Der fliegende Holländer

Christian Thielemann
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Date/Location
26 July 2014
Festspielhaus Bayreuth
Recording Type
  live   studio
  live compilation   live and studio
Cast
Daland Kwangchul Youn
Senta Ricarda Merbeth
Erik Tomislav Mužek
Mary Christa Mayer
Der Steuermann Dalands Benjamin Bruns
Der Holländer Samuel Youn
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Verloren im Datenmeer

Eine stürmische Schiffsreise soll es nach Wagners autobiographischen Skizzen gewesen sein, die ihn die “Bekanntschaft mit dem fliegenden Holländer” machen ließ und veranlasste, dieses Thema für seine erste Oper auszuwählen, die er einer Aufführung bei den Festspielen als würdig erachtete, auch wenn er selbst die erste Präsentation bei den Bayreuther Festspielen im Jahr 1901 nicht mehr miterleben konnte. Dabei war der Uraufführung des Werkes 1843 in Dresden kein großer Erfolg beschieden. Nach nur vier Aufführungen wurde die Oper wieder abgesetzt. Doch Wagner glaubte an die Sprengkraft dieses Stückes, ergänzte 1860 den sogenannten “Erlösungsschluss”, den er auch in der Ouvertüre aufnahm, verlegte die Handlung der Urfassung von Schottland nach Norwegen und schuf ein Werk, das zwar noch ariose Strukturen aufweist, aber durchaus schon den Weg zum durchkomponierten Musikdrama erkennen lässt. So wird auch in der Regel beim Dirigat darauf geachtet, dass die Übergänge nach der Ouvertüre, Sentas Ballade oder dem Matrosenchor so gestaltet sind, dass die Aufführung nicht durch Zwischenapplaus unterbrochen wird. Dies funktioniert zumindest in Bayreuth.

Jan Philipp Glogers Inszenierung geht mittlerweile am Grünen Hügel ins dritte Jahr und kann szenisch auch trotz kleiner Umarbeitungen mit der Modernisierung der Geschichte nicht durchgängig überzeugen. Ob das Meer, durch das sich Daland mit seinen Norwegern zu Beginn der Oper kämpft, ein Datenmeer sein muss, wie das Bühnenbild von Christof Hetzer mit den riesigen Gestellen, die mit ihrem Flackern an Computer-Platinen erinnern, andeutet, ist sicherlich diskutabel. Natürlich findet heute ein Großteil des Handels via Internet statt, und sicherlich kann man in den Tiefen des Datennetzes böse Überraschungen erleben, die vielleicht mit einem Schiffbruch vergleichbar sind. Aber welche Funktion hat dann überhaupt noch das kleine Boot, in dem Daland mit dem Steuermann sitzt? Und wie passt da der Holländer hinein, der mit einem kleinen schwarzen Rollkoffer in edlem Anzug auftritt und weder durch Wellness noch durch andere Dienstleistungen zur Ruhe kommen kann? Sicherlich kann man den Holländer als einen von der Hektik der modernen Zeit getriebenen Menschen darstellen, der durch ständige Reizüberflutung keine Ruhe findet, aber hilft da wirklich eine Frau, die Treue bis in den Tod schwört, zur Erlösung?

Dass Daland sich von dem Reichtum, mit dem der Holländer nur so um sich wirft, blenden lässt, verwundert auch aus heutiger Sicht nicht, selbst wenn der Holländer von der Maske mit den halbseitig abrasierten Haaren und den Tätowierungen auf der Kopfhaut nicht gerade als attraktiv bezeichnet werden kann. Aber das ist der Jäger Erik, der hier im grauen Hausmeisterkittel über die Bühne läuft, sicherlich auch nicht und obendrein verfügt der auch nicht über die Finanzkraft des Holländers. Von daher sind Eriks Sorgen, dass er Senta an einen anderen Mann verlieren könnte, durchaus nachvollziehbar. Aber was will eigentlich Senta? Wieso träumt sie eigentlich von diesem Holländer? Hier findet Gloger einen recht plausiblen Ansatz. Während die “spinnenden” Mädchen damit beschäftigt sind, Ventilatoren für den Handel in Kisten zu verpacken und mit ihrer Arbeit zufrieden sind, will Senta nicht Teil dieses kommerziellen Systems werden und hat sich auf einem Stapel Kisten eine Traumfigur geschaffen, die wohl den Holländer darstellen soll. Dieses Wesen ist also kein Bild, das in der Stube hängt, sondern dank Marys Erzählung ihrer eigenen Fantasie entsprungen. Gloger verzichtet mittlerweile hierbei auf die Farbe Rot, die er als Zeichen der Liebe im ersten Jahr noch verwendet hat, und arbeitet, sowohl was Sentas Kostüm, als auch die Figur betrifft, nur noch mit sehr dunklen Tönen, was dem düsteren Holländer wesentlich näher kommt.

