Der fliegende Holländer
Ivor Bolton | ||||||
Chor des Salzburger Landestheaters Mozarteumorchester Salzburg | ||||||
Date/Location
Recording Type
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Daland | Bjarni Thor Kristinsson |
Senta | Julie Makerov |
Erik | Jeffrey Lloyd-Roberts |
Mary | Heike Grötzinger |
Der Steuermann Dalands | Franz Supper |
Der Holländer | Marcus Jupither |
Immer noch unerlöst und Raucher
Midou Grossmann
Nun endlich hat das Salzburger Landestheater nach sechs Jahren wieder eine Premiere im Großen Festspielhaus auf die Bühne gebracht. Wagners ‘Fliegender Holländer’ füllte das Haus. Entschieden hatte sich das Team für die Dresdner Fassung (Uraufführung am 2. Januar 1843), und Regisseur Aron Stiehl erklärte während der Einführung, dass er eine einfache Liebesgeschichte zeigen wolle, ganz werktreu; Sentas Sturz ins Meer sollte auch gezeigt werden. Ob man die Salzburger Inszenierung als werktreu bezeichnen kann, bleibt dahingestellt, denn die Aufführung spiegelte doch einen eindimensionalen Zeitgeist wider, der sicherlich so nicht von Wagner beabsichtigt war. Im Gegenteil, Wagner sprach immer von einem Gesamtkunstwerk, das weit über die banalen Situationen des auf den ersten Blick ersichtlichen Lebens hinausgehe.
In Salzburg dagegen zeigte sich das Geschehen auf der Bühne durchweg alltäglich banal. Zwar berief man sich im Programmheft auf die Inszenierung der Berliner Krolloper aus dem Jahr 1927, mit Klemperer am Pult, die wegweisend durch ihre Einfachheit gewesen sein soll. Senta wurde damals wohl als eine Proletarierin gezeigt, die Spinnstube war zur Fabrikhalle mutiert. Das kennen wir heute alles zu Genüge und wenn man den x-ten Aufguss dieser Version auf die Bühne bringen möchte, dann sollten mindestens die gestalterischen Mittel überzeugend eingesetzt werden. Aron Stiehl begnügte sich zumeist mit Rampentheater, und das ziemlich abstrakte Bühnenbild von Jürgen Kirner, bestehend aus minimalistischen Zeichnungen in Schwarz-Weiß, trug nicht zu einer Intensivierung der Szene bei. Dalands Schiff und sein Haus wie von Kinderhand entworfen, der Zwischenvorhang: eine schwarze Wand mit weißem Wellenmuster. Selbst das Meer der Schlussszene präsentierte sich als Zeichnung mit Rahmen; der Holländer verschwindet einfach seitlich in die Kulissen, Senta schreitet durch einen Schlitz im Bild ins Nirwana.
Der szenische Handlungsaufbau bringt keine Entwicklung, ist weder explosiv oder überzeugend. Der Auftritt des Holländers (Marcus Jupither) zeigt schon einen Gescheiterten mit Zigarette in der Hand, hineingestellt in einen Kreis aus schwarzen Zylindern. Marcus Jupither gelingen gesanglich beeindruckende Passagen, die Stimme klingt zuweilen fast lyrisch, besitzt aber letztendlich zu wenig Charakter und Ausdruckskraft. Warum der Holländer eigentlich Erlösung sucht, diese Frage bleibt den ganzen Abend über unbeantwortet. Auch Senta (Julie Makerov mit einem eindimensionalen Sopran) gibt dem Zuschauer hier keine Antwort. Zwei labile Menschen stehen sich im zweiten Bild gegenüber, die schon jetzt gescheitert sind. Dazu ein brutaler Erik (Jeffrey Lloyd-Roberts), ein Frauenschläger, der auch gesanglich der Partie nicht gewachsen ist. Daland (Bjarni Thor Kristinsson), wieder ein Kapitän im Ledermantel, versucht die Tristesse der Liebenden etwas aufzuheitern, umsonst. Stimmlich kann Kristinsson nicht richtig überzeugen, zu monoton ist zuweilen sein Gesang, ohne schöpferische Kraft. Das gilt auch für Franz Supper (Steuermann). Einzig Heike Grötzinger als Mary bringt vollen Bühneneinsatz und gestaltet ihre kurze Partie stimmlich wie darstellerisch beeindruckend frisch und hinreißend spannend. Als Chorleiterin kann sie sogar dirigieren, die Spinnstube ist zum Treffpunkt eines Frauenchores umfunktioniert worden.
