Die Meistersinger von Nürnberg

Ulf Schirmer
Chor der Oper Leipzig
Gewandhausorchester Leipzig
Date/Location
6 November 2021
Oper Leipzig
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
Hans SachsJames Rutherford
Veit PognerSebastian Pilgrim
Kunz VogelgesangSven Hjörleifsson
Konrad NachtigallMarek Reichert
Sixtus BeckmesserMathias Hausmann
Fritz KothnerTobias Schabel
Balthasar ZornPatrick Vogel
Ulrich EißlingerAlvaro Zambrano
Augustin MoserPaul Kaufmann
Hermann OrtelFranz Xaver Schlecht
Hans SchwartzRoman Astakhov
Hans FoltzJean-Baptiste Mouret
Walther von StolzingMagnus Vigilius
DavidMatthias Stier
EvaElisabet Strid
MagdaleneKathrin Göring
Ein NachtwächterSejong Chang
Gallery
Reviews
bachtrack.com

Deutsche Geschichte für Reingefallene: Die Meistersinger von Nürnberg in Leipzig

Die Meistersinger von Nürnberg – Richard Wagners einzige komische Oper – kann man verschiedenartig inszenieren und interpretieren, was bereits die reichhaltige Rezeptionsgeschichte der Oper in Deutschland gezeigt hat. Während sich einige Regisseur*innen ganz auf die Dreiecksbeziehung und Liebesgeschichte konzentrieren, arbeiten andere die politische Brisanz auf – sei es im Kontext des Zweiten Weltkriegs oder der Geschichte Nachkriegsdeutschlands – die Meistersinger liefern eine immens große Fläche für Interpretation. Dass es leider auch Produktionen gibt, die der Rezeptionsgeschichte der Oper nichts hinzuzufügen haben, hat man an der Oper Leipzig erleben dürfen. Hier präsentiert Regisseur David Pountney eine völlig sinnfreie und ästhetisch abschreckende Sicht auf die Meistersinger und zeichnet dabei einen äußerst oberflächlichen wie unreflektierten Blick auf die deutsche Geschichte.

„Ist das die Art und Weise, mit der die Briten auf die Geschichte Deutschlands blicken?”, fragt man sich, als sich so langsam das Konzept Pountneys Inszenierung erschließt. Der britische Regisseur teilt den drei Akten wichtige historische Schlüsselmomente zu – beginnend mit dem mittelalterlichen, florierenden Nürnberg, gefolgt vom düsteren Kapitel des Dritten Reichs, in dem die Prügelfuge mit dem Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt wird; und letztlich der Wiederaufbau des zerstörten Landes. Hinweise darauf gibt nur das Bühnenbild, welches trotz fragwürdiger Ästhetik elaboriert und detailreich ausgeführt wurde, jedoch nicht über die seichte Erzählweise und mangelnde Personenregie hinwegtäuschen kann. Die Sänger*innen bewegen sich in einen Nürnberger Miniaturwunderland, bestehend aus hölzernen, hüfthohen Bauten, bei denen von den Kirchen, Dürer-Haus bis zur Kaiserburg alles vertreten ist. Unter Bühnenbildner Leslie Travers entstand ein Modell des mittelalterlichen Nürnbergs mit viel Liebe zum Detail; leider verkommt seine fantasievolle Szenografie zur bloßen Dekoration, aus der mal links, mal rechts oder inmitten gesungen wird. Diese wird eingerahmt von einem Amphitheater, bei dem recht schnell klar wird, wer redet und wer zuzuhören hat – doch was ausgesagt werden soll, steht weiterhin in Frage.

