Götterdämmerung

Donald Runnicles
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Date/Location
21 November 2021
Deutsche Oper Berlin
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
SiegfriedClay Hilley
BrünnhildeNina Stemme
GuntherThomas Lehman
GutruneAile Asszonyi
AlberichJordan Shanahan
HagenAlbert Pesendorfer
WaltrauteOkka von der Damerau
WoglindeMeechot Marrero
WellgundeKaris Tucker
FloßhildeAnna Lapkovskaja
1. NornAnna Lapkovskaja
2. NornKaris Tucker
3. NornAile Asszonyi
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Reviews
bachtrack.com

Der Anfang vom Ende: Götterdämmerung an der Deutschen Oper Berlin

Die Welt ist untergegangen, Brünnhilde in die Flammen geritten, das Erlösungsmotiv noch nicht ganz verklungen, da werden schon die Scheinwerfer justiert und nach oben gefahren. Die Bühne ist leer, der schwarze Flügel – Nukleus des Herheim-Rings – schon wieder eingepackt und eine Reinigungskraft wischt die letzten Überbleibsel des Abends auf. So ereignisreich die letzten sechs Stunden an der Deutschen Oper Berlin waren, so banal enden sie.

Und dennoch bleibt einem dieses absurde Bild im Kopf und geistert noch lang darin herum. Ob man dieses Ende witzig fand oder sich darüber ärgert – fest steht, Herheim hat es sich im finalen Teil der Tetralogie doch sehr leicht gemacht. Die Götterdämmerung bleibt in Sachen Spannung und Intensität hinter den anderen Opern seiner Ring-Inszenierung zurück. Was Herheim im Rheingold so spielerisch und eindrucksvoll etabliert und in der Walküre leidenschaftlich gefestigt hat, beginnt sich nun zu erschöpfen. Das Klavier wird wieder zum Mittelpunkt des Geschehens, an dem jeder mal den Takt vorgeben darf. Mit den weißen Tüchern, die geradezu inflationär zum Einsatz kommen und alles und nichts bedeuten, oder den zum Brünnhildenfelsen avancierten Kofferbergen, die leider immer noch Assoziationen mit Auschwitz hervorrufen (die kahlgeschorenen Köpfe der Nornen sind da nicht gerade förderlich), bedient er sich der gleichen Kniffe, die in Rheingold und Walküre noch begeistert haben und rätselhaft wirkten.

Besonders in der Götterdämmerung scheint, die Regie will dem Publikum diktieren, was es zu fühlen hat, anstatt dies der Musiksprache Wagners zu überlassen, in der doch bereits alles verankert ist. Es wirkt, als ob Herheim die Leitmotivik des Rings noch deutlicher, noch offensichtlicher offenbaren will. Alles ist minutiös dargestellt und durchchoreographiert, sodass es nur wenig Spielraum für die eigene Fantasie und das Mystische, Unerklärliche, was Wagners Opern ausmacht, gibt. Dennoch bleibt Herheim ein Meister der Theatralik und macht diese Götterdämmerung zu einem sehr kurzweiligen Vergnügen, bei dem sowohl heitere Komik als auch entsetzlicher Horror erfahrbar werden.

Für die auflockernden Momente war definitiv der amerikanische Heldentenor Clay Hilley verantwortlich, der Siegfried in verspielter Herheim-Manier als naiven Haudrauf verkörperte. Stimmlich musste er anfangs noch die Balance finden, bestritt jedoch den Abend mit ungemeiner Spielfreude und kraftvoll fester Tenorstimme, der ein angenehmes Vibrato innewohnte.

Die Deutsche Oper in der Bismarckstraße wird kurzerhand zur Burg der Gibichungen und die Charaktere finden sich im holzgetäfelten Foyer vor der Bar wieder, an der Gunther und Gutrune Champagner in Mengen konsumieren, die auch weniger gestählte Helden das eigene Weib und Eheversprechen vergessen lassen. Die Gibichungen-Geschwister, dargestellt von Aile Asszonyi und Thomas Lehman, traten stets mit dem perfekten Maß an Überzeichnung auf, ohne zu sehr in Klischees abzudriften.

