zurück.
Dort zeigte sich dann auch, wo Johan Bothas (er hatte kurzfristig absagen müssen) schier unerschöpfliche Tenorstimme an diesem Abend den Schlusspunkt hätte setzen können – auch wenn Peter Seiffert (Rollendebüt an der Staatsoper!) bis zum Finale einen sehr einnehmenden und bestens disponierten Stolzing sang, dem Preislied fehlte dann doch ein wenig der Überschwang und die letzte tenorale Prachtentfaltung.
Das sängerische Ereignis des Abends bot für mich Adrian Eröd als Beckmesser: ein junger, wohlgeratener Mann, karrierebewusst und intellektuell. Eröd entdeckt die sängerischen Qualitäten des Beckmessers neu, leiht ihm seine schöne Stimme, vermeidet es, die Pointen gesanglich so markant herauszustreichen wie man es gewohnt ist (und was die Figur oft in die Nähe einer Karikatur rückt) und singt all den Unsinn des „falschen Preisliedes“ so ernst in der vollen Überzeugung seines meisterhaften Vortrags, dass einen als Zuhörer die Diskrepanz zum Text, der sich Strophe für Strophe deutlicher gegen den Vortragenden richtet, erst recht bewusst wird. Mit prächtig ausgesungenem „Daß Nürnberg schusterlich blüh und wachs“ gab er in der Schusterstube Beckmessers Freude über das „gefundene“ Lied enthusiastisch und ohne Höhenprobleme Ausdruck. Auch schauspielerisch wusste er zu überzeugen und so seiner Stimme das entsprechende gestische „Outfit“ zu verpassen.
Ricarda Merbeths sang ein solides „Evchen“, aber vom Alter her war Ain Anger schwerlich als ihr Vater anzunehmen – Anger (auch Rollendebüt) sang einen mehr introvertierten, grüblerischen Pogner – und weil ich schon beim Alter bin: ob die Magdalena von Michaela Selinger als Evas Amme durchgeht, sowohl von der jugendlichen Stimmfärbung als auch von der ebenso jugendlichen Bühnenerscheinung, da habe ich doch meine Zweifel. Ihr „erster“ David – Michael Schade – hatte krankheitsbedingt absagen müssen, ihr „zweiter“ – Herwig Pecoraro – ebenso, deshalb war Norbert Ernst eingesprungen und gab sein Hausdebüt. Er machte seine Sache gut. Die Stimme passt vom Typus bestens zu dieser Partie, manchmal wirkte sie aber zu forciert. Die Meister hatten mit Wolfgang Koch einen neuen „Vorsitzenden“, der als sangesbegabter Bäcker das Regelwerk vortrug. Einprägsam wie meist: der Chor.
Abschließend noch ein paar Worte zu dieser Inszenierung, die aus den 70er-Jahren stamm, und zu der man hier ein paar Anmerkungen nachlesen kann. Sie wurde von Otto Schenk und Jürgen Rose (Bühnenbild & Kostüme) entworfen und zeugt – wie alle Schenk-Inszenierungen, die an der Staatsoper noch zu sehen sind – von einem aus Menschenerfahrung gespeisten Humanitätsideal des Regisseurs, das ohne Umwege direkt zu den Herzen der Zuschauer spricht. Möge sie noch lange der Staatsoper und ihrem Publikum erhalten bleiben.
Der begeisterte Schlussapplaus dauerte rund eine Viertelstunde lang. Thielemann wurde auch am Beginn und nach den Pausen mit starkem Beifall bedacht.
Dominik Troger | Staatsoper 12.1.2008
This recording is not identical to the commercial video release from the same month.