Der fliegende Holländer
Jordan de Souza | ||||||
Opernchor und Orchester des Nationaltheaters Mannheim | ||||||
Date/Location
Recording Type
|
Daland | Sung Ha |
Senta | Daniela Köhler |
Erik | Jonathan Stoughton |
Mary | Marie-Belle Sandis |
Der Steuermann Dalands | Juraj Hollý |
Der Holländer | Michael Kupfer-Radecky |
Stage director | Roger Vontobel (premiere) |
Set designer | Fabian Wendling |
TV director | Stefan Bischoff |
Ausgebremstes dystopisches Kopfkino
Man wird nicht ganz schlau aus Roger Vontobels Neuinszenierung von Wagners Holländer am Nationaltheater in Mannheim. Seine Konzeption zielt auf Halluzinationen, die im Kopf einer schizophrenen Senta ein dystopisches Inferno in Gang setzen, an dessen Ende sie sich mit dem Strick erhängen muss, den sie in der ersten Videoeinspielung umklammert hält. Das Zwanghafte dieser Einbahnstraße ist ihr in das Gesicht gemalt. Eine bleiche Haut, dicke schwarze Augenringe, ein stumpfer Blick, dümmlich irre die Ausstrahlung in Mimik und Körperhaltung. Dazu passt das Tüllkleid, das man Puppen überstülpt, um sie dann in die Ecke zu schieben.
Dieser Traum-Ansatz ist nicht ganz neu. 1978 brachte Harry Kupfer mit einer solchen Interpretation die Wagner-Fans in Kampfposition. Die Traditionalisten protestierten lautstark, die Modernen waren entzückt. Eine Wiederholung gab es nicht. So gesehen hat Roger Vontobels Ansatz die Qualität von Revolution. Schade nur, dass sein Gedankenkonstrukt nicht aufgeht. Wer es nicht gelesen hat, versteht nicht, dass Senta dem Holländer im Albtraum begegnet.
Roger Vontobel ist eben nur ein Theaterregisseur, wenn auch durch und durch, der dem Phänomen einer Musikdramatik in der Qualität eines Richard Wagners wenig vertraut. Im Idealfall sind die Protagonisten von Wagners Tonkunst so durchdrungen, dass sie die Partien nicht nur mit den Stimmlippen wiedergeben, sondern ganzheitlich verkörpern, mit jedem Muskel auf der nuancenreichen Klaviatur gesanglicher Expressivität und Farbgebung.
Diese Chance hatten die Mannheimer Senta, die Sopranistin Daniela Köhler, und der Bariton Michael Kupfer-Radecky in der Titelrolle nicht einmal im Ansatz. Roger Vontobel stellte ihnen Doubles zur Seite. Hier der statische Gesang, dort die getanzten Seelenzustände, Delphina Parentie als Traum-Senta und Michael Bronczkowski als Traum-Holländer. Die beiden verströmten eine Magie, die alles darum herum vergessen ließ. Mit Bravour wirbelten sie über die Bühne, verrenkten sich in wilden Zuckungen, verstrickten sich in den Seilen, durchlebten das Liebesspiel zweier Irrer auf dem Weg in den Untergang.
Weil ihre Choreographie mit der Partitur in großer Sorgfalt verwoben war, lauschte man mit geschärftem Ohr auf die Musik. Daniela Köhler ist ein veritabler dramatischer Sopran, aber ihr Problem des Sigmatismus hätte sie längst beheben müssen. Für die Partie des Holländers ist Michael Kupfer-Radecky eine gute Wahl. Er bot tiefe Schwärze ebenso wie lyrische Höhen. Ihn spielen zu sehen, wäre ein Vergnügen. Roger Vontobel verdammte beide jedoch zu statuarischem Singen. Alleine über die Stimme den hochdramatischen Augenblick zu beschreiben, ist bei Wagner nicht zu schaffen. Er schuf Bühnenkunst. Ausschließlich.
Spürbar wird dies in den Nebenrollen, die spielen durften, wie in einer ganz traditionellen Inszenierung des Holländers. Einen wahren Hörgenuss bot am Premierenabend der jugendlich strahlende Tenor Juraj Holly als Steuermann. Sung Ha, in der Produktion als Zweitbesetzung für Daland vorgesehen, sprang kurzfristig für den auf der Anreise stecken gebliebenen Patrick Zielke ein. Sung Ha ist seit 2011 Mitglied des Ensembles am Nationaltheater. Die Kostümbildnerin Ellen Hofmann hatte Calvin Candie aus „Django Unchained“ von Quentin Tarantino im Kopf, als sie die Figur des Daland ausstattete. Sung Ha trug nicht nur das Kostüm, sondern gestaltete die Partie mit eben diesem Charakter und erntete für seine Glanzleistung am Ende entsprechenden Publikumsapplaus. Der Tenor Jonathan Stoughton gestaltete die Partie des angeblich aufbrausenden Erik mit viel Feingefühl. In seinen Partien wurde Seelenqual in Wagnerqualität auch fühlbar.