Für die fatalen Pläne Hagens sind sie allzu offen und lassen sich gierig korrumpieren. Mit Albert Pesendorfer wurde ein Hagen gefunden, der bei seiner Bösartigkeit aus den Vollen schöpft. Seine dunkelschwarze Stimmfärbung und sein schroffes, kraftvolles Bassfundament ergänzte er durch szenische Präsenz, mit der er dem Publikum noch so manchen Albtraum bescheren wird. Als Abkömmling des Schwarzalben erinnert auch seine Aufmachung an die des als Joker oder des fratzenhaften Horror-Clowns aus Stephen Kings Es dargestellten Alberichs.

Stefan Herheim gestaltet die Götterdämmerung kontrapunktisch zum verspielt jovialen Rheingold bewusst düster, gar apokalyptisch. Besonders eindrucksvoll und schockierend ist der Tod Siegfrieds und der darauffolgende Trauermarsch, in dem er Hagen den abgeschlagenen Kopf Siegfrieds triumphierend in die Höhe hält. Ebenso eindrucksvoll, als plötzlich der gesamte Chor Alberich mit ihren Clown-Tarnhelmen ähnelt und die Szene des Verrats an Brünnhilde zum schauderhaften Albtraum wird und den Betrug an ihr noch schmerzlicher erfahren lässt.

Nina Stemme steht synonym für Brünnhilde, eine ihrer Paraderollen, die sie in ihrer langjährigen Karriere so herausragend wie kaum eine zweite interpretiert und damit in die Fußstapfen anderer skandinavischer Sopranistinnen wie Birgit Nilsson oder Kirsten Flagstad tritt. Ihre Stimme verfügt vielleicht nicht mehr ganz über die magische Stahlkraft, aber ihr Sopran beschert im Finale dennoch höchstes, seligstes Wagnerglück. Sie ist und bleibt eine der bedeutendsten Wagnersopranistinnen des dramatischen Fachs.

Die Waltraute-Szene mit Nina Stemme und Okka von der Damerau wurde zur einer symbolischen Staffelstabübergabe, denn letztere wird bald als Brünnhilde debütieren und gab bereits Einblick in das schier grenzenlose Register ihrer Stimme. Ob hypnotisierende Tiefen oder schwerelos strahlende Höhen – ihre Stimme klang stets formvollendet und mühelos.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin erklang unter der Leitung Sir Donald Runnicles sehr uniform; trotz geschmeidigen, kompakten Klangs, vermisste man jedoch große Bögen und spannende Ausarbeitungen. Runnicles dirigierte weitestgehend ohne passionierte Ausbrüche und differenzierte Variationen – so Recht entstand keine Magie im Graben.

Der neue Ring des Nibelungen fand nicht ohne Hindernisse statt. Pandemiebedingt begann er mit der Walküre, gefolgt vom Rheingold und endet nun mit der Götterdämmerung, bevor er komplettiert wurde. Denn noch steht die Premiere des Siegfried aus und es bleibt spannend, ob Herheim offene Fragen beantworten wird oder vielleicht sogar noch weitere Rätsel auftischt. Wer Wagners Tetralogie in seiner vorgesehenen Reihenfolge bevorzugt, kann sich den Ring ab November zyklisch ansehen, wobei es nicht weniger spannend war, zu rätseln, was bereits geschah und einander zu fragen „Weißt du, wie das wird?“

Alexandra Richter | 26 Oktober 2021

Tagesspiegel

Auf die Takte getackerte Nebelkerzen

Wer sich zur „Götterdämmerung“ aufmacht, weiß, dass es eine lange Reise werden wird. Schließlich muss eine ganze Welt untergehen und dabei nebenher die Hoffnung auf eine neue geboren werden, eine, in der das ewige Wagner-Dilemma Macht oder Liebe endlich anders verhandelt werden kann.