In diesem Zusammenhang können auch die Videoeinspielungen von Martin Eidenberger bewegen, die an der Rück- und Seitenwand des Kastens, in dem die Frauen ihrer Arbeit nachgehen, zunächst schwarze Farbe herablaufen lassen, die sich später zu einer Art Hindernis-Parcours formiert, durch den Senta mit aufgesetzten Flügeln wie eine Galionsfigur ein Schiff zu manövrieren scheint. Auch Eriks Traum, in der er die Ankunft des Holländers voraussieht und bei Senta das Vorhaben ihres Vaters beklagt, wird durch ein Schattenspiel im Hintergrund wunderbar unterstützt. So sieht man als Schatten die Silhouetten des Holländers und Dalands, die sich gerade über einen Preis für Senta handelseinig werden. Über die tatsächlichen Gefühle zwischen Senta und dem Holländer scheint sich Gloger in seiner Inszenierung recht lange unschlüssig zu sein. Während des Duettes im zweiten Akt stehen Senta und der Holländer auf aufgestapelten Kisten in relativ großem Abstand voneinander. Erst spät lässt Gloger die beiden zueinander finden. Auch hält Gloger am Erlösungsschluss fest. Wenn Senta sich am Ende eine Holzlatte in den Unterleib rammt, beginnt der Holländer, ebenfalls am Unterleib zu bluten, und die beiden finden zu einer innigen Umarmung, die im Anschluss als neuer Verkaufsschlager die Ventilatoren ersetzt. Nun werden der Holländer und Senta mit weißen Engelsflügeln als ineinander verschlungene Figuren verkauft, was der Erlösung durch die Kommerzialisierung eine leicht zynische Note gibt.

Einzelne Unmutsbekundungen am Ende der Aufführung gehen im allgemeinen frenetischen Jubel unter, was insofern nachvollziehbar ist, da sich das Regieteam am Ende der zweiten Aufführung nicht zeigt und sich die musikalische Gestaltung auf Festspielniveau bewegt. Neu besetzt ist in diesem Jahr Kwangchul Youn als Daland, der damit in diesem Jahr neben dem Landgrafen Hermann im Tannhäuser und Hunding in der Walküre seine dritte Partie am Hügel bestreitet und mit seinem markanten Bass und einer hervorragenden Textverständlichkeit auch als Sentas Vater das Publikum begeistert. Darstellerisch legt er die Figur recht unsympathisch an, da er sich nur vom Geld und Reichtum des Holländers leiten lässt und seine Tochter regelrecht verschachert. Benjamin Bruns steht ihm darstellerisch als profitorientierter Geschäftsmann in nichts nach und treibt sein Gehabe bisweilen auf die Spitze, wenn er sich mal wieder als Strahlemann für ein Werbeplakat aufnehmen lässt. Mit wunderbar klarem Tenor präsentiert Bruns die Auftrittsarie des Steuermanns und fasziniert mit lyrischem Klang. Ricarda Merbeth begeistert im zweiten Jahr als Senta mit leuchtendem Sopran und gestaltet ihre Ballade mit gefühlvoller Dramatik. Samuel Youn, der 2012 bei der Premiere relativ kurzfristig die Titelpartie übernommen hatte, hat sich mittlerweile als Holländer in Bayreuth etabliert und stattet die Partie mit profundem Bariton aus. An einigen Stellen könnte die Textverständlichkeit noch verbessert werden. Tomislav Mužek und Christa Meyer runden als Erik und Mary das Solisten-Ensemble gut ab.

Ganz großes Lob verdient der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor, der sowohl als reiner Männerchor im ersten Akt mit fulminantem Klang begeistert und als reiner Frauenchor im zweiten Akt beim Spinnen punktet – auch wenn hier der gesungene Text “Summ’ und brumm’, du gutes Rädchen” nicht zum Einpacken der Ventilatoren passt -, als auch sich im dritten Akt mit der berühmten Chornummer “Steuermann, lass die Wacht” einen grandiosen Schlagabtausch mit dem Geisterchor der Holländer liefert. Auch darstellerisch wird der Chor wunderbar in Szene gesetzt. Christian Thielemann gibt mit dem Bayreuther Festspielorchester der teilweise noch sehr romantisch anmutenden Musik einen dramatischen Anstrich und zaubert einen großartigen Klang aus dem Graben, der durch die wunderbare Akustik im Festspielhaus noch zusätzlich an Glanz gewinnt. So werden die Interpreten zu Recht nach dieser Aufführung mit nicht enden wollendem Beifall gefeiert. Schließlich hat man beim Holländer ja auch nur ein einziges Mal die Möglichkeit dazu.

FAZIT

Glogers Inszenierung hat zwar einige gute Ansätze, die als Ganzes betrachtet nicht richtig aufgehen. Musikalisch lassen sich an diesem Abend keine Abstriche machen.

Thomas Molke (Rez. Aufführung 4. 8. 2014)

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
HO
Technical Specifications
128 kbit/s VBR, 44.1 kHz, 129 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast from the Bayreuth festival
A production by Jan Philip Gloger (2012)