Diese Übersimplifizierungen und mangelnd überzeugende visuelle Darstellungen ziehen sich durch die gesamte Inszenierung und lassen an der Erfahrung des Regisseurs zweifeln, der u.a. in Wien, Bregenz und München Regie geführt hat. Seine Inszenierung wirkt schlecht kopiert mit Regieansätzen, die man auf anderen Bühnen bereits besser ausgeführt gesehen hat. Immerhin gehen Regie und Bühne Hand in Hand mit den Kostümen, deren Ästhetik ebenso fragwürdig, geradezu abschreckend daherkommt. Diese changiert zwischen einem dekadenten Verbrauch bunter Samtstoffe bis hin zu weißen Polyesterfummeln für die „Fürther Mädel“. Besonders auf deutschen Bühnen, auch in Hinblick auf aktuelle politische Entwicklungen, sollte eine differenzierte und weitreichende Auseinandersetzung mit den Meistersingern Voraussetzung sein. Es ist schade, dass die Geschichte Deutschlands in Pountneys Augen vor 30 Jahren ihren Abschluss fand; was derzeit in Politik und Gesellschaft besonders in Sachsen passieren, findet bei ihm keine Beachtung. Im Falle Pountney, der sich für eine oberflächliche politische Auseinandersetzung mit dem Werk entschieden hat, wird es zur verpassten Chance. Selbst der humoristische Ansatz bleibt auf der Strecke, wenn gelacht wird, dann nur über Wagners Libretto. Gelegentlich versucht sich Pountney zwar mit Slapstick, aber auch das wirkt äußerst bemüht. Und selbst Prügelfuge oder Aufzug zur Festwiese – bekanntermaßen sind diese Massenszenen eine Goldgrube für jede Regie – geriet mit banalen, stereotypen und hölzernen Tanzeinlagen des Chors zur Farce.

Auch Generalmusikdirektor und Intendant der Oper Leipzig, Ulf Schirmer und sein Gewandhausorchester waren an diesem Abend alles andere als in Topform. Der Orchesterklang blieb weitestgehend gleichförmig und schwerfällig, mit einer Ouvertüre die holprig und unstimmig wirkte, leider aber den Ton für die kommenden fünf Stunden vorgab. Man vermisste die verspielte Leichtigkeit, das aufblühende Strahlen der Musik und die Virtuosität des sonst so versierten Gewandhausorchesters.

Die karg gesäten Lichtblicke des Abends galten den hochkarätigen Sänger*innen, die trotz schwerfälliger Inszenierung ihre eigene berührende Geschichte erzählen konnten und den Abend so zu einen hörenswerten Erlebnis machten. Allen voran brillierte James Rutherford als Hans Sachs. Schon vor zehn Jahren gestaltete er diese Partie bei den Bayreuther Festspielen – an diesem Abend wuchs er in den drei Akten über sich hinaus. Mit kraftvoll kerniger Baritonstimme sang er einen packenden Wahn-Monolog und berührte besonders im dritten Akt als er Eva an Walther übergibt. Rutherford ging äußerst souverän, ja schon gelassen, an seine Rolle heran, ohne jedoch nachlässig zu sein. Dafür sprachen vor allem seine exzellente Aussprache und ein Rollenverständnis, das sich nach anfänglicher Zurückhaltung in differenziertem, nahegehendem Spiel äußerte.

Elisabet Strid, die mit dramatischer Stimme als selbstbewusste Eva daherkam und mit großer Stimme und glühender Phrasierung beeindruckte, verdient Bewunderung nicht zuletzt auch Dank ihrer feinsinnigen Charaktergestaltung. Als Walther von Stolzing bestach der Tenor Magnus Vigilius durch seine jugendlich strahlende Stimme und charismatische Darstellung. Der Walther ist für Tenöre eine besonders kräftezehrende Partie und ihm gelang die Synthese von Ausdauer und Belcanto. Kathrin Göring, seit Jahren eine feste Größe im Leipziger Ensemble und eine ebenso erfahrene wie wandlungsfähige Mezzosopranistin, lieferte mit strahlend kultivierter Stimme eine Magdalene par excellence ab.

Die Überraschung des Abends war der Bassbariton Ralf Lukas, der als Einspringer für den erkrankten Mathias Hausmann die Rolle des Beckmessers zumindest stimmlich vertreten konnte. Dies stellte sich als Glücksfall heraus, denn Lukas interpretierte ihn mit überragender stimmlicher Präsenz und mal feinsinniger, mal überaus komischer Rollengestaltung. Er vermochte Beckmessers eklektischen Gesang in fast schon schöne Arien zu verwandeln und hatte so trotz seiner Platzierung am Bühnenrand alle Augen auf sich gerichtet.

Alexandra Richter | 25 Oktober 2021

concerti.de

Schaut auf diese Stadt

Ein Meilenstein auf dem Weg zu „Wagner 22“ wird bejubelt: Der Brite David Poutney blickt auf die deutscheste, komödiantischste und menschlichste Wagneroper wie von oben. Ulf Schirmer sorgt mit dem Gewandhausorchester für einen flott lebensprallen Wagnerklang und mustergültige Wortverständlichkeit.