Auf dem Weg dorthin müssen hehrste Schwüre gebrochen, Helden gemordet und die Götter gestürzt werden. Dann holt sich das Feuer die Reste einer brutal gescheiterten Welt, gelegt von der letzten Liebenden, und der Rhein tritt über die Ufer. Schwamm drüber und ein paar Takte unvergleichliche Musik dazu, die einen neuen Tag nach sechseinhalb Stunden Opernbesuch zumindest möglich erscheinen lassen.

Koffer als schroffe Felslandschaft
Das alles ist für Regisseure ein Leckerbissen, wenn sie denn ernsthaft zubeißen wollen. Stefan Herheim zeigt mit der „Götterdämmerung“ den letzten Teil seiner „Ring“-Tetralogie an der Deutschen Oper Berlin. Im „Rheingold“ begann sie damit, dass eine Gruppe Geflüchteter die Koffer absetzt und rund um einen Flügel auf der leeren Bühne beschließt, ein bisschen Musiktheater zu spielen.

Mittlerweile schleppt niemand mehr Gepäck umher, die Koffer bilden wie versteinert so etwas wie eine schroffe Felslandschaft, die kurz ins Bild geschoben wird. Und hereingeschoben wird eine Menge in Herheims „Götterdämmerung“, etwa das Foyer des gerade 60-jährigen Opernhauses samt Sekttheke und kinetischer Kunst an der holzvertäfelten Wand.

Im gedoppelten Foyer steht ein Publikum, wie man es sich für Imagekampagnen wünscht, jung, irgendwie divers, athletisch biegsam und auch in Feinrippunterwäsche noch ansehnlich. Diese Gruppe gerät plötzlich unter „Götterdämmerungs“-Einfluss, zieht sich aus und gibt eurythmische Kommentare zum Geschehen ab, die sich besonders in einem Züngeln der Arme ausdrücken.

Liegt es am Sekt, der in der Deutschen Oper ausgeschenkt wird? Immerhin umspült er auch großzügig die Intrige, die Siegfried den Tod bringen wird. Ob hier ein Rausch-Experiment gerade aus dem Ruder läuft oder die auf verlorenem Posten handelnden Personen schlicht etwas in die Hand brauchen, wird man nicht wirklich klären können. Das Publikum soll sich wohl angesprochen fühlen und wird daran durch zwischenzeitliches Einschalten des Saallichts auch noch mal unauffällig erinnert.

Was könnte die Rolle des Publikums bei diesem schwer- und wenig sinnfälligen Kulissengeschiebe sein? Je länger der Abend währt, desto stärker wächst der Gedanke, dass Herheim damit eigentlich nur den offenen Widerstand gegen sein ausgehöhltes, trübes Wagner-Theater gemeint haben kann.

Der Starregisseur hatte ja davon gesprochen, dass man an der Deutschen Oper den Tod der Kunstform Oper feiern wolle. Wer hier also ruhig sitzenbleibt, während die Bühnenmaschinerie mal wieder majestätisch knarzt, macht sich quasi mitschuldig. Ein Ballettabend musste jüngst abgesagt werden, weil Herheim nach Jahren der Vorbereitung einfach nicht fertig werden konnte mit der „Götterdämmerung“. Mörderischer Materialaufwand ohne jede gedankliche Schärfe – wo so etwas anscheinend unhinterfragt möglich ist, dämmert ein großes Opernhaus nur noch vor sich hin.

Die Augen zu schließen, hilft da nicht weiter, denn dass in dieser „Götterdämmerung“ etwas ganz und gar nicht stimmt, hört man auch. Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles hat sich angesichts der wirren Bühnenzustände auf einen Zen-Posten zurückgezogen und will selbst gar nichts mehr interpretieren, sondern lieber das Werk sprechen lassen, wie er im Programmheft verrät.

