Tristan und Isolde

Philippe Jordan
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Date/Location
27 April 2022
Staatsoper Wien
Recording Type
  live  studio
  live compilation  live and studio
Cast
TristanAndreas Schager
IsoldeMartina Serafin
BrangäneEkaterina Gubanova
KurwenalIain Paterson
König MarkeRené Pape
MelotAttila Mokus
Ein junger SeemannJosh Lovell
Ein HirtDaniel Jenz
SteuermannMartin Häßler
Stage directorCalixto Bieito (2022)
Set designerRebecca Ringst
TV directorAnna Gettel
Gallery
Reviews
bachtrack.com

Wasser, Wohnzimmer, Wahnsinn

Von einer ausgebuhten Generalprobe und einer kaum wohlwollenderen Aufnahme der Premiere darf man sich nicht beirren lassen, denn positive Überraschungen kann es immer geben. Die zweite Aufführung der neuen Tristan-Inszenierung an der Wiener Staatsoper lieferte dazu den Beweis, denn Andreas Schager war vom Anfang bis zum Schluss in Höchstform und bot als Tristan das Beste, was ich je von ihm gehört habe – den Vergleich mit Tenorhelden vergangener Tage braucht er nicht zu scheuen.

Calixto Bieito lässt ihn in seiner Inszenierung anfangs lang im Wasser auf dem Bühnenboden liegen, aber das scheint Schager wenig zu kümmern, vielleicht hilft die Strapaz sogar, sich in jenen lachend-verzweifelten, irren Zustand vor Tristans Ende zu versetzen, der über den ganzen Abend klug aufgebaut wird und den man selten so mitreißend wie mitleidend erlebt. Solche Momente entschädigen dafür, dass Bieitos Tristan an die Qualität seiner Carmen nicht anschließen kann.

Die metaphorische Bedeutung des erwähnten Wassers im ersten Aufzug braucht nicht weiter erläutert zu werden, aber der technische Aufwand lohnt sich zumindest für das Parkettpublikum nicht, denn nur beim Durchwaten (mit Gummistiefeln) werden Spritzer sichtbar. Über dem Wasser schwingt sich das Bühnenpersonal (zu dem auch etliche Kinder gehören) an Schaukeln, die vom Schnürboden hängen. Das Schaukeln und die Kinder im Umfeld der kinderlosen Protagonisten – dazu kann man Assoziationsketten spinnen, und auch das Auftauchen Tristans als Isoldes Vision ist nachvollziehbar. Dass es bei Bieitos Tristan aber hauptsächlich um seine eigenen (Sinn)bilder und weniger um Theater-Sinnhaftigkeit geht, merkt man daran, dass er keinen Liebestrank gibt, stattdessen schlürft man (andeutungsweise) Bühnenbodenwasser aus der hohlen Hand des/der Anderen. Auch wenn man postuliert, dass die Gefühlswelt der Protagonisten keine Requisiten braucht, wirkt das als Konventionsbruch um des Konventionsbruchs willen, denn der Trank kann ohnehin als Metapher verstanden werden; nur weil sie von Wagner verwendet wird, ist sie nicht schlechter als die von Bieito. Tristan-Neulinge werden aus dieser Szene jedenfalls nicht schlau werden, und der Text im dritten Aufzug führt sie ohnehin ad absurdum.

So plätschert (buchstäblich) der erste Aufzug dahin, und man fragt sich, warum die große Aufregung bei Generalprobe und Premiere? Sähen wir Holzpaneele statt dezenter Wasser-Videos im Hintergrund, wähnte man sich eher bei Christof Loy als beim vormaligen Enfant terrible Bieito. Holzpaneele gibt es dann tatsächlich im zweiten Aufzug, allerdings gedruckt auf Papier, mit dem zwei käfigartige Zimmer ausgekleidet sind. Diese hängen vom Schnürboden, wobei Tristan im linken Kubus in maskuliner dunkler Möblierung die Nacht der Liebe besingen wird, Isolde am weißen Küchentisch im rechten. Beide reißen ihre Welt (und die Papierpaneele) ein sowie die Möbel um; zunächst Isolde, dann Tristan.