Ideal für eine aus der Zeit gehobene Inszenierung des Holländer war das Bühnenbild. Fabian Wendling bot eine Bühnenästhetik, die einer Kunstinstallation glich. Mit Seilwinden verlieh er der Bühne Struktur und schuf illusorische Räume des Schreckens wie der Zuflucht. Das Schiff des Holländers wurde auf die Schrägseilhängekonstruktion mittig abgesenkt und überstrahlte den Raum als kunstvoll drapiertes Metallgerippe. Eine geschickte Lichtregie im Zusammenspiel mit den einseitig auf der Drehbühne verankerten Seilen erzeugte phantasmagorische Suggestionen im Raum.
Eigens für Wagners Holländer hatte man den kanadische Dirigenten Jordan de Souza verpflichtet, der zu den hoffnungsvollen Nachwuchstalenten zählt. Sorgfalt, Genauigkeit und Sicherheit sind augenscheinlich seine größten Tugenden. Das spürte man vom ersten Ton an. De Souza ließ sich Zeit, um von Nummer zu Nummer zu wechseln. Das überraschte. Eine Non-Stop-Aufführung von Wagners Holländer hat sich als beliebtes Format etabliert, weil man die Nummernoper kaschieren wollte.
Mit seinem Holländer gelang Wagner unwidersprochen Großes, aber keinesfalls ein durchkomponiertes Musikdrama, was seine wahre Größe jenseits aller Widrigkeiten und Widersprüche unverrückbar manifestiert. Gerne hätte Wagner dies auch beim Holländer eingelöst, wiederholt feilte er an der Instrumentation und fügte der Ouvertüre und dem dritten Akt den sogenannten “Erlösungsschluss” hinzu. Eine endgültige Version seiner wiederholten Retuschen und Revisionen blieb jedoch einer seiner unerfüllten Lebensträume.
Unerfüllt blieb auch Jordan de Souzas Interpretation. Sprichwörtliche Langsamkeit legte die Aufgeregtheit der Orchestermusiker offen, wann immer ihre Soli deutlich hervortraten. Vor allem in den Bläsern. Zu glatt hatte der Dirigent die Tempi gebügelt, das Orchester zu sehr an den metronomischen Duktus gebunden. Das Drama um den Holländer fordert Entfesselung, ohne dass sie aus dem Ruder läuft. Fast so wie der Chor, vor allem die Männer in ihrem Paradestück „Steuermann! Lass die Wacht!“. Hemdsärmelig sangen und stampften sie und so überzeugend erdverbunden, dass es schon wieder schön war.
Der Kitsch im Finale, wenn die Traum-Senta in den Himmel entschwebt und die schizophrene Version am Galgenstrick baumelt, blitzt so kurz auf wie ein Paukenschlag. Das ist verschmerzbar. Der Mannheimer Holländer mag als Repertoire-Stück reifen. An Potential fehlt es nicht.
Christiane Franke | Nationaltheater, 24.04.2022
Bedingt der Corona-Pandemie hatte nun „Der Fliegende Holländer“ von Richard Wagner mit zweimonatiger Verspätung seine Premiere. Fanden die letzten drei Inszenierungen (Fidelio, Aida, Il Trovatore) des Schweizers Roger Vontobel beim Publikum wenig Gegenliebe, gab man ihm eine vierte Chance, vertraute ihm Wagners romantische Oper an und nutzte sie zu seinem Heil! Der Richard-Wagner-Verband Mannheim sponserte großzügig die illustren abstrakten, sehr dekorativen Bühnenbilder (Fabian Wendling). Diagonal gespannte Seilschaften, vorzüglich ausgeleuchtet (Florian Arnholdt) ergaben vortreffliche optische Effekte auch der Spinnstube reizvolle visuelle Kontraste. Die Treppenmontage mit Schiffs-Reling auf der Drehbühne variabel bewegt sowie die transparente Schiffkonstruktion von oben rundeten die Szenerien auf absolut positive Weise ab. Die Damenkostüme (Ellen Hofmann) na ja durfte man unter Fadaise einordnen während die Herren aparter gewandet erschienen. Die Perücken wurden wohl vom Freischütz ausgeliehen? Roger Vontobels personifizierte Idee um Senta und den Holländer erschien mir als Parabel um zwei Menschen voller Sehnsüchte ihren Zwängen zu entfliehen, verloren in Wunschphantasien und scheitern letztlich. Stumme Doubles (Delphina Parenti / Michael Bronczkowski) präsentierten der Beiden (erotischen) Traumvisionen, die völlig überflüssigen Tänzer wirkten deplatziert ebenso die unästhetischen Gewaltszenen. Von diesen Diskrepanzen abgesehen gelang Vontobel eine interessante Inszenierung erstmals vom Publikum durchaus positiv ohne Widerspruch angenommen.