Dass dieses Ensemble nie zu einer Einheit gelangte, lag auch an der zerdehnten Temponahme des Dirigenten Ivor Bolton, der mit dem Mozarteumorchester keinen einheitlichen Spannungsbogen aufzubauen vermochte; zu unsauber auch viele Einsätze. Chor und Extrachor des Salzburger Landestheaters (Einstudierung Stefan Müller) agierten dagegen zufriedenstellend. Die Chorszenen gelangen dem Regisseur dann noch am eindrucksvollsten, wenngleich das Holländerschiff nicht gezeigt und der Chorgesang der Mannschaft per Band eingespielt wurde.
Bereits einmal hat das Landestheater Salzburg, damals in Koproduktion mit Saarbrücken, Wagner im Großen Festspielhaus gebracht. Es war ein „Tristan” in der Inszenierung von C. Pöppelreiter im Bühnenbild von Daniel Libeskind. Nun ging man mit dem „Fliegenden Holländer“ wieder ins anspruchsvolle Festspielhaus und wurde diesem Anspruch nicht so ganz gerecht. Es wurde inszenatorisch gewissermaßen ein „Holländer“ light, was sich nicht unbedingt aus der stürmischen Musik ableitet, die ihm der Skagerak-Umschiffer ins Stammbuch geschrieben hat. Der Regisseur Aron Stiehl und sein Dramaturg Bernd Feuchtner lassen das Drama in Anlehnung an den deutschen Philosophen und Schriftsteller Rüdiger Safranski als einen Traum ablaufen, den das Leben des Geistes von Anbeginn träumt. Es ist der Traum, dass es die Dualität zwischen Leben und Geist nicht mehr, sondern stattdessen nur noch die eine Wirklichkeit, die des Geistes, geben möge. Nun ist es in der Tat auch etwas langweilig, den ohnehin noch nicht die volle Reife Wagners als Musikdramatiker dokumentierenden „Holländer“ 1:1 ablaufen zu lassen. Das wird manchmal noch gemacht, immer mehr versuchen sich die Regisseure aber in Verfremdungen, die der Grundaussage des Werkes durchaus entgegen kommen. Harry Kupfer in Bayreuth war 1985 vielleicht der erste, der hier Maßstäbe setzte. Aber auch Dieter Dorn und Claus Guth in Bayreuth, sowie Christine Mielitz in Wien, Calixto Bieito in Stuttgart und Peter Konwitschny in Graz legten sich auf eine verfremdende Sichtweise der Sage des endlos umherirrenden Ahasvers fest, die der Wirkung des Werkes in einigen Fällen groessere Intensität verlieh. Am Teatro San Carlo in Neapel schuf der Maler Valerio Adami 2003 die Bühnenbildmalereien zum „Holländer“ von Jorge Lavelli – und es war der malerische Ansatz, den auch der BühnenbildnerJürgen Kirner in Salzburg wählte. Seine Hauptmetapher, um die Geschichte des Holländers zu zeigen, ist das Bild. Gleich zu Beginn sieht man den Holländer vor einer Riesenwand mit Bildern stehen, die Boote auf der stürmischen See andeuten. Gegen Ende der Ouvertüre verschwindet er in (s)einem Bild und taucht in die Daland-Welt ein, die Wand sinkt zu Boden. Und wie Safranski in Anlehnung an eine chinesische Fabel schreibt, verschwindet der Maler in seinem Bild, kommt nach Hause, in eine Welt, die er mit niemandem mehr teilen muss: seine Welt. Zu Beginn wird also gleich klar, dass der Holländer mit dem Durchschreiten seines Bildes den Traum der einen Wirklichkeit, der des Bildes, träumt, und sich in diesem Raum, der Daland-Sphäre, die Hoffnung auf eine Erlösung durch Senta abspielt. Allein, der Traum geht nicht auf. Zwar hat auch Senta im Finale die Daland-Sphäre durch ein Bild im Hintergrund für immer verlassen. Der Holländer steht aber wie zu Anfang, scheinbar relaxt mit den Händen in den Taschen, in seinem weißen Sommeranzug (Kostüme teilweise unpassend Nicole von Graevenitz), vertieft vor