Das ist eine weitere interessante (und gut choreographierte) Metapher, geht aber zulasten der Erotik und somit zulasten der von Bieito gern beschworenen „Wahrhaftigkeit des Ausdrucks“, den man als Publikum spüren soll. Ich denke da an einen Fernseh-Nachmittag mit derselben Szene eines (auch nicht rasend spannenden) Tristan von Patrice Chéreau, zu der mein damals Fünfjähriger plötzlich von seinem Lego aufsah und nach einer Weile fragte: „Bekommen die jetzt ein Baby?“ Natürlich soll hier keiner Inszenierung für Kindergartenkinder das Wort geredet werden, aber Wahrhaftigkeit des Ausdrucks führt zu derart intuitivem emotionalem Verständnis, die bei Bieito – zumindest in dieser Inszenierung – zu oft Lippenbekenntnis bleiben.

Wenn sich dann Tristan, von Isolde umarmt, seine todbringende Wunde selbst zufügt, kann man mutmaßen, dass die Szene von Yukio Mishimas Kurzfilm Patriotism inspiriert ist, der einen Ehren-Doppelselbstmord zu Stockhausens „symphonischer Synthese“ von Tristan und Isolde zeigt. Intellektuell verständlich, wird die Szene mit Melot dadurch leider unglaubwürdig bis unfreiwillig komisch, die Rekapitulation im Text des dritten Aufzugs unverständlich. Abgesehen davon kann man sich als Publikum selbst denken, dass die Wunde – durch Untreue gegenüber Marke – letztendlich selbstverschuldet und gemäß Tristans psychischer Disposition sogar gewollt ist.

Im dritten Aufzug sind die umgestoßenen Möbel des zweiten Aufzugs wohl nicht von Cornwall nach Kareol gebeamt, sondern eine Fortsetzung der Idee aus dem zweiten Aufzug, erweitert um nackte Statisten. Zum Finale, nach der eingangs erwähnten Glanzleistung von Andreas Schager, wird Tristans blutüberströmte Leiche von Martina Serafin alias Isolde an ihren Küchentisch gesetzt, bevor sie sich mit dem „Liebestod“ müht und man nicht sicher ist, ob die Mühe Philippe Jordans langsamem Dirigat geschuldet ist, oder im Gegenteil, Jordan ihr über das Finale hilft. Darstellerisch brillant, fehlt ihr leider das stimmliche Unterfutter für diese Partie, vieles wirkte schrill und hohl. Brangäne war mit Ekaterina Gubanova ebenfalls nicht glücklich besetzt, dazu hat die Stimme zu viel Vibrato und zu wenig Strahlkraft – in Erinnerung wird primär ihr Auftritt im zweiten Aufzug beim Fische-Ausnehmen bleiben. René Pape schien von den Premierenschwierigkeiten erholt und gab einen souveränen König Marke, Iain Paterson einen ebenbürtigen, sehr präsenten Kurwenal.

Das Staatsopernorchester war – bis auf einige wenige Ermüdungserscheinungen im Blech – gut disponiert und von Philippe Jordan sängerfreundlich und handwerklich bestens geführt. Dem Vorspiel hätten ein wenig Tempo und mehr Mysterium gutgetan; zum Ausgleich geriet das Vorspiel zum dritten Aufzug phänomenal. Fazit des Abends: Viel Schatten, aber auch Glanzlichter.

Snapdragon | 20 April 2022

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Eine Stimme voller Kraft und Genauigkeit

Andreas Schager weckt in Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an der Wiener Staatsoper große Vorfreude auf seinen sommerlichen Siegfried in Bayreuth. Die Regie von Calixto Bieito erkundet die Traumata der Hauptfiguren.

Antriebslos baumelt ein Dutzend von Kindern auf Schaukeln, die an langen Seilen aus dem Schnürboden der Wiener Staatsoper hängen. Das Wasser unter ihnen, das sich im Hintergrund schemenhaft spiegelt, scheint sie wenig zu irritieren – denn ihre Augen sind verbunden. Es ist kein lustiges Blinde-Kuh-Spiel, das der spanische Regisseur Calixto Bieito am Beginn des ersten Akts von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ zeigt, sondern eine beunruhigende Metapher auf das in jedem Individuum schlummernde Unbewusste. Wir wähnen uns auf sicherem Terrain, weil wir die Abgründe nicht sehen, denen die menschliche Psyche zeitlebens ausgesetzt ist.