Jetzt muss nur noch Katharina Wagner ihren coronabedingt verzögerten „Lohengrin“ nachreichen. Diese Koproduktion mit der Oper in Barcelona kommt nun zuerst in Leipzig heraus. Dann hat Opernchef Ulf Schirmer alles beisammen, um mit seinem „Wagner 22“-Event alle (also den kompletten Bayreuther Stückekanon und die drei Frühwerke) Opern Richard Wagners in einem Marathon zu präsentieren. Zu diesem in Leipzig geborenen Großkomponisten passt ein derartig einmaliger und auch ein wenig größenwahnsinniger Kraftakt allemal. Und Ulf Schirmer krönt so seine Intendantenjahre spektakulär. Wie man die internationale Wagnergemeinde so kennt, wird das funktionieren!

1. Aufzug: reinstes Bilderbuchmittelalter
Nun also „Die Meistersinger von Nürnberg“. Die Handwerkeroper, in der die Deutsche Kunst und das Deutsche an sich am Ende so explizit (von Wagner selbst und von der Rezeptionsgeschichte) zum Thema gemacht werden, dass dem heute kein Regisseur mehr ausweichen kann. Selbst wenn man das „Was-deutsch-und-echt,-wüßt`-keiner-mehr“-Pathos in Hans Sachsens Schlussansprache einfach so vom Blatt spielen lassen würde, wäre das ja ein Statement. Per se reaktionär ist es nicht. In Barrie Koskys Bayreuther Inszenierung hält Sachs seine Rede allein, direkt ans Publikum. In Leipzig schaut jetzt der Regisseur David Pountney, gleichsam als Brite, von oben auf die ererbte Nürnberg-Idylle.

Von den Stufen eines Amphitheater-Halbrunds (Bühne: Laslie Travers) blicken Zeitgenossen der Zuschauer im Saal auf ein hübsches Holzmodell-Nürnberg. Mannshohe Kirchtürme, Fachwerk – das reinste Bilderbuchmittelalter. Viele der Nürnberger auf der Bühne haben weiße Overalls über ihren historischen Kostümen, so als wären sie von der Spurensicherung. Anders die Meister, die hat Marie Jeanne Lecca so herausgeputzt, als käme sie vom Schneider Albrecht Dürers. Ein Einstieg nach dem Motto „Künstler der Welt, schaut auf diese Stadt“ sozusagen. Oder das Happening in einer Kunstakademie, in die Stolzing hineinschneit, um sich mit Eva zu verabreden. Aufpassen, wo sie hintreten, müssen sie bei soviel Stufensteigen und Gassenenge à la Modelleisenbahn jedenfalls. Dennoch – der erste Akt funktioniert in seiner offenen, ans Publikum gerichteten Art auch in dieser Umgebung vom ersten Ton an.

2. Aufzug: Perspektivwechsel mit Gegenwartsbezug
Im zweiten Aufzug sorgen eine angedeutete Riesentür und -butzenscheibenfenster rechts und links für einen Perspektivenwechsel. Wenn sich die Prügelszene anbahnt, entschwinden die beiden Riesenteile gen Schnürboden, und auf den Stufen des Halbrunds gehen eine in Schwarz und in Rot stilisiert kostümierte Gesellschaft aufeinander los. Ein paar irritierte Bürger in Unterwäsche geraten dazwischen und wissen nicht, wie ihnen mitten in diesem plötzlichen Gewaltausbruch geschieht. Unwillkürlich fällt einem da das Polizeiaufgebot in der Leipziger Innenstadt ein, das am Premierenabend ein gerade erteiltes Demonstrationsverbot absicherte. (Das hatte nichts mit der Oper zu tun, kam aber dem ungestörten Besuch zu gute). Nach dieser stilisierten Überhöhung der Prügelei war vorhersehbar, dass zum Ruf des (kriegsinvaliden) Nachtwächters allesamt zu Boden gehen und sich die Projektion eines Nürnbergs in Trümmern über die Szene legt.

3. Aufzug: Nürnberg-Trümmer
Im Dritten Aufzug dann finden sich auf dem Dach einer ziemlich unverblümt tümelnden fränkischen Schusterstube die Nürnbergtrümmer wieder. Innen: Bauernstubenfolklore pur, darüber: (metaphorisch) die Last des Vergangenen im Laubsägeformat. Hier sitzen Sachs und Stolzing beisammen für die Notizen zum Siegerlied, das Beckmesser zu seinem eigenen Verhängnis stibitzt. Hier bringt Eva Sachs noch einmal für Momente auf den Gedanken, selbst um sie zu werben, hier wird David so zum Gesellen geohrfeigt, dass er vom Hocker fliegt, und hier wird das Quintett zur Taufe des Siegerliedes (etwas zu forsch) zelebriert.