Nun spricht so eine gewaltige Partitur leider nicht einfach so, auch wenn das natürlich praktisch wäre. Für die Emanzipation von Herheims auf die Takte getackerten Nebelkerzen zahlen Runnicles und sein Orchester einen hohen Preis. Nichts erscheint mehr pointiert, alles ist nur noch eine unübersehbare musikalische Tiefebene. Dass Sänger:innen bei dieser Aussicht verzweifeln und fürchten müssen, das Ziel nicht bei Kräften zu erreichen, ist die logische Folge.

Nicht ohne Grund ist es eine Nebenrolle mit einem kurzen, aber zu Herzen gehenden Auftritt, die am Ende stürmisch gefeiert wird. Okka von der Damerau begehrt als Waltraute auf gegen das zähe Schicksal, und ihr Gesang ist geformt und erfüllt von Trauer und Angst. Bei ihr bildet sich endlich die so schmerzhaft vermisste Einheit von musikalischdramatischem Ausdruck, wird überhaupt erst klar, warum hier eigentlich gesungen wird.

Ansonsten gibt es viel Deklamation ohne jede Syntax. Begegnungen von Sinn und Gesang sind selten und reine Glückssache. Gänzlich ohne Fortune bleibt die Besetzung von Gidon Saks, der sich zwar mit „beginnender Indisposition“ ansagen lässt, davon abgesehen aber überhaupt nicht die Stimmlage, Statur und Schwärze für den sinistren Heldenmörder Hagen mitbringt.

Thomas Lehman gelingt es, seinem überforderten, schwächlichen König Gunther Momente einer aalglatten Verzweiflung zu schenken. Und ganz am Ende findet Nina Stemme als Brünnhilde doch noch zu sich. Unbeirrt von Herheims obsessiven Tuchspielereien um sie herum steht sie da und gießt ihr Herz aus, ein letztes Mal.

Man hört, dass sie diese Rolle schon lange und auch nicht mehr ewig singt. Ganz im Gegensatz zu Siegfried: Clay Hilley ist ein noch junger Heldentenor mit unbeschwerten Höhen-Anlagen, die tatsächlich aufhorchen lassen, mit Durchhaltevermögen und szenischer Unempfindlichkeit. Ihn möchte man einmal wieder hören, nachdem er dort geprobt hat, wo es für ihn auch etwas zu lernen gibt.

Eine Raumpflegerin fegt die Bühne
Nun fehlt nur noch ein Teil und der neue „Ring“ der Deutschen Oper wird geschlossen sein. „Siegfried“ erlebt seine Premiere erst während der ersten Aufführung des Zyklus im November. Drei komplette Durchgänge wird es in dieser Saison geben, für alle sind Tickets nur im Paket zu Preisen zwischen 200 und 840 Euro zu haben.

Das ist eine Ansage und trotzdem nur ein kleiner Tropfen angesichts der ausufernden Kosten des Herheim-Unterfangens. Es zu verdauen, wird die Deutsche Oper noch eine Menge Kraft kosten. 52 Mal wurde die „Götterdämmerung“ des Götz-Friedrich-Rings gespielt, in den beiden Pausen von Bayreuther Ausmaßen spekuliert man darüber, wie lange sich wohl dieser Nachfolger im Spielplan halten wird.

Was können wir hoffen? Noch liegt „Siegfried“ vor uns, die märchenhafte Jugend eines Helden und das Erwachen der Liebe in einem Universum aus Hass und Gier. Wagner unterbrach seine Arbeit am „Ring“ für zwölf Jahre und vollendete „Siegfried“ dann gereifter, tiefer, wärmer. Ob das Eindruck macht auf Stefan Herheim und sein Team? Wie ihr „Ring“ endet, wissen wir nun.