Wieso dieses Bild schon im Vorfeld der Premiere für riesengroße Aufregung sorgte, bleibt rätselhaft. Jedenfalls trat der Staatsoperndirektor Bogdan Roščić nach den Buhrufen während der Generalprobe vor den Vorhang, um das Publikum vor Beginn des zweiten Akts darauf aufmerksam zu machen, dass es seine Unmutskundgebungen in den regulären Aufführungen, nicht jedoch in einer Probe äußern solle, um die Künstler nicht zu verunsichern. Kein Buhverbot also, wie ursprünglich von der Wiener Tagespresse kolportiert, sondern eine Mahnung, die Sänger in Ruhe arbeiten zu lassen.

Bayreuth kann sich auf einen spannenden Siegfried freuen
Eine harmonische Premiere wurde es dennoch nicht. Offenbar traf Regisseur Calixto Bieito schmerzhaft ins Wiener Herz, weil er Wagners Oper als Aufeinandertreffen zweier schwer traumatisierter Menschen erzählt: Isolde ist außer sich, weil just der Mann, der ihren Verlobten köpfte, zu ihrem Brautführer erkoren wurde, und Tristan wird das Schuldgefühl nie los, den Tod der Mutter bei seiner Geburt verursacht zu haben. Indem Bieito diese Traumata fokussiert, ändert sich der Blick auf die beiden Hauptfiguren. Tristan, der anfänglich durch das knöcheltiefe Wasser auf der symbolistisch-offenen Bühne von Rebecca Ringst robbt und rollt, ist keinesfalls ein strahlender Held, sondern ein Gebrochener, ein Gehetzter. Und Isolde entfacht im ersten Akt einen wahren Furor, weil sie Tristans Tarnung durchschaut hat und weiß, wer sie zu König Marke geleitet.

Andreas Schager und Martina Serafin, die beiden österreichischen Sänger der Titelrollen, liefern einander einen packenden Kampf. Mit sehr unterschiedlichen Mitteln: Serafins Sopranstimme ist mit den Jahren zwar voluminöser geworden, jedoch in den Höhen nicht weniger schrill. Auch die unsichere Intonation und ihr flackerndes Vibrato trüben den Gesamteindruck. Doch der zwiespältige Rache/Liebes-Engel, der Bieito vorgeschwebt haben mag, gelingt ihr überzeugend. Ganz anders tönt der klar fokussierte, deklamatorisch an große Vorbilder erinnernde Tenor von Andreas Schager, der es noch im Finalakt zuwege bringt, Kraftausbrüche mit höchster Genauigkeit zu stemmen und zugleich die innere Gebrochenheit Tristans auch vokal zu vermitteln. Da kann sich Bayreuth im kommenden Sommer auf einen spannenden Siegfried freuen.

Überzeugend ist das wahnhaft wogende Duell der beiden in heutiger Kleidung auftretenden Sänger (Kostüme: Ingo Krügler) vor allem im ersten Akt. Als der Konflikt dann unvermittelt in Liebe kippt, verweigert Bieito in seiner oft etwas grob geratenen Inszenierung lange eine innige Begegnung der beiden. Anrührend ist es zwar, als sich Tristan und Isolde – in zwei separierten, bürgerlich eingerichteten Zimmern über dem Boden schwebend – vergebens versuchen die Hände zu reichen. Da entpuppen sich die zuvor devastierten Räume als stählerne Käfige der bürgerlichen Moral, die Seitensprünge nur im Verborgenen zulässt. Doch als sie einander selbstvergessen auf zwei Schaukeln endlich begegnen, wirft Tristan kaum einen Blick auf Isolde, obwohl Wagners Musik begehrlich-sehnsüchtig tönt.

Alles wirkt tadellos und tönt dennoch falsch
Ähnlich plakativ wird die Botschaft, dass bürgerliche Zwänge eine befreite Liebe verhindern, dann auch im dritten Akt vermittelt. Da ist im Hintergrund eine Kette von nackten Menschen zu sehen, die auf der nahezu leeren Bühne wohl die Zinnen der Burg Kareol symbolisieren. Auf den Trümmern des bürgerlichen Interieurs siecht der blutende Tristan, verwundet nicht durch Melots Schwert, sondern durch ein Messer von eigener Hand. Während er seine todessehnsüchtige Liebe erinnert, umarmen die Nackten einander zärtlich. Hätte Bieito auf solch demonstrative Bilder verzichtet, um sich stattdessen auf eine tiefgründige Personenregie zu konzentrieren, so wären seine durchaus plausibel aus Wagners Textvorlage entwickelten Ideen szenisch wohl zwingender begründet gewesen.