Pountneys Pointe
Schließlich verschwindet alles auf offener Szene in der Versenkung. Noch herumliegende Trümmer werden beseitigt und ein Modell des Berliner Reichstages als Podest für den Sängerwettstreit aufgebaut. Wir sind also bei uns in der Gegenwart, soll dass wohl heißen. Zum Aufmarsch der Zünfte ist das Fahnenschwenken durch eine angedeutete Tanzshow ersetzt. Für den eh schon durchgängig sympathischen Hans Sachs spricht, dass ihn die Ehrung mit seinem „Wach auf“-Chor wirklich überrascht. Nach Beckmessers Blamage erscheint Stolzing ganz in Weiß. Singt und siegt. Auf der Bühne und im Saal. Als er die angebotene Meisterehre ausschlägt, hat vor allem Hans Sachs nicht allzu viel Mühe, um Walthers (kleine) Rebellion schnell in dessen Wechsel auf die Seite der Etablierten zu verwandeln. Pountneys Pointe besteht darin, dass sich Eva und mit ihr nahezu alle Frauen von diesem Triumph der bestehenden Ordnung abwenden. Das Problem Beckmesser, den Pountney über weite Strecken in die Nähe eines (jüdischen?) Außenseiters rückt, hatte sich da von selbst erledigt. Er war nach seinem missglückten Auftritt geflohen, ward nicht mehr gesehen und kehrt auch nicht zurück.

Keine Wagnersänger? Von wegen!
Pountney liefert zwar das hierzulande unumgängliche Mindestmaß an politischer Verortung, bleibt aber deutlich hinter der Einbindung der Vorgängerinszenierung von Jochen Biganzoli in die deutsche Nachkriegsgeschichte zurück. Die neuen „Meistersinger“ sind nicht völlig apolitisch, aber (ver-)stören dürften sie mit dem eingebauten historisch kritischen Minimum auch niemanden. Dass diese Oper neben allem Politischen auch Wagners menschlichstes und komödiantischstes Stück ist, das wird allemal deutlich. Geradezu mustergültig war die sonst weit und breit kaum anzutreffende Wortverständlichkeit. Selbst Ulf Schirmers zupackend frische, manchmal auch komödiantisch triumphierende Art, das Gewandhausorchester zu einem flotten lebensprallen Wagnerklang zu animieren, überdeckte sie nie. Die Befürchtung, die man noch haben konnte, als einem bei geschlossenem Vorhang die Ouvertüre regelrecht um die Ohren flog, war beim ersten gesungenen Ton vergessen.

Selten kann man Eva und Magdalene so aufs Wort folgen wie bei Elisabet Strid und Kathrin Göring. Matthias Stier überraschte regelrecht als grandioser belcantistischer David. Magnus Vigilius faszinierte durch seine souveräne Strahlkraft und die lockere Spielweise eines auch optisch idealtypischen Walther von Stolzing. Der Hans Sachs von James Rutherford verbindet Eloquenz und souveräne Noblesse ohne Altherrenattitüde, mit der Sebastian Pilgrim als Veit Pogner wiederum bewusst spielt. Mathias Hausmann gestaltete (einer Indisposition wegen) seinen agilen Beckmesser als eine perfekte Playbackshow, zu der Ralf Lukas von der Seite den Gesang beisteuerte. Auch sonst wird tip top gesungen und gespielt. Auch von den Chören, die Thomas Eitler-de Lint einstudiert hat. Keine Wangersänger? Von wegen. In Leipzig sind sie. Ungeteilter Jubel.

Joachim Lange | 25. Oktober 2021

klassik-begeistert.de

Schwarz-Weiß-Rot: Richard Wagners “Die Meistersinger von Nürnberg” an der Oper Leipzig

Das ist ganz große Oper mit Gänsehauteffekt! Solche Momente hätte man sich häufiger gewünscht. Dem Publikum hat es gefallen.