Eine Raumpflegerin fegt die Bühne, die wie im „Rheingold“ wieder wüst und leer ist, bis auf einen Flügel und Koffer am Horizont. „Die Suche nach mythischer Heimat aus einem revolutionären Impuls stetiger gesellschaftlicher Reorganisation dauert bis heute an“, schreibt die Dramaturgie der Deutschen Oper dazu. Es gab eine Zeit, da hat man diese Heimat an der Bismarckstraße gesucht.

ULRICH AMLING | 18.10.2021

nmz.de

Noch unabgeschlossen – „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper Berlin

Berlins neue „Götterdämmerung“ an der Deutschen Oper beginnt mit verblüffender Erzählweise. Nachdem die Besucher*innen ihre Plätze erreicht und ihre Mund-Nasen-Schutz-Masken abgenommen haben, werden sie beim Öffnen des Vorhangs mit jenem Parkett- Foyer konfrontiert, das sie eben erst verlassen haben: unter der kinetischen Metallstruktur von George Bakers sind die Opernbesucher im Foyer zu einem lebenden Bild eingefroren, bis sie sich dann doch gemeinsam in exzentrischen Bewegungen ergehen – bis auf einen Herrn, der sich daran nicht beteiligt und der sich später als Hagen herausstellt.

Die drei Nornen mit schwarzen Augenbinden bilden ihr Schicksalsseil aus den Besuchern, die sich als Kette an den Händen halten. Nachdem sie ihre Premierenklamotten abgeworfen haben, erweisen sie sich als jene Schar von Flüchtlingen in weißer Unterwäsche, denen wir bereits im „Rheingold“ und in der „Walküre“ begegnet waren. Nun aber ahnen wir: das sind wir selbst, die wir Wagner erleben und rezipieren. Mittels Bühnenwagen verschiebt sich der Blick auf die Szenerie nach links. Dort erhebt sich hinter dem Flügel, auf dem Siegfried und Brünnhilde schlafen, der bekannte, gewaltige Bergaufbau aus Koffern. Aus den vordersten dieser Koffer kleiden sich die Flüchtlinge, die Siegfried laut beklatschen, um in historisierende Götter- und Heldengestalten (Kostüme: Uta Heiseke). In Waltrautes Erzählung von der gespenstischen Situation in Walhall, mit stummem Wotan, umgeben von den ängstlich auf ein Ende wartenden Göttern, Walküren und Helden, bilden sie dann als ein lebendes Bild jene Ansicht. (Nur einmal erfolgt Bewegung, bei „lächelte ewig der Gott“ – wohl da kein*er der Darsteller*innen so lange mit erhobenen Armen unbeweglich zu verharren vermag.)

Wie an den Vorabenden, spielen die Protagonisten gerne pantomimisch Wagners Klänge am großen Flügel mit. Nach einer Verschiebung auf die andere Seite wird ein weiterer Konzertflügel sichtbar, als Zeichen des Königtums der Gibichungen, mit den Geschwistern Gunther und Gutrune sowie deren Halbbruder Hagen – und auch dessen Vater Alberich ist mit von der Partie und darf auch am Flügel spielen.

Bei seiner Wacht verlässt Hagen die Bühne und tauscht den Platz mit einer Dame in der Mitte der ersten Reihe des Parketts; diese erweist sich als die Sänger*in-Darstellerin der Waltraute. Verblüffend auch der Abschluss des ersten Aufzuges, hier sogar mit einem Eingriff in Wagners Notentext. Denn die Partie des als Gunther verkleideten Siegfried teilen sich die beiden Blutsbrüder auf, welche rechts und links, maskiert und mit identischen Fräcken, die Szene betreten. Siegfried entreißt Brünnhilde den ihr im szenischen Vorspiel dieses Aufzugs als Liebespfand überlassenen Ring und überlässt sie Gunther zur Begattung. Er wandert auf die wieder nach rechts fahrende Szenerie und empfindet in der Begegnung mit Alberich einen Herzschmerz, ausgelöst durch den seine Brust bedrückenden Tarnhelm.