Dazu fehlte allerdings auch ein schlüssiges musikalisches Fundament. Zwar spielt das Staatsopernorchester unter der Leitung von GMD Philippe Jordan kammermusikalisch luzide, mit weichem, sensiblem Klang und an den entscheidenden Stellen auch mit satter Wucht. Alles wirkt tadellos und tönt dennoch falsch: Denn Jordan entwickelt weder ein Sensorium für die Ekstasen noch für die Abgründe dieser Musik. Auch das Ensemble ließ viele Wünsche offen: Stimmlich zu schwach ist die Brangäne von Ekaterina Gubanova, deklamatorisch zwar makellos, doch ungewohnt unsicher wirkt der König Marke von René Pape, blass der Melot von Clemens Unterreiner. Einzig Iain Paterson als Kurwenal kann neben den beiden Protagonisten markante Akzente setzen. Der organisiert wirkende Buh-Orkan richtete sich aber nur gegen das Leading-Team.

REINHARD KAGER | 18.04.2022

Süddeutsche Zeitung

Wagners dunkles Panoptikum

Der Wundertenor Andreas Schager brilliert an der Wiener Staatsoper als Tristan mit einer schonungslos realistischen Studie zur Psychopathologie des Liebeslebens.

Zwei Männer rühren in der Wiener Staatsoper alles Unglück der Welt an. Das sind der Musikchef des Hauses, Philippe Jordan, und der Tenor Andreas Schager. Schager ist ein Phänomen. Der 1971 geborene österreichische Sänger hat sich in den letzten zehn Jahren ganz konsequent die langen und megaschwierigen Tenorpartien bei Richard Wagner erarbeitet, der Dirigent Daniel Barenboim war sein Mentor, hat ihn nach Berlin geholt, Schager wird im Sommer in Bayreuth singen. Aber jetzt macht er erst einmal Station an der Wiener Staatsoper in Wagners Liebesunglücksstück “Tristan und Isolde”. Und beweist wieder einmal, dass kein Orchester zu laut sein kann, als dass er nicht dennoch darüber hinwegsingen könnte, tonschön und irgendwie ohne sicht- und hörbare Anstrengung.

Schagers Tristan ist ein alternder und gern lachender Draufgänger, ein Überflieger und Alleskönner. Besonders als Kämpfer und Politikberater hat er sich skrupellos hervorgetan, ihm lacht die Welt. Er ist zudem hinreißend sympathisch, wie er da in Cordhose und mit Dufflecoat und offenem Hemd auf der Bühne steht und liegt. Die Herzen aller Menschen fliegen ihm zu. Aber in ihm toben grausige Abgründe, von denen er so gut wie gar nichts ahnt, die ihm aber den entscheidenden Strich durch die Karriere machen werden.

Selbst jubelnde Freude ist immer nur das Sprungbrett in die nächste Psychose
Vor dem Hintergrund des Mordens, Folterns und Vergewaltigens in der Ukraine klingt in Wien der “Tristan” besonders düster, ausweglos und destruktiv. Philippe Jordan macht aus der Partitur die schaurige Asservatenkammer aller unterdrückten Sehnsüchte des Helden Tristan. Die Instrumente spielen dunkel, dunkler, am düstersten, die Klänge sind Albträume, der berühmte Tristan-Akkord, dieses lastende Symbol nicht nur sexueller Unerlöstheit, kennt hier viele ähnlich verquer veranlagte Brüder und Schwestern. Wagners Musik ist ein Panoptikum. Kein Mensch ist zu beneiden, der mit einer derartigen Psyche geschlagen ist, in der wie im Treibsand alle Sicherheiten verrutschen und der selbst jubelnde Freude immer nur das Sprungbrett in die nächste Psychose ist.