Wenn der Sänger der Hauptrolle des Sixtus Beckmesser in den „Meistersingern von Nürnberg“, des Stadtschreibers der Reichsstadt Nürnberg und sozusagen der „Intellektuelle“ unter lauter Handwerksmeistern und „Volk“, noch mehr der Gegenspieler des Schuhmachermeisters Hans Sachs (großartig warm singend, menschlich und vorzüglich artikulierend James Rutherford) als des Junkers Walther von Stolzing (sehr beachtenswertes strahlendes Debüt von Magnus Vigilius), sehr kurzfristig als Sänger ausfällt und von Mathias Hausmann (dessen geplantes Debüt in der schauspielerisch und gesanglich besonders fordernden, aber auch dankbaren Rolle) zwar wie immer großartig gespielt, aber notgedrungen und doch vorzüglich von Ralf Lukas von der Seite am Notenpult gesungen wird, fehlt jeder Inszenierung das komisch-tragische Zentrum dieser Oper.

Ganz besonders gilt dies aber in dieser Inszenierung von David Pountney, der Beckmesser im durchgängig schwarzen Anzug mit jüdisch inspirierter Kopfbedeckung mit dünnen Gebetszöpfchen (Kostüme prächtig und psychologisch auf den Leib geschneidert von Marie Jeanne Lecca) von Anbeginn als Außenseiter quasi in den Mittelpunkt seiner Regie rückt.

Ohne Beckmesser und seine sich unmittelbar im Gesang UND Spiel äußernde Persönlichkeit fehlen der Oper die meisten komischen Situationen – aber auch die tragische Fallhöhe und sogar Modernität dieser Gestalt, die am Ende in dieser Inszenierung im Triumph der Meistersinger und der „deutschen Kunst“ auch einfach im Dunkel der Hinterbühne verschwinden muss.

Dieses Schicksal teilt er am Ende mit der strahlend weiß gekleideten Eva, die alle ihre Hoffnungen auf eine Flucht mit dem Ritter Stolzing aus der alten Reichsstadt und ihren patriarchalischen Verhältnissen gerichtet hatte, aber daran zweimal durch Hans Sachs gehindert wird, der den bürgerlich gewordenen Junker in die Mitte der männlichen Stadtgesellschaft zwingt und damit auch Eva.

Eva umrundet am Ende der Oper als einsame tragische Gestalt oben das Rund einer Art Amphitheater mit Treppen (Bühne: Leslie Travers) die ständisch gegliederte und unter ihr sich laut feiernde und rein männlich beherrschte Stadtgesellschaft, ohne dass ihr Freiheitsdrang und ihr Geschlecht zu ihrem Recht kämen.

Eva trägt im dritten Aufzug ein sehr elegantes, reich geschmücktes weißes Hochzeitsgewand mit pompöser Kopfbedeckung. Schließlich ist ihr Vater Veit Pogner (seriös und sonor gesungen von Sebastian Pilgrim) auch die reichste Persönlichkeit der Reichsstadt. Sie ist eine „gute Partie“.

Ebensowenig, weiß gekleidet sind der sich im Preislied bewährende zukünftige adlige Gemahl Walther von Stolzing wie das zweite Paar David und Magdalene. Dieses Weiß bestimmt aber auch von Anbeginn an immer wieder die Arbeitskittel der Lehrbuben und weiter Kreise des Volks. Wofür steht es? Reinheit, Naivität, Arbeitsethos, Feierlichkeit?

Und dann gibt es noch die Farbe Rot: die Farbe der Sneakers des zu Beginn im Kontrast zu den spätmittelalterlichen Gewändern von David und Sachs und den altmodisch bürgerlichen Kleidern der Eva und Magdalene zeitgenössisch kostümierten Außenseiters Junker Walther von Stolzing. Am Anfang der Oper nähert er sich damit Eva in der Kirche, die sicherlich nicht nur daran großen Gefallen findet. Und Rot, (Achtung!) die Farbe der Liebe, ist auch Evas Halstuch in der Kirche, das sie liegen lässt um kurz mit dem Junker ins Gespräch zu kommen.

Somit haben wir den Dreiklang Schwarz (für Beckmesser und seine negativen dunklen Seiten – aber auch Teilen der Stadtgesellschaft), Rot (für die Liebe und das Außenseitertum von Stolzing) und Weiß (für die positiven, aber auch starren Seiten der städtischen Gemeinschaft und die Ehebünde). Darauf scheinen sich in den ersten zwei Aufzügen einschließlich der Prügelfuge am Ende des zweiten Aufzugs die Auffälligkeiten einer ansonsten ziemlich konventionell daher kommenden Inszenierung zu beschränken.