Wie in den vorangegangenen Abenden der Neuinzenierung von Stefan Herheim wird mehrfach die Ebene des Spiels betont. Brünnhilde erschrickt vor dem sich im Zwischenspiel erhellenden Zuschauerraum. Und gerne wird auf dem Souffleurkasten agiert, der im „Rheingold“ als das Reich Erdas initiiert worden war und in welchen nun die im Spiel überstrapazierten weißen Tücher häufig gezogen werden oder aus dem bei Bedarf Siegfried sein Schwert hervorzieht.

Leider ist es häufig bei Stefan Herheims Inszenierungen anzutreffen, dass sich seine originellen Mittel im dritten Aufzug verbraucht haben. Bei der „Götterdämmerung“ ist dies bereits für den zweiten Aufzug zu konstatieren. Doch gibt es auch weitere verblüffende Momente, etwa wenn Hagen, weiterhin auf dem Mittelplatz der ersten Reihe sitzend, vom Auditorium aus den nächtlichen Dialog mit seinem Vater Alberich führt. Der agiert vorne an der Rampe in Clownsmaske , nachdem im Vorspiel sein Versuch, Siegfried den Ring zu stehlen, gescheitert war. Hingegen gelingt es Hagen kurz darauf, Siegfried den Tarnhelm zu stehlen, was ohne Folgen bleibt, da dieses Requisit im weiteren Verlauf der Handlung nicht mehr gebraucht wird.

Wenn bei Brünnhildes Anrufung der Götter die Gesellschaft in Walhall erneut sichtbar wird, hat sich dieser Effekt bereits verbraucht, und absurd wird es, wenn Hagen dann über eine zentral angeschobene Treppe in Walhall eindringt um Wotan die obere Speerhälfte abzunehmen; diese wird er im Racheterzett als seinen Speer führen und im dritten Aufzug Siegfried damit ermorden.

Auch das Spiel der Handlungsträger*innen auf dem Flügel als scheinbare Meister- Pianisten á la Liszt, hat sich längst verbraucht, wenn Konzertpianist Gunther den Bericht Brünnhildes über Siegfrieds Stärken und Schwächen wie einen Liederabend begleitet, dem das Publikum auf der Bühne, nunmehr fein säuberlich getrennt in Herren und Damen, aber nun alle in Clowns-Masken (also quasi zum Spielball der Macht des Nachtalben Alberich geworden?) auf Stühlen lauscht. Zuvor war der Chor der Deutschen Oper Berlin über die vorderen Parketttüren als Opernpublikum mit Programmheften dieser Aufführung ins Spiel gekommen, bis zum Betreten der Hauptbühne mit Mundnasenschutz-Masken angetan.

Ungewöhnlich auch die Bildlösung für Siegfrieds Tod und Trauermarsch. Zur Jagdgesellschaft, die sich auf der Bühne am nachgestellten Buffet des Pausen-Foyers mit Alkoholika, Brezen und Häppchen eindeckt, gehören auch die Frauen. Die Rückerinnerung des sterbenden Siegfried an seine Erweckung Brünnhildes wird – zusammen mit dieser – vor aller Augen gespielt. Siegfried stirbt erst verspätet in den Armen von Gunther. Hagen legt Siegfrieds Helm und Kettenhemd an, schlägt dem Gemordeten mit dessen Schwert auch noch den Kopf ab und feiert gegenüber dem nun zu ebener Erde erscheinenden Wotan seinen Triumph über dessen Nachkommen.