Zudem hat Tristan ein Frauenproblem. Isolde ist wohl die erste Frau, die ihm überhaupt etwas näherkommt. Und Martina Serafin muss in Wien schon als sehr heutig selbstbewusste Frau agieren, um den Schönlingsheld, der zudem ihren Lover ermordet hat, handfest für sie zu interessieren. Im ersten Akt knutschen die beiden herum, lange bevor Wagners Partitur die Erlaubnis dazu gibt. Aber da sieht sie in ihrer Verliebtheit die Abgründe in diesem Mann noch nicht, dessen Wesen jenseits der Strahletöne Destruktion ist, die sich immer dezidierter gegen ihn selbst richtet. Tristan ist bei Schager ein grundsätzlich liebesunfähiger Mann, der dann an dieser Liebesunfähigkeit zugrunde geht. Einer, der Isolde zwar unbedingt haben will, aber nur, um sie mit sich in den Tod zu reißen.

Oper: Andreas Schagers Tristan hätte sich schon längst in psychiatrische Behandlung begeben müssen.Detailansicht öffnen Andreas Schagers Tristan hätte sich schon längst in psychiatrische Behandlung begeben müssen. (Foto: Michael Pöhn) Schagers Tristan ist ein in den Tod verliebter Selbstmörder. Der in Blutgemetzeln erfahrene Regisseur Calixto Bieito lässt ihn schon früh mit einem Messer auf sich selbst losgehen, sodass Schager einen großen Teil des Abends blutverschmiert und taumelnd zubringt. Aber seiner Sängervitalität tut das keinen Abbruch. Dieser Mann schont sich nie, nimmt jede Herausforderung an und hat dann unglaublicherweise auch noch Riesenkräfte, um seine endlosen Todesmonologe im Schlussakt nicht nur durchzuhalten, sondern sie souverän zu gestalten. Gibt es derzeit einen Sänger, der auch nur ansatzweise über eine solche Kraft und Unerschrockenheit verfügt? Nicht auf dieser Welt.

So zeigt Schager den Tristan als Hybrid. Da ist einerseits ein Kraftprotz und Sunny Boy. Aber Schager zerstückelt häufig die Gesangslinien und zeigt schon dadurch, dass das alles nur Show ist, dass dieser Tristan ein zu kleinsten Stückchen zerbrochener Mann ist, den nur noch die Außenhülle als selbstbestimmten Menschen beweist. Dieser Tristan hätte sich schon längst in psychiatrische Behandlung begeben oder in eine Anstalt einweisen müssen, er ist eine Todesgefahr für sich und seine Mitmenschen. Sich von seinen Zwängen und seiner Todesfixiertheit zu lösen, das schafft dieser Mann nicht aus eigener Kraft. Er kann sich nur selbstmorden, er kann nur verwüsten. So ist der Wiener “Tristan” eine Studie zur Psychopathologie des Liebeslebens, aber weit davon entfernt, grundsätzlich etwas über die Liebe zu erzählen.

Erlösung ist hier reines Wunschdenken
Dieses Männerbild aber ist im Moment wieder arg in Mode. Doch Regisseur Bieito, dessen Team zuletzt ausgiebig ausgebuht wird, verweigert jede Anbindung ans Heute. Er erklärt auch in keinem Moment, wie dieser Tristan zu diesem liebesunfähigen Asozialen werden konnte, wie sich hier und grundsätzlich gesellschaftlicher Erfolg und Frauenfeindlichkeit bedingen, warum Zerstörungslust für manche Menschen der einzige Ausweg ist. All das steckt beunruhigend in Wagners “Tristan”. Die Wiener Aufführung belässt es dabei, das Finalstadium eines solchen Menschen zu beschreiben, und das ist wegen Andreas Schagers schonungslos realistischer Darstellung schon für sich extrem beunruhigend.

Die Partitur aber beruhigt sich erst nach dem Tod Tristans, nach dem Tod dessen, dem nicht geholfen werden kann. Erst da kann Isolde das einen Akt zuvor von Tristan unterbrochene Liebesduett allein zu Ende bringen, erst ohne den großen Zerstörer findet die Musik ihren Weg zu Erlösung und Befriedigung. Das aber wirkt in Wien aufgesetzt utopisch. Auch weil der lange Abend davor und die momentane Wirklichkeit eine solche Erlösung als reines Wunschdenken brandmarken.

