Der fliegende Holländer
Daland | Plamen Hidjov |
Senta | Turid Karlsen |
Erik | Wolfgang Schwaninger |
Mary | Suzanne McLeod |
Der Steuermann Dalands | Andrea Shin |
Der Holländer | Johannes Schwärsky |
Opernkrimi mit kleinen Schwächen
Der Steuermann ist nicht zu beneiden: Wind und Schnee peitschen durch den spärlich beleuchteten Containerhafen, und hier soll er nächtens Wache schieben. Verständlich, dass er nicht auf seiner Palette sitzen, sondern gern ein wärmeres Plätzchen einnehmen würde. Und nicht mitkriegt, wenn urplötzlich ein fremder, blutig roter Container im Hafen abgeladen wird, den ein gespenstisch anmutender Mann bewacht.
Es sind faszinierende Bilder, die sich Regisseur Andreas Baesler mit seinem Team (Bühne: Andreas Wilkens, Kostüme: Henrike Bromber) für Wagners „Fliegenden Holländer“ ausgedacht haben. Welch fabelhafte, die Stimmung des Stücks treffende Aktualisierung könnte das sein: Der Holländer als eine Art Schleuser, der Flüchtlinge aus aller Herren Länder per Container nach Europa bringt und der auch kein Problem hat, einen Frachtunternehmer wie Daland mit reichlich Geld auf seine Seite zu ziehen. Wenn Dalands Matrosen im dritten Akt schließlich über die unsichtbaren Menschen im Container spotten, treten diese plötzlich aus ihrer Behausung hervor und rütteln bedrohlich am Zaun, der sie aussperren soll.
Baesler will in Münsters Großem Haus allerdings noch mehr erzählen – und verheddert sich anscheinend in den Geschichten des ohne Pause gespielten Stücks. So zeigt er Senta schon zur Ouvertüre als Außenseiterin, die sich, allein zu Haus, blutrote Videos einer Gruftie-Gestalt reinzieht, die auch ein moderner Vampir sein könnte: es ist der Holländer.
Dass sie am Ende ihn und sich erschießt, passt zwar dazu, ist eine zynische Amokläufer-Variante der Erlösung im Tod – wird aber im schwach inszenierten zweiten Akt nicht überzeugend entwickelt. Wie auch der Drang des Schleuser-Vampirs zu Dalands Tochter unerklärlich bleibt, Immer, wenn im Libretto von einem Engel die Rede ist, betritt ein Engel auf der Bühne – kein Wunder, dass der arme Darsteller am Ende ein paar Buhs abbekam. Und durch die Blutfontäne, die nach Sentas Todesschuss verspätet hervorspritzt, verkommt der tragische Moment zum schlechten Effekt.
Dem gleichwohl über weite Strecken faszinierenden Werk, einem düsteren „Tatort Containerhafen“ mit Wagner-Musik, gibt Dirigent Fabrizio Ventura viel Schmackes mit auf den Weg. Dazu öffnet er nicht nur orchestral alle Schleusen, sondern lässt auch die von Donka Miteva einstudierten Chöre im dritten Akt akustisch und per Lautsprecher gegeneinander dröhnen.
Die Wahl der Sänger scheint vom Gedanken an möglichst heroische Stimmkraft bestimmt zu sein: Vor allem Wolfgang Schwaninger als Erik und Turid Karlsen als Senta haben kein Problem, sich gegen das auftrumpfende Orchester zu behaupten. Die Ensemblemitglieder Suzanne McLeod, Plamen Hidjov und Andrea Shin halten mit.
Herausragend singt Johannes Schwärsky den Holländer. Er setzt die samtig-schwarze Stimme geradezu empfindsam ein, zeichnet ein vokales Porträt des Titelhelden als tragischen Helden, der verzweifelt, aber aufrecht einen Ausweg aus seiner Lage sucht. Das Premierenpublikum dankte es ihm mit Ovationen.
Harald Suerland | 11.10.2010
Schon während der Ouvertüre erscheint Senta auf der Bühne, schiebt eine Videokassette in einen Videorekorder und betrachtet mit großer Hingabe ein unscharf zu erkennendes schwarz-weiß Bild auf dem Fernsehbildschirm, welches ohne Zweifel den fliegenden Holländer darstellen soll und das zugleich für die Zuschauer deutlich sichtbar auf der noch geschlossenen Bühne projiziert wird. Dies wird nicht das einzige Mal bleiben, daß sie in diese Pose verfällt. Mit dem Beginn des ersten Aufzugs werden große übereinandergestellte Container mit der Aufschrift „Daland“ auf der Bühne sichtbar. Dazu sieht man im gelben Licht und Schneesturm einen Motorradfahrer, der wenig später davon fährt. Der bärtige Holländer erscheint mit zerzaustem Haar und dunklen Klamotten auf einem Container, der von oben mit Kranzügen heruntergelassen wird. Im zweiten Aufzug ist der Container nun umgedreht und geöffnet. Man sieht das norwegische Volk in typischer traditioneller Trachtenkleidung, die eine überdimensionale norwegische Fahne bearbeiten, während Senta wieder (mit Kopfhörern) vor ihrem Fernseher hockt und das Bild des Holländers betrachtet. Am Ende der Oper wird sie Eriks Gewehr nehmen und zunächst den Holländer und dann sich damit erschießen.
Sänger und Orchester
Eine herausragende Leistung gelang Johannes Schwärszky. Seine Stimme war wie geschaffen für die Rolle des Holländers. Vor allem ihm war es der mit seiner ausdrucksstarken und sicheren Stimme sowie seiner enormer Ausstrahlung und Bühnenpräsenz zu verdanken, dass der Abend ein großer Genuss wurde. Überzeugen konnten auch die übrigen Sänger- jedoch mit einigen Abstrichen. Turid Karlsen in der Rolle der Senta überzeugte mit großem Stimmvolumen, wirkte jedoch nicht ganz sicher in den hohen Lagen, wo ihre Stimme zudem oftmals nahezu grell wirkte. Wunderschön jedoch ihr langes Duett mit dem Holländer im zweiten Aufzug. Wolfgang Schwanginger in der Rolle des Eriks gefiel durch eine starke, wenn auch etwas rauhe Opernstimme. Daland, gesungen von dem bühnenerfahrenen bulgarischen Sänger Plamen Hidjov, bot eine solide Leistung und hat eine gute Stimme. Die Chöre wirkten für eine Wagneroper etwas zu zurückhaltend und die Einsätze stimmten nicht immer. Hervorzuheben ist die deutliche Aussprache der Sänger. Beim Sinfonieorchester Münster hätten die bei Wagner so wichtigen klanglichen Differenzierungen stärker zum Vorschein kommen müssen. Stellenweise unsauber waren die Hörner. Mehr Selbstbewußtsein und Klarheit wären wünschenswert gewesen.
Fazit
Insgesamt ein gelungener Abend. Dennoch können die schon kurz von vor dem Erklingen des letzen Tones einsetzenden Bravo-Rufe nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Musiker und Sänger trotz dieser achtbaren Leistung mehr Probenzeit gebraucht hätte, um die Musik Wagners mehr zu verinnerlichen.
Roman Bonitz | 13. Oktober 2010