Im Inneren des rechten Flügels werden dann nicht nur Siegfrieds Überreste, sondern auch die Bekleidung Wotans, der Walküren und Helden verbrannt, während die wieder zu einer Gesellschaft von Flüchtlingen in sexy Unterbekleidung gewandelten vormaligen Walhall-Bewohner mit ihren Armen das Feuer spielen, bis der Flügel mit all den ihn umgebenden Menschen gen Unterbühne versinkt. Vom Schnürboden senkt sich eine Batterie rotfarbiger Moving-Head-Scheinwerfer, die dann noch kurz allesamt in blauem Licht (wohl als der über die Ufer getretene Rhein) erstrahlen, bevor sie wieder entschweben. Entzaubert erscheint die leere Bühne im Arbeitslicht – aber noch nicht leer gefegt, was dann zu den Erlösungsklängen eine Putzfrau besorgt.

So konnten nach dem Verklingen der Musik erste Buhrufe nicht ausbleiben. Diese trafen partiell auch einzelne Gesangssolist*innen.

Gleichwohl konnte der Abend mit einigen überragenden Leistungen aufwarten. Dazu zählten in erster Linie der von Jeremy Bines einstudierte Chor, das zumeist fehler- wenn auch nicht makellos aufspielende Orchester und ein Siegfried-Sängerdarsteller, wie man ihn lange nicht mehr erleben durfte: mit einwandfreier Diktion, unverfälscht in der Farbe, mit kraftvollen, aber auch zarten Tönen vermag der amerikanische Tenor Clay Hilley mit der Fähigkeit zur Selbstironie ebenso zu überzeugen, wie mit den mühelos ausgehaltenen hohen Cs. Nina Stemme verkörpert die Brünnhilde schlicht und spielbetont. Die dänische Sopranistin bewältigt diese Partie mit strahlender Stimmgebung, wird darin allerdings noch überboten von der hell timbrierten, auch schon die Brünnhilde (zunächst in der „Walküre“) verkörpernde Kollegin Okka von der Damerau als Waltraute.

Ungewöhnlich ist die Interpretation des Hagen, nicht als ein Finsterling, sondern als ein jovialer, feixender, grinsender und auch laut auflachender Clown; der als „Starsolist“ angekündigte Gidon Saks überzeugt als Persönlichkeit, wenn auch mit stimmlichen Einschränkungen. Allerdings wurde er vor Beginn der Aufführung als plötzlich indisponiert angekündigt, so dass das Urteil über den Sänger in dieser Partie zu revidieren sein sollte, wenn der Bassist nicht angeschlagen ist. Dem amerikanischen Bariton Thomas Lehman gelingt als Gunther eine runde, überzeugende Leistung.

Mehr als dritte Norn denn als Gutrune vermochte Aile Asszonyi zu überzeugen; die ebenfalls bereits die Brünnhilde verkörpernde estnische Sopranistin gestaltet Gunthers Schwester zwar kräftiger als gemeinhin besetzt, aber mit Lautverfärbungen und extremer Textunverständlichkeit. Überhaupt ist es unerfreulich, dass gerade an jenem Opernhaus, an dem Götz Friedrich (nicht nur in seinem bis in die Vorjahre gespielten Vorgänger-„Ring“-Zyklus) großen Wert auf Diktion gelegt hatte, diese besondere Qualität leidet, wofür die Übertitel in deutscher und englischer Sprache keine echte Entschädigung bieten.

Einige Buhrufe evozierte Jürgen Linn, der den Alberich – anstelle des ursprünglich angekündigten Markus Brück – für die ungewöhnliche Rollengestaltung, aber offenbar für einige Zuschauer*innen profunde Basstöne vermissen ließ.

Die drei Rheintöchter Meechot Marrero, Karis Tucker und Anna Lapkovskaja, deren letztere zwei am Anfang des Abends auch Nornen verkörperten, wandeln sich bei ihrer Prophezeiung zu kahlköpfigen Schwestern der drei Nornen; ansonsten bilden sie ein schönes, homogenes Trio, das bis auf Tücherschwenken aber eher konzertant eingesetzt ist, und weit entfernt von der auch in diesem Programmheft angekündigten Rolle der Verführerinnen.