Reinhard J. Brembeck | 15. April 2022

Der Standard

Liebe trifft Tod

Heftige Buhs und Euphorie für Calixto Bieitos intensive Inszenierung der Wagner-Oper, die von Andreas Schager, Martina Serafin und dem Orchester getragen und bereichert wird

Seit Lars von Triers Melancholia ist es unvermeidlich, beim Vorspiel zu Wagners Tristan und Isolde an den Weltuntergang zu denken. Umgarnt von den jauchzend sich aufschaukelnden Orchesterlinien rast in Triers Film ein Planet auf die Erde zu, um ihr den Tod zu bereiten. Mit dieser Filmassoziation ist man an der Staatsoper weder weit von Wagner entfernt noch von den Regieideen Calixto Bieitos.

Auch in dieser Oper der ausbrechenden Musikmoderne geht es um Tod. Und auch für Bieito ist das Thema zentral. Natürlich bereitet das Ende hier keine von außen kommende Bedrohung. Es ist eine im Figureninneren tobende Besessenheit; Tristan und Isolde sind zwei glühende Planeten, die aufeinander sehnsüchtig zurasen, um einander zu zerstören.

Er fackelt nicht
Mit der schmerzhaft-prunkvollen Bilderopulenz von Triers Melancholia hat Bieitos Theater optisch nichts zu tun. Wenn schon, wäre eher an Triers minimalistisch dekoriertes Drama Dogville zu denken. Bieito fokussiert sich auf das dichte Ausgestalten der zwei Hauptfiguren, er fackelt dabei nicht lange herum: Er lässt die Besessenheit des Schmerzenspaares bereits vor der Einnahme des Zaubertranks ausbrechen.

Isolde, die von Tristan gerade zu ihrem zukünftigen Gemahl König Marke verschifft wird, ist auch keine in sich ruhende Liebende. Auf dem Wasserboden – inmitten von Schaukeln, auf denen Kinder sitzen – rast sie zwischen Selbsthass und Begehren. Sie packt den Kopf ihrer besorgten Dienerin Brangäne (vokal solide, gestalterisch differenziert: Ekaterina Gubanova), als wollte sie ihn zermalmen. In ihrem Wutmonolog umarmt sie dann auch einen stummen Tristan. Bieito serviert ihn Isolde – quasi als fleischgewordene Fantasie.

Die Unerreichbaren
Auch mit dem “realen” Auftritt Tristans gibt es jedoch für diese selbstzerstörerische Leidensliebe keine Erlösung: Im zweiten Akt wüten und toben die beiden getrennt voneinander in zwei schwebenden Räumen (Bühnenbild: Rebecca Ringst). Während dieser Szene der Unerreichbarkeit des Anderen zerlegen sie Mobiliar, Wände und ihre Kleidung. Das wirkt da und dort ein bisschen aufgesetzt, wenn Tristan etwa mit der Lampe fuchtelt …

Bieito lässt dieses zerstörerische Übermaß an Empfindungen im Großen und Ganzen aber fulminant in einer Selbstverletzung des durchdrehenden Helden münden. Statt Melot (klar und impulsiv: Clemens Unterreiner) fügt Tristan sich selbst die Wunde zu, als wollte er sein Begehren wie ein Alien aus sich herausschneiden. Isolde bemerkt die Selbstverstümmelung und will folgen. Bevor König Marke sein Klagelied (zunächst ungewohnt fragil: René Pape) gegen Tristan richtet, verhindern jedoch zwei Kinder, dass sich Isolde die Pulsadern aufschneidet.

Nacktes Kollektiv
Es ist offensichtlich: Hier sehnen sich zwei um Kopf und Kragen, wollen in eine andere Sphäre hinübersterben, wo sich ihre Qualen in Zweisamkeit auflösen. Der Höhepunkt der Leiden ist in der “Werkmitte” natürlich noch nicht erreicht: Im dritten Akt, den Bieito mit einem nackten Kollektiv verziert, dessen Pärchen zu Liebesskulpturen verschmelzen, erklimmt Andreas Schager als Tristan den Gipfel an intensiver Darstellungskunst, die ohne seinen strahlenden Tenor natürlich nicht glaubhaft wäre. Schager zeigt: Bieitos Arbeit ist am stärksten dort, wo sie innere Schmerzen konsequent in körperlich vermittelte Unmittelbarkeit verwandelt.