Am Pult des blendend disponierten NTM-Orchesters waltete erneut ein Gast Jordan de Souza. Der 1988 in Toronto geborene Dirigent leitete in Kanada alle Orchester von Rang, gastierte an italienischen Häusern und fungiert bis dato als 1. Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin. Mir schien es wurde intensiv geprobt, konditionell wirkte der Klangkörper in der Koordination und Animation der Instrumentalmassen auf und vor der Bühne klug disponiert und versprach einen ganz großen Abend. Stringent, zupackend, vortrefflich die Leistungen der Musiker vehement austariert, dynamischem temperamentvoll animierte de Souza das Orchester zu eindrucksvoller Klangkultur. Transparent, lyrisch, wunderbar rhythmisch, erfrischend musizierten alle Instrumentalgruppen ausgewogen qualitativ individuell zum konträren dramatischen Impetus der Partitur mit seinen teils eruptiven Forte-Expansionen.
In uhrwerkpräzisem Kollektiv wie man es am Hause gewohnt, präsentierte sich der von Dani Juris vortrefflich einstudierte Chor des NTM. Intonationsrein, schwebend, wunderbar aufblühend agierten die Frauenstimmen, maskulin, klangvoll, in markant rhythmischer Raffinesse gesellten sich die Herren zu den von Gewitter und Sturm umbrausten Vokal-Elementen.
In orchestrale Wogen bestens gehüllt und umsichtig begleitet entfalteten sich alle Solist*innen mit ihren Rollendebüts auf vortreffliche Weise. Als Senta stellte sich Daniela Köhler mit jugendlich-hellem Sopran vor, bestach mit schön timbriertem Material, bestens disponiert präsentierte die Sängerin die konstante vokale Linie, meisterte souverän die heiklen Höhenklippen, beeindruckte mit lyrischen, beseelten und gleichwohl dramatischer Vokalise zur Ballade und insbesondere im Duett mit ihrem ersehnten Traumpartner.
Unspektakulär vernahm man Marie-Belle Sandis als darstellerisch rege Mary.
Plastisch artikulierend, technisch bestens versiert, geprägt von sonor vokalem Wohlklang, in düster-dämonischen jedoch ebenso vortrefflich lyrischen Tongebungen präsentierte Michael Kupfer-Radecky den mystischen Titelhelden. Bereits zweimal zuvor erlebte ich den markanten Bariton als Kurwenal, nun erschloss sich der Sänger mit dem dunklen Farbpotenzial und wohldosierten dynamischen Höhen, eine bemerkenswerte neue Partie.
Elegant, schönstimmig, prächtig in voluminösen Basstönen, bester Intonation, ausgezeichneter Artikulation stattete Sung Ha den mammongierenden Daland aus und fand sich mit Kupfer-Radecky zum herrlich melodischen Duett.
Wie viel Belcanto in Wagner steckt offerierte insbesondere Jonathan Stoughton als Erik. Der Komponist merkte der Partitur gar selbst an „Erik sollte den Part singen wie Bellini und dennoch kraftvoll wie Wagner“, jedenfalls wurde der englische Tenor diesen Anmerkungen exzellent gerecht. Zur stattlichen optischen Präsenz gestaltete Stoughton den verliebten chancenlosen Jägerburschen souverän und schenkte dem Part entgegen bisheriger Hörgewohnheiten insbesondere der Traumerzählung lyrischen, liedhaften Schmelz. Feinherbe, maskuline Konturen setzte der Sänger mit dem herrlichen Timbre, den strahlenden Höhenaufschwüngen kontrapunktierte Verve entgegen und reüssierte mit eindrucksvollem Rollenportrait.
Jugendlich, mit hell strahlendem Tenor versah Juraj Hollý den müden und später malträtierten Steuermann.
Mit großer Begeisterung feierte das Premieren-Publikum alle Mitwirkenden.
Gerhard Hoffmann | Nationaltheater, 24.04.2022