Selten habe ich Sir Donald Runnicles so überzeugend erlebt wie an diesem Abend, mit plastisch herausgearbeiteter Thematik, schwungvollen Tempi und tiefgehenden Momenten, zu denen weniger die symphonischen Teile dieser Partitur zählten (Siegfrieds Rheinfahrt, der Trauermarsch und Ende) als die Waltrauten-Erzählung.

Am Ende des 6 1/2 stündigen Premierenabends gab es viel Applaus, gemischt mit einigen heftigen Buhrufen für das Regie-Team.

Für die Beurteilung des Gesamteindrucks dieser Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ fehlt noch der „Siegfried“, der aufgrund des Lockdowns keine separate Premiere erleben durfte, sondern erst in den kompletten Ring Zyklus integriert werden soll.

Peter P. Pachl | 18.10.2021

Financial Times

Deutsche Oper Berlin’s Götterdämmerung — a slowly unfolding disaster

Much of the singing is good, but this production of Wagner’s opera has little else to commend it

As Hunding calls his people to bring arms, hunting horns bark out rough calls in clashing intervals. For Sunday’s premiere at the Deutsche Oper Berlin, conductor Donald Runnicles and director Stefan Herheim have the horn players in illuminated boxes above the sides of the stage. Behind mesh walls you can see the instruments, with their strange curves and unfamiliar shapes, as the players give their all.

It is depressing that this marked the high point of the house’s new Götterdämmerung. A few minutes of thrilling brass is not much for all those hours of slowly unfolding disaster.

To be fair, much of the singing is good. Clay Hilley’s Siegfried has extraordinary energy and stamina, and he hurls himself at the role with reckless courage and skill. As his Brünnhilde, Nina Stemme is well past the youthful energy phase of her career, but she husbands her resources with care and mastery, and manages the same utter commitment with added charisma. It is impossible not to love her when she sings. Okka von der Damerau’s Waltraute is both passionate and refined; Jürgen Linn’s Alberich is a little frightening. Gidon Saks (Hagen) is announced as indisposed, and sounds it.

A pity, then, that Herheim’s staging has so very little to tell us. The vast piles of old suitcases and the grand piano that occupy the stage are recycled from Das Rheingold and Die Walküre, as is a much-employed white sheet, and even if you have not seen the earlier premieres, the sight of them soon becomes grimly wearying.

Herheim dresses a clutch of supernumeraries as clones of the Deutsche Oper audience, and wheels in elements of the house foyer, as well as bringing up the house lights at strategic moments. We, the public, are in focus — this is about us. That might be interesting if it had not been already done thousands of times. The extras die, undress, wave their arms around, do jazz hands to represent fire, dress up as antiquated gods, or just stand around looking lost. Siegfried, in winged helmet, breastplate and leggings, sinks into and rises from the bowels of the grand piano, which is “played” at various points by most of the cast. Herheim seems lost for inspiration, reduced to self-quotations and empty gestures.

Nor can Runnicles save the evening. There is no point at which the music becomes magical, no shimmer, no startling insights or polish. The orchestra plays badly for him, with questionable wind intonation and ragged entries; this is audibly a problematic relationship.

In the final act, Hagen hacks the head from dead Siegfried (he was, of course, buried in the piano) and Gutrune re-enacts Salome’s erotic necrophilia with it. How could this house, home to Götz Friedrich’s legendary Ring, let things come to this?

Siegfried will follow in November, the order of things messed up by Covid, and the entire cycle will ensue. Herheim will have to perform miracles in order to save this one.

Shirley Apthorp | OCTOBER 19 2021

Rating
(5/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 48.0 kHz, 630 MByte (MP3)
Remarks
Broadcast (RBB)
A production by Stefan Herheim (2021)
This recording is part of a complete Ring cycle.