Schager, bis auf Sekundenmomente der Ermüdung, geht bewundernswert bis zur Selbstentäußerung. Ob er im Delirium seinen Kurwenal (steigert sich zu packender Dramatik: Iain Paterson) zu erwürgen droht oder blutend vor Isolde todeserschöpft niedersinkt: Er bleibt vokal überragend und agiert bezüglich Intensität auf Augenhöhe mit Isolde. Martina Serafin meistert die ewige vokale Zumutung mit charaktervollem, angeschärftem Timbre. Aus ihrer differenzierten Rollengestaltung leuchten neben wuchtigem Drama auch intim-zarte Linien hervor, die zum Schluss hin allerdings in einen vokalen Kampf münden. Beim Liebestod schienen die Kräfte zu schwinden.

Um Nuancen zu laut
Der demonstrativ akklamierte Musikdirektor Philippe Jordan animiert das fulminante und impulsive Staatsopernorchester zu glühender und zugleich differenzierter Diktion. Auch wenn das Orchester hier ein Hauptdarsteller ist, hätte man den Stimmen an mancher Stelle gewünscht, nicht mit derart großer Dezibelfreude konfrontiert zu sein. Orchestral eine Nuance zurückhaltender zu agieren hätte das instrumentale Charisma sicher nicht minimiert, den Sängerinnen und Sängern jedoch mehr Gestaltungsfreiheit gegeben – und weniger “Überlebenskampf”.

Nach dem ersten Akt gab es ein grobes Buh. Nach dem zweiten Akt waren es gefühlte drei Brüller, bis es am Schluss zum Infight zwischen deutlichem Unmut und heftigem Zuspruch für die Geschichte einer Besessenheit kam. Wunderbar. Die Staatsoper durchwehte ein Hauch von zeitgemäßer Opernnormalität – befeuert von einer spannenden Regie.

Ljubiša Tošić | 15.4.2022

olyrix.com

Tristan et Isolde par Bieito à Vienne : rêve sensuel, monde aqueux

La nouvelle production de Tristan und Isolde (Wagner) mise en scène par Calixto Bieito est portée à l’Opéra d’État de Vienne par les chanteurs stellaires Andreas Schager (Tristan), Martina Serafin (Isolde), René Pape (Marke), avec Philippe Jordan à la baguette

Calixto Bieito met Tristan et Isolde sous (le signe de) l’eau, au sens littéral. L’omniprésence scénique de cette eau représente la fluidité, l’éphémère, les profondeurs de l’intériorité (l’être, “sous-l’eau” dans les termes du metteur en scène qu’il souligne à plusieurs reprises lors de son entretien avec le dramaturge maison Nikolaus Stenitzer). Plutôt que le drame, Calixto Bieito choisit ainsi le poème musical pour sa métaphysique et en même temps le fond solide d’interprétation (la psyché des amants comme un “poème de rêve”). Les décors de Rebecca Ringst transforment la scène en cadre épuré et nébuleux, où l’eau règne dans les espaces sombres et l’éclairage de Michael Bauer : tantôt fantomatique, tantôt blême et cruel.

La scène est presque vide, avec quelques carrés mis en relief comme de petites îles entourées d’eau (qui se reflète sur les murs). Des balançoires (avec des enfants qui bientôt s’en vont) représentent l’état transitoire du monde, avant d’être remplacées par deux maisons également suspendues du plafond, représentant l’amour conjugal et familial impossible de Tristan et Isolde. Les amants déchirent (métaphoriquement, mais aussi littéralement) les murs qui les séparent jusqu’à ce que les deux maisons se heurtent et qu’ils puissent enfin se retrouver, au sol. Le rêve de la fusion éternelle est ainsi littéralement illustré par un choc brutal déchirant les cloisons, avant le paysage ténébreux et toujours épuré du dernier acte (des corps nus hantant l’espace scénique comme des fantômes flottant dans le purgatoire). L’amour est ainsi une série d’explosions et de frustrations presqu’animales, et Isolde, loin de suivre Tristan dans le « pays où la lumière du soleil ne rayonne pas », laisse son amant (qui vient de trancher les veines) et refuse de partager cette extase suicidaire.