Erst im dritten Aufzug vermissen wir dann die Farbe Rot. Nun geht es aber auch weniger um die Liebe als um das Repräsentative und Ehebünde. Standen in den ersten beiden Aufzügen auch kleine Modellbauten aus Holz im Zentrum der Bühne für die Reichsstadt Nürnberg mit ihren Kirchen, Türmen und repräsentativen Bürgerhäusern, so wird nun im Mittelpunkt der Bühne ein kleines Holzmodell des Berliner Reichstagsgebäudes errichtet, das später dem Sängerstreit als Podest dient.

Nun tragen die Meister ganz besonders prächtige Gewänder und auch das Volk, vor allem die Weiblichkeit, hat sich zum Johannistag kräftig herausgeputzt. Die Meister ohne Ausfälle, aber auch durch die Regie nicht besonders charakterisiert Sven Hjörleifsson als Kunz Vogelgesang; Marek Reichert als Konrad Nachtigall; Tobias Schabel als Fritz Kothner; Paul Kaufmann als Balthasar Zorn; Andrew Dickinson als Ulrich Eisslinger; Ric Furman als Augustin Moser; Franz Xaver Schlecht als Hermann Ortel; Roman Astakhov als Hans Schwarz und Jean-Baptiste Mourot als Hans Foltz.

Eine Festoper par excellence (Choreographie der Prügelfuge am Ende des zweiten Aufzugs und der Tanzszenen im dritten Aufzug Dennis Sayers), die in der Inszenierung niemand weh tut und am Ende entsprechend vom Publikum bejubelt wird.

Was gibt es von der musikalischen Seite zu berichten? Am Pult des Gewandhausorchesters steht Ulf Schirmer – immer ein Garant für höchst sachkundiges Richard-Wagner-Dirigat bis in die letzten Details der Partitur. Kristalline Transparenz, höchste Eleganz, ein an den richtigen Stellen angemessener lyrisch-warmer Ton, den Atem raubende Tutti (und zusammen mit dem enorm verstärkten Chor und Extrachor im „Wach auf“-Chor wie ein Sturm, Einstudierung Thomas Eitler-de Lint ) und vor allem in den Holzbläsern betörende Schönheiten dieses großen Meisterwerks aus der Feder des Bayreuther Meisters.

Das Gewandhausorchester klingt selten so schön, so souverän und so sicher als Weltklasseorchester wie an diesem Abend mit Wagner unter Ulf Schirmer – auch nicht auf der anderen Seite des Augustusplatzes im Stammhaus des Gewandhauses. Das wird nie langweilig, weil auch sonst oft kaum gehörte Details erklingen.

Das verspricht viel für die Wagner-Festtage im Frühjahr 2022, an denen die Oper Leipzig nicht nur sämtliche Bühnenwerke Richard Wagners aufführt sondern in einem umfangreichen, auch wissenschaftlichen Begleitprogramm sein Werk und seine Rezeptionsgeschichte besonders in Leipzig beleuchtet.

Diese Festspielqualität des Orchesters gelten bei den Sängern auch für den David des Matthias Stier (exquisit!) und die Magdalene der Kathrin Göring. Beide singen vollkommen textverständlich, spannend und schön in allen Nuancen und charakteristisch an den komischen Stellen.

Elizabet Strid singt und gestaltet die Eva mit starker Hingabe. Es ist nicht die dankbarste Rolle von Wagner für einen Sopran und in dieser Oper. Ihre großen dramatischen Stärken kann Frau Strid dann in der Schusterstube im dritten Aufzug zeigen, wo sie uns an ihrer Zerrissenheit in den Gefühlen zwischen Sachs und Stolzing ganz direkt teilnehmen lässt und das Drama ihrer Gestalt unmittelbar mitfühlen lässt. Das ist ganz große Oper mit Gänsehauteffekt! Solche Momente hätte man sich häufiger gewünscht. Dem Publikum hat es gefallen.

Dr. Guido Müller | 23. Oktober 2021

Rating
(6/10)
User Rating
(3/5)
Media Type/Label
Technical Specifications
320 kbit/s CBR, 44.1 kHz, 650 MByte (MP3)
Remarks
In-house recording
A production by David Pountney (2021)