der wieder aufrechten Wand, in der ein einziger Unterschied zu sehen ist: die sich ins Meer stürzende Senta in ihrem blauen Outfit. Angenähert hatte er sich ihr im Duett ohnehin nicht. Wollte er überhaupt erlöst werden?! Ohne Lektüre des Programmheftes mochte diese Interpretation nicht jedermann unmittelbar eingehen. Aber die Dramaturgie hatte doch etwas seltsam Unentschiedenes, Zaghaftes und ließ es an Dramatik missen, die doch immer wieder in diesem Frühwerk eine Rolle spielt. Auch das langsame Wandern der Senta über die Bühne zur Ouvertüre war nicht wirklich bewegend, noch viel weniger die Tatsache, dass der Holländer einmal aus dem Publikumssaal auf die Bühne kommen musste. Die Aha-Effekte des Publikums bei solchen vermeintlich unkonventionellen Lösungen halten sich mittlerweile in engen Grenzen. So trat zeitweise doch arge Langeweile auf. Die Highlights der Produktion waren ganz sicher die fantasievollen und Stimmungen bei guter Lichtregie verstärkenden Kulissen mit starker malerischer Komponente in Pastelltönen und flotter Pinselführung. Das Regieteam spielte den Riesenraum der Festspielhausbühne auf diese Weise gekonnt aus. Dabei gelang auch die immer wieder problematische Landung des „Holländer“-Schiffes durch eine Verschiebung diverser Kulissen eindrucksvoll bewegt, bis der bleiche Mann selbst in einem Strudel der wirbelnden Wellen unter einem symbolhaft angedeuteten roten Segel zu seinem verzweifelten Monolog erschien – der eben so verzweifelt nicht war. Das lag zu einem guten Teil aber auch an Marcus Jupither in der Titelrolle, der stimmlich nicht das wünschenswerte Volumen und die baritonale Tiefe für die Rolle mitbrachte, obwohl er sie gut verständlich sang. Julie Makerov als Senta spielte sehr engagiert, hatte jedoch immer wieder mit Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen und wurde am Schluss auch zu schrill. Bjarni Thor Kristinssons Bass klang etwas verquollen und wenig beweglich. Er machte seine Sache mit gekonnter Komödiantik jedoch sehr gut. Jeffrey Lloyd-Roberts sang den Erik mit einiger Emphase, obwohl von der Regie arg benachteiligt, aber mit relativ kleiner und nicht wirklich wohlklingender Stimme. Als Steuermann war Franz Supper sehr gut und als Mary Heike Grötzinger akzeptabel. Ganz hervorragend und somit die sängerisch beste Leistung brachte der Chor und Extrachor des Salzburger Landestheaters, auf den das Haus wirklich stolz sein kann. Hohe Prägnanz, Transparenz und gute Dynamik zeichneten das von Stefan Müller einstudierte Ensemble aus. Es wurde zudem abwechslungsreich choreografiert. Immer wieder erschienen sie innerhalb des teilweise gemalten und plastischen Schiffes des Norwegers, wirkten wie ein belebtes Bild. Auch die Konfrontation mit dem Holländer-Chor klappte imposant – er sang aus dem Hintergrund des Zuschauerraumes gegen die Norweger auf der Bühne an. Ivor Bolton dirigierte das Mozarteumorchester Salzburg dynamisch, ließ es aber des öfteren an Feinzeichnung und einer subtileren Klangfärbung in den ruhigen Passagen fehlen. Allzu vieles klang einfach zu laut, und manchmal auch verwaschen, insbesondere das Schlagwerk, über das man einen Deckel hätte setzen sollen. Vielleicht waren die riesigen Dimensionen des Festspielhauses im Vergleich zu jenen des Landestheaters auch schuld daran, dass Bolton es mit der Lautstärke zu gut meinte. So blieb dieser „Fliegende Holländer“ szenisch zumindest interessant, musikalisch aber nicht zufriedenstellend.
Klaus Billand