Andreas Schager incarne Tristan avec son héroïsme d’exception habituel. Le timbre équilibré et chaleureux renforce aisément la puissance et les nuances expressives. Les montées, les acmés et les modulations sont toutes mises au service du chant avec naturel et conviction. La richesse et la précision se conservent même lorsqu’il est étendu au sol, et même lorsqu’il se roule par terre à moitié dans l’eau. L’unité demeure solide et dramatique de bout en bout, jusqu’à l’abîme avec le laisser-aller d’une énergie enflammée et débordante.

Martina Serafin incarne une Isolde très humaine, femme élégante de la bonne société mais sachant verser dans le désarroi de l’héroïne romantique. Ses passions sont portées par la chaleur de son tempérament, dans le jeu comme dans le chant. Le timbre dense est parfois volontairement orné de côtés perçants, métalliques, clairs, imposants, et même foudroyants (dans une intéressante complémentarité ou concurrence avec sa couleur cristalline et le timbre chaleureux de Tristan). Les amants entrent parfois en concurrence vocale (suivant la vision de Calixto Bieito à rebours du mythe initial : celle d’une Isolde dominante sur un Tristan déjà brisé), mais retrouvent bientôt leurs unions de tempéraments et de timbres.

Relégué dans la mise en scène au rôle de bon mari, beau et bien habillé, le roi Marke parvient cependant à montrer l’élégance du timbre velouté et la couleur -relativement- sombre de René Pape. Ses nuances fines et réfléchies veulent puiser avec densité dans la plainte du roi trahi mais manquent d’engagement au vu de la marginalisation du personnage (ici allégorie de la vie banale et du monde réel).

Iain Paterson est un sympathique et solide Kurwenal, modeste et raisonnable scéniquement (mais dépassant aisément le simple statut de serviteur) et vocalement. La régularité du timbre, à la densité veloutée à peu près aussi sombre que celui de René Pape, s’impose par son équilibre, produisant un chant expressif qui maintient dans le même temps son côté terre-à-terre.

Dans le contexte de cette mise en scène, Ekaterina Gubanova (Brangäne) passe d’une servante fidèle à une gardienne entre deux mondes : le réel et le rêve, les paysages extérieur et intérieur. Maintenant fermement sa présence scénique, son timbre velouté doté d’un léger caractère métallique sous-tend l’intensité de la voix, dans des montées convaincues et dignes qui ne perdent jamais en puissance. Sa mise en garde traverse la salle entière avec transparence, raffinement et richesse de nuances : un appel de l’au-delà qui recèle ses propres mystères.

La distribution principale est soutenue solidement par les rôles secondaires qui parviennent à s’exprimer malgré la brièveté de leurs présences scéniques. Clemens Unterreiner offre à Melot son timbre ferme et éclatant, avec de nettes articulations. Sa conviction et son énergie sont d’autant plus précieuses que ce rôle déjà marginal dans le texte originel l’est encore plus dans cette mise en scène. Daniel Jenz déploie le chant rêveur du berger avec son timbre transparent et régulier, sachant tout autant imposer la densité de ses appuis. Martin Häßler (le timonier) et Josh Lovell (le marin) livrent des chants rappelant l’Océan mythique du Vaisseau fantôme.

La direction musicale de Philippe Jordan déploie de manière organique la richesse des textures et des nuances dynamiques, avec des fondus intenses. Les cordes, denses et riches mais sans occuper le premier plan, se renforcent mutuellement et avec la résonance fière et résolue des cuivres. Ces derniers deviennent ainsi presque épine dorsale, et parfois moteur, pour les cascades des bois, perçantes et prémonitoires. En de rares occasions, la brillance sonore de la fosse triomphe sur le soutien des chanteurs, avec un flot imposant (un peu précipité) mais conservant pourtant la finesse au cœur de la direction.

Le public accueille le spectacle avec enthousiasme, une réaction diamétralement opposée aux huées destinées à la production à l’issue de la première (et même pour la répétition générale très mal accueillie).

Vinda Sonata Miguna | 26/04/2022

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Technical Specifications
1920×1080, 4.0 Mbit/s, 6.0 GByte (MPEG-4)
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